Marie­luise Beck im Deutsch­land­funk: „Wir werden ganz offen mit Lügen aus Russ­land konfrontiert“

Der Anschlag auf den rus­si­schen Ex-Spion Skripal in Groß­bri­tan­nien sei kein Ein­zel­fall, meint Marie­luise Beck vom Zentrum Libe­rale Moderne. Im Dlf verwies die auf „eine größere Anzahl von Ermor­de­ten auch in unseren west­li­chen Ländern“. Von rus­si­scher Seite werde bei der Auf­klä­rung nie kon­struk­tiv mitgearbeitet.

Zerback: Für London war ja sehr schnell klar, Russ­land hat es ent­wi­ckelt, Russ­land hat es schon mal ein­ge­setzt, Russ­land muss dafür büßen. Schießt Theresa May da nicht mei­len­weit übers Ziel hinaus?

Beck: Es gibt in der Tat keine Beweise. Wir hatten sie aber auch nie bei ähn­li­chen Fällen. Aber eine erdrü­ckende Indi­zi­en­kette und eine hohe Plau­si­bi­li­tät. Ich sehe diesen ver­such­ten Mord im Zusam­men­hang mit dem Fall Lit­wi­nenko. In diesem Fall führten alle Spuren des Polo­ni­ums bis hin zum Flug­ti­cket und den Kre­dit­kar­ten zu dem Mann Lugowoj. Der hatte sich aber inzwi­schen bereits nach Russ­land wieder abge­setzt und sitzt jetzt, und das geschieht nicht ohne Zutun von Prä­si­dent Putin, in der Duma als Abge­ord­ne­ter. Inso­fern also gibt es doch sehr viele Par­al­le­li­tä­ten. Es geht immer um Geheim­dienst­leute, die sich abge­setzt haben und damit ihren eigenen Laden ver­ra­ten. Das geschieht unter Geheim­dienst­lern und ins­be­son­dere im Aus­lands­ge­heim­dienst Russ­lands nicht ohne Konsequenzen.

Zerback: Und doch spre­chen auch Sie jetzt von Indi­zien. Unschul­dig, bis die Schuld bewie­sen ist, gilt das für Russ­land nicht?

Beck: Augen­blick bitte. Ich finde, wir sollten einer­seits über Rechts­staat­lich­keit spre­chen. Im Fall Lit­wi­nenko waren tat­säch­lich rechts­staat­li­che Ver­fah­ren abge­hal­ten worden. Die dau­er­ten aller­dings lange. Und wir müssen über poli­ti­sche Wer­tun­gen spre­chen, wenn es um Plau­si­bi­li­tät geht. Und in diesem Fall ist die Plau­si­bi­li­tät sehr hoch. Zumin­dest müsste Russ­land ja beant­wor­ten, wo dieses Giftgas, das in rus­si­schen Labo­ra­to­rien her­ge­stellt worden war, wie es denn kommen kann, dass das in London auftaucht.

„Die Beweise werden schlicht­weg mit den Men­schen vernichtet“

Zerback: Also allein schon bei diesem Punkt würde Ihnen jetzt zum Bei­spiel der Bio­waf­fen­ex­perte von der Linken, Jan van Aken, wider­spre­chen. Der sagt, das Gift Nowit­schok, das ist nicht schwie­rig her­zu­stel­len, und das können nicht nur die Russen gemacht haben.

Beck: Wir haben immer in solchen Fällen unend­lich viele Ver­schwö­rungs­theo­rien von denen, die es einfach nicht glauben wollen, und das ist, glaube ich, das Haupt­pro­blem. Wenn Sie sich näher mit Russ­land beschäf­ti­gen, sehen Sie eine Kette von Auf­trags­mor­den, die immer in solchen unsicht­ba­ren und letzt­lich schwer ver­folg­ba­ren Beweis­ket­ten lagen, oder wo die Beweise schlicht­weg mit den Men­schen ver­nich­tet worden sind. Das ist übri­gens auch im Fall Lit­wi­nenko so, wo es eine rus­si­sche eigen­stän­dige Kom­mis­sion gab. Und ein grö­ße­rer Teil der Mit­glie­der ist dann auf uner­find­li­che Weise ums Leben gekommen.

„Nie arbei­tet Russ­land kon­struk­tiv mit“

Zerback: Gut, aber Frau Beck, lassen Sie uns doch viel­leicht noch mal bei dem aktu­el­len Fall bleiben. Also, Ver­schwö­rungs­theo­rien, die funk­tio­nie­ren ja leider nicht nur in eine Rich­tung, und die gibt es auch nicht nur aus Russ­land. Aber das normale Pro­ce­dere in einem solchen Fall wäre doch, dass die Orga­ni­sa­tion zum Verbot von Che­mie­waf­fen ein­ge­schal­tet wird und der beschul­digte Staat, der hat dann zehn Tage Zeit zu reagie­ren. Und statt­des­sen gab es jetzt dieses 24-Stunden-Ulti­ma­tum aus London. War das nicht klar, dass man damit Moskau provoziert?

Beck: Ich sehe nicht, dass der Kreml so zart besai­tet ist, dass er sich pro­vo­ziert fühlt, sondern ich sehe, dass wir diese Erfah­run­gen vor dem Hin­ter­grund machen, dass wir ganz offen mit Lügen kon­fron­tiert werden aus Russ­land. Ich erin­nere an die Krim, wo der Prä­si­dent per­sön­lich und der Außen­mi­nis­ter sagten, kein ein­zi­ger rus­si­scher Soldat ist betei­ligt gewesen an der Über­nahme der Krim, und wenige Wochen später brüstet sich sogar der rus­si­sche Prä­si­dent, wie klug und erfolg­reich die rus­si­schen Sol­da­ten auf der Krim vor­ge­gan­gen sind. Das ist das Haupt­pro­blem. Auch bei MH17 – alle Spuren führen nach Russ­land. Es ist fak­tisch belegt, dass es sich um einen rus­si­schen Rake­ten­wer­fer gehan­delt hat, der dieses Flug­zeug mit 299 Zivi­lis­ten vom Himmel geholt hat. Nie arbei­tet Russ­land kon­struk­tiv mit, sondern es gibt immer die Vorwärtsverteidigung.

Zerback: Okay, Frau Beck, Ent­schul­di­gung, wenn ich Sie unter­bre­che, aber wenn man da Ihrer Argu­men­ta­tion einfach mal folgen will, dann frage ich mich trotz­dem, warum man damit jetzt sich so angreif­bar macht? Wenn man eigent­lich sich doch auf der Seite des Rechts sieht, dann ver­stehe ich nicht, warum Theresa May sich da so angreif­bar macht, mit ihr auch alle NATO-Staaten, die ihr sofort bei­gesprun­gen sind, ganz vorn mit dabei auch Deutsch­land, warum man da nicht einfach gesagt hat, wir warten jetzt die Ergeb­nisse einfach mal die paar Tage ab? Das wäre doch dann sauber gewesen.

Beck: Ich kann Ihnen da nicht wider­spre­chen. Dieses Ver­fah­ren ein­zu­lei­ten, halte ich für ver­nünf­tig, das kann auch jetzt noch getan werden.

„Der Betei­ligte wird geschützt, indem man ihn in die Duma setzt“

Zerback: Die OPCW ist jetzt ein­ge­schal­tet, das ist jetzt heute Nacht bestä­tigt worden.

Beck: Genau, sehen Sie. Trotz­dem meine ich, dass wenn wir bereit sind hin­zu­schauen, dass von rus­si­scher Seite und vom Kreml nie aktiv und kon­struk­tiv mit­ge­ar­bei­tet wird bei der Auf­klä­rung von solchen Fällen. Und ich sage noch einmal, bei Lit­wi­nenko hat es ein sehr lang wäh­ren­des, sau­be­res staats­an­walt­li­ches Recher­che­ver­fah­ren gegeben in London, und dieser Betei­ligte, auf den alle Indi­zien zeigen, wird geschützt, indem man ihn in die Duma setzt als Abge­ord­ne­ten. Das sind schon Zeichen, die das Ver­trauen in den Kreml, dass er bereit ist, an solchen Fragen mit­zu­ar­bei­ten, doch sehr schwächen.

Zerback: Stellt sich ja aber trotz­dem wei­ter­hin die Frage nach dem Motiv. Welches Inter­esse sollte Russ­land denn haben, so kurz vor der Wahl, so kurz vor der WM auch im eigenen Land, so was zu inszenieren?

Beck: Ich sage nicht, dass Russ­land das Inter­esse hat. Ich würde im Augen­blick zunächst einmal von Geheim­diens­ten spre­chen. Es gibt, ins­be­son­dere im Aus­lands­ge­heim­dienst GRU, eine unge­schrie­bene Regel, dass, wer sich gegen die eigene Insti­tu­tion stellt, das nicht ohne Kon­se­quen­zen tut. Das war der Fall Lit­wi­nenko, und das würde auch, obwohl viele Jahre ver­gan­gen sind, auf den Fall Skripal zutref­fen. Inso­fern gibt es durch­aus erkenn­bare Motive für diese Ver­gif­tung, mit der wir es jetzt zu tun haben.

„Es gibt eine größere Anzahl von Ermor­de­ten auch in unseren Ländern“

Zerback: Gestern Abend hat sich ja die Bun­des­kanz­le­rin mit dem fran­zö­si­schen Prä­si­den­ten getrof­fen. Da war Russ­land auch ein wich­ti­ges Thema, und es hieß, man habe eine gemein­same Antwort auf die Attacke dis­ku­tiert. Wie sollte die denn Ihrer Meinung nach aus­se­hen? Wie sollte die Bun­des­re­gie­rung reagieren?

Beck: Zumin­dest ist es wichtig, dass wir nicht einfach hin­weg­ge­hen über dieses Ereig­nis. Wie gesagt, es ist nicht der erste Fall, sondern es gibt eine größere Anzahl von Ermor­de­ten auch in unseren west­li­chen Ländern, und darüber muss natür­lich gespro­chen werden. Wie kann es sein, dass Staats­bür­ger in unseren sou­ve­rä­nen Ländern nicht mehr geschützt werden. Ich glaube, dass London –

Zerback: Also die Mittel der Diplo­ma­tie, also Gespräche?

Beck: Das ist natür­lich das Mittel der Diplo­ma­tie, und das ist vor allen Dingen die Ent­schie­den­heit, wirk­lich hin­zu­schauen und nicht Gras drüber wachsen zu lassen über die Angelegenheiten.

Zerback: Also im Umkehr­schluss auch keine Sanktionen?

Beck: Das ist jetzt im Augen­blick nicht zu dis­ku­tie­ren. Die Aus­wei­sung dieser bri­ti­schen Diplo­ma­ten in Anfüh­rungs­zei­chen ist ja in der Regel eine Aus­wei­sung von Geheim­dienst­leu­ten, übri­gens auch bei uns in der rus­si­schen Bot­schaft Unter den Linden gehen die deut­schen Dienste davon aus, dass etwa ein Drittel der dort ein­ge­tra­ge­nen Diplo­ma­ten eigent­lich geheim­dienst­li­chen Tätig­kei­ten nachgehen.

Zerback: Klar ist ja auf jeden Fall, im eigenen Land schadet Putin auch dieser außen­po­li­ti­sche Kon­flikt nicht. Populär ist er, gewählt wird er wohl auch wieder. Irgend­was scheint er ja richtig zu machen?

„Das ist keine Wahl, sondern das ist eine Akklamationsveranstaltung“

Beck: Ich bin immer erstaunt, dass wir im Westen von Wahlen spre­chen, obwohl es keine Kan­di­da­ten gibt, die nicht von Putin zuge­las­sen worden sind. Beide Kan­di­da­ten, die eine echte Chance gehabt hätten, zumin­dest ein Nicht­ein­ver­stan­den­sein oder andere Wünsche zu doku­men­tie­ren, können nicht antre­ten. Boris Nemzow ist erschos­sen worden, und Navalny darf nicht antre­ten. Das ist keine Wahl mehr, wenn alle mög­li­chen Kan­di­da­ten nicht antre­ten dürfen. Wenn es keine Kam­pa­gne gibt, wenn es keine freie Presse gibt, wenn es keine Zugangs­mög­lich­kei­ten für Kan­di­da­ten gibt für eine faire Wahl­kam­pa­gne – das ist keine Wahl, sondern das ist eine Akkla­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung, die am Sonntag stattfindet.

Zerback: Und zusätz­lich droht jetzt kurz vor der Wahl auch noch neuer Ärger um die Krim. Die Ukraine will Aus­lands­rus­sen davon abhal­ten, zu wählen. Das soll ja dort zum ersten Mal pas­sie­ren, als Reak­tion eben auf die Anne­xion dieser Protest jetzt. Wird die Ukraine damit durchkommen?

Beck: Das wird letzt­lich eine Ent­schei­dung sein, die sich in den Grenzen der Ukraine abspielt. Es ist eine Antwort auf die Tat­sa­che, dass auf der Krim gewählt wird, obwohl nach allem inter­na­tio­na­len Recht die Bewoh­ner der Krim zum großen Teil ukrai­ni­sche Staats­bür­ger­schaft haben und das Ganze sich abspielt auf einem völ­ker­rechts­wid­rig annek­tier­ten Boden.

Zerback: Und sind damit die Hoff­nun­gen der Kanz­le­rin jetzt auch Geschichte, dass es nach den Wahlen da einen neuen Anlauf geben könnte, also Blau­helm­sol­da­ten auf der Krim zu sta­tio­nie­ren. Das hatte Putin ja unlängst gar nicht mehr ausgeschlossen.

Beck: Niemand weiß, wie die Politik des Kreml sich nach diesen Wahlen ent­wi­ckeln wird, ob sie sich viel­leicht sogar ver­schär­fen wird in der Repres­sion, weil die Unruhe in den Clans hinter Putin größer sein wird. Wer wird die Nach­folge antre­ten und dabei dieses System aus KGB, aus Geld, aus Olig­ar­chie und Staats­un­ter­neh­men und Politik dieses System so aus­ta­riert zu halten, wie Putin das gelun­gen ist? Und es kann sein, dass das zu mehr Repres­sio­nen führt sogar. Es kann zu Unruhen führen. Es kann aber auch sein, es gibt einfach ein Weiter-so. Niemand kann das vorhersagen.

Zerback: Das sagt Marie­luise Beck von der Ber­li­ner Denk­fa­brik, dem Poli­tik­in­sti­tut Zentrum für libe­rale Moderne. Herz­li­chen Dank für das Gespräch heute Morgen im Deutschlandfunk!

Beck: Ich danke Ihnen auch!