Roskomswoboda: Für Freiheit im russischen Netz
Russland schafft sein eigenes Internet, es sperrt Seiten von Regierungskritikern, schreibt auch ausländischen Anbietern vor, die Daten russischer Nutzer auf russischen Servern zu speichern. Die unabhängige Organisation Roskomswoboda – hervorgegangen aus der russischen Piratenpartei – verteidigt die Freiheit im Internet.
Es waren bange Minuten, damals am Heimcomputer mit dem schwerfälligen Namen BK0010. Lädt das Spiel oder reißt das Kassettenband? Artjom Kosljuk, der ernsthafte 40-Jährige, lacht auf, wenn er über seinen ersten Rechner erzählt, noch zu Sowjetzeiten Ende der 1980er Jahre. Diesen Rechner mit einem Schwarz-Weiß-Bildschirm, in den Laboren der Nationalen Forschungsuniversität für Elektronische Technologie bei Moskau entwickelt. Einen, der einen schlichten Kassettenrecorder zur Datenspeicherung brauchte und ohne jegliche Software geliefert wurde. „Immer ein Glücksspiel mit ihm und dem Kassettensalat“, sagt Kosjuk heute, der nun mit Computerproblemen anderer Art kämpft – der stetigen Kontrolle des Internets durch den russischen Staat.
Die staatliche Medienaufsicht als Gegner
Es war im November 2012, als Russland mit einem neuen Gesetz eine schwarze Liste für Internetseiten einführte. Zum Schutz der Kinder, lautete die Begründung. Mit der speziellen Technologie namens Deep Package Inspection – damit lässt sich jedes Datenpaket, das durchs Netz transportiert wird, öffnen und überprüfen – sollte der gesamte Datenverkehr in Russland überwacht werden. Für Datenschützer ein Graus – und für den Staat ein Instrument, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Für Kosljuk und seine drei Mitstreiter war diese Liste der letzte Grund, um sich gesellschaftlich zu engagieren. Sie kannten sich aus der Piratenpartei, die in Russland jahrelang versucht hatte, etwas in Sachen offene Gesellschaft und E‑Demokratie zu bewegen, doch zunächst daran gescheitert war, die Partei registrieren zu lassen. Denn, so die offizielle Erklärung: Piraterie sei ein Straftatbestand in Russland.
Gleich am Tag, als das Online-Zensurgesetz in Kraft getreten war, gründeten Kosljuk und seine Freunde Roskomswoboda – als Gegenpol zu Roskomnadsor, der staatlichen Medienaufsicht Russlands, de facto eine Zensurbehörde. Roskomnadsor greift immer dann ein, wenn die Beamten die Sicherheit des Volkes bedroht sehen. So sind in Russland mittlerweile alle Veranstaltungen, alle Bücher, alle Videos mit dem Zusatz „0“, „+12“ oder „+18“ versehen, um jedem vor Augen zu führen, von welchem Alter an etwas eigentlich erlaubt sei. Vielmehr aber kümmert sich die Behörde um das Netz und das Sperren bestimmter Sites oder Apps, sei es das Karrierenetzwerk LinkedIn, die Walkie-Talkie-App Zello oder der Messenger-Dienst Telegram, bei dem sich Roskomnadsor durch seine Sperrversuche vor eineinhalb Jahr blamiert hatte. Die Zahl der in Russland gesperrten Websites steigt kontinuierlich. Laut Rokomswoboda ist sie von 294.000 Ende Oktober auf knapp 320.000 Anfang Januar angewachsen.
Wie Roskomswoboda Bürgerrechte im Internet schützt
Gezielt werden Seiten blockiert, wenn sie ein politisches Spektrum abdecken, das dem Kreml nicht passt. Prominente Beispiele sind kasparov.ru, das Internetportal des einstigen Schachweltmeisters und jetzigen Putin-Gegners Garri Kasparow, MBK Media, das Portal des Kremlkritikers Michail Chodorkowski sowie die ukrainische Nachrichtensite Ukrayinska Prawda (pravda.com.ua). Auch die Sites des Oppositionellen Alexej Nawalny sind immer wieder von Sperrungen bedroht. Die meisten gesperrten Sites aber enthalten kinderpornografische Inhalte, beschreiben Suizid-Methoden oder verherrlichen den Faschismus und sind als „extremistisch“ eingestuft. Der Begriff des Extremismus ist allerdings ein dehnbarer in Russland. So wurde er Andrei Bubeyev, einem Elektromonteur aus der Stadt Twer, zum Vorwurf gemacht, weil er das Bild einer Zahnpastatube mit der Aufschrift „Drück Russland aus dir heraus“ gepostet hatte. Bubezev saß deshalb zwei Jahre lang in Haft. Kosljuk und seine Freunde kämpfen gegen eine solche Willkür und die daraus resultierende Einschüchterung.
Roskomswoboda ist eine NGO, die mit „Swoboda“ die „Freiheit“ bereits im Namen führt. Die Organisation dokumentiert in ihrer Statistik alle gesperrten Seiten, klärt auf, wer für die Sperrung verantwortlich ist, welche Seite wann deblockiert wurde. Derzeit arbeiten etwa 15 feste Mitarbeiter und 15 Freiwillige bei Roskomswoboda, das sich über Spenden und Crowdfunding finanziert. Die Mitarbeiter sind überall im Land verteilt, lediglich das Büro der Juristen befindet sich in Moskau. Sie leisten Rechtshilfe, sie analysieren die Lage, treten auf Konferenzen auf und informieren über die digitalen Gesetze in Russland. „Wir sind eine dezentralisierte Struktur aus IT-Spezialisten, Übersetzern, Designern, Juristen und Schreibern“, sagt Kosljuk.
Der studierte Ingenieur, der es in sieben Jahren Armeedienst zum Oberleutnant gebracht hat, sitzt seit Kurzem im Expertenrat zur Informationspolitik der russischen Staatsduma – da ist er einer von 112. „Wir treten für Dialog ein, wir wollen das Denken übers Internet verändern, setzen uns für gesellschaftliche Kontrolle ein.“ Ohne Roskomswoboda, so ist Kosljuk überzeugt, wären die saatlichen Eingriffe in die digitale Freiheit noch härter. „Wenn der Staat angreift, muss jeder wissen, wie er sein eigenes privates Digital-Schloss baut, seine Daten also schützt.“ Mit Erklärungen, wie ein VPN funktioniert, welche Kommunikationsdienste mit Verschlüsselungen arbeiten, hilft Roskomswoboda beim „Bauen“ eines solchen Schlosses.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts „Deutsch-Russischen Gespräche zur digitalen Zivilgesellschaft“ erschienen.
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