Kli­ma­wan­del – ein „Hirn­ge­spinst“

© Shut­ter­stock, Stock­foto Nr 121916266, Vadim Petrakov

Russ­land hat das Pariser Kli­ma­ab­kom­men rati­fi­ziert. Die Kli­ma­schüt­zer im Land halten das für Augenwischerei.

Erst kamen die Eis­bä­ren. Sie liefen über die Haupt­straße der Sied­lung, sie suchten nach Nahrung, machten den Men­schen Angst. Die Eis­bä­ren hätten im Februar dieses Jahres längst tiefer im Norden sein müssen, auf der Jagd nach Robben. Doch das ark­ti­sche Meereis um die Dop­pelin­sel Nowaja Semlja, das Sperr­ge­biet im Nord­po­lar­meer, in dem die Sowjet­union einst Atom­waf­fen testete, zieht sich seit den Acht­zi­ger­jah­ren immer weiter zurück und bringt die Eis­bä­ren immer näher an die Sied­lun­gen heran.

Portrait von Inna Hartwich

Inna Hart­wich ist freie Jour­na­lis­tin und lebt in Moskau.

Im Juni dann kam das Wasser. Bei Irkutsk kam es in Fluten. Es riss Häuser mit, Tiere, raubte mehr als 30.000 Men­schen die Exis­tenz­grund­lage. Tage­lang hatte es stark gereg­net wie kaum zuvor, Flüsse waren über die Ufer getre­ten, ein Damm war gebro­chen. Die Behör­den hatten einen Aus­nah­me­zu­stand ausgerufen.

Im Juli griff schließ­lich das Feuer um sich. Eben­falls im Gebiet Irkutsk. Aber auch im Gebiet Kras­no­jarsk in Sibi­rien. Jedes Jahr brennt hier der Wald. Das Ausmaß in diesem Jahr fiel ver­hee­ren­der aus. Knapp drei Mil­lio­nen Hektar Fläche brann­ten ab. Ein Gebiet von der Größe Bel­gi­ens stand in Flammen. Die Men­schen besorg­ten sich Atem­mas­ken. Der Kreml schickte das Militär, um die Feuer zu löschen.

Putin sagt, der Kli­ma­wan­del sei nicht vom Men­schen gemacht

Auch für rus­si­sche Wis­sen­schaft­ler hängen solche extre­men Ereig­nisse mit glo­ba­len und regio­na­len Kli­ma­ver­än­de­run­gen zusam­men. Die „anor­ma­len Pro­zesse in der Atmo­sphäre“, so sagen es etwa die Kli­ma­wis­sen­schaft­ler vom Staat­li­chen Hydro­lo­gi­schen Insti­tut in Sankt Peters­burg, nähmen zu, Regen­fälle und Dür­re­pe­ri­oden würden größer. Einen Wen­de­punkt in der skep­ti­schen Ein­stel­lung vieler Russen haben die Über­schwem­mun­gen, Feuer und Eis­bären­ein­fälle in diesem Jahr aller­dings nicht bewirkt.

Vor zwei Jahren hatte der rus­si­sche Prä­si­dent Wla­di­mir Putin auf dem Ark­tis­fo­rum in Arch­an­gelsk im Norden des Landes gesagt, der Kli­ma­wan­del sei nicht vom Men­schen gemacht. Als Russ­land vor wenigen Tagen, pünkt­lich zum Kli­ma­gip­fel der Ver­ein­ten Natio­nen in New York, das Pariser Kli­ma­schutz­ab­kom­men von 2015 rati­fi­zierte, bekräf­tigte Putins Spre­cher Dmitri Peskow dessen Worte von damals. Lange Zeit hatte der Kreml den Kli­ma­wan­del sogar begrüßt: Schmelze das Eis in der Arktis, würden neue Roh­stoff­vor­kom­men ent­ste­hen, neue Res­sour­cen ließen sich erschlie­ßen. Knapp die Hälfte des rus­si­schen Staats­haus­halts basiert auf Rohstoffhandel.

Die Erd­er­wär­mung ver­läuft in Russ­land 2,5 Mal schnel­ler als im Durch­schnitt auf dem Pla­ne­ten, haben rus­si­sche Wis­sen­schaft­ler bereits vor Jahren aus­ge­rech­net. Vor allem in Per­ma­frost­ge­bie­ten – und Per­ma­frost bedeckt 60 Prozent des Landes – sind die Tem­pe­ra­tu­ren um bis zu 0,9 Grad inner­halb nur eines Jahr­zehnts gestie­gen. Das Auf­tauen der Per­ma­frost­bö­den sorgt nicht nur für bau­fäl­lige Häuser, absin­kende Straßen und insta­bile Öl- und Gas­pipe­lines. Es wird auch Methan frei­ge­setzt, ein 30 Mal kli­ma­schäd­li­che­res Treib­haus­gas als Koh­len­di­oxid. Für viele im Land, auch für die Men­schen in den von Über­schwem­mun­gen und Wald­brän­den betrof­fe­nen Gebie­ten, ist der Kli­ma­wan­del dennoch ein „Hirn­ge­spinst“.

Kli­ma­pro­test – eine einsame Angelegenheit

Es fehlt schlicht und einfach an Infor­ma­tion, an Auf­klä­rungs­kam­pa­gnen“, sagt Arschak Makitsch­jan mit seiner bedäch­ti­gen Stimme. Der 25-Jährige spielt Geige – und steht seit März dieses Jahres jeden Freitag, manch­mal auch jeden Tag, an zen­tra­len Orten in Moskau, etwa dem Pusch­kin-Denkmal, der Staats­duma oder der Prä­si­di­al­ver­wal­tung. Stets sein „Streik fürs Klima“-Schild in der Hand, inspi­riert von Greta Thun­berg und ihrem Schul­streik vor dem Schwe­di­schen Reichs­tag in Stock­holm. Auch wenn sich Makitsch­jan in den ver­gan­ge­nen Monaten viele Men­schen quer durchs Land ange­schlos­sen haben, bleibt sein Protest eine einsame Angelegenheit.

Das Land lebt von Öl, Gas und Kohle, es lagert seinen Müll, selbst wenn umwelt­be­wusste Bürger ihn trennen, auf rie­si­gen Depo­nien, gerade einmal vier Prozent der Abfälle werden recy­celt. Der Anteil der Erneu­er­ba­ren Ener­gien liegt bei nicht einmal einem Prozent. Die Heizung ist selbst in Neu­bau­ten oft zentral gesteu­ert, regu­lie­ren lassen sich die auf vollen Touren lau­fen­den Heiz­kör­per im Winter durch das Prinzip „Fenster auf“. Rad­fah­ren ist für viele ein lus­ti­ger Zeit­ver­treib in den Parks und kein all­täg­li­ches Ver­kehrs­mit­tel. Die Dichte der Sport- und Gelän­de­wa­gen ist nicht nur in der Haupt­stadt groß. In den Läden wird teils jede Banane in Plastik ver­packt, und die Ver­käu­fe­rin­nen wundern sich über mit­ge­brachte Jute-Beutel. Ein Land, das jahr­zehn­te­lang zum Ver­zicht gezwun­gen war, lebt und liebt den Konsum, über die Aus­wir­kun­gen denken nur wenige nach. Es sind auch hier vor allem junge, gut aus­ge­bil­dete Men­schen, die um ihre Zukunft bangen. Demons­trie­ren aber ist Jugend­li­chen unter 18 Jahren ver­bo­ten, in den Schulen wird kaum übers Klima gespro­chen. Schon allein deshalb gibt es keinen Schü­ler­pro­test für Kli­ma­schutz im Land, wie viele euro­päi­sche Länder ihn kennen.

Es bleiben die Mahn­wa­chen der Jugend. Denn nur Ein­zel­pro­test ist in Russ­land nicht geneh­mi­gungs­pflich­tig. Arschak Makitsch­jan, der Musiker, hatte die Mos­kauer Stadt­ver­wal­tung sieben Mal um eine Ver­samm­lungs­ge­neh­mi­gung ersucht, sieben Mal wurde sie ihm ver­wehrt. Seit bald 30 Wochen geht das so. Ent­täuscht? „Jeden Tag, an dem ich hier stehe“, sagt der Kli­ma­schüt­zer in der Mos­kauer Herbst­kälte. Oft werde er von den Vor­bei­lau­fen­den für einen Spinner gehal­ten oder für einen Spion der CIA. „Nur wenige halten an und zeigen echtes Inter­esse an dem, was ich hier mache.“

Das Welt­klima erscheint den Russen, die nach China, den USA und Indien zu den größten Trei­b­haus­­gas-Erzeu­­gern gehören, als zu abs­trakt. Kli­ma­schutz würde das rus­si­sche Wirt­schafts­mo­dell, das auf För­de­rung und Export fos­si­ler Ener­gie­trä­ger aus­ge­rich­tet ist, in Frage stellen. „Es müsste sich prak­tisch alles ändern, wenn wir eine Zukunft haben wollen“, sagt Makitsch­jan. Dafür aber müsse die Regie­rung „erst die Wahr­heit über die Klima-Krise aus­spre­chen“. Doch das Land hat wenig Inter­esse, sich an einer aktiven Kli­ma­po­li­tik zu betei­li­gen. Die Roh­stoff­vor­räte reichen noch für Jahr­zehnte, der Res­sour­cen­reich­tum ist ein Stück Iden­ti­tät des Landes. Bei den meisten ist das Thema Klima unpo­pu­lär. Unpo­pu­lä­res aber fasst der Kreml nicht an. Mögen die Kosten für die Folgen des Kli­ma­wan­dels auch steigen.