Repression in Russland: der Alltag der Netzaktivisten
Jüngst brachte LibMod in Moskau Netzaktivisten aus Russland und Deutschland zusammen. Nikolaus von Twickel fasst zusammen, wie die Opposition alltäglich unter Internetzensur und willkürlichen Anklagen leidet. Ein alter Bekannter droht den Internetrebellen sogar mit Mord.
Russische Internetnutzer leben gefährlich. Während es relativ einfach ist, die wachsende Zahl von Websitesperren zu überlisten, greift der Kreml zu drakonischen Strafen, um gegen unbotmäßige Inhalte vorzugehen. Die russische Justiz verfolgt nicht nur Autoren, sondern auch einfache Nutzer für Reposts und Likes in sozialen Netzwerken.
Nach Angaben der russischen Menschenrechtsorganisation Agora haben russische Gerichte 2018 insgesamt 384 Internetnutzer verurteilt – im Durchschnitt alle acht Tage einen. 45 davon erhielten Freiheitsstrafen.
Dafür reicht mitunter eine Kurznachricht. So wurde im September ein oppositioneller Blogger zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, weil er in einem Tweet den Kindern von Polizisten Gewalt angedroht hatte. Wladislaw Siniza, ein Blogger aus dem Moskauer Umland, hatte seine verhängnisvolle Nachricht Ende Juli veröffentlicht, als Sicherheitskräfte in der Hauptstadt gewaltsam gegen Demonstranten vorgingen, die die Zulassung oppositioneller Kandidaten für die Wahl zum Stadtparlament im September forderten. Ein Moskauer Bezirksgericht wertete den Tweet unter dem inzwischen gelöschten Twitter-Pseudonym „@Max_Steklov“ als Aufruf zu Gewalt gegen Familienangehörige von Polizei und Nationalgarde.
Neue Strafparagraphen verabschiedet
Siniza wurde unter dem berüchtigten Paragrafen 282 des russischen Strafgesetzbuches verurteilt, wonach Aufrufe zu Gewalt aufgrund von Rasse, ethnischer oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft werden können. Die Richter argumentierten, dass Sinizas Tweet sich gegen Polizisten und andere Sicherheitskräfte als „gesellschaftliche Gruppe“ richtete.
Dass ein Tweet gefährlich werden kann, musste auch die Deutsche Welle erfahren. Dem Auslandssender war im Sommer von russischen Abgeordneten vorgeworfen worden, zu Protesten aufzurufen und sich damit in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen. Dabei hatte die russische Redaktion in einem Tweet lediglich die Losung der Organisatoren („Moskau, geh auf die Straße“) wiedergegeben. Zeitweilig drohte dem Sender gar der Entzug der Akkreditierung. Mittlerweile sucht man aber das Gespräch.
Unterdessen hat Russland neue Paragrafen seinem Gesetzbuch über Ordnungswidrigkeiten hinzugefügt. Artikel 20.3.1 sieht bis zu 15 Tage Arrest oder 20.000 Rubel (285 Euro) Bußgeld vor für Aufrufe zu Hass aufgrund von Geschlecht Rasse, Religion etc. Artikel 13.15 sieht Bußgeld für das Verbreiten von „Fake News“ vor, Artikel 20.1 für das Verbreiten von „Respektlosigkeit“ gegenüber Regierung und Gesellschaft.
Viele Urteile gegen Oppositionelle
Roskomsvoboda, die führende Organisation des Landes für Internetfreiheit befürchtet, dass Bußgelder und Verurteilungen in Zukunft exponentiell zunehmen werden. Einige der jüngsten Fälle hat die Organisation auf ihrer Website zusammengestellt:
Im Juni bestätigte der Oberste Gerichtshof Russlands ein Urteil gegen den Wolgograder Oppositionellen Alexei Wolkow, indem er für schuldig befunden wurde, die nationalsozialistische Ideologie zu rehabilitieren, weil er ein Foto der Monumentalstatue „Mutter Heimat ruft“ in seiner Heimatstadt per Photoshop ein grünes Gesicht verpasst hatte. Die 85 Meter hohe Statue erinnert im ehemaligen Stalingrad an den Sieg der sowjetischen Streitkräfte gegen die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg.
Das Bild hatte er im Sommer 2017 veröffentlicht, wenige Wochen nachdem Oppositionsführer Alexei Nawalny, dessen Wolgograder Wahlkampfstab Wolkow damals leitete, von Kreml-Aktivisten grüne Desinfektionslösung ins Gesicht gespritzt worden war. Kleiner Trost: Der Oberste Gerichtshof hob die gegen Wolkow verhängte Geldstrafe von 200.000 Rubel (2.850 Euro) auf.
Ebenfalls im Juni wurde in Sewastopol auf der von der Ukraine völkerrechtswidrig annektierten Krim der linke Aktivist Walery Bolshakow zu zweieinhalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt, weil er im Internet dazu aufgerufen hatte, das „Putin-Regime durch die Diktatur des Proletariats“ zu ersetzen. Die Richter sahen darin einen Aufruf zum Extremismus.
Bereits seit langer Zeit angewendet wird Paragraf 280 des Strafgesetzbuches, der Aufrufe zu Extremismus unter Strafe stellt. Seit 2012 macht der Fall des nationalistischen Politaktivisten Witold Filippow Schlagzeilen, der unter diesem Paragrafen wegen eines Likes für ein Foto aus dem US-Film „American History X“ angeklagt wurde – auf dem Foto war ein Hakenkreuz zu sehen.
Nawalny, der derzeit bekannteste Oppositionsführer, hat seine Prominenz vor allem dem Internet zu verdanken. Sein Video über das höchst zweifelhafte Immobilienvermögen von Premierminister Dmitry Medwedew ist auf Youtube seit März 2017 mehr als 32 Millionen angeklickt worden. Derzeit droht Nawalnys Chefermittler Ivan Schdanow ein Strafverfahren, weil er sich weigert, den Video vom Netz zu nehmen.
Kadyrow droht mit Mord
Als wäre das alles nicht schon schlimm genug, meldete sich vorige Woche (am 5. November) der tschetschenische Gewaltherrscher Ramsan Kadyrow zu Wort. In einer auf Tschetschenisch gehaltenen Rede vor Regierungsvertretern in Grosny erklärte er, dass Menschen, die Klatsch, Lügen und Verleumdung online verbreiten, getötet werden müssten. „Wenn wir sie nicht stoppen, (indem wir sie) töten, einsperren und einschüchtern, dann wird sie nichts stoppen. Wenn die ganze Welt in Flammen aufgeht und die Gesetze aller Länder gebrochen werden, sollen wir dann wirklich jemanden verschonen, der die Ehre verletzt? Ich schwöre beim Koran, dass wir das nicht tun werden!“
Kadyrows Worte wurden von aufmerksamen BBC-Journalisten im tschetschenischen Fernsehen entdeckt und veröffentlicht. Auf Kadyrows Drohung angesprochen, behauptete Kremlsprecher Dmitri Peskow lediglich, dass er die Rede Kadyrows weder gehört noch gelesen habe und dass die BBC keine vertrauenswürdige Quelle sei.
Kadyrow, der seit 2007 praktisch ohne Kontrolle die zu Russland gehörende Kaukasusrepublik mit diktatorischen Mitteln beherrscht, wird von Menschenrechtsaktivisten beschuldigt, Kritiker und Oppositionelle rücksichtslos zu verfolgen und umzubringen.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts „Deutsch-Russischen Gespräche zur digitalen Zivilgesellschaft“ erschienen.
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