Wie Russ­land die Inter­net­frei­heit abschafft

© Shut­ter­stock

Seit 2012 arbei­tet der Kreml beharr­lich daran, das Inter­net zu regu­lie­ren. Noch ist das rus­si­sche Netz nicht so durch­zen­siert wie in China. Aber klar ist: Für die Herr­scher in Russ­land ist das chi­ne­si­sche Modell das Vorbild.

Eine Geld­strafe von 4.000 Euro oder Arrest von 15 Tagen für Respekt­lo­sig­keit gegen­über Staat und Regie­rung. Sper­rung von Inter­net­me­dien, die Infor­ma­tio­nen über Kata­stro­phen, Mas­sen­pro­teste und Pro­bleme im Ban­ken­sek­tor ver­brei­ten, die der offi­zi­el­len Posi­tion wider­spre­chen. Verbot für Mili­tär­an­ge­hö­rige, ein Smart­phone mit sich zu führen, soziale Netz­werke zu nutzen und mit Jour­na­lis­ten zu spre­chen. Zen­tra­li­sierte Kon­trolle des grenz­über­schrei­ten­den Inter­net-Traf­fics und die Befug­nis der staat­li­chen Regu­lie­rungs­be­hörde, Runet, das rus­si­sche Inter­net, vom World Wide Web abzu­kop­peln und bestimmte Inter­net­sei­ten, Platt­for­men oder Arten des Daten­ver­kehrs im ganzen Land zu sperren. 

Portrait von Damir Gajnutdinow

Damir Gaj­nut­di­now ist pro­mo­vier­ter Jurist und Rechts­experte der Inter­na­tio­na­len Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tion Agora.

Das sind nur einige der Geset­zes­pro­jekte, die in diesen Tagen ziel­stre­big über die Bühne des rus­si­schen Par­la­ments gebracht werden. In den ver­gan­ge­nen Jahren sind in Russ­land dut­zende Gesetze und Ver­ord­nun­gen ver­ab­schie­det worden, die neue Mecha­nis­men der elek­tro­ni­schen Über­wa­chung und der poli­ti­schen Zensur schaffen.

Seit dem März 2014 sind auf­grund des soge­nann­ten Lugowoj-Geset­zes „Kasparov.ru“, „Grani.ru“ und „Jes­hed­newni Shurnal“, die sei­ner­zeit zu den popu­lärs­ten unab­hän­gi­gen Medien zählten, gesperrt worden. Das „Gesetz über aus­län­di­sche Agenten“ ver­langt von Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, die in dem Regis­ter „aus­län­di­scher Agenten“ des Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums geführt werden, sämt­li­che Ver­öf­fent­li­chun­gen ent­spre­chend zu kenn­zeich­nen. Allein im ver­gan­ge­nen Jahr sind dut­zende Per­so­nen im ganzen Land mit Geld­stra­fen belegt oder in Arrest genom­men worden, weil sie Mit­tei­lun­gen über Pro­test­ak­tio­nen ver­öf­fent­licht haben: Ein wei­ter­ge­lei­te­ter Tweet mit Angabe der Zeit und des Ortes einer oppo­si­tio­nel­len Ver­samm­lung wird mit der Orga­ni­sa­tion einer oppo­si­tio­nel­len Ver­an­stal­tung gleich­ge­setzt – und verfolgt.

Tech­no­lo­gie als Mittel totaler Kontrolle

Seit 2012, als das „Gesetz über schwarze Listen“ ver­ab­schie­det wurde, das die Grund­lage für die mas­sen­hafte Sper­rung von Inter­net­sei­ten bildete, hat dieser Ansatz zur Regu­lie­rung des Inter­nets erheb­li­che Ver­än­de­run­gen erfah­ren. Aller­dings bleibt die all­ge­meine Rich­tung die gleiche: tech­no­lo­gi­sche Ent­wick­lung ver­knüpft mit totaler Kon­trolle. Zwei­fel­los ist es in dieser Hin­sicht von Moskau nach Peking immer noch ein weiter Weg. Aller­dings wird auch deut­lich, dass den rus­si­schen Herr­schern das chi­ne­si­sche Modell am attrak­tivs­ten erscheint.

Das Inter­net-Publi­kum in Russ­land ist im 21. Jahr­hun­dert beharr­lich ange­wach­sen, nämlich in den letzten 15 Jahren auf das 30-fache, von drei auf 90 Mil­lio­nen Men­schen. Die rus­si­sche Regie­rung hat erheb­li­che Anstren­gun­gen unter­nom­men, um auch die ent­le­gens­ten Regio­nen an das Netz anzu­schlie­ßen. Die Inter­net­fä­hig­keit der Schulen ist zu einer der Prio­ri­tä­ten der Bil­dungs­re­form gewor­den. Mit der zuneh­men­den Ver­brei­tung hat sich auch die Geschwin­dig­keit des Zugangs erhöht und der Preis dafür ist gesun­ken. Derzeit nimmt Russ­land den 46. Platz bei der Geschwin­dig­keit des Inter­nets über Breit­band­ver­bin­dun­gen ein, und den achten Platz, was kos­ten­güns­tige Zugänge angeht.

Der mas­sen­hafte Inter­net-Zugang für Durch­schnitts­bür­ger und der Umstand, dass soziale Netz­werke zum Instru­ment von Mobi­li­sie­rung und Kom­mu­ni­ka­tion zwi­schen Akti­vis­ten werden können, haben die Regie­rung Russ­lands vor eine uner­war­tete Her­aus­for­de­rung gestellt. Es ist klar gewor­den, dass die totale Kon­trolle, die in den ersten Jahren der Herr­schaft Putins über die lan­des­wei­ten Fern­seh­sen­der her­ge­stellt wurde, kein Infor­ma­ti­ons­mo­no­pol garan­tiert. Die Regie­rung war also genö­tigt, über eine stär­kere Regu­lie­rung des Inter­net nachzudenken.

Erst wurden Seiten gesperrt, dann Nutzer eingeschüchtert

Der ursprüng­li­che Ansatz einer ganz simplen Fil­te­rung der Inhalte durch die Pro­vi­der schlug fehl. Gegen­wär­tig sind zwar mehr als 350.000 Inter­net­sei­ten in ein eigenes staat­li­ches Regis­ter auf­ge­nom­men worden und ein spe­zi­el­ler Roboter über­prüft, inwie­weit die Pro­vi­der die betref­fen­den Seiten sperren und den Betrei­bern auto­ma­tisch Buß­geld­be­scheide aus­stel­len. Die Bürger aber haben es schnell gelernt, die Sperren zu umgehen: Proxy-Dienste werden immer bil­li­ger und ein­fa­cher in der Hand­ha­bung, und einige Inter­net­fir­men haben damit begon­nen, Tools zur Umge­hung der Sperren in ihre Pro­dukte zu integrieren.

Nachdem der rus­si­schen Regie­rung bewusst wurde, dass das Sperren von Inter­net­sei­ten wenig Wirkung zeigt, wurde beschlos­sen, jene ein­zu­schüch­tern, die im Inter­net Infor­ma­tio­nen ver­brei­ten, vor allem Nutzer sozia­ler Netzwerke.

Diese Wende in der Politik des Staates fiel zeit­lich mit der Anne­xion der Krim und der all­ge­mei­nen Ver­schär­fung des poli­ti­schen Klimas im Land zusam­men. Die per­sön­li­che Haftung für Akti­vi­tä­ten im Inter­net wurde sowohl auf der Geset­zes­ebene, wie auch bei der Durch­set­zung der Gesetze ver­stärkt. Hiervon betrof­fen waren nicht nur Akti­vis­ten, die sich schon seit Langem im Visier der Polizei und der Geheim­dienste befan­den, sondern auch gewöhn­li­che Nutzer. Zum wich­tigs­ten Instru­ment der Regu­lie­rung des Inter­net ist die Anti­ex­tre­mis­mus-Gesetz­ge­bung gewor­den. Die Haupt­ak­teure sind nun die Zentren zur Bekämp­fung des Extre­mis­mus im Innen­mi­nis­te­rium („die Zentren E“) sowie der Geheim­dienst FSB.

Seit 2015 sind min­des­tens 140 Per­so­nen in die Straf­ko­lo­nien gewandert

Der Begriff „Extre­mis­mus“ wurde recht­lich weiter gefasst und die Strafen dafür ver­schärft. Die Zahl der Straf­ver­fah­ren ist ange­stie­gen und die Gerichte ver­hän­gen öfter Frei­heits­stra­fen wegen Volks­ver­het­zung, Ver­let­zung der Men­schen­würde under der Pro­pa­gie­rung von Sepa­ra­tis­mus oder Ter­ro­ris­mus. Seit 2015 sind min­des­tens 140 Per­so­nen auf­grund einer Anklage wegen Inter­net-Extre­mis­mus in die Straf­ko­lo­nien gewan­dert (meist wegen Likes oder dem Repos­ten von Mate­ria­lien in den sozia­len Netzen).

Dabei bedeu­tet eine Anklage wegen Extre­mis­mus nicht nur, dass jemand für etliche Jahre hinter Gitter wandern könnte. Jeder, der im Rahmen solcher Ver­fah­ren als Ver­däch­ti­ger oder als Beschul­dig­ter gilt, wird noch vor der Gerichts­ver­hand­lung auf eine spe­zi­elle Liste der Finanz­fahn­dung (Ros­fin­mo­ni­to­ring) gesetzt, die Bank­kon­ten werden gesperrt und es kann gesche­hen, dass man nur 150 Euro für den Lebens­un­ter­halt zur Ver­fü­gung bekommt. Nach Ver­bü­ßung der Strafe wird in der Regel eine amt­li­che Beauf­sich­ti­gung von bis zu acht Jahren fest­ge­setzt (mit dem Verbot, ohne behörd­li­che Geneh­mi­gung den Wohnort zu wech­seln, der Pflicht, nach Auf­for­de­rung bei der Polizei zu erschei­nen, sowie ähn­li­chen Beschrän­kun­gen). Für sie wird zudem ein lebens­lan­ges Verbot ver­hängt, mit Min­der­jäh­ri­gen zu arbei­ten, sich als Ein­zel­un­ter­neh­mer regis­trie­ren zu lassen oder eine poli­ti­sche Partei, ein Medium oder eine NGO zu gründen.

Die straf­recht­li­che Ver­fol­gung von Inter­net­nut­zern mag ein wirk­sa­mes Mittel zur Ein­schüch­te­rung sein, bedeu­tet aber auch offen­sicht­li­che Belas­tun­gen, etwa für die Repu­ta­tion. 2017 und 2018 gab der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rechte (EGMR), nachdem er einige dutzend Beschwer­den im Zusam­men­hang mit Extre­mis­mus­vor­wür­fen kom­mu­ni­ziert hatte, zu ver­ste­hen, dass er die Regu­lie­rung und die Praxis der rus­si­schen Extre­mis­mus­be­kämp­fung ein­ge­hend unter­su­chen werde. Unge­ach­tet all der anti­eu­ro­päi­schen Rhe­to­rik der rus­si­schen Regie­rung, bleibt die Posi­tion des EGMR wichtig. Ich habe keine Zweifel, dass die Aus­sicht auf ein ver­nich­ten­des Urteil einer der Haupt­gründe dafür war, dass im ver­gan­ge­nen Herbst eine rela­tive Mil­de­rung der Gesetz­ge­bung zur Extre­mis­mus­be­kämp­fung erfolgte.

Google, Face­book und Twitter führten Ver­hand­lun­gen mit Moskau

In dieser Situa­tion wäre es für die Regie­rung optimal gewesen, eine Abma­chung mit glo­ba­len Platt­for­men zu errei­chen, vor allem mit Google, Face­book und Twitter. Im Lauf der ver­gan­ge­nen Jahre hatte man ständig Ver­hand­lun­gen geführt: Alle paar Monate waren Unter­neh­mens­ver­tre­ter nach Moskau gereist und hatten etwas hinter ver­schlos­se­nen Türen bespro­chen. Im Anschluss ver­kün­de­ten die Regie­rungs­ver­tre­ter dann stets erfreut, dass alle Anfor­de­run­gen der rus­si­schen Gesetz­ge­bung (etwa über eine Loka­li­sie­rung der Date und über die Iden­ti­fi­zie­rung der Nutzer) in nächs­ter Zeit erfüllt sein würden.

Die Anbie­ter wie­derum demons­trier­ten ihre Bereit­schaft zur Zusam­men­ar­beit hin­sicht­lich der Fil­te­rung von Mate­ria­lien über Suizide, Drogen und Inhal­ten, die unter das Urhe­ber­recht fallen. Sie wei­ger­ten sich aller­dings strikt, die Accounts von Alexej Nawalny zu sperren oder gar die Per­so­nen­da­ten der Nutzer offenzulegen.

Bis in die jüngste Zeit hinein hatte diese Taktik funk­tio­niert, doch nun braucht die rus­si­sche Regie­rung allem Anschein nach gewich­ti­gere Loya­li­täts­be­weise. Und es sieht so aus, als ob die grund­sätz­li­che Ent­schei­dung über eine mög­li­che Blo­ckie­rung der wich­tigs­ten Inter­net­dienste bereits gefal­len sei, falls eine Zusam­men­ar­beit ver­wei­gert wird.

Im Herbst 2018 ist Google zum ersten Mal mit einer Geld­strafe belegt worden, weil das Unter­neh­men sich gewei­gert hatte, sich am System der „schwar­zen Listen“ zu betei­li­gen. Dieses System ermög­licht es, Links zu in Russ­land ver­bo­te­nen Seiten auto­ma­tisch aus den Such­ergeb­nis­sen aus­zu­schlie­ßen. In nächs­ter Zeit wird der Konzern wohl eine zweite Geld­strafe erhal­ten. In Bezug auf Face­book ist bereits ein Pro­to­koll über eine Ord­nungs­wid­rig­keit ergan­gen. Bei Apple und Twitter wurden Über­prü­fun­gen hin­sicht­lich der Ein­hal­tung der Gesetze ange­kün­digt. Die Zeit der des Über­re­dens ist vorbei und auch die Big Player werden sich wohl ent­schei­den müssen, ob sie eine Sper­rung ris­kie­ren oder umfas­send mit den rus­si­schen Geheim­diens­ten zusammenarbeiten.

Pawel Durow, der Gründer des Instant-Mes­sen­gers Tele­gram, hat sich bereits gewei­gert, dem rus­si­schen FSB Zugang zum Schrift­wech­sel der Nutzer von Tele­gram zu gewäh­ren. Marc Zucker­berg hat erklärt, dass Face­book bereit sei, eine Sper­rung zu ris­kie­ren. Er werde Face­books Server nicht in Ländern auf­t­stel­len, die die Men­schen­rechte ver­let­zen. Ich hoffe, dass auch andere diesen Bei­spie­len folgen.

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