Gift­an­schläge: Der Kreml fühlte sich zu sicher

Quelle: Flickr/​Georg Tatschl

Britain barks, but does not bite – Das ist die Sicht des Kremls auf mein Land, schreibt Edward Lucas. Der unver­fro­rene Mord­an­schlag auf Sergej Skripal macht mehr als deut­lich, dass in Moskau niemand mehr die bri­ti­sche Regie­rung ernst nimmt.

In ihrer Russ­land-Rede im ver­gan­ge­nen Dezem­ber klang Theresa May äußerst forsch: „Wir wissen was Sie tun. Und Sie werden keinen Erfolg haben“, ver­kün­dete die Premierministerin.

Jetzt hat es den Anschein, als hätte May in beidem unrecht gehabt. Falls Russ­land wirk­lich hinter der ver­such­ten Ermor­dung des pen­sio­nier­ten Geheim­dienst­mit­ar­bei­ters in Salis­bury steht, dann hätte dies jahr­zehn­te­alte infor­melle Regeln der Spio­nage ver­letzt und dem bri­ti­schen Pres­tige einen bewuss­ten und demü­ti­gen­den Schlag ver­setzt. Und wenn Russen auf unseren Straßen unge­hin­dert che­mi­sche Waffen ein­set­zen können, dann versagt der Staat bei seiner wich­tigs­ten Aufgabe, nämlich unsere Sicher­heit zu schützen.

Nach dem Mord an Alex­an­der Lit­wi­nenko stellte das Ver­ei­nigte König­reich die Zusam­men­ar­beit mit rus­si­schen Behör­den teil­weise ein, tat aber meine War­nun­gen und die der anderen Beob­ach­ter über die Absich­ten der rus­si­schen Regie­rung als Panik­ma­che ab. Stets war das Ziel, mög­lichst rasch zum Busi­ness as usual zurückzukehren. 

Diese Misere ist der Preis, den wir für Jahr­zehnte der Feig­heit und der Selbst­ge­fäl­lig­keit zu zahlen haben. Damals, in den 1990er Jahren, igno­rierte Groß­bri­tan­nien die War­nun­gen seiner Ver­bün­de­ten ange­sichts der bedroh­li­chen Ent­wick­lung in Russ­land. Wir haben die Fähig­kei­ten des Mili­tärs und der Nach­rich­ten­dienste zur Beob­ach­tung Russ­lands fahr­läs­sig aus­ge­höhlt. Wir betrach­te­ten Russ­land ledig­lich als lukra­ti­ven zukunfts­träch­ti­gen Markt, als eine Quelle für Mil­li­ar­den Pfund an zwie­lich­ti­gem Geld, das in unsere Bou­ti­quen, Banken und Immo­bi­li­en­fir­men floss.

Nach der Ermor­dung von Alex­an­der Lit­wi­nenko im Jahr 2006, die als ein Akt staat­lich betrie­be­nen nuklea­ren Ter­ro­ris­mus hätte betrach­tet werden müssen, ent­schied sich Groß­bri­tan­nien, eine weit­rei­chende Kon­fron­ta­tion zu ver­mei­den. Wir tobten vor Empö­rung, während das Regime in Russ­land den gewohn­ten Sturm seiner Lügen und Ver­schleie­run­gen losließ. Die bri­ti­sche Regie­rung ver­schwieg die Details des Mordes und ver­zö­gerte auf skan­da­löse Weise eine öffent­li­che Unter­su­chung. Erst 2016 – zehn Jahre später! –  ver­öf­fent­lichte sie endlich ihren Bericht. Vor­über­ge­hend stellte das Ver­ei­nigte König­reich einen Teil der Zusam­men­ar­beit mit rus­si­schen Behör­den ein, tat aber meine War­nun­gen und die der anderen Beob­ach­ter über die wahren Absich­ten der rus­si­schen Regie­rung als Panik­ma­che ab. Stets war es das Ziel, mög­lichst rasch zum Busi­ness as usual zurückzukehren.

Jetzt, viel zu spät, ändern sich die Dinge: Die NATO nimmt die Ter­ri­to­ri­al­ver­tei­di­gung ernst. Die Euro­päi­sche Union hat das kor­rupte und räu­be­ri­sche Gas­ex­port­mo­no­pol des Kremls gekippt. Und die Ver­ei­nig­ten Staaten pumpen Geld und Aus­rüs­tung in die Ver­tei­di­gung Osteuropas.

Haar­sträu­ben­des Kompetenzgerangel

Groß­bri­tan­ni­ens Anstren­gun­gen sind jedoch kläg­lich. Unser Natio­na­ler Sicher­heits­rat hat Russ­land als feind­se­li­gen Staat und als hoch­gra­dige Bedro­hung aus­ge­macht. Er hat ein­ge­räumt, dass wir viel­leicht einen schmerz­haf­ten wirt­schaft­li­chen Preis zu zahlen haben, um unsere Sicher­heit zu gewähr­leis­ten. Wir sollten einen „gesamt­staat­li­chen“ Ansatz ver­fol­gen, der den selben Linien folgt, wie unser ent­schie­de­nes Vor­ge­hen gegen den Terrorismus.

Als wich­tigs­tes Ergeb­nis steht bislang nicht eine bessere Koor­di­na­tion zu Buche, sondern ein haar­sträu­ben­des Kom­pe­tenz­ge­ran­gel hinter den Mauern der Whi­te­hall. Wer soll die Leitung über­neh­men? Das Außen­mi­nis­te­rium, weil Russ­land Ausland ist? Das Cabinet Office, weil es ja immer koor­di­niert? Die Geheim­dienste, weil Russ­lands Spione Speer­spitze der Bedro­hung sind? Oder die Streit­kräfte, weil sie für die Ver­tei­di­gung des Landes zustän­dig sind? Oder nicht besser unsere Finanz­auf­sicht, weil Russ­lands größte Schwä­che das Geld ist?

Die Antwort ist: Alle genann­ten Berei­che – und noch weitere dazu – sollten betei­ligt werden und eng zusam­men­ar­bei­ten, weil die Taktik des Kremls alle Berei­che betrifft. Sie reicht von Cyber­an­grif­fen bis hin zur Ent­wick­lung neuer Atom­waf­fen. Russ­land miss­braucht das Rechts­sys­tem, indem bei­spiels­weise Chris­to­pher Steele, der ehe­ma­li­ger Mit­ar­bei­ter des MI 6, der die Ver­bin­dun­gen des Kremls zum Wahl­kampf von Donald Trump unter­suchte, und der Finanz­ma­na­ger Bill Browder, der eine Kam­pa­gne für schär­fere Sank­tio­nen gegen rus­si­sche Men­schen­rechts­ver­let­zer betreibt, ver­folgt werden. Putins Unheil­stif­ter spalten, wo immer sie einen Riss aus­fin­dig machen, und unter­stüt­zen, wenn nötig, alle Seiten, bei­spiels­weise die extreme Rechte und Linke in Deutschland.

Schmut­zi­ges Geld in London

Ein unmit­tel­ba­res Instru­ment einer koor­di­nier­ten bri­ti­schen Antwort sollte darin bestehen, den Zustrom schmut­zi­ger rus­si­scher Gelder in unser Finanz­sys­tem und unseren Immo­bi­li­en­markt zu erschwe­ren. Das würde ein Ende des Fluchs „anony­mer“ Unter­neh­men bedeu­ten: Niemand sollte in der Lage sein, Immo­bi­lien ohne die Offen­le­gung seiner Iden­ti­tät zu kaufen oder ver­kau­fen. Wir sollten darüber hinaus jene Ban­kiers, Anwälte und Wirt­schafts­prü­fer abschre­cken, die die Geld­wä­sche möglich machen.

Zudem ist es an der Zeit, dass jede Person des öffent­li­chen Lebens, die einen Hauch Selbst­ach­tung hat, Russia Today boy­kot­tiert, den schil­lern­den Pro­pa­gan­da­ka­nal des Kremls. Es ist scho­ckie­rend, dass Poli­ti­ker aller wich­ti­gen Par­teien bereit­wil­lig Ein­la­dun­gen zu einem Auf­tritt bei den Mario­net­ten-Sen­dun­gen von RT anneh­men (und in einigen Fällen fette Hono­rare dafür erhal­ten). Alex Salmond, der ehe­ma­lige Chef der Scot­tish Natio­nal Party (SNP) mode­riert dort zynisch grin­send eine all­wö­chent­li­che Sendung. José Mour­inho, der Trainer von Man­ches­ter United, hat gerade erst einen Vertrag über 1,7 Mil­lio­nen Pfund unter­zeich­net, um dem Sender als Fußball-Experte zur Ver­fü­gung zu stehen.

Ohne diese ange­se­he­nen Unter­stüt­zer wäre RT eine für Zuschauer nur schwer zu ertra­gende Freak Show. Jour­na­lis­ten sollten sich weigern, dort zu arbei­ten und Wer­be­kun­den sollten ihre Anzei­gen kün­di­gen und damit die Ein­nah­me­quel­len von RT dros­seln. Diese Taktik wäre sehr viel wirk­sa­mer als ein staat­li­ches Verbot, das Russ­land ledig­lich die Mög­lich­keit bieten würde, zu behaup­ten, wir würden abwei­chende Ansich­ten nicht tolerieren.

Blitz­schnelle Finanzsanktionen

Die wich­tigste Aufgabe besteht jedoch darin, das Vor­ge­hen inter­na­tio­nal zu koor­di­nie­ren, etwa in Anleh­nung an die von den USA geführte Koali­tion gegen den „Isla­mi­schen Staat“. Die wird von Brett McGurk gelei­tet, einem lang­ge­dien­ten US-Diplo­ma­ten, der mili­tä­ri­sche, geheim­dienst­li­che und alle anderen Maß­nah­men koor­di­niert, die 70 Länder und inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tio­nen gegen die Extre­mis­ten unternehmen.

Ein prak­ti­scher Schritt könnte darin bestehen, gemein­sam mit unseren Ver­bün­de­ten eine blitz­schnelle Sper­rung von Aktiva ein­zu­üben, die dem rus­si­schen Regime und dessen Kum­pa­nen aus der Vet­tern­wirt­schaft gehören. Solche „Finanz­sank­ti­ons-Manöver“ würden unser Hand­lungs­po­ten­tial ver­bes­sern – und würden eine abschre­ckende Bot­schaft senden, die wir bisher ver­mis­sen lassen.

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