Giftanschläge: Der Kreml fühlte sich zu sicher
Britain barks, but does not bite – Das ist die Sicht des Kremls auf mein Land, schreibt Edward Lucas. Der unverfrorene Mordanschlag auf Sergej Skripal macht mehr als deutlich, dass in Moskau niemand mehr die britische Regierung ernst nimmt.
In ihrer Russland-Rede im vergangenen Dezember klang Theresa May äußerst forsch: „Wir wissen was Sie tun. Und Sie werden keinen Erfolg haben“, verkündete die Premierministerin.
Jetzt hat es den Anschein, als hätte May in beidem unrecht gehabt. Falls Russland wirklich hinter der versuchten Ermordung des pensionierten Geheimdienstmitarbeiters in Salisbury steht, dann hätte dies jahrzehntealte informelle Regeln der Spionage verletzt und dem britischen Prestige einen bewussten und demütigenden Schlag versetzt. Und wenn Russen auf unseren Straßen ungehindert chemische Waffen einsetzen können, dann versagt der Staat bei seiner wichtigsten Aufgabe, nämlich unsere Sicherheit zu schützen.
Nach dem Mord an Alexander Litwinenko stellte das Vereinigte Königreich die Zusammenarbeit mit russischen Behörden teilweise ein, tat aber meine Warnungen und die der anderen Beobachter über die Absichten der russischen Regierung als Panikmache ab. Stets war das Ziel, möglichst rasch zum Business as usual zurückzukehren.
Diese Misere ist der Preis, den wir für Jahrzehnte der Feigheit und der Selbstgefälligkeit zu zahlen haben. Damals, in den 1990er Jahren, ignorierte Großbritannien die Warnungen seiner Verbündeten angesichts der bedrohlichen Entwicklung in Russland. Wir haben die Fähigkeiten des Militärs und der Nachrichtendienste zur Beobachtung Russlands fahrlässig ausgehöhlt. Wir betrachteten Russland lediglich als lukrativen zukunftsträchtigen Markt, als eine Quelle für Milliarden Pfund an zwielichtigem Geld, das in unsere Boutiquen, Banken und Immobilienfirmen floss.
Nach der Ermordung von Alexander Litwinenko im Jahr 2006, die als ein Akt staatlich betriebenen nuklearen Terrorismus hätte betrachtet werden müssen, entschied sich Großbritannien, eine weitreichende Konfrontation zu vermeiden. Wir tobten vor Empörung, während das Regime in Russland den gewohnten Sturm seiner Lügen und Verschleierungen losließ. Die britische Regierung verschwieg die Details des Mordes und verzögerte auf skandalöse Weise eine öffentliche Untersuchung. Erst 2016 – zehn Jahre später! – veröffentlichte sie endlich ihren Bericht. Vorübergehend stellte das Vereinigte Königreich einen Teil der Zusammenarbeit mit russischen Behörden ein, tat aber meine Warnungen und die der anderen Beobachter über die wahren Absichten der russischen Regierung als Panikmache ab. Stets war es das Ziel, möglichst rasch zum Business as usual zurückzukehren.
Jetzt, viel zu spät, ändern sich die Dinge: Die NATO nimmt die Territorialverteidigung ernst. Die Europäische Union hat das korrupte und räuberische Gasexportmonopol des Kremls gekippt. Und die Vereinigten Staaten pumpen Geld und Ausrüstung in die Verteidigung Osteuropas.
Haarsträubendes Kompetenzgerangel
Großbritanniens Anstrengungen sind jedoch kläglich. Unser Nationaler Sicherheitsrat hat Russland als feindseligen Staat und als hochgradige Bedrohung ausgemacht. Er hat eingeräumt, dass wir vielleicht einen schmerzhaften wirtschaftlichen Preis zu zahlen haben, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Wir sollten einen „gesamtstaatlichen“ Ansatz verfolgen, der den selben Linien folgt, wie unser entschiedenes Vorgehen gegen den Terrorismus.
Als wichtigstes Ergebnis steht bislang nicht eine bessere Koordination zu Buche, sondern ein haarsträubendes Kompetenzgerangel hinter den Mauern der Whitehall. Wer soll die Leitung übernehmen? Das Außenministerium, weil Russland Ausland ist? Das Cabinet Office, weil es ja immer koordiniert? Die Geheimdienste, weil Russlands Spione Speerspitze der Bedrohung sind? Oder die Streitkräfte, weil sie für die Verteidigung des Landes zuständig sind? Oder nicht besser unsere Finanzaufsicht, weil Russlands größte Schwäche das Geld ist?
Die Antwort ist: Alle genannten Bereiche – und noch weitere dazu – sollten beteiligt werden und eng zusammenarbeiten, weil die Taktik des Kremls alle Bereiche betrifft. Sie reicht von Cyberangriffen bis hin zur Entwicklung neuer Atomwaffen. Russland missbraucht das Rechtssystem, indem beispielsweise Christopher Steele, der ehemaliger Mitarbeiter des MI 6, der die Verbindungen des Kremls zum Wahlkampf von Donald Trump untersuchte, und der Finanzmanager Bill Browder, der eine Kampagne für schärfere Sanktionen gegen russische Menschenrechtsverletzer betreibt, verfolgt werden. Putins Unheilstifter spalten, wo immer sie einen Riss ausfindig machen, und unterstützen, wenn nötig, alle Seiten, beispielsweise die extreme Rechte und Linke in Deutschland.
Schmutziges Geld in London
Ein unmittelbares Instrument einer koordinierten britischen Antwort sollte darin bestehen, den Zustrom schmutziger russischer Gelder in unser Finanzsystem und unseren Immobilienmarkt zu erschweren. Das würde ein Ende des Fluchs „anonymer“ Unternehmen bedeuten: Niemand sollte in der Lage sein, Immobilien ohne die Offenlegung seiner Identität zu kaufen oder verkaufen. Wir sollten darüber hinaus jene Bankiers, Anwälte und Wirtschaftsprüfer abschrecken, die die Geldwäsche möglich machen.
Zudem ist es an der Zeit, dass jede Person des öffentlichen Lebens, die einen Hauch Selbstachtung hat, Russia Today boykottiert, den schillernden Propagandakanal des Kremls. Es ist schockierend, dass Politiker aller wichtigen Parteien bereitwillig Einladungen zu einem Auftritt bei den Marionetten-Sendungen von RT annehmen (und in einigen Fällen fette Honorare dafür erhalten). Alex Salmond, der ehemalige Chef der Scottish National Party (SNP) moderiert dort zynisch grinsend eine allwöchentliche Sendung. José Mourinho, der Trainer von Manchester United, hat gerade erst einen Vertrag über 1,7 Millionen Pfund unterzeichnet, um dem Sender als Fußball-Experte zur Verfügung zu stehen.
Ohne diese angesehenen Unterstützer wäre RT eine für Zuschauer nur schwer zu ertragende Freak Show. Journalisten sollten sich weigern, dort zu arbeiten und Werbekunden sollten ihre Anzeigen kündigen und damit die Einnahmequellen von RT drosseln. Diese Taktik wäre sehr viel wirksamer als ein staatliches Verbot, das Russland lediglich die Möglichkeit bieten würde, zu behaupten, wir würden abweichende Ansichten nicht tolerieren.
Blitzschnelle Finanzsanktionen
Die wichtigste Aufgabe besteht jedoch darin, das Vorgehen international zu koordinieren, etwa in Anlehnung an die von den USA geführte Koalition gegen den „Islamischen Staat“. Die wird von Brett McGurk geleitet, einem langgedienten US-Diplomaten, der militärische, geheimdienstliche und alle anderen Maßnahmen koordiniert, die 70 Länder und internationale Organisationen gegen die Extremisten unternehmen.
Ein praktischer Schritt könnte darin bestehen, gemeinsam mit unseren Verbündeten eine blitzschnelle Sperrung von Aktiva einzuüben, die dem russischen Regime und dessen Kumpanen aus der Vetternwirtschaft gehören. Solche „Finanzsanktions-Manöver“ würden unser Handlungspotential verbessern – und würden eine abschreckende Botschaft senden, die wir bisher vermissen lassen.
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