Medi­en­ge­setz: Russ­land sieht überall Agenten

Alexsey t17 /​ Shut­ter­stock

Nach dem neuen Medi­en­ge­setz kann in Russ­land jeder Bürger zum „aus­län­di­schen Agenten“ werden. Auch die Regu­lie­run­gen im Netz erschwe­ren die freie Infor­ma­ti­ons­be­schaf­fung. Inna Hart­wich berich­tet, wie Jour­na­lis­ten trotz­dem die Viel­falt der Medien verteidigen.

Sie hatte es mit einem Witz ver­sucht. Seit den Sowjet­zei­ten sind Witze ein pro­ba­tes Mittel in Russ­land, um aus dem beschwer­li­chen Alltag den Druck her­aus­zu­neh­men. Und so sagt Diana Kat­scha­lowa, die Jour­na­lis­tin aus Sankt Peters­burg, als sie da auf dem Mos­kauer Podium der Kon­fe­renz „Medi­en­frei­heit und Sicher­heit von Jour­na­lis­ten in Russ­land und den übrigen 56 OSZE-Teil­neh­mer­staa­ten“ sitzt: „Viel­leicht sollte man die Duma (das rus­si­sche Par­la­ment) dazu bringen, ein Gesetz anzu­neh­men, Gesetze zu befol­gen.“ Kat­scha­lowa schreibt für die Nowaja Gaseta, die kreml-kri­ti­sche Zeitung, deren Mit­ar­bei­ter immer wieder bedroht werden und über­fal­len; manche wurden getötet. Auf­ge­klärt sind die wenigs­ten Taten. Obwohl es doch – wie viele Jour­na­lis­ten, Juris­ten, Funk­tio­näre im Tagungs­ho­tel direkt an der Moskwa immer wieder betonen – „so viele, so gute, so wun­der­bar geschrie­bene Gesetze“ gäbe. Wenn diese Gesetze aber an der will­kür­li­chen Justiz und der Taten­lo­sig­keit der Ermitt­lungs­be­hör­den schei­tern, bleiben sie leere Worte. Kat­scha­lo­was Witz bringt die Absur­di­tät des Systems Putin, dem sich frei­lich nicht nur Jour­na­lis­ten im Land täglich stellen, auf den Punkt. Die Frauen und Männer im Saal lachen ein ver­hal­te­nes Lachen.

Unab­hän­gige Jour­na­lis­ten neben staat­li­chen Medien

Es ist eine bemer­kens­werte Kon­fe­renz, die die Orga­ni­sa­tion für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Europa (OSZE) mit seinen rus­si­schen Gast­ge­bern im Novem­ber aus­ge­rich­tet hat. Hier saßen Jour­na­lis­ten unab­hän­gi­ger Zei­tun­gen neben Jour­na­lis­ten von staat­li­chen Medien; solche, die sagten: „In Russ­land dürfen Jour­na­lis­ten getötet werden, ohne dass die Hin­ter­män­ner sich dafür ver­ant­wor­ten müssen“ neben solchen, die sich beklag­ten, „Pro­pa­gan­dist“ genannt zu werden. Der Jour­na­list Iwan Golunow, der im Juni wegen ihm zuge­scho­be­ner Drogen in Haft kam und auf­grund einer nie dage­we­se­nen Soli­da­ri­täts­welle im Land nach einigen Tagen wieder frei­ge­las­sen wurde, berich­tete, wie schlep­pend die Auf­ar­bei­tung seines Falles vor­an­gehe, weil nun fast alles daran „Geheim­sa­che“ sei. Der frühere Leiter der Nach­rich­ten­agen­tur Ria Nowosti-Ukraine, Kirill Wysch­in­ski, der in einem Gefan­ge­nen­aus­tausch zwi­schen Russ­land und Ukraine im Sep­tem­ber frei kam, beklagte sich darüber, dass ihm Agi­ta­tion vor­ge­wor­fen werde. Die Ver­an­stal­tung diente als Platt­form, die zeigen sollte, wie gut es doch um die Pres­se­frei­heit in Russ­land stehe: Seht her, welchen Plu­ra­lis­mus wir haben, hier darf jeder seine Meinung sagen, darf den Staat offen und scharf kri­ti­sie­ren! Und eine, bei der offen­sicht­lich wurde, wo die Dis­kus­sion um diese Pres­se­frei­heit am Ende ist. So sagte Sergej Lawrow, Russ­lands Außen­mi­nis­ter, der jede Kritik an Druck und Repres­sion in seinem Land mit Vor­wür­fen an die EU und die Ukraine zu umgehen wusste: „Jeder hat seine eigene Wahr­heit. Mit anders bewer­te­ten Auf­fas­sun­gen darf man die Bevöl­ke­rung nicht trau­ma­ti­sie­ren. Wir ver­tei­di­gen die rus­si­sche Tra­di­tion und die rus­si­sche Kultur“. In solchen Worten liegt eine gefähr­li­che Absage an all­ge­mein­gül­tige Regeln, die die Arbeit von Jour­na­lis­ten über­haupt erst möglich machen. Lawrow jedoch lamen­tierte über die Dis­kri­mi­nie­rung rus­si­scher Medien im Ausland, beklagte sich darüber, welche dieser Medien in der Ukraine, Frank­reich oder Groß­bri­tan­nien gesperrt seien, ohne darauf ein­zu­ge­hen, wie viele Seiten – ukrai­ni­sche und andere – in Russ­land nicht zugäng­lich sind. 

Portrait von Inna Hartwich

Inna Hart­wich ist freie Jour­na­lis­tin und lebt in Moskau.

Auf dem Index der Pres­se­frei­heit, den die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tion „Repor­ter ohne Grenzen“ jedes Jahr erstellt, liegt Russ­land in diesem Jahr auf Platz 149 von 180 unter­such­ten Ländern. Seit Jahren hat das Land seine Posi­tion kaum ver­bes­sert. Schwam­mig for­mu­lierte Gesetze und Ver­leum­dungs­kla­gen legen die Redak­tio­nen im Land lahm. Vor allem klei­nere Verlage in der Provinz können ohne das Plazet der Mäch­ti­gen kaum über­le­ben. Die Selbst­zen­sur gras­siert, zumal bei Kritik am System Fest­nah­men, Verhöre, zivil- und straf­recht­li­che Ver­fol­gung oder die Beschlag­nahme von Arbeits­ge­rä­ten drohen.

Inter­net ver­än­dert publi­zis­ti­sches Angebot

Dennoch gibt es im Land eine Medi­en­viel­falt. Sie findet in Nischen statt. Vor allem in den digi­ta­len. Das Inter­net hatte – schon allein wegen der Distan­zen im Land – schnel­ler als im Westen die publi­zis­ti­schen Ange­bote ver­än­dert. Sie richten sich an eng gefasste Ziel­grup­pen, sei es regio­nal oder durch inhalt­li­che Schwer­punkte. Die Regu­lie­run­gen im Netz aber machen den Online-Medien und Blog­gern zu schaf­fen und sind längst zu einem Instru­ment staat­li­cher Repres­sion gewor­den. Bereits seit 2018 sind rus­si­sche Pro­vi­der per Gesetz dazu ver­pflich­tet, alle Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­halte und Ver­bin­dungs­da­ten zu spei­chern, die über ihre Server laufen. Laut der Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tion „Ros­komswo­boda“, die sich für den Schutz digi­ta­ler Rechte ein­setzt, gibt es etwa 300.000 gesperrte Seiten im Land, dar­un­ter fallen Seiten mit Por­no­gra­fie-Inhal­ten genauso wie das beruf­li­che Netz­werk Lin­ke­dIn oder die ukrai­ni­sche Online-Zeitung „Ukrainska Prawda“. Auch Face­book und Twitter wird von rus­si­schen Kon­troll­gre­mien immer wieder ange­droht, sie sperren zu lassen.

Russ­land soll durch das soge­nannte „Suwer-Net“, einem „sou­ve­rä­nen“ rus­si­schen Netz, von den Ein­flüs­sen von außen geschützt werden. Das Land sieht sich von allen Seiten bedroht und baut ein Sze­na­rio gegen ima­gi­näre Feinde auf. Das System, so löchrig es ange­sichts der Pro­teste ist (ob wegen der stin­ken­den Müll­de­po­nien, des ange­ho­be­nen Ren­ten­ein­tritts­al­ters oder der im Sommer nicht zuge­las­se­nen Kan­di­da­ten zur Wahl des Mos­kauer Stadt­par­la­ments) funk­tio­niert durch­aus: In den Köpfen vieler Men­schen ent­steht eine emp­fun­dene Bedro­hung von außen, gegen die sich der Staat wehren müsse.

Mit dem erst kürz­lich ver­schärf­ten Medi­en­ge­setz kann nun selbst jemand zum „aus­län­di­schen Agenten“ werden, der von seiner Tante im Ausland Geld zum Geburts­tag über­wie­sen bekommt. So absurd das klingt, so ernst­haft kann die Lage für jeden Ein­zel­nen werden. Das Gesetz ist von Anfang an auf selek­tive Anwen­dung aus­ge­legt. Bislang mussten sich vor allem NGOs und Medien, die aus dem Ausland finan­ziert werden, als „aus­län­di­sche Agenten“ regis­trie­ren lassen. Zehn Medien und 74 NGOs haben diesen Stempel auf­ge­drückt bekom­men, mehrere gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen mussten schlie­ßen, weil sie ohne die finan­zi­el­len Mittel aus dem Ausland nicht mehr arbei­ten konnten. Andere unter­lie­gen stän­di­gen Kon­trol­len und müssen regel­mä­ßig voll­stän­dige Aus­kunft über ihre Geld­ge­ber, die finan­zi­elle Aus­stat­tung und das Per­so­nal geben. Durch das ver­än­derte Gesetz werden nun auch Pri­vat­per­so­nen ein­ge­schüch­tert. Arbei­ten sie für Medien, die als „aus­län­di­sche Agenten“ gebrand­markt sind, etwa „Voice of America“ oder Orga­ni­sa­tio­nen wie „Memo­rial“, könnten auch sie zum „aus­län­di­schen Agenten“ werden. Das schafft Ver­un­si­che­rung, Angst und noch mehr Selbstzensur.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Pro­jekts „Deutsch-Rus­si­schen Gesprä­che zur digi­ta­len Zivil­ge­sell­schaft“ erschienen.
Unter­stützt vom Aus­wär­ti­gen Amt.

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