„Dies ist auch unser Krieg“

Der rus­si­sche Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­ker Wla­di­mir Milow und Memo­rial-Mit­grün­de­rin Irina Scher­ba­kowa; Fotos: Tobias Kunz /​ LibMod

Der Krieg in der Ukraine ist ein Test für die Ent­schlos­sen­heit und Hand­lungs­fä­hig­keit der libe­ra­len Demo­kra­tien. Noch ist Zeit, das Ruder her­um­zu­wer­fen. Erweist sich aber die Achse Moskau – Teheran – Peking als stärker, werden künf­tige His­to­ri­ker diesen Krieg als Wen­de­punkt für den Nie­der­gang der libe­ra­len Demo­kra­tien mar­kie­ren. Eine Nach­lese der dies­jäh­ri­gen LibMod-Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“.

Die Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“ wird vom Zentrum Libe­rale Moderne seit 2018 jähr­lich ver­an­stal­tet.

Lesen Sie den Kon­fe­renz­be­richt hier und den Bericht über die öffent­li­che Dis­kus­sion hier.

Was mich an diesem Tag voller inten­si­ver, ernst­haf­ter Dis­kus­sio­nen am meisten beein­druckt hat, war der Spiegel, den die Teil­neh­mer aus der Ukraine, Schwe­den, Polen, Groß­bri­tan­nien, dem Bal­ti­kum und auch die rus­si­schen Oppo­si­tio­nel­len Deutsch­land vor­ge­hal­ten haben. Es gibt einen signi­fi­kan­ten Unter­schied ihrer Analyse und ihrer Sprache gegen­über dem deut­schen Diskurs. Sie spre­chen offen aus, was man von Olaf Scholz nicht hört: 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Zen­trums Libe­rale Moderne.

1. Dies ist auch unser Krieg. Nicht weil wir ihn wollten, sondern weil Putin dem Westen den Krieg erklärt hat.

2. Wer den Krieg gegen einen zu allem ent­schlos­se­nen Gegner nicht gewin­nen will, hat ihn schon ver­lo­ren. Der deut­sche „Mit­tel­weg“ – weder Russ­land noch die Ukraine sollen den Krieg gewin­nen – ist ein Irrweg. Die Ukraine wird diesen Krieg ent­we­der gewin­nen oder ver­lie­ren – und ein Sieg Russ­lands hätte kata­stro­phale Folgen auch für uns, für Europa und die Zukunft der inter­na­tio­na­len Ordnung. Der Westen braucht drin­gend eine Stra­te­gie für den Sieg der Ukraine mit allem, was dafür erfor­der­lich ist.

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Mehr Infor­ma­tio­nen

3. Russ­land hat im letzten Jahr etwa 120 Mil­li­ar­den Dollar in den Krieg inves­tiert, das sind 5,2 Prozent des rus­si­schen Brut­to­so­zi­al­pro­dukts. Die Unter­stüt­zung Europas für die Ukraine betrug 2023 knapp 50 Mil­li­ar­den Dollar oder 0,25 Prozent der euro­päi­schen Wirt­schafts­leis­tung. Putin hat einen Wirt­schafts­fach­mann an die Spitze des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums gesetzt, der die Kriegs­pro­duk­tion ankur­beln soll. Wenn wir unsere Waffen- und Muni­ti­ons­lie­fe­run­gen nicht endlich massiv hoch­fah­ren, wird die Ukraine den Krieg ver­lie­ren. Und Putin wird mit der Erobe­rung von Charkiw und Odesa nicht haltmachen.

Wir müssen endlich rote Linien für Putin ziehen, statt uns ständig den Kopf über seine roten Linien zu zerbrechen 

4. Kanzler Scholz bremst die Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine – keine Taurus, keine Kampf­flug­zeuge, von allem anderen zu wenig und zu spät – aus Furcht vor einer Eska­la­tion des Krieges durch Putin und vor einem mög­li­chen Kollaps des rus­si­schen Regimes. Das sind die fal­schen Ängste. Wir sollten uns viel mehr vor einem Sieg Russ­lands fürch­ten. Und wir müssen endlich rote Linien für Putin ziehen, statt uns ständig den Kopf über seine roten Linien zu zerbrechen.

5. Keine Angst vor Regime Change in Moskau. Mit diesem Regime gibt es weder nach­hal­ti­gen Frieden in Europa noch die Aus­sicht auf demo­kra­ti­sche Refor­men. Eine Nie­der­lage in der Ukraine ist die einzige Chance auf posi­ti­ven Wandel in Russland.

Mehr als 2000 west­li­che Firmen sind weiter in Russ­land aktiv und zahlen Steuern an das Regime 

6. Sank­tio­nen nach­schär­fen. Es ist ein Trep­pen­witz, dass die Ukraine den Krieg aus Mangel an Res­sour­cen zu ver­lie­ren droht, während 300 Mil­li­ar­den rus­si­sches Staats­ver­mö­gen auf euro­päi­schen Banken liegen, die für die Unter­stüt­zung der Ukraine ver­wen­det werden können. Gleich­zei­tig gelangt nach wie vor kriegs­wich­tige west­li­che Tech­no­lo­gie über Umwege nach Russ­land, mehr als 2000 west­li­che Firmen sind weiter in Russ­land aktiv und zahlen Steuern an das Regime. Die Umge­hung von Sank­tio­nen über Dritt­län­der muss endlich gestoppt werden.

7. Die Initia­tive für ein Inter­na­tio­na­les Son­der­tri­bu­nal gegen die rus­si­sche Führung zum Ver­bre­chen der Aggres­sion muss wieder ange­scho­ben werden. Wenn das Völ­ker­recht nicht zur Maku­la­tur werden soll, müssen Putin und seine Spieß­ge­sel­len für die Kriegs­ver­bre­chen in der Ukraine zur Rechen­schaft gezogen werden.

Es geht nicht darum, Russ­land auf die Knie zu zwingen und zu demütigen 

8. Eine Per­spek­tive für ein post-impe­ria­les Russ­land eröff­nen: Es geht nicht darum, Russ­land auf die Knie zu zwingen und zu demü­ti­gen. Für ein Russ­land, das keine Gefahr mehr für seine Nach­barn ist und das Völ­ker­recht respek­tiert, steht die Tür zur Zusam­men­ar­beit offen. Das bedeu­tet heute vor allem die Unter­stüt­zung der demo­kra­ti­schen Oppo­si­tion. Sie ver­kör­pert die Hoff­nung auf ein anderes Russland.

Fazit: Der Ukraine-Krieg ist ein Test für die Ent­schlos­sen­heit und Hand­lungs­fä­hig­keit der libe­ra­len Demo­kra­tien. Wer hat den län­ge­ren Atem? Erweist sich die Achse Moskau-Teheran-Peking als stärker, brechen fins­tere Zeiten nicht nur für die Ukraine an. Noch ist es Zeit, das Ruder her­um­zu­wer­fen. Andern­falls werden künf­tige His­to­ri­ker den Ukraine-Krieg als Wen­de­punkt für den Nie­der­gang der libe­ra­len Demo­kra­tien markieren.

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