Fridays without Future
Russlands Auftreten auf Klimakonferenzen, die Repressionen des Regimes und die Hoffnung auf die Zeit nach Putin – Arschak Makitschjan schildert seine Erfahrungen als Klimaaktivist in Russland.
Bis vor ein paar Wochen hieß ich Arschak Makitschjan (Arshak Makichyan), aber vor kurzem wurde mir die russische Staatsbürgerschaft entzogen, und ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich das Recht habe, mich so zu nennen – oder ob die Person Arshak bereits der Vergangenheit angehört und ich nur ein staatenloses Individuum ohne Papiere bin.
Ich bin einer der Organisatoren von Fridays for Future in Russland. Viele Wochen lang war ich die einzige Person, die jeden Freitag auf die Straße ging, um für das Klima zu demonstrieren. 2019 ging ich allein auf die Straße, weil die Menschen in Russland den Ernst der Klimakrise nicht verstanden – 2020 war ich aus einem anderen Grund allein auf der Straße: Politischer Aktivismus war praktisch verboten. Die Repressionen zwangen Aktivistinnen und Aktivisten, das Land zu verlassen oder nahmen ihnen die Möglichkeit, auf die Straße zu gehen. Eine Lösung der Klimakrise ist jedoch nicht in Sicht.
Die russische Propaganda versucht indes das Bild zu verbreiten, dass Russland sogar von der globalen Erwärmung profitieren wird, weil die Nordostpassage in der Arktis passierbar wird, die Ernteerträge steigen, mehr Touristen kommen und Russland allgemein profitieren wird. Dieses Narrativ konnte Verbreitung finden, weil in Russland kaum Anstrengungen unternommen wurden, die Menschen über die Klimakrise und ihre Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen zu informieren.
Doch die Krise findet auch in Russland sicht- und spürbar statt: Wüstenbildung in Dagestan und anderen südlichen Regionen, Überschwemmungen, immer mehr Waldbrände, Hitzewellen oder schwarzer Schnee in den Kohleabbauregionen. Und obwohl sich das Klima in Russland 2,5 Mal schneller verändert als im globalen Durchschnitt, gibt es keine Pläne für die Umgestaltung der Wirtschaft, die in hohem Maß vom Export fossiler Brennstoffe abhängt, aus denen die Welt allmählich aussteigt.
Von Madrid in den Knast
Als ich 2019 zum ersten Mal an der UN-Klimakonferenz in Madrid teilnahm und Aktivisten aus der ganzen Welt traf, war ich überrascht zu erfahren, dass Russland jedes Jahr an diesen Konferenzen teilnimmt, obwohl unser Staatsfernsehen die globale Erwärmung und die wissenschaftlichen Fakten immer noch leugnet.
Nach meiner Rückkehr aus Madrid wurde ich zu sechs Tagen Arrest verurteilt, weil ich auf einem menschenleeren Platz ein Transparent mit „Klimanotstand“ hielt. In diesen sechs Tagen unterstützten mich Aktivisten aus der ganzen Welt, The Guardian berichtete und das große Online-Portal Meduza erwähnte erstmals unsere Bewegung. Ich glaube, die Unterstützung und das Medienecho haben sogar das russische Regime beeindruckt, so dass es mich danach weitgehend in Ruhe ließen.
In der Zwischenzeit wuchs unsere Bewegung in Russland. Jeden Freitag gingen wir in mehreren Städten auf die Straße, – aber auch die Zahl der Umweltkatastrophen in Russland wuchs. Dann kam die Pandemie und mit ihr der politische Wandel Russlands – von einem autoritären Regime hin zu einer Diktatur.
Statt Energiewende Diktatur
Ab 2020 wird man in Russland auch für Einzelproteste festgehalten. Auf Alexei Nawalny wurde ein Giftanschlag verübt, dann wurde er ins Gefängnis gesteckt und sein Team zu Extremisten erklärt. Unabhängige Medien, die über Repressionen berichteten, wurden zu „ausländischen Agenten“ erklärt und gezwungen, alle ihre Berichte entsprechend zu kennzeichnen.
Die Menschenrechtslage in Russland hat sich stark verschlechtert, und während Öko-Aktivisten bislang nur bei besonderen Anlässen drangsaliert wurden, wurde schnell klar, dass Feministinnen und Öko-Aktivisten als Nächste ins Fadenkreuz der staatlichen Repression geraten werden.
Ich fuhr zur UN-Klimakonferenz nach Glasgow, um über die politische Krise in Russland zu sprechen und um mich von meinen Freunden zu verabschieden, da ich mit dem Gefühl lebte, dass ich jeden Tag verhaftet werden könnte. Biden hatte Putin bereits einen Mörder genannt, und ich stimmte ihm zu.
Auf einer von der russischen Delegation organisierten Veranstaltung fragte ich Regierungsvertreter unaufgefordert nach der Verfolgung von Umwelt-NGOs und Umweltaktivisten in Russland. Die Frage hätte einen Skandal auslösen können – aber es waren keine Journalisten unabhängiger russischer Medien anwesend, die darüber hätten berichten können. So war ich der Einzige, der über staatliche Repressionen gegen Umweltaktivisten schrieb.
Freitage ohne Zukunft
Es schien, dass es nicht mehr schlimmer werden könnte. Aber dann griff Russland die Ukraine an. Die politische Krise in Russland hat sich damit nur noch verschlimmert, und Menschen werden jetzt schon alleine dafür eingesperrt, dass sie den Krieg einen Krieg nennen. Wenn es vor dem Krieg noch ein mögliches Feld für Aktivismus in Russland gab, so wurde die offene Opposition gegen das Regime nach dem russischen Einmarsch immer schwieriger, da Putins Regime die Maske des Autoritarismus ablegt und sich in eine Diktatur verwandelt hat.
Doch auch wenn es möglich ist, Russland zu verlassen, ist es fast unmöglich, der Repression zu entkommen. Im Mai dieses Jahres erfuhr ich, dass das Regime beschlossen hatte, ein neues (oder längst vergessenes) Unterdrückungsinstrument an mir und meiner Familie anzuwenden: Die Aberkennung der russischen Staatsbürgerschaft. Und während dies für russische Milliardäre ein Grund zur Freude wäre, sieht die Situation für normale Menschen wie mich ganz anders aus.
Ich habe zahlreiche Interviews zu diesem Thema gegeben und erklärt, dass es mir das Leben sehr schwer machen würde und dies ein Präzedenzfall werden könnte – und leider habe ich recht behalten.
In einer bereits in erster Lesung von der Staatsduma verabschiedeten Gesetzesänderung schlägt Putin vor, Menschen aus politischen Gründen die Staatsbürgerschaft zu entziehen: Wegen Verunglimpfung der russischen Armee oder Extremismus (wobei der Kampf gegen Korruption in den Augen des Regimes Extremismus ist). Durch diese Art der Repression wird es auch ermöglicht, Russen im Exil das Recht auf Eigentum in Russland zu entziehen, was ein bequemes Mittel zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise in Russland ist.
In dieser Situation ist es für einen Aktivisten schwierig, über Klimapolitik zu sprechen. Meiner Meinung nach sollte man jetzt nicht über die russischen Emissionen diskutieren, die wegen des wirtschaftlichen Niedergangs wohl ohnehin zurückgehen werden, sondern versuchen, diejenigen in der Zivilgesellschaft zu unterstützen, die eine echte Klimapolitik in Russland aufbauen können, wenn das Putin-Regime weg ist.
Russlands Hauptbeitrag zu den Klimaverhandlungen war Erpressung
Die russische Delegation auf der aktuellen Klimakonferenz in Ägypten wird für die Interessen des russischen Regimes werben: Für Atomkraft, um mehr Einfluss auf den globalen Energiemarkt zu gewinnen, und sie wird über die Aufhebung von Sanktionen in Bereichen sprechen, die für den Kampf gegen den Klimawandel relevant sind. Aber angesichts der Tatsache, dass Russland nichts gegen den Klimawandel unternimmt und Klimapolitik nur auf dem Papier existiert, sind das reine Lippenbekenntnisse.
Russlands Hauptbeitrag zu den Klimaverhandlungen der letzten Jahrzehnte bestand darin, die internationale Gemeinschaft zu erpressen und mögliche Konferenzergebnisse zu verhindern. Die Welt wurde mit billigem Gas und Öl erpresst – und sie ließ sich erpressen. Russland setzte sich für sehr vage Formulierungen in den Klimaverträgen ein, Verhandlungen wurden torpediert. Bislang diktieren das russische Regime und andere Staaten die Spielregeln. Wann wehren wir uns endlich vehement gegen diese Sabotage?
Putin wird stürzen, die Ukraine wird die besetzten Gebiete befreien, und die wichtigste Frage auf der Klimakonferenz ist, ob Europa jetzt seine Werte verteidigen und der Welt beweisen wird, dass das Versprechen von Klimaschutz und Gerechtigkeit keine leeren Worte sind.
Übersetzung aus dem Russischen: Aysel Aliyeva
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