Mediengesetz: Russland sieht überall Agenten
Nach dem neuen Mediengesetz kann in Russland jeder Bürger zum „ausländischen Agenten“ werden. Auch die Regulierungen im Netz erschweren die freie Informationsbeschaffung. Inna Hartwich berichtet, wie Journalisten trotzdem die Vielfalt der Medien verteidigen.
Sie hatte es mit einem Witz versucht. Seit den Sowjetzeiten sind Witze ein probates Mittel in Russland, um aus dem beschwerlichen Alltag den Druck herauszunehmen. Und so sagt Diana Katschalowa, die Journalistin aus Sankt Petersburg, als sie da auf dem Moskauer Podium der Konferenz „Medienfreiheit und Sicherheit von Journalisten in Russland und den übrigen 56 OSZE-Teilnehmerstaaten“ sitzt: „Vielleicht sollte man die Duma (das russische Parlament) dazu bringen, ein Gesetz anzunehmen, Gesetze zu befolgen.“ Katschalowa schreibt für die Nowaja Gaseta, die kreml-kritische Zeitung, deren Mitarbeiter immer wieder bedroht werden und überfallen; manche wurden getötet. Aufgeklärt sind die wenigsten Taten. Obwohl es doch – wie viele Journalisten, Juristen, Funktionäre im Tagungshotel direkt an der Moskwa immer wieder betonen – „so viele, so gute, so wunderbar geschriebene Gesetze“ gäbe. Wenn diese Gesetze aber an der willkürlichen Justiz und der Tatenlosigkeit der Ermittlungsbehörden scheitern, bleiben sie leere Worte. Katschalowas Witz bringt die Absurdität des Systems Putin, dem sich freilich nicht nur Journalisten im Land täglich stellen, auf den Punkt. Die Frauen und Männer im Saal lachen ein verhaltenes Lachen.
Unabhängige Journalisten neben staatlichen Medien
Es ist eine bemerkenswerte Konferenz, die die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) mit seinen russischen Gastgebern im November ausgerichtet hat. Hier saßen Journalisten unabhängiger Zeitungen neben Journalisten von staatlichen Medien; solche, die sagten: „In Russland dürfen Journalisten getötet werden, ohne dass die Hintermänner sich dafür verantworten müssen“ neben solchen, die sich beklagten, „Propagandist“ genannt zu werden. Der Journalist Iwan Golunow, der im Juni wegen ihm zugeschobener Drogen in Haft kam und aufgrund einer nie dagewesenen Solidaritätswelle im Land nach einigen Tagen wieder freigelassen wurde, berichtete, wie schleppend die Aufarbeitung seines Falles vorangehe, weil nun fast alles daran „Geheimsache“ sei. Der frühere Leiter der Nachrichtenagentur Ria Nowosti-Ukraine, Kirill Wyschinski, der in einem Gefangenenaustausch zwischen Russland und Ukraine im September frei kam, beklagte sich darüber, dass ihm Agitation vorgeworfen werde. Die Veranstaltung diente als Plattform, die zeigen sollte, wie gut es doch um die Pressefreiheit in Russland stehe: Seht her, welchen Pluralismus wir haben, hier darf jeder seine Meinung sagen, darf den Staat offen und scharf kritisieren! Und eine, bei der offensichtlich wurde, wo die Diskussion um diese Pressefreiheit am Ende ist. So sagte Sergej Lawrow, Russlands Außenminister, der jede Kritik an Druck und Repression in seinem Land mit Vorwürfen an die EU und die Ukraine zu umgehen wusste: „Jeder hat seine eigene Wahrheit. Mit anders bewerteten Auffassungen darf man die Bevölkerung nicht traumatisieren. Wir verteidigen die russische Tradition und die russische Kultur“. In solchen Worten liegt eine gefährliche Absage an allgemeingültige Regeln, die die Arbeit von Journalisten überhaupt erst möglich machen. Lawrow jedoch lamentierte über die Diskriminierung russischer Medien im Ausland, beklagte sich darüber, welche dieser Medien in der Ukraine, Frankreich oder Großbritannien gesperrt seien, ohne darauf einzugehen, wie viele Seiten – ukrainische und andere – in Russland nicht zugänglich sind.
Auf dem Index der Pressefreiheit, den die Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ jedes Jahr erstellt, liegt Russland in diesem Jahr auf Platz 149 von 180 untersuchten Ländern. Seit Jahren hat das Land seine Position kaum verbessert. Schwammig formulierte Gesetze und Verleumdungsklagen legen die Redaktionen im Land lahm. Vor allem kleinere Verlage in der Provinz können ohne das Plazet der Mächtigen kaum überleben. Die Selbstzensur grassiert, zumal bei Kritik am System Festnahmen, Verhöre, zivil- und strafrechtliche Verfolgung oder die Beschlagnahme von Arbeitsgeräten drohen.
Internet verändert publizistisches Angebot
Dennoch gibt es im Land eine Medienvielfalt. Sie findet in Nischen statt. Vor allem in den digitalen. Das Internet hatte – schon allein wegen der Distanzen im Land – schneller als im Westen die publizistischen Angebote verändert. Sie richten sich an eng gefasste Zielgruppen, sei es regional oder durch inhaltliche Schwerpunkte. Die Regulierungen im Netz aber machen den Online-Medien und Bloggern zu schaffen und sind längst zu einem Instrument staatlicher Repression geworden. Bereits seit 2018 sind russische Provider per Gesetz dazu verpflichtet, alle Kommunikationsinhalte und Verbindungsdaten zu speichern, die über ihre Server laufen. Laut der Nichtregierungsorganisation „Roskomswoboda“, die sich für den Schutz digitaler Rechte einsetzt, gibt es etwa 300.000 gesperrte Seiten im Land, darunter fallen Seiten mit Pornografie-Inhalten genauso wie das berufliche Netzwerk LinkedIn oder die ukrainische Online-Zeitung „Ukrainska Prawda“. Auch Facebook und Twitter wird von russischen Kontrollgremien immer wieder angedroht, sie sperren zu lassen.
Russland soll durch das sogenannte „Suwer-Net“, einem „souveränen“ russischen Netz, von den Einflüssen von außen geschützt werden. Das Land sieht sich von allen Seiten bedroht und baut ein Szenario gegen imaginäre Feinde auf. Das System, so löchrig es angesichts der Proteste ist (ob wegen der stinkenden Mülldeponien, des angehobenen Renteneintrittsalters oder der im Sommer nicht zugelassenen Kandidaten zur Wahl des Moskauer Stadtparlaments) funktioniert durchaus: In den Köpfen vieler Menschen entsteht eine empfundene Bedrohung von außen, gegen die sich der Staat wehren müsse.
Mit dem erst kürzlich verschärften Mediengesetz kann nun selbst jemand zum „ausländischen Agenten“ werden, der von seiner Tante im Ausland Geld zum Geburtstag überwiesen bekommt. So absurd das klingt, so ernsthaft kann die Lage für jeden Einzelnen werden. Das Gesetz ist von Anfang an auf selektive Anwendung ausgelegt. Bislang mussten sich vor allem NGOs und Medien, die aus dem Ausland finanziert werden, als „ausländische Agenten“ registrieren lassen. Zehn Medien und 74 NGOs haben diesen Stempel aufgedrückt bekommen, mehrere gemeinnützige Organisationen mussten schließen, weil sie ohne die finanziellen Mittel aus dem Ausland nicht mehr arbeiten konnten. Andere unterliegen ständigen Kontrollen und müssen regelmäßig vollständige Auskunft über ihre Geldgeber, die finanzielle Ausstattung und das Personal geben. Durch das veränderte Gesetz werden nun auch Privatpersonen eingeschüchtert. Arbeiten sie für Medien, die als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt sind, etwa „Voice of America“ oder Organisationen wie „Memorial“, könnten auch sie zum „ausländischen Agenten“ werden. Das schafft Verunsicherung, Angst und noch mehr Selbstzensur.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts „Deutsch-Russischen Gespräche zur digitalen Zivilgesellschaft“ erschienen.
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