Rus­si­sche Akti­vis­ten gegen Internet-Regulierung

Das Podium der Konferenz

Auf einer Kon­fe­renz in Moskau brach­ten das Zentrum Libe­rale Moderne und das Sach­a­row-Zentrum Inter­net­ak­ti­vis­ten aus Russ­land und Deutsch­land zusam­men. Die deut­schen Teil­neh­mer erhof­fen sich von der Regu­lie­rung der digi­ta­len Öffent­lich­keit die Befrie­dung gesell­schaft­li­cher Kon­flikte. Rus­si­sche Bür­ger­recht­ler sehen in der „Regu­lie­rung“ hin­ge­gen ein Instru­ment staat­li­cher Repres­sion. Im Inter­net ver­tei­di­gen sie die letzten Inseln der Freiheit.

In Deutsch­land gilt das Inter­net vielen als Auf­marsch­platz für Extre­mis­ten, in Russ­land gilt es als einer der letzten Frei­räume für Demo­kra­ten. Während die Bun­des­re­gie­rung ver­sucht, Hass­kom­men­tare und Hetze im Netz ein­zu­däm­men, hat der Kreml damit begon­nen, das Netz in seinem Herr­schafts­be­reich vom Rest der Welt abzukoppeln.

Diese Unter­schiede prägen die Debatte über Netz­po­li­tik in beiden Ländern. Das wurde deut­lich während einer Fach­ta­gung am 24. Oktober 2019, die das Zentrum Libe­rale Moderne kürz­lich mit dem Sach­a­row Zentrum in Moskau veranstaltete.

Exper­tin­nen und Akti­vis­ten aus Russ­land und Deutsch­land dis­ku­tier­ten über Inter­net­re­gu­lie­rung, Hate Speech, Urhe­ber­recht sowie über Chancen und Her­aus­for­de­run­gen für die Zivil­ge­sell­schaft im Netz. 

Portrait von Nikolaus von Twickel

Niko­laus von Twickel ist Redak­teur der Website „Russ­land ver­ste­hen“ im Zentrum Libe­rale Moderne.

Inter­net­zen­sur ist in Russ­land schon lange Rea­li­tät. Staat­li­che Ein­schrän­kun­gen sind einfach, weil das Inter­net recht­lich der Tele­kom­mu­ni­ka­tion gleich­ge­stellt ist, erläu­terte Alex­an­der Isawnin von Roskoms­vo­boda, der viel­leicht pro­mi­nen­tes­ten Gruppe von Inter­net­ak­ti­vis­ten des Landes.

Knapp 300.000 gesperrte Sites

Bereits seit 2018 sind rus­si­sche Pro­vi­der per Gesetz ver­pflich­tet, alle Kom­mu­ni­ka­ti­ons­in­halte und Ver­bin­dungs­da­ten zu spei­chern, die über ihre Server laufen. Die Zahl der in Russ­land gesperr­ten Web­sites wächst kon­ti­nu­ier­lich, Ende Oktober waren es laut Roskoms­vo­boda mehr als 294.000. Dar­un­ter sind neben Seiten mit Kin­der­por­nos oder Anlei­tun­gen für Ter­ro­ris­ten auch zahl­rei­che poli­ti­sche Adres­sen wie kasparov.ru und ukrai­ni­sche Nachrichtenwebsites.

Isawnin plä­dierte für eine Wahrung der Netz­frei­heit. Inter­net­fir­men wie Google und Face­book sollten inter­na­tio­nale Stan­dards ein­hal­ten, aber bitte nicht natio­nale Gesetze wie etwa die russischen.

Das stieß auf Wider­spruch bei Jörn Pohl, Digital- und Netz­po­li­tikexperte im Büro des Grünen-Bun­­des­­tags­­a­b­­ge­or­d­­ne­­ten Kon­stan­tin von Notz. Für ihn war klar, dass Inter­net­gi­gan­ten auch natio­nal regu­liert werden müssen. So seien bei­spiels­weise Haken­kreuze in Deutsch­land aus gutem Grund ver­bo­ten. Face­book habe man nach jah­re­lan­gem Hin­hal­ten nun dazu gebracht, dass die Kali­for­nier mehrere hundert Stellen in Berlin schaf­fen mussten, um sicher­zu­stel­len, dass Inhalte tat­säch­lich entlang der deut­schen Rechts­lage nach dem „notice and action“-Verfahren über­prüft und gege­be­nen­falls auch kon­se­quent nach klaren rechts­staat­li­chen Vor­ga­ben gelöscht werden müssen.

Intrans­pa­rente Löschverfahren

Pohl verwies unter anderem auf die andau­ern­den Infor­ma­ti­ons­kriege, die “im Netz mit Bots, Trollen und Hackern” geführt würden. “Inter­na­tio­nal setzt sich mehr und mehr durch, dass mehr recht­staat­li­che Regu­lie­rung drin­gend nötig ist”, fand er und fügte als Bei­spiel hinzu, dass die jüngs­ten Daten­­­schutz-Vor­­­ga­­ben aus Europa in den USA und in Israel gera­dezu als Gold­stan­dard gesehen und kopiert würden. Gute Regu­lie­rung schütze nicht nur die Grund­rechte der Nut­ze­rin­nen und Nutzer, sie liefere auch die not­wen­dige Rechts­si­cher­heit für Technologieunternehmen.

Worauf Isawnin kon­terte, dass rus­si­sche Poli­ti­ker in jüngs­ter Zeit nur zu gerne auf Deutsch­land ver­wei­sen, um ihre neu­es­ten Restrik­tio­nen zu ver­tei­di­gen. Im rus­si­schen Par­la­ment liegt derzeit ein Gesetz­ent­wurf, der sich am deut­schen Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz ori­en­tiert. Das 2017 vom Bun­des­tag ver­ab­schie­dete Gesetz ver­pflich­tet die Betrei­ber von sozia­len Netz­wer­ken, Hate Speech oder Falsch­mel­dun­gen zu löschen. In der rus­si­schen Vari­ante fehlt aller­dings die Ver­pflich­tung, Lösch­ver­fah­ren trans­pa­rent zu machen.

Miro Dittrich von der Amadeo Antonio Stif­tung sagte, dass das Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz nötig sei, damit Akti­vi­tä­ten, die offline illegal sind, auch online illegal bleiben. Als Bei­spiel nannte er den Genozid an den Roh­in­gya in Myanmar, der maß­geb­lich über Face­book orga­ni­siert worden sei. “Es gibt Grenzen, wo man ein­grei­fen muss.”

Dittrich argu­men­tierte, dass hier Mode­ra­tion die Mei­nungs­frei­heit fördere, weil sie es Men­schen ermög­li­che, sich frei zu äußern ohne Angst haben zu müssen, belei­digt zu werden. Die Schwie­rig­kei­ten lägen bei der Umset­zung: Weil die Content Mode­ra­to­ren oft schlecht aus­ge­bil­det seien, werde vieles unnötig gelöscht.

Urhe­ber­recht wird missbraucht

Ein Plä­doyer, das mit weniger Mode­ra­tion zu errei­chen, kam von Julia Krüger von netzpolitik.org. Sie plä­dierte dafür, guten Content besser zu ranken und Echo­kam­mern, in denen sich Nutzer radi­ka­li­sie­ren, zu bekämp­fen. “Es gibt 1.000 Vari­an­ten, dass zu tun”, sagte sie.

Beim Thema Urhe­ber­recht wiesen mehrere Teil­neh­mer darauf hin, dass dies gern mal zum Unter­drü­cken von Infor­ma­tio­nen miss­braucht werde. So hätten deut­sche Medien Angst, staat­li­che Doku­mente zu ver­öf­fent­li­chen, seitdem das Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium 2013 die Essener Zeitung WAZ ver­klagte, weil sie Papiere zum Afgha­ni­stan-Einsatz der Bun­des­wehr ver­öf­fent­licht hatte. Deshalb, so Johan­nes Filter von der Initia­tive Fragdenstaat.de, sollten staat­li­che Doku­mente vom Urhe­ber­recht, das ja im Wesent­li­chen aus dem 19. Jahr­hun­dert stammt, befreit werden.

Auch hier waren es die rus­si­schen Teil­neh­mer, die für weniger Regu­lie­rung plä­dier­ten. Das früher beherr­schende Problem der Pira­te­rie von Filmen und Musik sei stark zurück­ge­gan­gen, weil Künst­ler und Rech­te­inha­ber die Nach­frage der Nutzer besser bedien­ten, etwa durch Strea­ming-Portale, so Isawnin.

Digital-Experte Pohl wider­sprach erneut: “Der Ansatz, alles müsse frei sein, weil man alles irgend­wie umgehen könne, ist aus recht­staat­li­cher Per­spek­tive falsch. Er haben Ver­ständ­nis dafür, dass ange­sichts rechts­staat­lich schwie­ri­ger Gesetze Sperren umgan­gen werden, dennoch sollten Akti­vis­ten ihre knappen Res­sour­cen darauf ver­wen­den, gemein­sam dafür zu sorgen, dass ent­spre­chende Gesetze geän­dert und der Zugang zu Wissen frei bleibe, argu­men­tierte er.

Wie lassen sich demo­kra­ti­sche Werte im Digi­ta­len bewahren?

Ein Schritt dahin seien bei­spiels­weise Pau­schal­ab­ga­ben auf kul­tu­relle Inhalte, durch die Ver­fol­gung von Urhe­ber­rechts­ver­let­zun­gen durch Nut­ze­rin­nen und Nutzer weit­ge­hend obsolet und gleich­zei­tig eine faire Ver­gü­tung an Krea­tive garan­tiert werde.

Letzt­end­lich ging es bei der Debatte um die Bewah­rung glei­cher Werte in zwei gänz­lich unter­schied­li­chen Sys­te­men. In Russ­land, darauf hatte LibMod-Geschäfts­füh­rer Ralf Fücks ein­gangs ver­wie­sen, ist das Inter­net ein zen­tra­ler Ort für die Zivil­ge­sell­schaft, weil die klas­si­schen Medien zuneh­mend gleich­ge­schal­tet werden. In Deutsch­land dagegen liege der Akzent auf Regu­lie­rung – um inter­na­tio­nale Kon­zerne auf Stan­dards zu ver­pflich­ten und um “die Bru­ta­li­sie­rung der Kom­mu­ni­ka­tion” ein­zu­he­gen. Klar sei, so Fücks, dass unsere Regeln “keine Ein­lass­tü­ren für auto­ri­täre Regimes sein dürfen, die unter Beru­fung auf demo­kra­ti­sche Länder das Inter­net bei sich zu Hause knebeln”.

Es mag noch lange dauern, bis sich die Debat­ten in Russ­land und Deutsch­land annä­hern. Bis dahin bleibt die Hoff­nung, dass die restrik­ti­ven rus­si­sche Gesetze durch ihre laxe Umset­zung unter­lau­fen werden können. Dass es für beide Seiten lehr­reich ist, die unter­schied­li­chen Her­an­ge­hens­wei­sen aus­zu­tau­schen, hat dieses Seminar ein­dring­lich gezeigt.

Textende
Die Ver­an­stal­tung fand im Rahmen des Pro­jekts „Deutsch-Rus­­­­si­­­sche-Gesprä­che zur digita­len Zivilge­sell­schaft“ statt.

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