Kreml-Medien in Deutschland: Gegenöffentlichkeit per Falschnachricht
Beim online-Dienst Sputnik darf Nawalny mit Namen genannt werden (Putin tut das nicht) – aber bitte in negativem Kontext. [Screenshot: https://de.sputniknews.com/kommentare/20200905327880601-fall-nawalny-fassade-fuer-hass/]
Russische Staatsmedien erzielen in Deutschland bereits beträchtliche Reichweiten. Ihre Zielgruppen liegen sowohl rechts als auch links, gearbeitet wird mit Desinformation, Whataboutism und der Verbreitung von widersprüchlichen Narrativen.
War es nun eine Stoffwechselstörung oder Diabetes? Nein, es war ein Stoff aus Düngemitteln, der dem russischen Oppositionspolitiker Alexei Nawalny auf seinem Flug nach Moskau so zusetzte, dass das Flugzeug im sibirischen Omsk zwischenlanden musste. Das zumindest will Ivan Rodionov, Chefredakteur von RT Deutsch, seinen Zuschauern glaubhaft machen. Die Organisation „Cinema for Peace“, die später den Flug nach Berlin organisierte: eine seltsam anmutende Schar, die sich in goldenen Glitzer-Kostümen tummelt, wie auf einem eingeblendeten Foto zu sehen ist.
RT-Deutsch-Chef Rodionov; Screenshot: https://www.youtube.com/watch?v=ikoLlwQoDzM]
„Der russische Patient – Polittheater an der Berliner Charité“ – der Titel des Beitrags vom 28. August 2020 ist somit passend gewählt. Auch andere Rettungsaktionen an der Charité seien sinnlos gewesen, suggeriert Rodionov. Auch das Pussy-Riot-Mitglied Pjotr „Wersilow sollte vergiftet worden sein, von Putin, wem sonst“, so der Chefredakteur lakonisch, die Ärzte hätten aber nichts finden können.
Der Fall Nawalny ist ein gutes Beispiel, das zeigt, wie die Berichterstattung der russischen Staatsmedien in Deutschland zu kontroversen Themen verläuft. In einer ersten Phase ging es darum, möglichst viele Varianten zu streuen, die von dem Verdacht ablenken, dass staatliche Akteure hinter der Vergiftung des Politikers stehen könnten. Außerdem wurde die Rettungsaktion nach Deutschland als verrückte Idee gold-glitzernder Kino-Freaks diskreditiert. Es wird auch mit Falschdarstellungen gearbeitet. So sagte der Arzt, der Wersilow im September 2018 an der Charité behandelt hatte, nach Angaben der Deutschen Welle, dass es sich um ein „schweres anticholinerges Syndrom“ handele und eine Vergiftung dafür die „plausibelste Erklärung“ sei – es ist also bei weitem nicht so, dass die Ärzte nichts gefunden hätten, wie Rodionov behauptet hatte.
Die Reichweite der russischen Staatsmedien in Deutschland wächst beständig. Bei Facebook hat RT Deutsch Anfang November die Deutsche Welle mit 541.000 Abonnenten überholt. Sputnik rangiert mit 289.000 Nutzern im Mittelfeld (Grafik 1). Der deutsche RT-Ableger kommt bei Facebook, Youtube, Twitter und der direkten Nutzung der Webseite (Daten von Easy Counter) auf insgesamt 1,1 Millionen Nutzer, das ist eine beachtliche Größe. Sputnik verzeichnet insgesamt auf diesen Portalen 389.000 Nutzer
Grafik 1 (Quellen: FB, YouTube, Twitter, Easy Counter, eigene Zusammenstellung)
Grafik 2 (Quellen: FB, YouTube, Twitter, Easy Counter, eigene Zusammenstellung)
Russland schafft immer neue Medienformate, um weitere Teile der Bevölkerung zu erschließen. Während sich RT Deutsch und Sputnik zunehmend zu einer Plattform für rechtspopulistische Inhalte entwickelt haben, zielt die im Jahr 2018 gegründete Firma Maffick Media mit ihrem englischsprachigen online-Kanal „In the Now“ auf ein unpolitisches, junges und internationales Publikum und wirbt mit ethischen Inhalten nach dem Motto „Kindness is dope“, wie eine Studie der Friedrich Naumann-Stiftung über russische Medien in Deutschland zeigte. Dieser hat sich mit mehr als 5 Millionen Nutzern bei Facebook sehr dynamisch entwickelt (Grafik 1). Die ebenfalls vor zwei Jahren in Berlin gegründete Firma Redfish spricht mit sozialkritischen Themen vorrangig ein linkes Publikum an.
Desinformation über Nawalny wird zudem von gefälschten Nachrichtenportalen verbreitet. So behauptete ein Portal namens „Abendlich Hamburg“, der Westen unterstütze Nawalnys Frau Julia. Nach einem Bericht von Netzpolitik.org und der Tageszeitung „Die Welt“ ist das mittlerweile abgeschaltete „Abendlich Hamburg“ Teil eines europäischen Netzes, das von der Agentur „News Front“ auf der Krim mit Verbindungen zum russischen Geheimdienst gelenkt wird. Die Medienholding Rossija Segodnja verbreitet Inhalte der Fake-Seiten über ihre Medien wie das Übersetzungsportal Inosmi und Sputnik. So werden Falschdarstellungen als Nachrichten verkauft.
Die russischen Staatsmedien streuen Desinformation, behaupten von sich aber genau das Gegenteil: Ob RT, Sputnik, Maffick oder Redfish: Alle wollen eine Gegenöffentlichkeit zu den aus ihrer Sicht manipulierten deutschen Medien schaffen, denen vorgeworfen wird, die Wahrheit zu verschweigen. Wir zeigen das fehlende Bild, wir sind eine unabhängige Alternative zum Mainstream, so der Anspruch. Diese Strategie der russischen Staatsmedien kommt bei Menschen gut an, die das Vertrauen in etablierte Medien verloren haben. RT und Sputnik sprechen auch diejenigen an, die mit der politischen und wirtschaftlichen Situation in Deutschland unzufrieden sind und in Russlands autoritärem System eine bessere Alternative sehen. Die Flüchtlingskrise oder die Corona-Epidemie werden genutzt, um die deutsche Regierung als hilflos darzustellen und den baldigen Kollaps des Systems zu prophezeien. Der russische Präsident Putin hingegen wird als effektiver Krisenmanager inszeniert.
Als Kanzlerin Angela Merkel am 2. September erklärte, dass es sich bei Nawalny um einen „versuchten Giftmord“ handele und sich das „Gift zweifelsfrei nachweisen“ lasse, leitete dies eine zweite Phase in der Argumentation der russischen Staatsmedien ein. Nun ging es zunächst darum, Zweifel an der Erklärung Merkels zu streuen. RT Deutsch zitierte den Chemiker Leonid Rink, der an der Entwicklung des Nervengifts Nowitschok beteiligt war und Zweifel „an der Version westlicher Regierungen“ äußerte. Rink zufolge treten bei einer Vergiftung mit einer nichttödlichen Dosis andere Symptome zu Tage als bei Nawalny. Die Glaubwürdigkeit des Wissenschaftlers Rink ist jedoch zweifelhaft. Einem Bericht der unabhängigen Moskauer Zeitung „Nowaja Gaseta“ zufolge verkaufte er in den 90er Jahren Nervengift an kriminelle Strukturen.
Screenshot: https://de.rt.com/inland/106966-wieso-haelt-bundesregierung-mutmassliche-beweismittel-nawalny-zurueck/
Typisch für die Berichterstattung der russischen Staatsmedien war ebenso, im Stil des Whataboutism die Gegenseite, also Deutschland zu beschuldigen, die Aufklärung des Falls zu verhindern. RT Deutsch fragte in einem Beitrag vom 23. September: „Wieso hält die Bundesregierung mutmaßliche Beweismittel im Fall Nawalny zurück?“ und behauptete: „Kein einziges Beweisstück wurde bisher an Russland übergeben.“ Diese Behauptung ist umso erstaunlicher, als auf derselben Seite das Video der Bundespressekonferenz zu sehen ist, bei der Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, dass „Russland über alles Notwendige verfügt, um selbst Ermittlungen durchzuführen, vor allem die Proben von Herrn Nawalny.“ Richtig war, dass die Wasserflasche, die in Nawalnys Hotelzimmer in Sibirien gefunden und nach Deutschland gebracht worden war, (bislang) nicht übergeben wurde. Dieser Beitrag zeigt, wie in der Berichterstattung Wahrheit und Lüge miteinander verwoben werden, um fragwürdige Behauptungen zu „belegen“. In dem Fall wurde Deutschland beschuldigt, die Aufklärung des Falls angeblich zu behindern und nicht etwa Russland, das zu dem Zeitpunkt noch keine offiziellen Ermittlungen aufgenommen hatte.
Aber nicht nur die Bundesregierung wurde beschuldigt. Auch die Nato oder die Gegner der Pipeline Nord Stream 2 könnten hinter der Vergiftung stecken, vermuteten Sputnik-Autoren. Um die Verwirrung perfekt zu machen, wurde auch Präsident Putins Interpretation verbreitet, dass sich Nawalny möglicherweise selbst vergiftet habe. Ein wichtiges Narrativ in den russischen Staatsmedien ist auch, Russland als Opfer Westens zu inszenieren, etwa in dem Sputnik-Beitrag „Die Stunde der Hetzer: Der Fall Nawalny als Fassade für Hass“.
Der Fall Nawalny demonstriert sehr gut die tendenziöse Berichterstattung der russischen Staatsmedien, bei der mit Falschdarstellungen und unglaubwürdigen Experten gearbeitet wird. Ziel dieser Berichterstattung ist, vermeintliche Gegner wie die Bundesregierung zu schwächen, und den Einfluss Russlands in Deutschland auszudehnen. Die russischen Staatsmedien sind Teil eines Informationskrieges, genau wie die Betreiber der falschen Nachrichtenseiten: So heißt es auf der Webseite: „Wir, die Nachrichtenagentur News Front, sind freiwillige Kämpfer des Informationskrieges“.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts „Deutsch-Russische Gespräche zur digitalen Zivilgesellschaft“ erschienen.
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