Russland: Die Phantasie vom eurasischen Großreich
Der Einmarsch in Georgien und der Ukraine, die Gründung einer Eurasischen Wirtschaftunion – Wladimir Putin hegt geopolitische Ambitionen. Glaubt man dem neurechten Philosophen Alexander Dugin, der von sich behauptet, den Kreml zu beraten, phantasiert der russiche Präsident von einem eurasischen Großreich.
Die meistzitierte Äußerung von Präsident Putin, nämlich die „größte geopolitische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts“, bezog sich nicht auf das Ende des kommunistischen Gesellschaftsexperiments, sondern auf den Untergang des bisher umfangreichsten supranationalen Integrationsprojekts der Geschichte. Das Auseinanderbrechen der Sowjetunion bedeutet für den Kreml den Verlust eines Imperiums, das sich nicht erst 1922, sondern schon Jahrhunderte vorher mit der territorialen Expansion des Zarenreichs herausgebildet hatte.
Putin fürchtet das Schicksal der Sowjetunion
Heute sind zwei Aspekte wichtig. Zum einen setzt die russische Regierung seit den neunziger Jahren alles daran, dass die Russische Föderation nicht vom gleichen Schicksal wie die Sowjetunion ereilt wird. Zum anderen gehört die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion im Januar 2015 zu Putins persönlichen Prestigeprojekten. Zurzeit besteht die Wirtschaftsunion aus Belarus, Kasachstan, Kirgistan, Armenien und – als ihrem dominanten Zentrum – Russland. Unschwer lässt sich in diesem Integrationsprojekt der Versuch erkennen, mit tarifären Mitteln die russische Einflusssphäre im postsowjetischen Raum zu sichern.
Allerdings hängt der Haussegen bereits schief. Astana und Moskau beschuldigen sich gegenseitig, die Regeln des gemeinsamen Wirtschaftsraums nicht zu befolgen. Außerdem ist die weitere Integration ins Stocken geraten: Moskau würde gerne die Wirtschaftsunion nach dem Vorbild der EU in eine politische Union überführen. Widerstand gegen eine weitergehende Integration kommt vor allem aus Kasachstan, weil man dort nach der russischen Annexion der Krim um die eigene Souveränität bangt. In Nordkasachstan leben etwa vier Millionen ethnische Russen, die einen Viertel der gesamten kasachischen Bevölkerung ausmachen.
Dugin hat eine „vierte politische Theorie“ verfasst. Sie richtet sich gegen den Liberalismus und behauptet, positive Elemente von Kommunismus und Faschismus zu integrieren.
Man kann das Projekt eines gemeinsamen Wirtschaftsraums als einen Neo-Eurasismus interpretieren. Der steht ideologisch jedoch auf schwachen Beinen. Der klassische Eurasismus entstand in den frühen zwanziger Jahren in russischen Emigrantenkreisen. Nach der Katastrophe der Oktoberrevolution, die von konservativen Denkern als Einbruch der asiatischen Barbarei in die europäische Zivilisation gedeutet wurde, machte man aus der Not eine Tugend und erklärte das dreihundert Jahre währende „Mongolenjoch“ zu einer wertvollen kulturellen Erfahrung.
Die Eurasier nahmen gegenüber dem Bolschewismus eine zunehmend positive Haltung ein und begrüssten die Sowjetunion als eine die Nation erhaltende Staatsform. Heute knüpfen zahlreiche nationalkonservative Ideologen an diese Denkfiguren an. Am berühmtesten ist der Philosoph Alexander Dugin, der nicht nur eine Vielzahl von Büchern und Aufsätzen verfasst hat, sondern seine Ideen auch in Video-Clips und Vorträgen verbreitet. Dugin stammt ursprünglich aus der Nonkonformisten- und Esoteriker-Szene der späten Sowjetzeit und gründete in den neunziger Jahren gemeinsam mit Eduard Limonow die chauvinistische „Nationalbolschewistische Partei“, deren Emblem einer Nazi-Flagge entspricht, in der das Hakenkreuz aber durch Hammer und Sichel ausgetauscht ist.
„Eurasische Landkultur“ versus „atlantische Wasserkultur“
Zu Beginn des neuen Jahrtausends richtete sich Dugin ideologisch neu aus und gründete die „Eurasische Bewegung“. Der Neo-Eurasismus denkt in geopolitischen Großräumen und stellt der „atlantischen“ Wasserkultur mit Handel treibenden Republiken eine eurasische Landkultur entgegen, in der die Menschen verwurzelt sind und deshalb auch an den traditionellen patrimonialen Herrschaftsformen festhalten.
Es ist umstritten, wie groß Dugins Einfluss auf den Kreml ist. Er selbst unterstreicht immer wieder, dass er Beratermandate wahrnimmt. Auf der anderen Seite hält die russische Regierung sorgfältig Distanz zu Dugin, der im Georgienkrieg 2008 und im Ukrainekrieg 2014 mit blutrünstigen Parolen negative Schlagzeilen gemacht hat. Auf der offiziellen Website des Kremls findet sich kein einziges Dokument, in dem Dugins Name erwähnt wird. Umgekehrt lobte Dugin den russischen Präsidenten bereits 2003 als „konservativen Revolutionär“ und erblickte in ihm den Garanten eines russisch-dominierten Eurasien. Später arbeitete Dugin seine „vierte politische Theorie“ aus, die sich von den drei dominanten politischen Ideologien des 20. Jahrhunderts abheben sollte: Liberalismus, Kommunismus, Faschismus. Dugin hob hervor, dass sich seine eigene Position vor allem gegen den Liberalismus richte und die positiven Elemente des Kommunismus und des Faschismus aufnehme.
Von Rechtspopulisten umgarnt
Dugins Ideen stoßen vor allem bei westeuropäischen Rechtspopulisten auf erhebliche Resonanz. So traf Dugin im Jahr 2014 den FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache, die damalige Front National-Abgeordnete Marion Maréchal-Le Pen und den Vorsitzenden der bulgarischen Ataka-Partei Wolen Siderow. Vereinzelt gibt es aber auch Vertreter der Linken, die sich positiv über Dugin äußern. Ein prominentes Beispiel ist etwa der griechische Außenminister Nikos Kotzias, der bereits 2013 in seiner Eigenschaft als Politologie-Professor Dugin für einen Vortrag nach Piräus einlud.
Die persönlichen Kontakte der europäischen Populisten zu Dugin sind Teil eines breiteren illiberalen Netzwerks, das der Kreml seit einiger Zeit organisiert. Seit 2015 findet in Moskau alljährlich ein Kongress mit dem Titel „Dialog der Nationen“ statt, an dem sich Separatisten aus aller Herren Länder (natürlich nur nicht aus Russland) treffen. Die Teilnehmer an diesem Kongress stammen meistens aus politischen Splittergruppen.
Anders sieht es bei den Russlandkontakten der rechtspopulistischen Parteien aus, die oft auf höchster Ebene erfolgen. Im Januar 2018 reisten die AfD-Politiker Alexander Gauland und Beatrix von Storch nach Russland, um mit dem Vorsitzenden des Außenausschusses der Duma zu sprechen. Kurz vor den französischen Präsidentschaftswahlen 2017 wurde Marine Le Pen von Putin empfangen. Sie bestätigte, dass sie zahlreiche Werte des russischen Präsidenten teile. Die Protestpartei „Cinque Stelle“ entsandte 2016 einen Parlamentarier an einen Parteitag der Regierungspartei „Einiges Russland“, gleichzeitig fordern die italienischen Populisten ein Ende der Sanktionen gegen Russland. Am weitesten ging bisher die FPÖ, die im Dezember 2016 ein offizielles Kooperationsabkommen mit der russischen Regierungspartei „Einiges Russland“ abschloss. Den Rechtspopulisten gefällt an der Politik des Kremls vor allem die radikale Durchsetzung der nationalen Souveränität, die auch in ihrem eigenen politischen Wertesystem ganz oben rangiert.
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