Von Lit­wi­nenko zu Skripal: Über den poli­ti­schen Umgang mit geheim­dienst­li­chen Operationen

Bild: Uwe Bro­drecht (2015 – Lub­janka) [CC BY-SA 2.0], via Wiki­me­dia Commons

Zum Fall Skripal lohnt ein Rück­blick auf die Ermor­dung des rus­si­schen Ex-Agenten Alex­an­der Lit­wi­nenko, um den Einsatz geheim­dienst­li­cher Metho­den und die Des­in­for­ma­ti­ons­po­li­tik des Kreml zu verstehen.

Im Novem­ber 2006 wurde der ehe­ma­lige rus­si­sche KGB-Offi­zier Alex­an­der Lit­wi­nenko mit dem radio­ak­ti­ven Polo­nium Isotop 210 ver­gif­tet. Lit­wi­nenko hatte dem FSB und dessen Chef Wla­di­mir Putin haar­sträu­bende Ver­bre­chen zuge­schrie­ben. Dazu gehörte der Vorwurf, dass 1999 drei Wohn­blocks in Moskau nicht wie vor­ge­ge­ben von tsche­tsche­ni­schen Ter­ro­ris­ten, sondern vom rus­si­schen Geheim­dienst gesprengt worden seien. Dieser insze­nierte Ter­ror­akt sei ein Vorwand gewesen, um den zweiten Tsche­tsche­ni­en­krieg zu eröffnen.

Bewie­sen wurde diese These nie. Aber nam­hafte Mit­glie­der einer öffent­li­chen Unter­su­chungs­kom­mis­sion um den Duma-Abge­ord­ne­ten und ehe­ma­li­gen Sowjet-Dis­si­den­ten Sergei Kowal­jow teilten diesen Ver­dacht. Das bekam ihnen nicht gut:

Der Kom­mis­si­ons­vor­sit­zende Sergej Juschenko wurde am 17. April 2003 erschos­sen. Michail Tre­pasch­kin, ein Ermitt­ler der Kom­mis­sion, wurde 2004 wegen des Verrats von Staats­ge­heim­nis­sen ver­ur­teilt. Das Kom­mis­si­ons­mit­glied Juri Scht­sche­kot­schi­chin, stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur von Nowaja Gaseta, starb am 3. Juli 2003 an den Folgen einer sel­te­nen Haut­ver­än­de­rung, dem Lyell-Syndrom. Seine Familie geht von einer Ver­gif­tung aus.

Die Ermitt­lun­gen von Scot­land Yard im Fall Lit­wi­nenko führten zu dem frü­he­ren KGB Mit­ar­bei­ter Andrei Lugowoi und dessen Geschäfts­part­ner Kowtun. In Lugo­wois Hotel­zim­mer wurde eine hohe Alpha­strah­lung gemes­sen. Die Polo­nium-Spur fand sich auch an anderen Orten, an denen Lugowoi sich in London auf­ge­hal­ten hatte, ebenso auf dem Flug­zeug­sitz, auf dem er zurück nach Russ­land flog. Der Abschluss­be­richt des Rich­ters Sir Robert Owen kam zu dem Ergeb­nis, dass der rus­si­sche Geheim­dienst den Mord in Auftrag gegeben habe. Eine schrift­li­che Weisung des FSB oder des Kremls konnte Richter Owen jedoch nicht vorlegen.

Ein rechts­staat­li­ches Gerichts­ver­fah­ren konnte nie statt­fin­den. Der Ver­däch­tige Lugowoi erhielt mit seiner Wahl als Duma-Abge­ord­ne­ter Immu­ni­tät. Prä­si­den­ten Putin verlieh ihm den Orden „Dienste am Vater­land“. Russ­land lehnte seine Aus­lie­fe­rung an die bri­ti­sche Justiz strikt ab.

Putins Berater Sergei Jas­tr­schemb­ski sah in den Unter­su­chungs­er­geb­nis­sen eine Insze­nie­rung gegen Russ­land: „Ich denke, wir haben es mit einer gut orga­ni­sier­ten Kam­pa­gne oder einem kon­se­quen­ten Plan zur Dis­kre­di­tie­rung Russ­lands und seiner Führung zu tun.“

Der ver­suchte Mord an Sergej Skripal und seiner Tochter wurde mittels eines Ner­ven­gifts aus­ge­führt, das nach Aus­sa­gen von rus­si­schen Che­mi­kern, die an der Syn­these des Stoffs betei­ligt waren, in der Sowjet­union ent­wi­ckelt wurde.

Der bri­ti­sche Che­mie­waf­fen­ex­perte Hamish de Bretton-Gordon legt dar, dass in der Mili­tär­for­schungs­an­lage Schich­any rund 900 km süd­öst­lich von Moskau kleine Mengen Nowit­schok gela­gert worden seien.

Russ­land wies diese Aussage umge­hend zurück. Wie­derum wurde die bri­ti­sche Regie­rung eines anti­rus­si­schen Kom­plotts bezich­tigt. Rus­si­sche Pro­pa­gan­da­me­dien ver­brei­te­ten alle mög­li­chen „alter­na­tive Wahr­hei­ten“ über die Her­kunft des Gifts und die Urheber des Anschlags.

Wer in diesen Fällen wie einst beim Auf­tau­chen der „grünen Männ­chen“ ohne Hoheits­ab­zei­chen auf der Krim, beim Abschuss der MH 17 oder bei der ver­deck­ten Inter­ven­tion von rus­si­schem Militär im Donbas „gerichts­feste Beweise“ fordert, statt auf der Basis der vor­lie­gen­den Indi­zien nach dem Plau­si­bi­li­täts­prin­zip zu handeln, macht sich nicht nur zum Spiel­ball, sondern zum Gespött der Des­in­for­ma­ti­ons­ma­schine des Kreml. Wir haben es hier nicht mit Straf­ver­fah­ren zu tun, sondern mit einer poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung, die mit allen geheim­dienst­li­chen Mitteln geführt wird.

Es ist schwer nach­voll­zieh­bar, dass weite Teile der deut­schen Öffent­lich­keit eher einer Kreml-gesteu­er­ten Ver­wirr­stra­te­gie Glauben schen­ken als den eigenen Kopf zu bemühen. Selbst­ver­ständ­lich ist auch Vor­sicht gegen­über west­li­chen Geheim­diens­ten und Regie­run­gen geboten. Aber im Unter­schied zum Westen, wo jede regie­rungs­amt­li­che Täu­schung eher früher als später auf­fliegt und einen poli­ti­schen Skandal her­vor­ruft, gehört das Lügen und Täu­schen mitt­ler­weile zum regie­rungs­amt­li­chen Arsenal rus­si­scher Politik.

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