Nawalny – der ernst­haf­teste Gegner des Kremls

Alexej Nawalny nach einem Anschlag mit grünem Des­in­fek­ti­ons­mit­tel (Sel­jonka) 2017 in Moskau. Foto: Evgeny Feldman

Die Reak­tio­nen des offi­zi­el­len Russ­land auf die Rück­kehr von Oppo­si­ti­ons­füh­rer Alexej Nawalny zeugen davon, dass der Kreml in ihm eine poten­ti­elle Gefahr sieht. Inter­na­tio­nale Kritik an der Ver­haf­tung lässt er unge­rührt abper­len – weil er darauf setzt, dass den Worten keine ernsten Taten folgen werden.

Wie nach seinem lebens­ret­ten­den Flug nach Deutsch­land ver­sucht der Kreml auch jetzt wieder, Nawalny als ein poli­ti­sches Nichts dar­zu­stel­len. So behaup­tete Putins Pres­se­spre­cher Dmitri Peskow kurz nach Nawal­nys Fest­nahme, er wisse nichts davon. Ob denn Nawalny in Deutsch­land fest­ge­nom­men worden sei? Später bezeich­nete er den Vorgang als inner­rus­si­sche Ange­le­gen­heit. Es ginge um die Nicht-Befol­gung von Regeln durch einen rus­si­schen Bürger. Mit dem rus­si­schen Prä­si­den­ten habe dies nichts zu tun. Behaup­tun­gen, dass irgend­wer vor irgend­wem Angst habe, seien „völ­li­ger Quatsch“. 

Portrait von Maria Sannikova-Franck

Maria San­ni­kova-Franck leitet das Russ­land-Pro­gramm am Zentrum Libe­rale Moderne.

Wie der rus­si­sche Prä­si­dent selbst ver­mei­det es auch sein Spre­cher krampf­haft, den Namen des pro­mi­nen­ten Kri­ti­kers in den Mund zu nehmen. Bezug genom­men wird etwa auf „diesen Herrn“, diese Figur“ und nach seiner Ver­gif­tung auch auf den „Ber­li­ner Patienten“.

Einer öffent­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit Nawalny und seinen Anhän­gern ver­wei­gert sich der Kreml kon­se­quent. Statt­des­sen ist der angeb­lich irrele­vante Nawalny bereits seit Jahren im Visier des rus­si­schen Geheimdiensts.

Auch seine Rück­kehr nach Moskau führte zu einer groß ange­leg­ten Ope­ra­tion der Staats­or­gane. Nawal­nys Flug­zeug wurde kurz vor der geplan­ten Landung auf dem Flug­ha­fen Wnukowo auf einen anderen Flug­ha­fen umge­lei­tet. Viele von Nawal­nys Anhän­gern, die auf seine Ankunft war­te­ten, wurden zeit­weise in Gewahr­sam genom­men, mehrere Jour­na­lis­ten, die die Ankunft des Poli­ti­kers beglei­ten wollten, zeit­weise fest­ge­nom­men oder an der Reise nach Moskau gehin­dert. Die Zufahrt zum Flug­ha­fen Sche­re­met­jewo, an dem Nawalny dann tat­säch­lich landete, wurde teil­weise gesperrt. Unmit­tel­bar nach der Pass­kon­trolle kam es zur Fest­nahme des Oppo­si­tio­nel­len. Bereits am nächs­ten Tag ordnete ein Gericht in einem auf einer Poli­zei­wa­che impro­vi­sier­ten Gerichts­ver­fah­ren 30 Tage Haft wegen Ver­sto­ßes gegen Bewäh­rungs­auf­la­gen an.

Binnen zwei Wochen soll über den Wider­ruf der Bewäh­rung ver­han­delt werden. Kommt es zum Wider­ruf, müsste Nawalny eine mehr­jäh­rige Haft­strafe ver­bü­ßen. Sie war nach einem Prozess ver­hängt worden, den der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rechte als unfair und will­kür­lich gebrand­markt hat.

Nawalny ist in mehr­fa­cher Hin­sicht der ernst­haf­teste Gegner des Kremls. Als Anti­kor­rup­ti­ons­ak­ti­vist legt er immer wieder offen, wie maßlos sich die Macht­ha­ben­den in Russ­land berei­chern. Damit hat er sich beträcht­li­che Popu­la­ri­tät erwor­ben – seine Videos werden mil­lio­nen­fach auf­ge­ru­fen und geteilt. Nur 48 Stunden nach seiner Ver­haf­tung ist das Ergeb­nis jüngs­ter Recher­chen des Nawalny-Teams wie eine Bombe ein­ge­schla­gen: Der zwei­stün­dige Film erhebt massive Kor­rup­ti­ons­vor­würfe gegen Wla­di­mir Putin. Im Zentrum steht ein pom­pö­ses Anwesen am Schwar­zen Meer, das den Recher­chen zufolge für den rus­si­schen Prä­si­den­ten durch Geschäfts­leute aus seinem Freun­des­kreis finan­ziert wurde, Kos­ten­punkt über eine Mil­li­arde Euro.

Auch poli­tisch lässt Nawalny keine Mög­lich­keit aus, den Kreml und seine Partei „Geein­tes Russ­land“ her­aus­zu­for­dern. Mit seiner „Smart Voting“-Kampagne ver­sucht er der Kreml­par­tei mög­lichst viele Stimmen zu ent­zie­hen und alter­na­tive Kandidat/​innen in Wahl­äm­ter zu bringen. Das hat unge­ach­tet aller Ein­schüch­te­run­gen, Hin­der­nisse und Mani­pu­la­tio­nen bei den jüngs­ten regio­na­len Wahlen auch hier und da funktioniert.

Im Sep­tem­ber 2021 stehen in Russ­land die Duma-Wahlen bevor. Dabei sind nach allen Erfah­run­gen Mani­pu­la­tio­nen vor, während und nach der Wahl vor­pro­gram­miert. Nawal­nys Anhän­ger wollen um Mandate kämpfen. Mas­sen­pro­teste gegen offen­sicht­li­che Wahl­fäl­schun­gen sind für den Kreml ein Schre­ckens­sze­na­rio. Ein „Belarus-Sze­na­rio“ wollen sie mit allen Kräften ver­hin­dern. Deshalb auch die ver­schärfte Repres­sion gegen NGOs und kri­ti­sche Journalist/​innen, die mit einer ganzen Serie von Geset­zen Anfang des Jahres in Gang gesetzt wurde. Die Tech­ni­ker der Macht fürch­ten den Kon­troll­ver­lust über die Gesell­schaft. Die hart­nä­cki­gen Pro­teste in Cha­ba­rowsk gegen die Abset­zung des gewähl­ten Gou­ver­neurs lesen sie als Warnsignal.

Verbale Pro­teste aus dem Westen haben die rus­si­sche Führung bisher nicht ver­un­si­chert. Selbst­be­wusst wies der rus­si­sche Außen­mi­nis­ter Lawrow sie zurück. Die Geschichte mit Nawalny habe auf eine „künst­li­che“ und „völlig unan­ge­mes­sene Weise“ eine außen­po­li­ti­sche Dimen­sion ange­nom­men. Der Westen brauche sie, um „von der tiefs­ten Krise abzu­len­ken, in die das libe­rale Modell geraten ist“.

Die deut­li­che Kritik aus euro­päi­schen Haupt­städ­ten an dem Mord­an­schlag auf Nawalny wie an seiner jüngs­ten Ver­haf­tung war richtig und wichtig. Doch solange der Kreml sicher sein kann, dass es bei ver­ba­len Pro­tes­ten bleibt, wird sie keine nach­hal­tige Wirkung erzielen.

Dieser Artikel ist – in gekürz­ter Fassung – zuerst auf Karenina.de erschie­nen, der digi­ta­len Platt­form des Peters­bur­ger Dialogs.

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