Russ­land: Neue Welle von Repressalien

Ana­sta­sia Schewtschenko Foto: „Otkrytka“

In Russ­land wächst der Druck auf alle, die mit Wla­di­mir Putins Politik nicht ein­ver­stan­den sind, immer weiter. In der Stadt Rostow droht einer drei­fa­chen Mutter fünf Jahre Haft für ihre Mit­ar­beit in einer „uner­wünsch­ten Organisation“.

Die Staats­an­walt­schaft in der Stadt im Süden Russ­lands hat 5 Jahre Haft für die Akti­vis­tin Ana­s­ta­sta­sia Schewtschenko gefor­det. Men­schen­recht­ler warnen, dass die Ver­fol­gung Anders­den­ken­der in Russ­land Ausmaße erreicht hat, wie sie seit dem Ende der Sowjet­union nicht mehr vor­ge­kom­men sind. «In der jün­ge­ren Geschichte Russ­lands hat es keine so große Zahl an ver­letz­ten, fest­ge­nom­me­nen und ver­haf­te­ten (Demons­tran­ten) gegeben wie in diesen Tagen“, erklärte jüngst die ange­se­hene Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tion Memorial.

Portrait von Oxana Shevelkova

Oxana She­vel­kova ist freie Jour­na­lis­tin und derzeit Fellow bei Libmod.

Der Grad der Repres­sion gegen die Zivil­ge­sell­schaft hat in den letzten Jahren eine neue Qua­li­tät erreicht. Um staat­li­cher Ver­fol­gung aus­ge­setzt zu werden, muss man kein Extre­mist sein, zum gewalt­sa­men Umsturz auf­ru­fen oder selbst gewalt­tä­tige Hand­lun­gen begehen. Es genügt, mit der Politik des Kremls nicht ein­ver­stan­den zu sein. Die Teil­nahme an einer kri­ti­schen Ver­an­stal­tung, an einem Runden Tisch, einer fried­li­chen Demons­tra­tion, ein Aufruf zur Unter­stüt­zung poli­ti­scher Gefan­ge­ner oder sogar ein Witz in sozia­len Medien – all dies wird vom rus­si­schen Staat als „geselll­schaft­lich gefähr­li­che Hand­lun­gen“ betrach­tet, die mit Frei­heits­ent­zug geahn­det werden können.

Diese weit­ge­hende Kri­mi­na­li­sie­rung zivil­ge­sell­schaft­li­cher Arbeit zielt auf die Zer­stö­rung jeder oppo­si­tio­nel­len Aktivität.

Einer Erhe­bung der Anwalts­kanz­lei Perseus Stra­te­gies gemein­sam mit „Memo­rial“ zufolge ist die Zahl der poli­ti­schen Gefan­ge­nen in Russ­land von 46 im Jahr 2015 auf 236 im Jahr 2019 gestie­gen. Und dabei handelt es sich nur um solche Fälle, die einer stren­gen Defi­ni­tion für poli­ti­sche Gefan­gene ent­spre­chen – die wahre Zahl könnte noch wesent­lich höher sein. Zudem gibt es immer mehr repres­sive Gesetze, so dass prak­tisch jeder, vor allem aber Akti­vis­ten, Oppo­si­tio­nelle und Jour­na­lis­ten mit einem großen Risiko straf­recht­li­cher Ver­fol­gung leben müssen.

Ein Bei­spiel dafür ist der Prozess gegen Ana­sta­sia Schewtschenko in Rostow am Don. Bei ihrem Fall handelt es sich um das erste Mal, dass ein neuer Para­graf des rus­si­schen Straf­ge­setz­bu­ches ange­wen­det wird, der jeg­li­che Zusam­men­ar­beit mit in Russ­land „uner­wünsch­ten Orga­ni­sa­tio­nen“ unter Strafe stellt.

„Ana­sta­sia Schewtschenko koor­di­nierte in Rostow die Arbeit von „Offenes Russ­land“.  Diese Bewe­gung wurde 2016 von dem in London leben­den Geschäfts­mann und Putin-Gegner Michail Cho­dor­kow­ski ins Leben gerufen und ist seitdem in ver­schie­de­nen Regio­nen Russ­lands tätig, dort aller­dings nicht registriert.

Obwohl „Offenes Russ­land“ sich als von rus­si­schen Staats­bür­gern gegrün­dete rus­si­sche Initia­tive begreift, hat das rus­si­sche Jus­tiz­mi­nis­te­rium im April 2017 zwei Orga­ni­sa­tio­nen glei­chen Namens – „Open Russia Civic Move­ment, Open Russia“ (Bür­ger­be­we­gung Offenes Russ­land) sowie „Otkry­taya Rossia“ (Offenes Russ­land) als bri­ti­sche Orga­ni­sa­tio­nen zu seiner Liste „uner­wünsch­ter Orga­ni­sa­tio­nen“ hinzugefügt.

Ana­sta­sia Schewtschenko wurde am 21. Januar 2019  fest­ge­nom­men und unter Haus­ar­rest gestellt. Die drei­fa­che Mutter wurde wegen Tätig­keit in einer „uner­wünsch­ten Orga­ni­sa­tion“ ange­klagt. Gemäß Artikel 284.1 des rus­si­schen Straf­ge­setz­bu­ches droht ihr eine Strafe von bis zu 500.000 Rubel (6700 Euro) , Zwangs­ar­beit oder bis 6 Jahre Haft. Zum Ver­gleich: 6 Jahre ist die Min­dest­strafe, die man in Russ­land für Mord erhält.

Am 31. Januar 2019 starb Schewtschen­kos ältere Tochter im Kran­ken­haus an einer schwe­ren Bron­chi­tis. Sie war von Geburt an stark behin­dert. Ermitt­lungs­be­amte erlaub­ten der Mutter erst im letzten Moment, ihre Tochter zu besu­chen. Dar­auf­hin fanden in vielen rus­si­schen Städten Soli­da­ri­täts­kund­ge­bun­gen für Schewtschenko und andere weib­li­che poli­ti­sche Gefan­gene statt. In St. Peters­burg wurden Teil­neh­me­rin­nen und Orga­ni­sa­to­rin­nen der „Marsch müt­ter­li­chen Zorns“ genann­ten Aktion inhaftiert.

Befürch­tet wird, dass Schewtschen­kos Pozess ein gefähr­li­cher Prä­ze­denz­fall und Auftakt einer neuen Welle poli­ti­scher Ver­fol­gung werden.

Bereits jetzt sind Akti­vis­tin­nen und Akti­vis­ten von Open Russia – die unab­hän­gig von ihrem bri­ti­schen Namens­vet­ter ope­riert – in Russ­land mas­si­ven Ver­fol­gun­gen aus­ge­setzt. Nach Angaben von «OWD-Info» stieg die Zahl der Ord­nung­wid­rig­kei­ten wegen Mit­glied­schaft von 25 im Jahr 2017 auf 53 im Januar 2019. Die Rechts­lage erlaubt es den Behör­den, jeder­zeit gegen sie Straf­ver­fah­ren zu eröffnen.

Rus­si­sche und inter­na­tio­nale Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen ver­su­chen, das zu stoppen. Amnesty Inter­na­tio­nal hat Ana­sta­sia Schewtschenko als „ gewalt­lose poli­ti­sche Gefan­gene“ aner­kannt und ihre Ver­haf­tung als „beun­ru­hi­gen­den Prä­ze­denz­fall“ bezeich­net. Human Rights Watch nannte ihre Ver­haf­tung eine „grobe Ver­let­zung“ des Grund­rechts der Ver­samm­lungs­frei­heit. Ziel von Schewtschen­kos Ver­fol­gung sei es,  Akti­vis­ten ein­zu­schüch­tern, die sich kri­tisch mit Kor­rup­tion und der Ver­let­zung der Men­schen­rechte in Russ­land aus­ein­an­der­set­zen. „Memo­rial“ hat Schewtschenko eben­falls als poli­ti­sche Gefan­gene anerkannt.

Bei der letzten Ver­hand­lung am 8 Februar sagte Schewtschenko in ihrem Schluss­wort vor Gericht: „Ich möchte einfach, dass meine und Ihre Kinder in einer sau­be­ren und schönen Stadt leben, in einem Land, in dem die gesetze und Men­schen­rechte respek­tiert werden und in dem es keine poli­ti­sche Unter­drü­ckung gibt.“

 

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