Recher­che: Der Schat­ten­mann hinter dem Abschuss von MH17

Quelle: Shut­ter­stock

Die fol­gende Geschichte liest sich wie ein Polit­krimi. Sie beruht auf Infor­ma­tio­nen, die in jah­re­lan­gen Recher­chen zusam­men­ge­tra­gen wurden. Armin Hut­ten­lo­cher beschreibt den Auf­stieg einer Zen­tral­fi­gur in Putins System hybri­der Kriege. Er war eine Schlüs­sel­fi­gur bei der rus­si­schen Beset­zung Süd-Osse­ti­ens, die das Test­feld für die Anne­xion der Krim und die ver­deckte Inter­ven­tion in der Ost­ukraine war. Heute vor vier Jahren wurde die malay­si­sche Pas­sa­gier­ma­schine MH17 über dem Donbas abge­schos­sen und auch dabei spielte „Oreon“ alias „Andrey Iva­no­vich Laptev“ eine zen­trale Rolle. Beide Namen sind Deck­na­men für Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov, der 1967 in Chem­nitz (damals Karl-Marx-Stadt) geboren wurde und noch heute beste Bezie­hun­gen zu pro­rus­si­schen Akteu­ren in Deutsch­land pflegt. Man kann an seiner Geschichte einiges darüber lernen, wie das System Putin funktioniert.

Dies ist die Geschichte eines Mannes, der zur Füh­rungs­fi­gur im rus­si­schen Aus­lands­ge­heim­dienst GRU auf­steigt; dann zum Mas­ter­mind für Russ­lands expan­si­ves mili­tä­ri­sches Vor­ge­hen und für Wla­di­mir Putins groß­an­ge­legte Stra­te­gie der Des­in­for­ma­tion wird; und schließ­lich die BUK besorgt, mit der am 17. Juli 2014 der Malay­sian Air­lines Flug MH17 über der Ost-Ukraine abge­schos­sen wird.

Sein Auf­stieg ver­deut­licht die Metho­dik, mit der das Putin-Regime talen­tierte junge Men­schen aus­bil­det, gezielt fördert und in jeder Phase sicher­stellt, dass diese Talente an einem Platz sitzen, an dem sie Best­mög­li­ches für das Regime leisten, dem sie sich ver­schrie­ben haben. Und sollte sich eines dieser Talente auf mehr als nur einem Fach­ge­biet her­vor­tun – dann gibt man ihm eine zweite und gerne auch eine dritte Iden­ti­tät. So ermög­licht man mehr als nur eine Kar­riere – und zwar parallel.

Diese Geschichte ist, kurz vor dem anste­hen­den Besuch der Bun­des­kanz­le­rin in Geor­gien (23./24. August 2018), zudem ein Beleg, mit welcher Sys­te­ma­tik das System Putin seine Stra­te­gien auf kleinem Test­ge­biet ent­wi­ckelt und auf dem Schlacht­feld per­fek­tio­niert. Das Test­ge­biet in diesem Fall hieß: „Süd-Osse­tien“. Das Schlacht­feld heißt „Ost-Ukraine“. Und der Mann, um den es geht, scheint so etwas wie ein stra­te­gi­scher Kopf hinter allem zu sein. Mit besten, äußerst leben­di­gen Ver­bin­dun­gen zu dem Land, in dem er geboren und auf­ge­wach­sen ist: Deutschland.

Der Mann, der Oreon war

Kriegs­füh­rung erfor­dert, neben anderem, Füh­rungs­stärke und Orga­ni­sa­ti­ons­ta­lent. Vier Jahre, nachdem die Maschine des Malay­sian Air­lines Fluges MH 17 am Nach­mit­tag des 17. Juli 2014, auf dem Weg von Ams­ter­dam nach Kuala Lumpur, über der Ost-Ukraine von einer rus­si­schen BUK-Rakete getrof­fen wurde, hat ein inter­na­tio­na­les Team von Exper­ten unter der Leitung von Bel­ling­cat, einer unab­hän­gi­gen Platt­form für Online Recher­chen, mit höchs­ter anzu­neh­men­der Wahr­schein­lich­keit die Person iden­ti­fi­ziert, der die Schlüs­sel­rolle in diesem bei­spiel­lo­sen Kriegs­ver­bre­chen zukommt: Den Rake­ten­wer­fer orga­ni­siert zu haben, mit dem die ihm unter­stellte Söld­ner­truppe das Pas­sa­gier­flug­zeug abschoss, von dem sie ange­nom­men haben mögen, dass es zur ukrai­ni­schen Luft­waffe gehöre. Ein unter­stell­ter, nicht bewie­se­ner Irrtum, resul­tie­rend aus – wie­derum unter­stell­tem, unbe­wie­se­nem – Mangel an Erfah­rung im Umgang mit einer BUK. Die Söldner sahen den Punkt am Himmel, zielten ohne zu prüfen, viel­leicht, ohne zu wissen, wie sie prüfen könnten, drück­ten den Knopf – und ermor­de­ten 298 Zivi­lis­ten, dar­un­ter 80 Kinder.

Oleg Vlad­mi­ro­vic Ivan­ni­kov alias Andrey Vla­di­mi­ro­vich Laptev alias Oreon: In Geheim­dienst­krei­sen werden Profile wie dieses als „Spinne“ bezeich­net. Die Meta­pher spricht für sich – und beschreibt konzise die Art, wie dieses Alias-Trio in einer Person einer­seits seine gezielt destruk­ti­ven Fäden spinnt und ver­knüpft, quer durch Ost-Europa und mit min­des­tens einer Ver­bin­dung und Ver­an­ke­rung nach West-Europa. 

Aus­ge­hend von einer tech­ni­schen Analyse abge­fan­ge­ner und auf­ge­zeich­ne­ter Tele­fon­an­rufe, kom­bi­niert mit sehr weit­ge­hen­den, inves­ti­ga­ti­ven Recher­chen im Inter­net und an zahl­rei­chen, realen Orten, kommen die Bel­ling­cat-Exper­ten zu dem Schluss, dass es sich bei der Stimme des Mannes, der in den Tagen vor dem Abschuss von MH 17 unter dem Code-Namen Oreon mehr­fach mit rang­ho­hen Offi­zie­ren des rus­si­schen Aus­lands­ge­heim­diens­tes GRU tele­fo­niert hat, um die Bereit­stel­lung und Über­gabe von tech­ni­schem Gerät und Ver­sor­gungs­gut für seine Söld­ner­truppe zu bespre­chen, um die Stimme von Andrey Iva­no­vich Laptev handelt. Was, wie das Bel­ling­cat-Team eben­falls her­aus­ge­fun­den hat, sei­ner­seits ein Deck­name ist: für einen rus­si­schen Staats­bür­ger, der sich im Geburts­re­gis­ter von Karl-Marx-Stadt (heute: Chem­nitz) des Jahr­gangs 1967 unter dem Namen Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov ein­ge­tra­gen findet.

„Wir haben jetzt eine BUK!“

In den Tele­fo­na­ten mit seinen Kol­le­gen vom GRU, wenige Tage vor dem Abschuss von MH 17, dis­ku­tierte Oreon alias Andrey Iva­no­vich Laptev alias Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov nicht nur Trans­port­rou­ten für tech­ni­sches Gerät und beklagte sich dabei darüber, dass die Männer, die „letz­tens das Zeug her­über­brach­ten“ nur völlig ver­al­tete Karten von 1982 zur Ver­fü­gung hatten. In einem der Tele­fo­nate ver­mel­det er außer­dem tri­um­phie­rend: „Wir haben jetzt eine BUK! Wir werden ihre Kisten in die Hölle schie­ßen damit!“

Kein Zweifel: Was das Bel­ling­cat-Team in mona­te­lan­ger Arbeit her­aus­ge­fun­den und zusam­men­ge­tra­gen hat, ist ein wich­ti­ger Beitrag zum Ver­ständ­nis und zur Beweis­füh­rung einer der ruch­lo­ses­ten und feigs­ten Taten auf der in den letzten Jahren rapide gewach­se­nen Liste von Aggres­sio­nen des Kreml gegen den Westen. Gleich­wohl, die Iden­ti­fi­ka­tion einer ein­zel­nen, wei­te­ren Person, die als Rädchen in Putins Uhrwerk von Macht­de­mons­tra­tion und Macht­er­wei­te­rung fun­giert, wäre nicht unbe­dingt Anlass, dieser Person einen eigenen Artikel zu widmen. Solange es sich nicht um diesen Namen handelt und um diesen Mann. Den Mann, der gleich­sam Feder­werk, Getriebe und Zeiger zugleich war – und womög­lich noch ist.

Aus Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov wird Andrey Iva­no­vich Laptev

Ver­folgt man die Wege und Akti­vi­tä­ten des Mannes mit dem Code-Namen Oreon seit Anfang der 2000er Jahre, mag einem das volks­tüm­li­che Lied von der Figur in den Sinn kommen, die, egal wo der Herr des Hauses hingeht, schon ange­kom­men ist und ihr gräss­lich zer­stö­re­ri­sches Unwesen treibt: „Will ich in mein Gärt­lein geh’n…“. Es ist, als zeich­nete die alte deut­sche Ballade ein vor­weg­ge­nom­me­nes Por­trait dieses in Deutsch­land gebo­re­nen, rus­si­schen Mili­tär­agen­ten. Nicht nur, dass Oreon alias Andrey Iva­no­vich Laptev alias Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov stets an dem Ort in Ost-Europa war, an dem sich ein neuer, von Russ­land min­des­tens mit­pro­vo­zier­ter Kon­flikt unter den Augen der Welt­öf­fent­lich­keit bis zum Krieg aufheizte.

Oreon alias Andrey Iva­no­vich Laptev alias Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov nahm, wie die Recher­chen von Bel­ling­cat belegen, per­sön­lich, direkt und in stark eska­lie­ren­der Weise Ein­fluss auf die poli­ti­sche Situa­tion und die Ent­wick­lung der Gescheh­nisse. Ein Mann, der vor nichts Halt macht. Ein Cha­rak­ter, wie er Putin gefällt.

Kind­heit in der DDR. Mili­tär­zeit in Russ­land. Und 13 Jahre nirgendwo

Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov wächst als Sohn eines hoch deko­rier­ten sowje­ti­schen Gene­rals in, das darf man unter­stel­len, ent­spre­chend pri­vi­le­gier­ten, regime­treuen Kreisen der DDR auf. Nach dem Abschluss der Ober­schule geht er nach Kiev, besucht die sowje­ti­sche Mili­tär­aka­de­mie und geht dann nach Moskau an die Fakul­tät der sowje­ti­schen Luft­waffe. Zwi­schen 1990 und 2003 ver­liert sich seine Spur. Drei­zehn Jahre. Das ist, im Leben eines jungen Mannes, eine lange Zeit. Man darf ver­mu­ten, dass er nicht gefau­lenzt hat. 2003 erhält Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov seine Ernen­nung zum Offi­zier. Seit diesem Zeit­punkt konnte das Team von Bel­ling­cat seine Spuren nahezu nahtlos recherchieren.

Was sich ergibt, ist das Bild eines Agenten, aus dem ein hoch­pro­fes­sio­nell zu Werke gehen­der „Agent pro­vo­ca­teur“ werden sollte, sich dann zum Aka­de­mi­ker und Intel­lek­tu­el­len wandelt, bevor er schließ­lich zum Hard-Core-Kom­man­deur einer Söldner-Truppe wird. Doch der Reihe nach.

Von 2004 bis 2008 taucht der Deck­name Andrey Iva­no­vich Laptev, den Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov sich in seiner Zeit an der Mili­tär­aka­de­mie, mithin der Zeit seiner Aus­bil­dung zum Agenten der GRU, zuge­legt hat, in Süd-Osse­tien auf, jener von Geor­gien abtrün­ni­gen Region, die sich, wie auch die zweite von Geor­gien abtrün­nige Region, Abcha­sien, der Unter­stüt­zung Russ­lands ver­si­chert hat.

Andrey Iva­no­vich Laptev – Schöp­fer des „ewigen und unlös­ba­ren Konflikts“

Andrey Iva­no­vich Laptev agiert zunächst als „Leiter der Abtei­lung für Sicher­heit“. 2006 wird er zum „Minis­ter für Ver­tei­di­gung und Emer­gen­cies“ der selbst­er­nann­ten „Repu­blik Süd-Osse­tien“ ernannt. Spä­tes­tens jetzt per­so­ni­fi­ziert er ein Zentrum, in dem die Fäden rus­si­scher Inter­es­sens­po­li­tik um diesen lächer­lich kleinen, aber stra­te­gisch hoch­be­deu­ten­den Flecken Erde im süd­li­chen Kau­ka­sus zusam­men­lau­fen. Und er wird zur Füh­rungs­per­son über jene rus­si­sche Schat­ten­ar­meee, die in Süd-Osse­tien Teil der soge­nann­ten „inter­na­tio­na­len Frie­dens­truppe“ ist, sich tat­säch­lich aber durch immer mas­si­ver wer­dende Pro­vo­ka­tio­nen her­vor­tut und auf so heim­li­che wie unheim­li­che Weise anwächst, ohne dass die west­li­chen ‚Partner‘ dieser Frie­dens­mis­sion jemals auf­hor­chen oder gar ein­grei­fen würden. Laptev /​ Ivan­ni­kov wird aus ihr das Pilot-Modell einer nicht-staat­li­chen Kampf­truppe machen und ihre einen Kampf-Namen geben, der zehn Jahre später trau­rigste Berühmt­heit erlangt: „Wagner“.

Penibel orches­trierte Eska­la­tion bis zum Krieg

Hoch­ran­gige geor­gi­sche wie west­li­che Ver­tre­ter aus Politik und Militär, die damals vor Ort Ver­ant­wor­tung trugen, erin­nern noch heute ein­hel­lig Vor­fälle, die, ober­fläch­lich betrach­tet, wie zufäl­lig ent­stan­den aus­se­hen mochten. In ihrer Häufung, Par­al­le­li­tät und lokalen Erschei­nung indes ergeben sie das Bild einer sorg­fäl­tig durch­dach­ten, penibel orches­trier­ten Eska­la­tion. Am 8. August 2008 führte das zu dem Ergeb­nis, auf das der Kreml gehofft und Andrey Iva­no­vich Laptev alias Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov lange hin­ge­ar­bei­tet hatte: Der geor­gi­schen Führung ver­sag­ten die Nerven. Ihr „Feuer!“-Befehl lie­ferte die gewünschte „Recht­fer­ti­gung“ für die rus­si­sche „Ver­tei­di­gung des ver­bün­de­ten Süd-Osse­tien“. Dass die angeb­lich erst in dieser Nacht durch den Raki-Tunnel, die einzige Kau­ka­sus-Ver­bin­dung zwi­schen Russ­land und Süd-Osse­tien gebrach­ten Panzer-Bri­ga­den (wie Satel­li­ten-Auf­nah­men später belegen sollten) schon seit Wochen marsch­be­reit in Süd-Osse­tien standen, inter­es­sierte lange Zeit keinen. Putin-Laptevs Stra­te­gie hatte Erfolg: Süd-Osse­tien konnte, unter dem Vorwand eines Ver­tei­di­gungs­krie­ges besetzt werden. Ein gran­dio­ser Erfolg – nicht zuletzt für den „Minis­ter für Ver­tei­di­gung und Emer­gency“. Nach ähn­li­chem Muster vollzog sich auch die Beset­zung von Abchasien.

Süd-Osse­tien: Putins Test­feld. Ivan­ni­kovs Labor. Grün­dungs­ort der „Söldner-Truppe Wagner

Aus heu­ti­ger Sicht muss der Kon­flikt um Süd-Osse­tien – wie der Kon­flikt um Abcha­sien – als ein Test­feld für Wla­di­mir Putins damals noch in der Ent­wick­lung befind­li­che Stra­te­gie zur Wie­der­ein­ver­lei­bung ehe­ma­li­ger Sowjet-Staaten ver­stan­den werden. Auf den wenigen Qua­drat­ki­lo­me­tern dieser Region im Schat­ten des Großen Kau­ka­sus wurde erst­mals geprobt, was mit der Beset­zung der Krim und dem Ein­marsch in der Ost-Ukraine seine nächste Stufe erklomm: Die massive Unter­mi­nie­rung eines fried­voll funk­tio­nie­ren­den Zusam­men­le­bens unter­schied­li­cher Kul­tu­ren im 21. Jahr­hun­dert. In Süd-Osse­tien wurden nicht­exis­tie­rende eth­ni­sche Kon­flikte kon­stru­iert und gezielt eska­liert. Gezielt gesäter, gesell­schaft­li­cher Zwist wurde zu einem mili­tä­ri­schen Kon­flikt eska­liert. Letzt­end­lich wurde dadurch eine Situa­tion geschaf­fen, die auf lange Zeit ver­hin­dern wird, dass Geor­gien Mit­glied der NATO wird. Die Sta­tu­ten der NATO schlie­ßen jedes Land von einer Mit­glied­schaft aus, das sich in einem mili­tä­ri­schen Kon­flikt mit einem Nach­bar­land befindet.

Im Klar­text: Was Oleg Vla­di­mi­ro­vich Ivan­ni­kov erkannt und, par excel­lence, umge­setzt hatte, war die These, dass es keines „großen“, ver­nich­ten­den Krieges bedarf, um ein Land auf unab­seh­bare Zeit in seinen Ambi­tio­nen zu lähmen. Es reichen kurze mili­tä­ri­sche Inter­ven­tio­nen (der „August-Krieg“ dauerte knapp sechs Tage), gefolgt von klug orches­trier­ten „Nadel­sti­chen“, die den Kon­flikt am Köcheln halten, ohne ihn erneut zum Aus­bruch zu bringen.

Die Kon­flikt­zone Süd-Osse­tien erwies sich zudem als ideales Test­ge­biet für die Ent­wick­lung eines „mili­tä­ri­schen Werk­zeugs“, das sich ein Jahr­zehnt und zwei Kriege später als bahn­bre­chend erwei­sen sollte für die Stra­te­gie, mit der Wla­di­mir Putin umsetzt, was er unter einer Außen­po­li­tik ver­steht, die Russ­land wieder in den Status einer domi­nie­ren­den Groß­macht bringt.

Die Schat­ten­ar­mee, die Andrey Laptev alias Oleg Ivan­ni­kov in süd-Osse­tien aufbaut, wird die Speer­spitze beim Ein­marsch der abzei­chen­lo­sen, „grünen Männ­chen“ auf der Krim sein, danach in der Ost-Ukraine an der Seite der Sepa­ra­tis­ten kämpfen und schließ­lich bei in Syrien die Truppen von Bashar al-Assad unter­stüt­zen: Die soge­nannte Truppe „Wagner“, eine Pri­vat­ar­mee rus­si­scher Söldner, hat in Süd-Osse­tien ihren Ursprung gehabt.  Sie hat die inter­na­tio­nale Frie­dens­mis­sion unter­wan­dert, den Kon­flikt mit Geor­gien über Jahre hinweg gezielt eska­liert und war bei Aus­bruch des Krieges, in der Nacht vom 8. auf den 9. August 2008 her­vor­ra­gend aus­ge­bil­det, mit den ört­li­chen Bege­ben­hei­ten ver­traut – und einsatzbereit.

Gespal­tene Per­sön­lich­keit: Ivan­ni­kov wird Aka­de­mi­ker. Laptev bleibt Agent

Am Ende des soge­nann­ten “August-Krieges 2008“ zwi­schen Russ­land und Geor­gien hatte sich Andrey Laptev alias Oleg Ivan­ni­kov als exzel­len­ter Mili­tär­stra­tege emp­foh­len. Seine Ambi­tio­nen indes zielten auf Höheres. Und bekamen die Chance. Ende 2008 verließ der Mann, der vier Jahre lang in füh­ren­den Posi­tio­nen den Ein­fluss Russ­lands in Süd-Osse­tien sicher­ge­stellt hatte und schließ­lich erheb­lich dazu beitrug, dass die Region am Fuße des Kau­ka­sus voll­ends in die Hände Moskaus fiel, Tskhin­vali Rich­tung Moskau. Genauer gesagt, Oleg Ivan­ni­kov verließ Süd-Osse­tien; sein Alter Ego Andrey Laptev blieb. Doch dazu später.

Während er den Kon­flikt in und um Süd-Osse­tien mit allen Mitteln des mili­tä­ri­schen Instru­men­ta­ri­ums anheizte, muss Laptev/​Ivannikov ver­stan­den haben, dass es, um einen Krieg zu begin­nen und zu gewin­nen nicht nur poli­ti­schen Willen und mili­tä­ri­sche Kraft braucht; sondern auch – und immer mehr – die Geschlos­sen­heit der öffent­li­chen Meinung. Stra­te­gisch ein­ge­setzte „Infor­ma­tion“ würde immer wich­ti­ger werden. Schon Publi­ka­tio­nen, die Ivan­ni­kov in den Jahren 2006–2008 ver­öf­fent­licht hatte (sämt­lich gezeich­net unter seinem bür­ger­li­chen Namen), dis­ku­tie­ren diesen Aspekt am Bei­spiel der diver­sen Kon­flikte in der Region des süd­li­chen Kau­ka­sus. „Die kom­plexe Bedeu­tung des Infor­ma­ti­ons­kriegs im Kau­ka­sus“ lautet, über­setzt, der Titel der Arbeit, die Ivan­ni­kov Ende 2008 als Dok­tor­ar­beit ein­reicht. Sie kul­mi­niert in der expli­zi­ten, an Russ­land gerich­te­ten Emp­feh­lung, eine Art Mas­ter­plan mit stra­te­gisch koor­di­nier­ten Maß­nah­men zu ent­wi­ckeln und umzu­set­zen, um der „west­li­chen Infor­ma­tion und kul­tu­rel­len Infil­tra­tion im Kau­ka­sus ent­ge­gen zu wirken. Das bedeu­tet, dass einer eng abge­stimm­ten Zusam­men­ar­beit von spe­zi­ell aus­ge­bil­de­ten Teams braucht, zusam­men­ge­stellt aus Ver­tre­tern aller wich­ti­gen Geheim­dienste  (SVB, GRU, FSB, usw.), Aka­de­mi­kern von hohem, eigen­stän­di­gem intel­lek­tu­el­len Poten­zial, Inge­nieure, Sozio­lo­gen, Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, Kul­tur­wis­schen­schaft­ler, Psy­cho­lo­gen sowie patrio­tisch gesinn­ten Arbei­tern auf der Seite der Medien und in Kultureinrichtungen.“

In Russ­land: Direk­tor eines Think Tanks.
In Süd-Osse­tien: Strip­pen­zie­her hinter der Bühne

Die Tat­sa­che, dass Oleg Ivan­ni­kov in Moskau eine bür­ger­li­che Kar­riere als Aka­de­mi­ker begann und 2012 zum Direk­tor des Rus­sisch-Kau­ka­si­schen For­schungs­zen­trums ernannt wurde, einer eigen­stän­di­gen Orga­ni­sa­tion unter dem Dach des Inter­na­tio­na­len Insti­tu­tes für die neu eta­blier­ten Staaten, bedeu­tete indes nicht, dass er seine Arbeit in Süd-Osse­tien hätte auf­ge­ben müssen. Ganz im Gegen­teil. Der Name Andrey Laptev bleibt in Süd­os­se­tien noch lange präsent und soll, so berich­ten „gut infor­mierte Kreise“ auch heute noch regel­mä­ßig auf­tau­chen. Fotos von der Person, die sich mit dem Namen ver­bin­det, hat es ohnehin nie gegeben. Nicht einmal aus der Zeit, als Laptev seinen Auftrag im Rang eines „Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ters“ erfüllte. Schon das eine Meisterleistung.

Auch Laptev zeigt nun aka­de­mi­sche Ambi­tio­nen, eröff­net ein For­schungs­zen­trum in Süd-Osse­tien und beginnt mit Verve ein Netz­werk zur Unter­stüt­zung der „Unab­hän­gig­keit Süd-Osse­ti­ens auf­zu­bauen, dessen Fäden nicht zuletzt nach Deutsch­land zurück­füh­ren, wo just in dieser Zeit Orga­ni­sa­tio­nen gegrün­det werden wie die „Deutsch-Süd­os­se­ti­sche Freund­schafts­ge­sell­schaft“ und das Euro­päi­sche Zentrum für Geo­po­li­ti­sche Analyse. Orga­ni­sa­tio­nen mit schwer erkenn­ba­ren Akti­vi­tä­ten aber klaren poli­ti­schen Bot­schaf­ten. Auf der – seit 2013 prak­tisch unver­än­der­ten – Website der deutsch-süd­os­se­ti­schen Freund­schafts­ge­sell­schaft heißt es:

… am 08.08.2008 um 24.00 Uhr über­fiel die von den USA und Israel für diesen Tag aus­ge­bil­dete und aus­ge­rüs­tete Armee Geor­gi­ens das kleine Süd­os­se­tien. Inner­halb von 5 Tagen wurden tau­sende Süd­os­se­tin­nen und Süd­os­se­ten ermor­det, ver­letzt und traumatisiert.

Den völ­ker­rechts­wid­ri­gen Angriff auf fried­li­che und unbe­waff­nete Men­schen gilt es hier noch einmal zu ver­ur­tei­len. Die west­li­chen Staaten hatten nach anfäng­li­cher Zurück­hal­tung nach drei Tagen eine neue Version parat, in der man den Spieß umdrehte und flugs die Rus­si­sche Föde­ra­tion und die Süd­os­se­ten zum Aggres­sor machte und wegen eines „Angriffs“ auf Geor­gien ver­ur­teilte. Wie viel Blöd­heit trauen die west­li­chen Poli­ti­ker den Bürgern eigent­lich zu?“

Warum der Fokus auf Deutschland?

Wenn­gleich es bezüg­lich der „aka­de­mi­schen“ und „infor­ma­ti­ons­ori­en­tier­ten“ Akti­vi­tä­ten von Andrey Laptev /​ Oleg Ivan­ni­kov mit Fokus Deutsch­land noch einiges zu klären gilt, sollte nicht davon aus­ge­gan­gen werden, dass dahin­ter etwaige per­sön­li­che Gründe oder gar bio­gra­phi­sche Sen­ti­men­ta­li­tä­ten wegen Ivan­ni­kovs Her­kunft und Jugend in Sachsen stünden. Was Laptev /​ Ivan­ni­kov angeht, hat einen ratio­na­len Grund.

Deutsch­land hat seit dem frühen 19. Jahr­hun­dert ein spe­zi­el­les und enges Ver­hält­nis zu Geor­gien. Tau­sende süd­deut­scher Land­ar­bei­ter und Hand­wer­ker folgten damals der Ein­la­dung von Zarin Katha­rina der Großen, machten sich auf nach Geor­gien und grün­de­ten dort eine neue Exis­tenz. Mit der Tech­ni­sie­rung kamen Firmen wie Siemens, Krupp, Man­nes­mann nach Geor­gien, waren wesent­lich am Bau der Eisen­bahn in Geor­gien betei­ligt, an der Elek­tri­fi­zie­rung unseres Landes, an seiner Anbin­dung an das inter­na­tio­nale Tele­gra­fen­netz und, nicht zuletzt an der Ent­wick­lung des Bergbaus.

1918 erkannte der deut­sche Kaiser wenn auch aus durch­aus eigen­nüt­zi­gen Gründen als erster Staat die unab­hän­gige Repu­blik Geor­gien an. Und 1991/​1992 waren es erneut die Deut­schen, die Geor­gi­ens Unab­hän­gig­keit als Erste aner­kannt haben und eine Bot­schaft in der Haupt­stadt Tbilisi eröffneten.

Deutsch­land wurde, voll­ends während Jahre des Bür­ger­kriegs in Geor­gien um die abtrün­ni­gen Regio­nen Abcha­sien und Süd-Osse­tien, zudem zu dem Land mit den meisten außer­halb ihres Hei­mat­lan­des leben­den Geor­gi­ern. Und, nicht zuletzt, war es der dama­li­gen Außen­mi­nis­ter der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, der in den Monaten vor dem Aus­bruch des Krieges am 8. August 2008, mehr­fach nach Geor­gien gereist war, im Bemühen, die Kon­flikt­par­teien zum Ein­len­ken zu bewegen.

Deutsch­land dürfte, neben den USA, der wich­tigste Ver­bün­dete Geor­gi­ens sein. Russ­land ist sich dessen bewusst. Wer Süd-Osse­tien an sich binden will, um Geor­gien zu desta­bi­li­sie­ren, der muss zual­ler­erst auch jene Part­ner­schaf­ten desta­bi­li­sie­ren, die ein unab­hän­gi­ges Geor­gien stützen. Die Ein­rich­tung von Think Tanks, Freund­schafts­ver­ei­nen, angeb­li­chen For­schungs­or­ga­ni­sa­tio­nen ist dafür ein guter Ausgangspunkt.

Gelöschte Ver­öf­fent­li­chun­gen. Ver­wischte Spuren

Kaum hatte das Team von Bel­ling­cat die Ergeb­nisse und Schluss­fol­ge­run­gen seiner Recher­chen ver­öf­fent­licht, began­nen umfang­rei­che Lösch­ar­bei­ten auf der Website des Rus­sisch-Kau­ka­si­schen For­schungs­zen­trums am Inter­na­tio­na­len Insti­tut für neu eta­blierte Staaten.  

Die kom­plette Biblio­gra­phie seiner zahl­rei­chen Schrif­ten – weg. Der Hinweis auf seine Dok­tor­ar­beit – weg. Und auch auf der Website Inter­na­tio­na­len Insti­tuts für neu eta­blierte Staaten wird Haus­putz gemacht. Unter anderem fällt der Hinweis auf eine Ver­bun­den­heit mit besag­tem Inter­na­tio­na­len Insti­tut für neu eta­blierte Staaten zum Opfer.

Ivan­ni­kovLaptevOreon: Dass klas­si­sche Profil einer “Spinne”

Oleg Vlad­mi­ro­vic Ivan­ni­kov alias Andrey Vla­di­mi­ro­vich Laptev alias Oreon: In Geheim­dienst­krei­sen werden Profile wie dieses als „Spinne“ bezeich­net. Die Meta­pher spricht für sich – und beschreibt konzise die Art, wie dieses Alias-Trio in einer Person einer­seits seine gezielt destruk­ti­ven Fäden spinnt und ver­knüpft, quer durch Ost-Europa und mit min­des­tens einer Ver­bin­dung und Ver­an­ke­rung nach West-Europa.

Und auch Code-Namen, ins­be­son­dere für Kriegs­sze­na­rien, werden in aller Regel mit bedeu­tungs­vol­lem Bezug gewählt. Wer sich den Mythos um „Orion“ vor Augen führt, kann sich eine Vor­stel­lung vom Selbst­bild eines Oleg Vlad­mi­ro­vic Ivan­ni­kov machen.

Leben und Wirken von Oleg Vlad­mi­ro­vic Ivan­ni­kov alias Andrey Vla­di­mi­ro­vich Laptev alias Oreon sind ein Bei­spiel dafür, wie das System Putin funk­tio­niert. Man muss es durch­schauen, um ihm erfolg­reich entgegenzutreten.

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