Von Litwinenko zu Skripal: Über den politischen Umgang mit geheimdienstlichen Operationen
Zum Fall Skripal lohnt ein Rückblick auf die Ermordung des russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko, um den Einsatz geheimdienstlicher Methoden und die Desinformationspolitik des Kreml zu verstehen.
Im November 2006 wurde der ehemalige russische KGB-Offizier Alexander Litwinenko mit dem radioaktiven Polonium Isotop 210 vergiftet. Litwinenko hatte dem FSB und dessen Chef Wladimir Putin haarsträubende Verbrechen zugeschrieben. Dazu gehörte der Vorwurf, dass 1999 drei Wohnblocks in Moskau nicht wie vorgegeben von tschetschenischen Terroristen, sondern vom russischen Geheimdienst gesprengt worden seien. Dieser inszenierte Terrorakt sei ein Vorwand gewesen, um den zweiten Tschetschenienkrieg zu eröffnen.
Bewiesen wurde diese These nie. Aber namhafte Mitglieder einer öffentlichen Untersuchungskommission um den Duma-Abgeordneten und ehemaligen Sowjet-Dissidenten Sergei Kowaljow teilten diesen Verdacht. Das bekam ihnen nicht gut:
Der Kommissionsvorsitzende Sergej Juschenko wurde am 17. April 2003 erschossen. Michail Trepaschkin, ein Ermittler der Kommission, wurde 2004 wegen des Verrats von Staatsgeheimnissen verurteilt. Das Kommissionsmitglied Juri Schtschekotschichin, stellvertretender Chefredakteur von Nowaja Gaseta, starb am 3. Juli 2003 an den Folgen einer seltenen Hautveränderung, dem Lyell-Syndrom. Seine Familie geht von einer Vergiftung aus.
Die Ermittlungen von Scotland Yard im Fall Litwinenko führten zu dem früheren KGB Mitarbeiter Andrei Lugowoi und dessen Geschäftspartner Kowtun. In Lugowois Hotelzimmer wurde eine hohe Alphastrahlung gemessen. Die Polonium-Spur fand sich auch an anderen Orten, an denen Lugowoi sich in London aufgehalten hatte, ebenso auf dem Flugzeugsitz, auf dem er zurück nach Russland flog. Der Abschlussbericht des Richters Sir Robert Owen kam zu dem Ergebnis, dass der russische Geheimdienst den Mord in Auftrag gegeben habe. Eine schriftliche Weisung des FSB oder des Kremls konnte Richter Owen jedoch nicht vorlegen.
Ein rechtsstaatliches Gerichtsverfahren konnte nie stattfinden. Der Verdächtige Lugowoi erhielt mit seiner Wahl als Duma-Abgeordneter Immunität. Präsidenten Putin verlieh ihm den Orden „Dienste am Vaterland“. Russland lehnte seine Auslieferung an die britische Justiz strikt ab.
Putins Berater Sergei Jastrschembski sah in den Untersuchungsergebnissen eine Inszenierung gegen Russland: „Ich denke, wir haben es mit einer gut organisierten Kampagne oder einem konsequenten Plan zur Diskreditierung Russlands und seiner Führung zu tun.“
Der versuchte Mord an Sergej Skripal und seiner Tochter wurde mittels eines Nervengifts ausgeführt, das nach Aussagen von russischen Chemikern, die an der Synthese des Stoffs beteiligt waren, in der Sowjetunion entwickelt wurde.
Der britische Chemiewaffenexperte Hamish de Bretton-Gordon legt dar, dass in der Militärforschungsanlage Schichany rund 900 km südöstlich von Moskau kleine Mengen Nowitschok gelagert worden seien.
Russland wies diese Aussage umgehend zurück. Wiederum wurde die britische Regierung eines antirussischen Komplotts bezichtigt. Russische Propagandamedien verbreiteten alle möglichen „alternative Wahrheiten“ über die Herkunft des Gifts und die Urheber des Anschlags.
Wer in diesen Fällen wie einst beim Auftauchen der „grünen Männchen“ ohne Hoheitsabzeichen auf der Krim, beim Abschuss der MH 17 oder bei der verdeckten Intervention von russischem Militär im Donbas „gerichtsfeste Beweise“ fordert, statt auf der Basis der vorliegenden Indizien nach dem Plausibilitätsprinzip zu handeln, macht sich nicht nur zum Spielball, sondern zum Gespött der Desinformationsmaschine des Kreml. Wir haben es hier nicht mit Strafverfahren zu tun, sondern mit einer politischen Auseinandersetzung, die mit allen geheimdienstlichen Mitteln geführt wird.
Es ist schwer nachvollziehbar, dass weite Teile der deutschen Öffentlichkeit eher einer Kreml-gesteuerten Verwirrstrategie Glauben schenken als den eigenen Kopf zu bemühen. Selbstverständlich ist auch Vorsicht gegenüber westlichen Geheimdiensten und Regierungen geboten. Aber im Unterschied zum Westen, wo jede regierungsamtliche Täuschung eher früher als später auffliegt und einen politischen Skandal hervorruft, gehört das Lügen und Täuschen mittlerweile zum regierungsamtlichen Arsenal russischer Politik.
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