Debatte: Sollen sich EU und Russland gegen China verbünden?
Der Westen benötige die Regionalmacht Russland, um die aufsteigende Grossmacht China einzudämmen, argumentiert mancher im politischen Berlin. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron verfolgt diese Strategie. Liana Fix erörtert die Möglichkeit eines Bündnisses zwischen EU und Russsland und kommt zu einem eindeutigen Ergebnis: Macrons Plan sei nicht nur normativ fragwürdig, er sei auch geopolitisch naiv.
„Russland eine strategische Option eröffnen“ — so erklärte der französische Präsident Emmanuel Macron jüngst bei der Münchner Sicherheitskonferenz die Rationale seiner neuen Russland-Initiative. Seine Gleichung geht so: Europa mit Russland wiegt mehr in der Weltpolitik als Europa alleine. In einer Ära der sich immer stärker ausprägenden US-chinesischen Rivalität kann Europa es sich nicht leisten, mit dem großen Nachbarn auf seinem Kontinent in Konflikt zu stehen. Nur in einer gemeinsamen Front mit Russland kann Europa sich behaupten. Sollte Russland sich mit China überwerfen, müsse Europa bereitstehen — und bis dahin verhindern, dass Russland zu weit in Chinas Orbit abdriftet.
In Zeiten von Handelskriegen und Huawei-Debatten ist dieses Argument für strategische Denker verlockend. Wenn die möglicherweise größte Herausforderung — auf ideologischer, politischer, wirtschaftlich-technologischer und sicherheitspolitischer Ebene — wirklich China sein wird, warum sich dann noch mit Russland-Kritik aufhalten, statt in Russland einen Partner und möglicherweise Verbündeten gegen China zu sehen? Aus Macrons Sicht sollte diese Option auch für Russland attraktiv sein: Eine gleichberechtigte Beziehung zu Europa müsse doch eher Moskaus Interessen entsprechen, als eine Juniorpartnerschaft mit China, das nicht nur in Zentralasien seinen Einfluss ausweitet.
Warum ein Anti-China-Bündnis mit Russland Europa spalten würde
Inspiriert ist dieses Denken von Medienberichten, Henry Kissinger habe Donald Trump zu Beginn seiner Amtszeit die Annäherung an Russland geraten, um China einzudämmen. Kissinger selbst bestreitet das. Aber die Eingängigkeit des Arguments ist in Erinnerung geblieben: Ist es vielleicht auch Zeit für einen europäischen Kissingerismus?
Aus drei Gründen ist diese Rationale nicht nur naiv, sondern auch politisch riskant und könnte im schlimmsten Fall zur Spaltung der Europäer sowie zu einer Haltung gegenüber Russland führen, die als “carte blanche” in Moskau wahrgenommen wird — ob für seine Politik in Osteuropa oder im Nahen und Mittleren Osten.
Erstens überschätzt Macron das Gewicht Europas und seinen Einfluss auf die Beziehung zwischen Moskau und Peking. Es ist vermessen anzunehmen, dass Europa einen Keil in die immer strategischer werdenden russisch-chinesischen Beziehungen treiben könnte. Selbst wenn Europa von heute auf morgen die Wirtschaftssanktionen aufheben und die politische Zusammenarbeit mit Russland wieder aufnehmen würde, wäre Moskau sicherlich überaus erfreut — einen Einfluss auf die Beziehungen zu China hätte das kaum. China ist mittlerweile der wichtigste außenpolitische Partner Russlands. Deswegen sollte — zweitens — die Relevanz Chinas für Russland nicht unterschätzt werden.
Das Bündnis Russland-China lässt sich nicht lösen
Spätestens seit 2014 haben sich die Beziehungen zwischen China und Russland in mehreren Dimensionen so weit entwickelt, dass die Diskussion “Allianz oder nicht?” zu einer Lieblingsfrage der Analysten geworden ist. Sowohl mit Blick auf Handel, Investment, Energie und technologischer Kooperation als auch militärisch rücken die beiden Länder enger zusammen: Von der Teilnahme an Militärübungen bis hin zur Kooperation beim Aufbau eines chinesischen Raketen-Frühwarnsystems. Auf geopolitischer Ebene geben China und Russland sich gegenseitig Windschatten und Rückendeckung, zum Beispiel im Sicherheitsrat, und vermeiden so internationale Isolierung. Aus der Perspektive Moskaus hilft China dabei, das globale Übergewicht der USA auszubalancieren.
Die Beziehungen sind allerdings nicht ohne Schwierigkeiten, und vor allem geprägt von einer deutlichen Asymmetrie: Russland braucht China mehr als China Russland braucht. Das haben am deutlichsten die Verhandlungen über die Preisgestaltung der “Power of Siberia”-Gasleitung im November 2014 gezeigt, bei denen China ein lukratives Geschäft gemacht hat. Auch in der Arktis, im Südkaukasus und in Zentralasien gehen die Interessen auseinander, trotz der deklarierten Zusammenarbeit zwischen “Neuer Seidenstraße” und Eurasischer Wirtschaftsunion. China hat außerdem die Krim-Annexion nicht anerkannt. Nach außen ist also viel geopolitisches Marketing dabei. Trotzdem: Die Pfadabhängigkeit der immer enger werdenden Beziehungen wird sich nur schwer wieder umkehren lassen.
Europa kann sich keinen Werterelativismus erlauben
Ja, Russland ist der Juniorpartner in dem Verhältnis — aber es scheint diese Rolle als überwiegend vorteilhaft angenommen zu haben. Darüber hinaus hat China im Vergleich zu Europa einen weiteren großen Vorteil: China stellt das innenpolitische System Russlands nicht in Frage. Die Akzeptanz des Herrschaftsmodells ist ein verbindender Faktor. Und trotz der Sorge über chinesische Investitionen, insbesondere im Fernen Osten, bewerten laut einer Umfrage des Pew Research Center 71% der Russen China positiv. Auch wenn Macron davon ausgeht, dass Russland zwangsläufig vor die Wahl gestellt werden wird, ob es für immer Juniorpartner Chinas bleiben will: Solange China Russlands Autorität in der unmittelbaren Nachbarschaft nicht in Frage stellt, ist es unwahrscheinlich, dass es mittelfristig zu einem Bruch zwischen den ungleichen Partnern kommt.
Das sollte Europa natürlich nicht davon abhalten, Gesprächskanäle mit Russland offen zu halten, sollte Russland wieder die enge Anbindung an Europa suchen. Es sollte jedoch hochfliegende Erwartungen mäßigen, durch eine übereilte Annäherung an Russland die strategische Machtbalance in Eurasien beeinflussen zu können – und es scheint fragwürdig, auf der reinen Hoffnung europäische Politik aufzubauen.
Nicht zuletzt, und auf grundsätzlicher Ebene, sind geopolitisch wechselnde Bündnisse für oder gegen bestimmte Akteure eigentlich seit langem kein Charakteristikum europäischer Politik mehr, die sich an ihren eigenen Werten und Maßstäben messen lassen möchte. Russland als das “kleinere Übel” im Vergleich zu China zu denken führt zu einem Werterelativismus, den sich Europa nicht erlauben sollte. Deutschland und Europa müssen eine differenzierte und jeweils mit Augenmaß kalibrierte Politik gegenüber Russland und China verfolgen, statt über strategische Bündnisse zu sinnieren. Europäische Politik ist kein Kissingerismus — und wir leben nicht in Zeiten von Rapallo.
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