Debatte: Sollen sich EU und Russ­land gegen China verbünden?

kremlin.ru /​ Wiki­me­dia Commons [CC BY 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.en)]

Der Westen benö­tige die Regio­nal­macht Russ­land, um die auf­stei­gende Gross­macht China ein­zu­däm­men, argu­men­tiert mancher im poli­ti­schen Berlin. Auch der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Emma­nuel Macron ver­folgt diese Stra­te­gie. Liana Fix erör­tert die Mög­lich­keit eines Bünd­nis­ses zwi­schen EU und Russ­s­land und kommt zu einem ein­deu­ti­gen Ergeb­nis: Macrons Plan sei nicht nur nor­ma­tiv frag­wür­dig, er sei auch geo­po­li­tisch naiv.

„Russ­land eine stra­te­gi­sche Option eröff­nen“ — so erklärte der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Emma­nuel Macron jüngst bei der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz die Ratio­nale seiner neuen Russ­land-Initia­tive. Seine Glei­chung geht so: Europa mit Russ­land wiegt mehr in der Welt­po­li­tik als Europa alleine. In einer Ära der sich immer stärker aus­prä­gen­den US-chi­ne­si­schen Riva­li­tät kann Europa es sich nicht leisten, mit dem großen Nach­barn auf seinem Kon­ti­nent in Kon­flikt zu stehen. Nur in einer gemein­sa­men Front mit Russ­land kann Europa sich behaup­ten. Sollte Russ­land sich mit China über­wer­fen, müsse Europa bereit­ste­hen — und bis dahin ver­hin­dern, dass Russ­land zu weit in Chinas Orbit abdriftet. 

Portrait von Liana Fix

Liana Fix ist Pro­gramm­lei­te­rin im Bereich Inter­na­tio­nale Politik der Körber-Stif­tung mit Fokus auf Russland/​Osteuropa

In Zeiten von Han­dels­krie­gen und Huawei-Debat­ten ist dieses Argu­ment für stra­te­gi­sche Denker ver­lo­ckend. Wenn die mög­li­cher­weise größte Her­aus­for­de­rung — auf ideo­lo­gi­scher, poli­ti­scher, wirt­schaft­lich-tech­no­lo­gi­scher und sicher­heits­po­li­ti­scher Ebene — wirk­lich China sein wird, warum sich dann noch mit Russ­land-Kritik auf­hal­ten, statt in Russ­land einen Partner und mög­li­cher­weise Ver­bün­de­ten gegen China zu sehen? Aus Macrons Sicht sollte diese Option auch für Russ­land attrak­tiv sein: Eine gleich­be­rech­tigte Bezie­hung zu Europa müsse doch eher Moskaus Inter­es­sen ent­spre­chen, als eine Juni­or­part­ner­schaft mit China, das nicht nur in Zen­tral­asien seinen Ein­fluss ausweitet.

Warum ein Anti-China-Bündnis mit Russ­land Europa spalten würde

Inspi­riert ist dieses Denken von Medi­en­be­rich­ten, Henry Kis­sin­ger habe Donald Trump zu Beginn seiner Amts­zeit die Annä­he­rung an Russ­land geraten, um China ein­zu­däm­men. Kis­sin­ger selbst bestrei­tet das. Aber die Ein­gän­gig­keit des Argu­ments ist in Erin­ne­rung geblie­ben: Ist es viel­leicht auch Zeit für einen euro­päi­schen Kissingerismus?

Aus drei Gründen ist diese Ratio­nale nicht nur naiv, sondern auch poli­tisch riskant und könnte im schlimms­ten Fall zur Spal­tung der Euro­päer sowie zu einer Haltung gegen­über Russ­land führen, die als “carte blanche” in Moskau wahr­ge­nom­men wird — ob für seine Politik in Ost­eu­ropa oder im Nahen und Mitt­le­ren Osten.

Erstens über­schätzt Macron das Gewicht Europas und seinen Ein­fluss auf die Bezie­hung zwi­schen Moskau und Peking. Es ist ver­mes­sen anzu­neh­men, dass Europa einen Keil in die immer stra­te­gi­scher wer­den­den rus­sisch-chi­ne­si­schen Bezie­hun­gen treiben könnte. Selbst wenn Europa von heute auf morgen die Wirt­schafts­sank­tio­nen auf­he­ben und die poli­ti­sche Zusam­men­ar­beit mit Russ­land wieder auf­neh­men würde, wäre Moskau sicher­lich überaus erfreut — einen Ein­fluss auf die Bezie­hun­gen zu China hätte das kaum. China ist mitt­ler­weile der wich­tigste außen­po­li­ti­sche Partner Russ­lands. Des­we­gen sollte — zwei­tens — die Rele­vanz Chinas für Russ­land nicht unter­schätzt werden.

Das Bündnis Russ­land-China lässt sich nicht lösen

Spä­tes­tens seit 2014 haben sich die Bezie­hun­gen zwi­schen China und Russ­land in meh­re­ren Dimen­sio­nen so weit ent­wi­ckelt, dass die Dis­kus­sion “Allianz oder nicht?” zu einer Lieb­lings­frage der Ana­lys­ten gewor­den ist. Sowohl mit Blick auf Handel, Invest­ment, Energie und tech­no­lo­gi­scher Koope­ra­tion als auch mili­tä­risch rücken die beiden Länder enger zusam­men: Von der Teil­nahme an Mili­tär­übun­gen bis hin zur Koope­ra­tion beim Aufbau eines chi­ne­si­schen Raketen-Früh­warn­sys­tems. Auf geo­po­li­ti­scher Ebene geben China und Russ­land sich gegen­sei­tig Wind­schat­ten und Rücken­de­ckung, zum Bei­spiel im Sicher­heits­rat, und ver­mei­den so inter­na­tio­nale Iso­lie­rung. Aus der Per­spek­tive Moskaus hilft China dabei, das globale Über­ge­wicht der USA auszubalancieren.

Die Bezie­hun­gen sind aller­dings nicht ohne Schwie­rig­kei­ten, und vor allem geprägt von einer deut­li­chen Asym­me­trie: Russ­land braucht China mehr als China Russ­land braucht. Das haben am deut­lichs­ten die Ver­hand­lun­gen über die Preis­ge­stal­tung der “Power of Siberia”-Gasleitung im Novem­ber 2014 gezeigt, bei denen China ein lukra­ti­ves Geschäft gemacht hat. Auch in der Arktis, im Süd­kau­ka­sus und in Zen­tral­asien gehen die Inter­es­sen aus­ein­an­der, trotz der dekla­rier­ten Zusam­men­ar­beit zwi­schen “Neuer Sei­den­straße” und Eura­si­scher Wirt­schafts­union. China hat außer­dem die Krim-Anne­xion nicht aner­kannt. Nach außen ist also viel geo­po­li­ti­sches Mar­ke­ting dabei. Trotz­dem: Die Pfad­ab­hän­gig­keit der immer enger wer­den­den Bezie­hun­gen wird sich nur schwer wieder umkeh­ren lassen.

Europa kann sich keinen Wer­te­re­la­ti­vis­mus erlauben

Ja, Russ­land ist der Juni­or­part­ner in dem Ver­hält­nis — aber es scheint diese Rolle als über­wie­gend vor­teil­haft ange­nom­men zu haben. Darüber hinaus hat China im Ver­gleich zu Europa einen wei­te­ren großen Vorteil: China stellt das innen­po­li­ti­sche System Russ­lands nicht in Frage. Die Akzep­tanz des Herr­schafts­mo­dells ist ein ver­bin­den­der Faktor. Und trotz der Sorge über chi­ne­si­sche Inves­ti­tio­nen, ins­be­son­dere im Fernen Osten, bewer­ten laut einer Umfrage des Pew Rese­arch Center 71% der Russen China positiv. Auch wenn Macron davon ausgeht, dass Russ­land zwangs­läu­fig vor die Wahl gestellt werden wird, ob es für immer Juni­or­part­ner Chinas bleiben will: Solange China Russ­lands Auto­ri­tät in der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft nicht in Frage stellt, ist es unwahr­schein­lich, dass es mit­tel­fris­tig zu einem Bruch zwi­schen den unglei­chen Part­nern kommt.

Das sollte Europa natür­lich nicht davon abhal­ten, Gesprächs­ka­näle mit Russ­land offen zu halten, sollte Russ­land wieder die enge Anbin­dung an Europa suchen. Es sollte jedoch hoch­flie­gende Erwar­tun­gen mäßigen, durch eine über­eilte Annä­he­rung an Russ­land die stra­te­gi­sche Macht­ba­lance in Eura­sien beein­flus­sen zu können – und es scheint frag­wür­dig, auf der reinen Hoff­nung euro­päi­sche Politik aufzubauen.

Nicht zuletzt, und auf grund­sätz­li­cher Ebene, sind geo­po­li­tisch wech­selnde Bünd­nisse für oder gegen bestimmte Akteure eigent­lich seit langem kein Cha­rak­te­ris­ti­kum euro­päi­scher Politik mehr, die sich an ihren eigenen Werten und Maß­stä­ben messen lassen möchte. Russ­land als das “klei­nere Übel” im Ver­gleich zu China zu denken führt zu einem Wer­te­re­la­ti­vis­mus, den sich Europa nicht erlau­ben sollte. Deutsch­land und Europa müssen eine dif­fe­ren­zierte und jeweils mit Augen­maß kali­brierte Politik gegen­über Russ­land und China ver­fol­gen, statt über stra­te­gi­sche Bünd­nisse zu sin­nie­ren. Euro­päi­sche Politik ist kein Kis­sin­ge­ris­mus — und wir leben nicht in Zeiten von Rapallo.

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