Corona in Russ­land: Über­wa­chen und Strafen

Im Kampf gegen Corona / Covid-19 baut Putin in Russland den digitalen Überwachungsapparat aus. Auch die Anwendung des Strafrechts wir ausgeweitet.
Sergey Bez­go­dov /​ Shut­ter­stock

Aus dem Dossier Corona welt­weit: In der Krise werden auto­ri­täre Staaten noch auto­ri­tä­rer. Die Ein­däm­mung von Covid-19 bietet Russ­land auch eine Chance, seine Über­wa­chungs­in­stru­mente aus­zu­tes­ten. Der Staat ver­schärft die Kontrolle.

März 2020, die Rede Nummer 1: Russ­lands Prä­si­dent Wla­di­mir Putin – in weißem Hemd, schwar­zem Blazer, mit dun­kel­blauer Kra­watte – sitzt seit­lich ange­lehnt und gera­dezu ent­spannt in seinem Arbeits­zim­mer in der Resi­denz Nowo-Ogar­jowo am Rande Moskaus und sagt: „Das Virus kann jeden treffen. Bleiben Sie zu Hause.“ Russ­land hat zu diesem Zeit­punkt offi­zi­ell 658 Infi­zierte. Putin, der reich­lich ent­rückt wirkt, ver­ord­net eine „arbeits­freie Woche“ und spricht aus, wogegen sich der Kreml lange gewehrt hatte: Die Abstim­mung zur Ände­rung der Ver­fas­sung am 22. April wird ver­scho­ben. Mit dem Coup, seine Amts­zei­ten auf Null zu setzen, will sich Putin die Mög­lich­keit ver­schaf­fen, noch bis zum Jahr 2036 im Amt zu bleiben. Es ist das wich­tigste poli­ti­sche Projekt im Land. Ver­scho­ben. Genauso wie die Mili­tär­pa­rade am 9. Mai, Russ­lands ganzer Stolz zur Stär­kung der Nation. 

Portrait von Inna Hartwich

Inna Hart­wich ist freie Jour­na­lis­tin und lebt in Moskau.

Acht Tage später die Rede Nummer 2: Russ­lands Prä­si­dent Wla­di­mir Putin – in weißem Hemd, blauem Blazer, mit dun­kel­blauer Kra­watte – sitzt auf­recht in seinem Arbeits­zim­mer in der Resi­denz Nowo-Ogar­jowo am Rande Moskaus und sagt: „Im Ganzen schaf­fen wir es, die Risi­ko­grup­pen zu schüt­zen. Aber: Die Gefahr bleibt.“ Russ­land hat zu diesem Zeit­punkt offi­zi­ell 3548 Infi­zierte und 30 Tote. Putin ver­län­gert die „arbeits­freien Wochen“ bis Ende April, wie­der­holt noch einmal seine Zusagen für die finan­zi­el­len Hilfen für Fami­lien, Unter­neh­mer, Arbeits­lose. Das Kri­sen­ma­nage­ment über­lässt er den Regio­nen. So als wäre er nicht der Prä­si­dent, der sich in den ver­gan­ge­nen 20 Jahren zum Zentrum eines Systems gemacht hatte, das auf einer Macht­ver­ti­kale beruht.

Auch die Ver­brei­tung ver­meint­lich fal­scher Nach­rich­ten soll stärker geahn­det werden. Nun soll auf das Ver­brei­ten von „Fake News“ und vor allem dem, was die Behör­den dafür halten, das Straf­recht ange­wandt werden. Bislang hatte es als Ord­nungs­wid­rig­keit gegolten. 

Sechs Tage später die Rede Nummer 3: Russ­lands Prä­si­dent Wla­di­mir Putin – in weißem Hemd, schwar­zem Blazer, mit dun­kel­blauer Kra­watte – sitzt in seinem Arbeits­zim­mer in der Resi­denz Nowo-Ogar­jowo am Rande Moskaus und sagt: „Wir werden auch diese Seuche besie­gen.“ Zu diesem Zeit­punkt hat Russ­land offi­zi­ell 8672 Infi­zierte und 63 Tote. Putin erteilt Anwei­sun­gen an die Regio­nal­ver­ant­wort­li­chen, klingt zupa­ckend. Immer wieder ver­weist er darauf, dass unter­schied­li­che Maß­nah­men bis min­des­tens Juni gelten werden. Es ist die Rede, bei der klar wird, dass die Coro­na­pan­de­mie nun Chef­sa­che ist. Das Zag­hafte, die Plan­lo­sig­keit, die den Prä­si­den­ten seit dem Aus­bruch der Infek­tion und der Krise im Land beglei­tet hatten, sind seinem übli­chen for­schen Aufruf nach Zusam­men­halt gewichen.

Corona: Maß­nah­men kommen spät und sind drastisch

Dieser Zusam­men­halt ist auf einem System des Zwangs auf­ge­baut. Bereits vor der Coro­na­krise hatte Russ­land die Frei­heits­rechte jedes Ein­zel­nen nicht beson­ders geschätzt. Eigen­ver­ant­wor­tung traut der Staat seinem Volk nicht zu. Die Krise ver­schärft das Vor­ge­hen noch. Der auto­ri­täre Staat wird noch auto­ri­tä­rer. Erst hatte Russ­land die Bedro­hung klein geredet. Die Grenzen zu China seien schnell geschlos­sen, der Kon­troll­me­cha­nis­mus der Ein­rei­sen­den aus Europa sei aus­ge­baut worden, wie­der­holte die Führung immer wieder. „Die Gefahr für Russ­land ist minimal“, sagte Russ­lands Regie­rungs­chef Michail Mischus­tin noch Anfang März. Ärzte und Bür­ger­recht­ler hatten da längst die nied­ri­gen Zahlen der Infi­zier­ten ange­zwei­felt. Nur wenige Men­schen wurden auf das Coro­na­vi­rus getes­tet, die Kon­trol­len an den Grenzen hatten stets Lücken. Bereits im Januar hatte die rus­si­sche Sta­tis­tik­be­hörde einen hohen Anstieg von Lun­gen­ent­zün­dun­gen im Ver­gleich zum Vor­mo­nat gemel­det. Die Gesund­heits­be­hörde demen­tierte sofort. Die Fragen häuften sich, die Unsi­cher­heit der Men­schen wuchs, zumal das Ver­trauen in die staat­li­che Gesund­heits­ver­sor­gung, vor allem auf dem Land, seit jeher kein großes ist.

Als so manche Ver­ant­wort­li­chen die Gefahr einer immer schnel­le­ren Aus­brei­tung des Virus nicht mehr abstrei­ten konnten, griffen sie zu umso dras­ti­sche­ren Mitteln. Der Mos­kauer Bür­ger­meis­ter Sergej Sob­ja­nin, der sich in den ver­gan­ge­nen Wochen das Image des durch­grei­fen­den Kri­sen­ma­na­gers erar­bei­tet hatte, schickte nahezu alle Mos­kauer in Haus­ar­rest. Spa­zier­gänge im Freien sind unter­sagt. Nur das Gas­si­ge­hen mit dem Hund ist erlaubt, aber auch das nur 100 Meter vom eigenen Haus ent­fernt. Sich in der Stadt zu bewegen, funk­tio­niert nur noch mit Pas­sier­schei­nen. Ein „smartes System“ – Kameras entlang der Straßen, Ticket­prüf­ge­räte in Bussen und Bahnen – über­wacht die Bewe­gun­gen. Andere Regio­nen zogen schnell mit ähn­li­chem Vor­ge­hen nach.

Für viele Russen kam der Still­stand abrupt. Hatten Fern­seh­sen­der nicht gerade noch von einer „Sache der anderen“ gespro­chen? Das Virus als ame­ri­ka­ni­sche Erfin­dung dar­ge­stellt? Wenn eben noch nichts war, warum sollte plötz­lich jetzt alles sehr schlimm sein? Die Beamten klärten von Anfang an wenig über die Sicher­heits­maß­nah­men auf. Statt­des­sen peitschte das rus­si­sche Par­la­ment, die Duma, in einem Schnell­ver­fah­ren ein Geset­zes­pa­ket durch, wie die­je­ni­gen, die das Selbst­iso­la­ti­ons­re­gime ver­let­zen, zu bestra­fen seien. Bis zu sieben Jahren Haft sind ange­droht. Auch die Ver­brei­tung ver­meint­lich fal­scher Nach­rich­ten soll stärker geahn­det werden. Mit Sper­run­gen der Inhalte im Netz, Löschun­gen sowie Geld­bu­ßen hatten die Medi­en­auf­sichts­be­hörde Ros­kom­n­ad­sor und der Gene­ral­staats­an­walt bereits früher oft reagiert. Nun soll auf das Ver­brei­ten von „Fake News“ und vor allem dem, was die Behör­den dafür halten, das Straf­recht ange­wandt werden. Bislang hatte es als Ord­nungs­wid­rig­keit gegol­ten. Russ­lands unab­hän­gige Orga­ni­sa­tion Ros­komswo­boda, die sich für die Frei­heit im Netz ein­setzt, hat eine inter­ak­tive Karte ver­öf­fent­licht, mit der sie Ein­schrän­kun­gen der Bür­ger­rechte doku­men­tiert. Russ­land erscheint in Rot darauf. „Es steht zu befürch­ten, dass viele ein­schrän­kende Maß­nah­men – überall auf der Welt – auch nach der Pan­de­mie bleiben werden“, sagt Artjom Kosljuk, einer der Gründer von Roskomswoboda.

Über­wa­chung der Quarantäne

Russ­land hat bereits jetzt ein gut aus­ge­bau­tes Video­über­wa­chungs­sys­tem, samt Gesichts­er­ken­nung. Gerade in der rus­si­schen Haupt­stadt gehören Kameras zum Alltag. Selbst in Haus­ein­gän­gen hängen oft welche. Smarte Systeme sollen nach dem Willen des Natio­na­len Corona-Koor­di­na­ti­ons­ra­tes – der Mos­kauer Bür­ger­meis­ter Sergej Sob­ja­nin spielt neben dem Minis­ter­prä­si­den­ten Michail Mischus­tin die zweit­wich­tigste Rolle darin – russ­land­weit ein­ge­setzt werden, um die Men­schen zur Ein­hal­tung des Iso­la­ti­ons­re­gimes zu zwingen. Bereits jetzt müssen Infi­zierte eine App her­un­ter­la­den, Mobil­funk­da­ten werden über­wacht. Auf den Straßen können die Kameras jeder­zeit die Kenn­zei­chen der vor­bei­fah­ren­den Autos melden. Die Coro­na­krise ist für Russ­land auch eine Chance, seine Über­wa­chungs­me­cha­nis­men aus­zu­tes­ten. Die Sicher­heits­be­hör­den nutzen das Virus als Vorwand, ihre Kon­trol­len zu ver­schär­fen. Eine öffent­li­che Debatte über die Maß­nah­men findet nicht statt, weil das poli­ti­sche System keine Debat­ten duldet, die das Vor­ge­hen des Staates kri­ti­siert. Nicht erst seit das Coro­na­vi­rus aus­ge­bro­chen ist.

Auch die wirt­schaft­li­chen Ein­brü­che, die durch den Lock­down im Land noch mehr nach außen treten, dürfte der Staat in seinem Sinne nutzen. Die Ein­kom­men der Men­schen waren bereits seit Län­ge­rem ein­ge­bro­chen, die Wirt­schaft sta­gniert seit Jahren, an Refor­men traute sich die Regie­rung kaum heran. Ver­spro­chen wird seit jeher eine helle Zukunft. Unpo­pu­lä­res aber packt der Kreml selten an, weil es die Popu­la­ri­täts­werte des Prä­si­den­ten stört. Die wirt­schaft­li­che Not, die weiter zuneh­men wird, dürfte Putin in Zukunft mit dem Virus erklä­ren. Schließ­lich hätten andere Länder ähn­li­che Schwierigkeiten.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Pro­jekts „Deutsch-Rus­­­­si­­­­schen Gesprä­che zur digi­ta­len Zivil­ge­sell­schaft“ erschienen.

 

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