Kommunisten in Russland: Droht dem Kreml Gefahr?
Der mit zweifelhaften Online-Ergebnissen nur mäßig übertünchte Erfolg der kommunistischen Partei bei den Dumawahlen kam für viele überraschend. Die bisher nicht durch Eigenständigkeit aufgefallenen russischen Kommunisten wurden plötzlich zu Verbündeten von Alexei Nawalny. Ob sie sich aber künftig als linke Kraft emanzipieren können, ist mehr als fraglich – auch wenn das wünschenswert wäre, schreibt Oxana Schmies.
Verlauf und Ergebnis der Parlamentswahlen in Russland seien absehbar, dachte man innerhalb und außerhalb des Landes lange im Voraus. Auch westliche Medien berichteten ausgiebig vor den vom 17. bis 19. September abgehaltenen Wahlen vom erwarteten Sieg der Putin-Partei „Einiges Russland“. Die zahlenmäßige Überlegenheit der Machtpartei hatte der Kreml scheinbar durch die „Bereinigung der politischen Landschaft“ gut vorbereitet. Jegliche nur annähernd als Bedrohung für die Regierungspartei wahrgenommenen Kandidaten wurden nicht zugelassen, Dissidenten auf verschiedenste Weise unterdrückt oder inhaftiert. Immer mehr Organisationen, Medien und Einzelpersonen waren im Vorfeld zu „ausländischen Agenten“ oder als „unerwünschte“ oder gar „extremistische“ Organisationen deklariert – das Arsenal der Repressionsinstrumente hatte der Kreml zusammen mit den Sicherheitsorganen zuletzt massiv ausgebaut.
Die üblichen Wahlmanipulationen, wie der Einwurf zusätzlicher Wahlzettel durch Wahlhelfer, um das „richtige“ Ergebnis sicherzustellen, waren allseits erwartet worden. Vor dem inneren Auge sah man eine durch die Repressalien in Apathie erstarrte russische Gesellschaft, welche fast wie in der von Stagnation geprägten späten Sowjetzeit eine triumphale Verkündung der Ergebnisse nach den dreitägigen Wahlen durch die Wahlkommissionsvorsitzende Ella Pamfilowa gehorsam zur Kenntnis nimmt.
Dubiose Online-Wahlergebnisse machten KP-Erfolge zunichte
Zwei Dinge, die aber niemand vorhersehen konnte, waren die skandalös späte Veröffentlichung der Ergebnisse der Internet-Stimmabgabe in Moskau sowie der Wahlerfolg der Kommunisten. Genauer gesagt, hängen beide Phänomene voneinander ab. Die Online-Stimmabgabe, die in Moskau und sechs weiteren Regionen möglich war, hat vor allem in der Hauptstadt große Empörung ausgelöst. Denn die Zentrale Wahlkommission ließ sich mehrere Stunden Zeit, um die Ergebnisse zu publik zu machen – obwohl diese Stimmen computergestützt, also per se blitzschnell ausgezählt wurden.
Als die Online-Ergebnisse endlich am frühen Morgen des 20. September veröffentlicht wurden, kippten sie die Ergebnisse der bereits ausgezählten Papierwahl, die in manchen Moskauer Wahlbezirken zugunsten der kommunistischen Kandidaten ausgefallen waren. Die Vermutung, dass bei der Online-Auszählung geschummelt worden war, lag nahe. Und der Betrug richtete sich in erster Linie gegen die Kommunisten, die zu einer echten Bedrohung für die Putin-Partei wurden, nicht zuletzt durch die von dem inhaftierten Alexei Nawalny initiierte und von seinen Mitstreitern trotz zahlreicher Schikanen weiter verfolgten „Smart Voting“-Strategie.
Dass die Kommunisten in vielen Regionen „Einiges Russland“ überholen und den ersten Platz erringen können, ist ein Szenario, das bereits vor den Wahlen von Umfragen etwa des Lewada-Zentrums vorhergesagt wurde und sicher auch dem Kreml gut bekannt war.
Auf den Parteilisten erhielten die Kommunisten etwa so viele Stimmen wie „Einiges Russland“, in einigen Fällen sogar mehr. Als die KP aber nach Verkündung der Moskauer Online-Ergebnisse am 20. September in vielen Bezirken, wo sie mit großem Abstand geführt hatte, auf Platz zwei verdrängt wurde, nahm die Partei das nicht einfach hin, sondern rief Ihre Wähler zu „Treffen mit den Kandidaten“ auf – bewusst kein Aufruf zu nichtsanktionierten Kundgebungen. Den Appellen folgten in Moskau mehrere Dutzend Menschen, die zusammen mit Nawalny-Anhängern etwa auf dem Puschkinplatz gegen Fälschungen und für faire Wahlen demonstrierten.
Die KP-Juristen haben mehrere Klagen angekündigt und gefordert, die Ergebnisse der Online-Abstimmung in Moskau für nichtig zu erklären. Der Kreml aber reagierte mit Härte und ließ manche KP-Anhänger auf dem Weg zum Gericht festnehmen. Andere Sympathisanten wurden eingesperrt, weil sie in sozialen Medien Informationen über die KP-Kundgebungen posteten.
Alt aber nicht mehr zahm
Spätestens da wurde klar, dass die Kommunisten nicht länger zu der zahmen „systemischen“ weil loyalen Opposition gehören, sondern sich möglicherweise zu einer echten Opposition wandeln.
Dabei ist die Kommunistische Partei Russlands (KPRF) als langjähriger Teil des Putin-Systems wahrlich kein Newcomer in Russland. Vom Staat war sie nicht gefürchtet und von der Bevölkerung wenig ernstgenommen. Gennady Sjuganow, der mittlerweile 77-jährige Patriarch gilt sicherlich nicht als ein realer Oppositionsführer.
Aber seit 2018 verzeichnet die Partei das Aufkeimen einer “echten“ Opposition, als der parteilose, erfolgreiche Sowchosen-Chef Pawel Grudinin als Präsidentschaftskandidat aufgestellt wurde. Der charismatische Landwirtschafts-Unternehmer Grudinin verkörpert soziale Fürsorge und spricht damit breite und vor allem jüngere Bevölkerungsschichten an. Spätestens seitdem war er dem Kreml ein Dorn im Auge und wurde zu den Dumawahlen 2021 gar nicht erst zugelassen. Dagegen spielte Valerij Raschkin, ein erfahrener Duma-Abgeordneter und erster Sekretär der KPRF in Moskau, im Wahlkampf eine sichtbare Rolle und drückte offen seine Sympathien für Nawalny aus.
Bei den Wahlen im September bewies die Partei Pragmatismus, indem sie aussichtsreiche parteilose Kandidaten aufstellte. Hier und da sah man junge, seit mehreren Jahren politisch aktive Menschen wie Michail Lobanow oder Anastasija Udalzowa, welche die sozialen Bedürfnisse der Menschen im Namen der KPRF erfolgreich ansprachen. Die Erhöhung des Rentenalters, Inflation, immer stärker schrumpfende Reallöhne und ‑renten, die wirtschaftliche Not breiter Schichten, die Corona-Pandemie, die das Land sehr hart getroffen hat, die Unzufriedenheit mit der Putin-Partei und ihrem faktischen Unvermögen, alle sozialen Fragen zu lösen, waren sicherlich Nährboden für die Stärkung der Kommunisten. Dazu profitierte die KPRF von der altbekannten paternalistischen Sehnsucht, die sie seit je bedient.
Für die Intelligenzija bleiben die Kommunisten unwählbar
Dabei schleppen die russischen Kommunisten immer noch ein schweres historisches Erbe mit sich. Sie speisen aus alten ideologischen Fässern, sind dezidiert antiwestlich, unterstützen eifrig Putins Krim-Annexion und befeuern antiukrainische sowie nationalistische Stimmungen in der Gesellschaft. Für die Intelligenzija bleiben sie deshalb unwählbar – zu gut weiß man, dass der kommunistische Weg ins Totalitäre führt. Denn auch vom Stalinismus und seinen Gewaltpraktiken hat sich die Partei nie distanziert. Auch nicht die gegenwärtige Machtelite. Darin liegt das Problem.
Eine Chance für die Kommunisten und diejenigen, die sich mit ihnen assoziieren, könnte deshalb nur mit der Einsicht einhergehen, dass zu den sozialen Bedürfnissen auch die Wahrung von Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit gehören. Aber ist eine Reinkarnation der linken Ideen, befreit von ideologischer stalinistischer Last, auch vom Feinddiskurs, innerhalb der Kommunistischen Partei möglich?
In der vergangenen Duma-Legislaturperiode hat die KPRF das Gesetz über „Ausländische Agenten“ mit verabschiedet. Die Festnahmen und Verhaftungen, denen die Kommunisten und ihre Unterstützer momentan ausgesetzt sind, könnte die Partei aber dazu veranlassen, einen schwierigen Weg der Befreiung von ihrer totalitären Last einzuleiten. Dies könnte am Ende bedeuten, dass die kommunistische Hülle abgestreift wird und sich aus der alten Partei eine neue linke sozialdemokratische Bewegung herausschält. So unwahrscheinlich das heute klingt, so stark ist der Bedarf danach in der russischen Gesellschaft vorhanden.
Oxana Schmies hat Internationale Beziehungen (Politik) in Russland studiert und am Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt in Neuester Geschichte promoviert. Als PostDoc hat sie an der Universität Erfurt, an der Humboldt-Universität und beim Zentrum Liberale Moderne gearbeitet. Sie lebt in Berlin, wo sie als freie Autorin politische Analysen verfasst und zu deutscher Russlandpolitik forscht.
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