Ein Fußballfest zwischen Doping, Propaganda und Korruption
WM-Dossier „Russland verstehen“: Korrupte Kremlnetzwerke veruntreuten vor der Fußballweltmeisterschaft Milliarden. Die Opposition wird heftiger eingeschüchtert denn je. Selten war eine WM so politisch – und selten ein Weltfußballverband so scheinheilig.
Es wurden reichlich Komplimente verteilt in den Hallen des Moskauer Expo-Geländes beim Kongress des Fußball-Weltverbandes FIFA am Mittwoch. Etwa, als der Schweizer Gianni Infantino, der FIFA-Präsident, ein „großes Dankeschön aus tiefstem Herzen“ aussprach und flötete: „Sie geben uns das Gefühl, zur gleichen Mannschaft zu gehören.“ Der Adressat war Wladimir Putin, der wiederum gerade die Sportwürdenträger belobigt hatte – als „creme de la creme des Weltfußballs“ und besonders für ihre „Treue zum Prinzip, Sport und Politik nicht zu vermischen“.
Der russischen Opposition wird die Fußballparty zweifellos schwierigere Bedingungen hinterlassen – und den Bürgern des maroden Landes eine saftige Rechnung.
Russlands Präsident hatte durchaus nachvollziehbare Motive, noch etwas mehr Süßholz als sonst zu raspeln. Dass er in der Ukraine und in Syrien Kriege führt, im eigenen Land Kritiker vor der WM zum Schweigen oder hinter Gitter gebracht hat, konterkariert ja den Anspruch der FIFA, ein völkerverbindendes Sportfest auszurichten, stark. So stark, dass das ein oder andere Wort dazu vielleicht doch zu erwarten gewesen wäre, selbst von Funktionären des Fußballs – es blieb aus.
Das Paradoxon dieser WM
Ob Putin mit dem Hinweis, Sport und Politik hätten nichts miteinander zu tun, das Paradoxon dieser Weltmeisterschaft – nämlich, dass sie ein politisches Ereignis ist, das um keinen Preis eines sein soll – wirklich aus der Welt geschafft hat, sei dahingestellt. Der FIFA-Familie aber sprach Putin aus dem Herzen; es gab langanhaltenden Beifall.
Der russische Staatschef hat damit zweifellos den ersten Punktsieg eingefahren. Denn welcher Paria bekommt schon Ovationen von einer internationalen Gemeinde, auch wenn es sich lediglich um die FIFA-Familie handelt? Es ist zwar nicht zu erwarten, dass sich die westliche Haltung gegenüber Putin, etwa die Sanktionspolitik, durch das Turnier dramatisch verändern wird; jedenfalls nicht über ohnehin sichtbare Versuche der Normalisierung hinaus (wie etwa Donald Trumps Appell, Russland wieder in die G7 aufzunehmen). Aber als Binnenveranstaltung mit einer Botschaft an die eigenen Bürger wird diese Fußball-Weltmeisterschaft ihren Zweck erfüllen: Sie soll – das wurde spätestens beim FIFA-Kongress augenscheinlich – der Höhepunkt von Moskaus langfristiger Strategie werden, sich mit Hilfe von Megaevents des Weltsports unter der Bevölkerung einen Legitimitätsschub zu verschaffen.
Leerformeln der Funktionäre
Die Nutznießer des Fußballgeschäfts tragen natürlich Gegenteiliges vor: Das Turnier werde Russland öffnen und könne sogar „das Land verändern“, behauptete DFB-Präsident Reinhard Grindel in diversen Interviews, in denen Leerformeln Blasen schlugen, wie so oft, wenn Funktionäre versuchen, über den Tellerrand des Sports hinauszublicken. Dabei hat die zu erwartende Aufmerksamkeit von mehr als einer Million ausländischen Gästen und vier Milliarden Fernsehzuschauern das Land tatsächlich verändert, bloß nicht zum Guten: Seit 2012 gab es mehr als 30 Gesetzesänderungen, mit denen die Bürgerrechte eingeschränkt wurden, hat etwa Human Rights Watch in einem Leitfaden zur WM notiert.
Der russischen Opposition wird die Fußballparty zweifellos schwierigere Bedingungen hinterlassen – und den Bürgern des maroden Landes eine saftige Rechnung. Gespielt wird bekanntlich in elf Städten, von der Exklave Kaliningrad ganz im Westen bis nach Jekaterinburg am Uralgebirge. Dafür hat Russland Stadien, Hotels, Straßen und Flughäfen auf WM-Niveau getrimmt, was ein gigantisches Strukturprogramm bedeutet. Als der Kreml sich bei der FIFA um die WM bewarb, nannte Putin die unterentwickelte Infrastruktur Russlands sogar als ein Plus, weil alles, was für die WM gebaut würde, in den Jahren danach den Bürgern zu Gute käme.
Teuerste WM der Geschichte
Doch daran gibt es Zweifel. „Was soll ein Stadion für 35.000 Zuschauer in einer Stadt mit 100.000 Einwohnern?“, fragt Anton Pominov, der Generaldirektor von Transparency International (TI) in Russland. „Das können Sie keinem erklären!“ Die WM hinterlässt den Russen riesige Stadien, die wie Raumschiffe an Orten gelandet sind, wo Vereine im Ligabetrieb üblicherweise vor 2000 Fans und neue Hotels und Flughafen-Terminals an Orten, die selbst im Lonely-Planet nur am Rande erwähnt werden. Die meisten, sagt Pominov, verständen zwar, dass das Turnier für Russland eine finanzielle Bürde sei. Doch sie hätten resigniert, weil sie glaubten, dass daran nichts zu ändern sei.
Was genau die WM kostet, ist selbst für TI nicht zu ermitteln. Regierungsangaben liegen bei 10 Milliarden Euro; die Tageszeitung Vedomosti zitiert jedoch gerade einen McKinsey-Report, der die Ausgaben auf knapp 17 Milliarden beziffert. Damit wäre das Turnier die mit Abstand teuerste WM der Geschichte.
Putins Gefolgschaft profitiert
Das würde wenig verwundern, denn wo es um den Effekt geht, ist Effizienz egal. So war es schon 2014: Die Olympischen Winterspiele in Sotschi waren mit Kosten in Höhe von 51 Milliarden Dollar teurer als alle bisherigen Winterspiele zusammen! Das Wissen um diese Zahl verdankt die Welt dem 2015 ermordeten Oppositionsführer Boris Nemzow – Ebenso wie die Erkenntnis, dass der Weg nach Sotschi mit Günstlingswirtschaft und Korruption gepflastert war. Von der überdimensionierten Infrastruktur im Schwarzmeer-Kurort hat ein exklusiver Unternehmer-Zirkel profitiert, dessen Mitglieder vor allem eines gemeinsam haben: Sie sind treue Gefolgsleute von Putin und ihm auf die eine oder andere Weise nützlich.
Genauso bei der Weltmeisterschaft, an der überwiegend dieselben Akteure wie in Sotschi beteiligt sind. Milliardenschwere Aufträge hat das zuständige Sportministerium – unter Leitung des blamierten Dopingdrahtzieher Witali Mutko – in der Regel ohne Ausschreibung vergeben. Und zwar an alte Putin-Freunde aus St. Petersburg, die nach seinem Einzug in den Kreml zu märchenhaftem Reichtum gekommen sind. An Milliardäre, für die sich derzeit das FBI im Rahmen der Ermittlungen zur vermuteten Einmischung des Kremls in den US-Wahlkampf interessiert. Und an treue Parteifreunde im ganzen Land. 1,2 Milliarden Euro, schätzt das Antikorruptionszentrum der Oppositionspartei Jabloko in einem im Januar vorgelegten Report könnten allein beim Stadionbau veruntreut worden sein.
Fifa wischt Doping-Skandal vom Tisch
Die Tradition, bei sportlichen Megaevents Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren, also dem Steuerzahler aufzubürden, ist selbstverständlich keine russische Erfindung. „Aber bei uns“, sagt Transparency-Direktor Pominov, „wird die Korruption vom Staat organisiert“. Neben ihrer Propagandawirkung im Inneren funktioniert die Weltmeisterschaft also auch als eine Geschäftsgelegenheit für Russlands kleptokratische Elite.
Dergleichen schert die FIFA-Funktionäre ohnehin nicht. Sie haben sich ja nicht einmal im ureigensten Terrain, ihrem Sport, klar abgesetzt von korrupter Mentalität – rechtzeitig zur WM hat man die Affäre ums staatlich gesteuerte Doping auch bei den russischen Kickern vom Tisch gewischt, „aus Mangel an Beweisen“.
Das ist eine gute Nachricht für den Kreml. Aber eine schlechte für jenen Teil der Fußballfreunde, der auf sauberen Sport hofft und dem die politische Situation neben dem Platz nicht egal ist.
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