„Wer vergessen wird, stirbt leise auf seinem Bett”
Alexej Gorinow wurde im vergangenen Jahr als erster Russe wegen Kritik am Krieg ins Gefängnis gesperrt. Es war der Beginn einer Tortur hinter Gittern. Trotz Lebensgefahr wirbt der Lokalpolitiker weiter für Frieden in der Ukraine.
Von Maxim Kireev
Der Prozess gegen den Moskauer Lokalpolitiker Alexej Gorinow gehört zu jenen Rechtsfällen an denen sich die jüngste Geschichte von Putins Russland studieren lässt. Fast unentwegt spannte Wladimir Putin seit seinem Machtantritt die Justiz ein, um Oligarchen, Andersdenkende, Politiker und Protestierende einzusperren und den Rest des Landes zum Schweigen zu bringen. Mit jedem dieser unrechtmäßigen Urteile rutschte Russland ein Stück näher an eine finstere Diktatur. Mit der Verurteilung Gorinows schien das Land endgültig an diesem Punkt angekommen.
Vergangenen Sommer war der 61-jährige Alexej Gorinow der erste Russe, der wegen Kritik an Russlands Einmarsch in der Ukraine ins Gefängnis musste. Nicht weil er protestierte oder zum Umsturz in Moskau aufgerufen hat. „Ich habe einfach die Dinge beim Namen genannt, das war das Mindeste, was ich tun konnte”, sagte Gorinow bei der Urteilsverkündung im vergangenen September.
Kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges am 24 Februar 2022 erließ die Staatsduma gleich mehrere Gesetze, die „Diskreditierung der Armee” und „Verbreitung falscher Informationen” unter Strafe stellt. Das Regelwerk ist ist überaus schwammig formuliert und ermöglicht es russischen Gerichten, jeglichen Widerspruch, Protest oder auch nur Andeutung von Kritik willkürlich als Straftat zu werten. Das Urteil für Gorinow lautete sieben Jahre, weil er öffentlich das Wort „Krieg“ verwendet und diesen kritisiert hatte. Zudem sprach Gorinow davon, dass die russische Armee für den Tod von Kindern verantwortlich sei. Eine Tatsache, die das Moskauer Gericht als „kriminelle Falschbehauptung” wertete. Und das, obwohl die Faktenlage eindeutig auf Gorinows Seite war. Seine Verurteilung war auch ein Signal, dass unabhängige Politiker selbst auf lokaler Ebenen in Russland nicht mehr geduldet wird.
Schnell wurde klar, dass die Verurteilung für den 61-jährigen erst der Beginn einer Tortur werden sollte. Das Gefängnis in Pokrow, östlich von Moskau, wo Alexej einsitzt, gilt der Gefangenen-Hilsorganisation OVD-Info zufolge als eine berüchtigte Haftanstalt. Laut dem OVD-Info-Experten Denis Schedow sind die Verpflegung und ärztliche Versorgung dort miserabel. Und das, obwohl die Anstalt nur wenige Autostunden von der Hauptstadt Moskau entfernt liegt. Auch hätten frühere Gefangene berichtet, wie Wächter regelmäßig Insassen verprügelten und folterten. Offenbar soll an Gorinow ein Exempel statuiert werden. „Gorinow hatte als einer der wenigen Kriegsgegner gleichzeitig auch einen Posten, er war Abgeordneter, wenn auch nicht besonders bedeutend. Alle, die irgendein öffentliches Amt inne haben, sollten verstehen, dass sie härter bestraft werden, wenn sie den Krieg kritisieren”, meint der Menschenrechtler Schedow.
Unterstützung von Nawalny
Der Lokalpolitiker Gorinow hatte nur wenige Wochen im Gefängnis verbracht, als im Dezember seine Anwälte und seine Familie über eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu klagen begannen. In Briefen an seine Anwälte berichtete Gorinow von Fieber, starkem Husten und Atemproblemen. Die Gefängnisleitung habe von all dem nichts wissen wollen. Nicht mal eine Diagnose konnten oder wollten die Ärzte stellen. Auch der ebenfalls derzeit inhaftierte Oppositionsführer Alexej Nawalny zeigte sich alarmiert. „Ich mache mir Sorgen um Gorinow, denn ich war selber in diesem Gefängnis und kenne die Zustände”, teilte Nawalny über seine Mitstreiter mit. Der Fall müsse öffentlich gemacht werden. „Über wen nicht geschrieben wird, der stirbt einfach leise auf seinem Bett. Wer jedoch nicht vergessen wird, hat Chancen wenigste Medikamente zu bekommen”, schrieb Nawalny.
Tatsächlich gehört Gorinow nicht zu denen, die ständig die Aufmerksamkeit der Opposition und der Weltöffentlichkeit genießen. Außerhalb seines Moskauer Wahlkreises war der 61-jährige war für viele ein Unbekannter. Der Jurist gehörte 2017 zu einer ganzen Riege neuer Gesichter, die es als unabhängige Kandidaten in die Moskauer Bezirksräte geschafft hatten. Damals erzielte die Opposition einen Achtungserfolg und konnte etwa 200 von 1500 Plätzen ergattern und in einigen Vierteln die Mehrheit holen. Auch im Bezirk Krasnoselskij in der nördlichen Innenstadt, wo Gorinow zusammen mit dem Oppositionellen Ilja Jaschin angetreten ist. „Das ist Kantersieg über Einiges Russland”, sagte Jaschin damals, dessen Team 7 von 10 Sitzen holen konnte. Lange Zeit hatten weder Kreml noch die Opposition Kommunalwahlen große Bedeutung beigemessen. Doch die traditionell sehr niedrige Wahlbeteiligung von weniger als 25 Prozent ermöglichte es unabhängigen Kandidaten, sich in einigen Wahlkreisen durchzusetzen. Schon einige Hundert Stimmen konnten reichen, um Kandidaten der Regierungsparteien zu überholen. Die Opposition witterte ihre Chance und setzte sie erfolgreich um. Eine Lektion, die man auch im Kreml gelernt hat. Schon bei den Wahlen zur Moskauer Stadtduma 2019 wurden keine unabhängigen Kandidaten mehr zugelassen.
Am Anfang stand ein Streit um einen Kinder-Malwettbewerb
Im Frühjahr 2022 waren die rebellischen Bezirksräte längst im Visier des Staates, als letzter Hort des Widerspruchs. Als russische Panzer im April durch die Ukraine rollten, diskutierte der Bezirksrat Krasnoselskij über einen Malwettbewerb für Kinder. Die Idee, vorgetragen von einer Abgeordneten der Kremlpartei Einiges Russland, erschien Gorinow obszön. „Das ist doch Barbarei, so etwas in Zeiten von Krieg zu veranstalten. In der Ukraine sind schon mehr als 100 Kinder gestorben”, klagte er. Diese Diskussion wurde, wie bei Moskauer Bezirksräten üblich, live im Internet übertragen. Der Wettbewerb wurde daraufhin nicht ausgetragen. Dafür stand ein paar Tage später die Polizei vor Gorinows Haustür und nahm ihn fest. Angeblich, weil ein Zuschauer der Live-Übertragung ihn angezeigt hatte. Nach fünf weiteren Tagen waren die Ermittlungen abgeschlossen. Der Vorwurf: Gorinow soll „vorsätzlich und planmäßig” die russische Armee diskreditiert haben in dem er von Krieg und toten Kindern sprach. Im Juli folgte das Urteil: sieben Jahre Gefängnis. Bei der Berufungsverhandlung im September kürzte die Richterin das Strafmaß – um einen Monat.
Mittlerweile sind drei der sieben oppositionellen Stadtteil-Vertreter des Bezirks Krasnoleskij entweder verhaftet oder emigriert. Ilja Jaschin wurde im Dezember zu acht Jahren und sechs Monaten Gefängnis verurteilt, weil er auf YouTube über das Massaker von Butscha informiert hatte – die Kriegsverbrechen in dem Kyjiwer Vorort werden in russischen Staatsmedien als „antirussische Inszenierung“ bezeichnet. Jelena Kotenotschkina, eine weitere Abgeordnete im Bezirksrat, hatte noch im Frühjahr Russland verlassen, aus Angst ebenfalls Zielscheibe der Ermittler zu werden.
Zumindest Gorinows gesundheitlichen Probleme scheinen sich zuletzt gebessert haben. „Alexej fühlt sich besser und wird mittlerweile in einem anderen Gefängniskrankenhaus behandelt”, teilten seine Anwälte Ende Januar mit. Dennoch wird der Lokalpolitiker schon bald ins berüchtigte Pokrow-Gefängnis zurückkehren. Gleichzeitig versucht er sich trotz seiner misslichen Lage aus dem Gefängnis heraus weiter Gehör zu verschaffen. Anfang Januar schrieb Gorinow einen offenen Brief an das Oberhaupt der Russisch-Orthodoxen Kirche Patriarch Kyrill, obwohl dieser mehrfach offen den Kriegskurs des Kremls verteidigte. Am Ende des zweiseitigen Briefes war es nur eine Bitte, die Gorinow hatte: Kyrill solle nicht schweigen. So wie er selbst einst nicht geschwiegen hat. „Vielleicht sind Sie derjenige, der unserer Heimat helfen kann, sich vor der Katastrophe zu retten”. Eine Reaktion der Kirche darauf gab es nicht.
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