„Wer ver­ges­sen wird, stirbt leise auf seinem Bett”

Foto: OCD Info via wikimedia

Alexej Gorinow wurde im ver­gan­ge­nen Jahr als erster Russe wegen Kritik am Krieg ins Gefäng­nis gesperrt. Es war der Beginn einer Tortur hinter Gittern. Trotz Lebens­ge­fahr wirbt der Lokal­po­li­ti­ker weiter für Frieden in der Ukraine.

Von Maxim Kireev

Der Prozess gegen den Mos­kauer Lokal­po­li­ti­ker Alexej Gorinow gehört zu jenen Rechts­fäl­len an denen sich die jüngste Geschichte von Putins Russ­land stu­die­ren lässt. Fast unent­wegt spannte Wla­di­mir Putin seit seinem Macht­an­tritt die Justiz ein, um Olig­ar­chen, Anders­den­kende, Poli­ti­ker und Pro­tes­tie­rende ein­zu­sper­ren und den Rest des Landes zum Schwei­gen zu bringen. Mit jedem dieser unrecht­mä­ßi­gen Urteile rutschte Russ­land ein Stück näher an eine fins­tere Dik­ta­tur. Mit der Ver­ur­tei­lung Gorinows schien das Land end­gül­tig an diesem Punkt angekommen.

Ver­gan­ge­nen Sommer war der 61-jährige Alexej Gorinow der erste Russe, der wegen Kritik an Russ­lands Ein­marsch in der Ukraine ins Gefäng­nis musste. Nicht weil er pro­tes­tierte oder zum Umsturz in Moskau auf­ge­ru­fen hat. „Ich habe einfach die Dinge beim Namen genannt, das war das Min­deste, was ich tun konnte”, sagte Gorinow bei der Urteils­ver­kün­dung im ver­gan­ge­nen September.

Kurz nach Beginn des rus­si­schen Angriffs­krie­ges am 24 Februar 2022 erließ die Staats­duma gleich mehrere Gesetze, die „Dis­kre­di­tie­rung der Armee” und „Ver­brei­tung fal­scher Infor­ma­tio­nen” unter Strafe stellt. Das Regel­werk ist ist überaus schwam­mig for­mu­liert und ermög­licht es rus­si­schen Gerich­ten, jeg­li­chen Wider­spruch, Protest oder auch nur Andeu­tung von Kritik will­kür­lich als Straf­tat zu werten. Das Urteil für Gorinow lautete sieben Jahre, weil er öffent­lich das Wort „Krieg“ ver­wen­det und diesen kri­ti­siert hatte. Zudem sprach Gorinow davon, dass die rus­si­sche Armee für den Tod von Kindern ver­ant­wort­lich sei. Eine Tat­sa­che, die das Mos­kauer Gericht als „kri­mi­nelle Falsch­be­haup­tung” wertete. Und das, obwohl die Fak­ten­lage ein­deu­tig auf Gorinows Seite war. Seine Ver­ur­tei­lung war auch ein Signal, dass unab­hän­gige Poli­ti­ker selbst auf lokaler Ebenen in Russ­land nicht mehr gedul­det wird.

Schnell wurde klar, dass die Ver­ur­tei­lung für den 61-jäh­ri­gen erst der Beginn einer Tortur werden sollte. Das Gefäng­nis in Pokrow, östlich von Moskau, wo Alexej ein­sitzt, gilt der Gefan­ge­nen-Hils­or­ga­ni­sa­tion OVD-Info zufolge als eine berüch­tigte Haft­an­stalt. Laut dem OVD-Info-Exper­ten Denis Schedow sind die Ver­pfle­gung und ärzt­li­che Ver­sor­gung dort mise­ra­bel. Und das, obwohl die Anstalt nur wenige Auto­stun­den von der Haupt­stadt Moskau ent­fernt liegt. Auch hätten frühere Gefan­gene berich­tet, wie Wächter regel­mä­ßig Insas­sen ver­prü­gel­ten und fol­ter­ten. Offen­bar soll an Gorinow ein Exempel sta­tu­iert werden. „Gorinow hatte als einer der wenigen Kriegs­geg­ner gleich­zei­tig auch einen Posten, er war Abge­ord­ne­ter, wenn auch nicht beson­ders bedeu­tend. Alle, die irgend­ein öffent­li­ches Amt inne haben, sollten ver­ste­hen, dass sie härter bestraft werden, wenn sie den Krieg kri­ti­sie­ren”, meint der Men­schen­recht­ler Schedow.

Unter­stüt­zung von Nawalny

Der Lokal­po­li­ti­ker Gorinow hatte nur wenige Wochen im Gefäng­nis ver­bracht, als im Dezem­ber seine Anwälte und seine Familie über eine Ver­schlech­te­rung seines Gesund­heits­zu­stan­des zu klagen began­nen. In Briefen an seine Anwälte berich­tete Gorinow von Fieber, starkem Husten und Atem­pro­ble­men. Die Gefäng­nis­lei­tung habe von all dem nichts wissen wollen. Nicht mal eine Dia­gnose konnten oder wollten die Ärzte stellen. Auch der eben­falls derzeit inhaf­tierte Oppo­si­ti­ons­füh­rer Alexej Nawalny zeigte sich alar­miert. „Ich mache mir Sorgen um Gorinow, denn ich war selber in diesem Gefäng­nis und kenne die Zustände”, teilte Nawalny über seine Mit­strei­ter mit. Der Fall müsse öffent­lich gemacht werden. „Über wen nicht geschrie­ben wird, der stirbt einfach leise auf seinem Bett. Wer jedoch nicht ver­ges­sen wird, hat Chancen wenigste Medi­ka­mente zu bekom­men”, schrieb Nawalny.

Tat­säch­lich gehört Gorinow nicht zu denen, die ständig die Auf­merk­sam­keit der Oppo­si­tion und der Welt­öf­fent­lich­keit genie­ßen. Außer­halb seines Mos­kauer Wahl­krei­ses war der 61-jährige war für viele ein Unbe­kann­ter. Der Jurist gehörte 2017 zu einer ganzen Riege neuer Gesich­ter, die es als unab­hän­gige Kan­di­da­ten in die Mos­kauer Bezirks­räte geschafft hatten. Damals erzielte die Oppo­si­tion einen Ach­tungs­er­folg und konnte etwa 200 von 1500 Plätzen ergat­tern und in einigen Vier­teln die Mehr­heit holen. Auch im Bezirk Kras­no­sels­kij in der nörd­li­chen Innen­stadt, wo Gorinow zusam­men mit dem Oppo­si­tio­nel­len Ilja Jaschin ange­tre­ten ist. „Das ist Kan­ter­sieg über Einiges Russ­land”, sagte Jaschin damals, dessen Team 7 von 10 Sitzen holen konnte. Lange Zeit hatten weder Kreml noch die Oppo­si­tion Kom­mu­nal­wah­len große Bedeu­tung bei­gemes­sen. Doch die tra­di­tio­nell sehr nied­rige Wahl­be­tei­li­gung von weniger als 25 Prozent ermög­lichte es unab­hän­gi­gen Kan­di­da­ten, sich in einigen Wahl­krei­sen durch­zu­set­zen. Schon einige Hundert Stimmen konnten reichen, um Kan­di­da­ten der Regie­rungs­par­teien zu über­ho­len. Die Oppo­si­tion wit­terte ihre Chance und setzte sie erfolg­reich um. Eine Lektion, die man auch im Kreml gelernt hat. Schon bei den Wahlen zur Mos­kauer Stadt­duma 2019 wurden keine unab­hän­gi­gen Kan­di­da­ten mehr zugelassen.

Am Anfang stand ein Streit um einen Kinder-Malwettbewerb

Im Früh­jahr 2022 waren die rebel­li­schen Bezirks­räte längst im Visier des Staates, als letzter Hort des Wider­spruchs. Als rus­si­sche Panzer im April durch die Ukraine rollten, dis­ku­tierte der Bezirks­rat Kras­no­sels­kij über einen Mal­wett­be­werb für Kinder. Die Idee, vor­ge­tra­gen von einer Abge­ord­ne­ten der Kreml­par­tei Einiges Russ­land, erschien Gorinow obszön. „Das ist doch Bar­ba­rei, so etwas in Zeiten von Krieg zu ver­an­stal­ten. In der Ukraine sind schon mehr als 100 Kinder gestor­ben”, klagte er. Diese Dis­kus­sion wurde, wie bei Mos­kauer Bezirks­rä­ten üblich, live im Inter­net über­tra­gen. Der Wett­be­werb wurde dar­auf­hin nicht aus­ge­tra­gen. Dafür stand ein paar Tage später die Polizei vor Gorinows Haustür und nahm ihn fest. Angeb­lich, weil ein Zuschauer der Live-Über­tra­gung ihn ange­zeigt hatte. Nach fünf wei­te­ren Tagen waren die Ermitt­lun­gen abge­schlos­sen. Der Vorwurf: Gorinow soll „vor­sätz­lich und plan­mä­ßig” die rus­si­sche Armee dis­kre­di­tiert haben in dem er von Krieg und toten Kindern sprach. Im Juli folgte das Urteil: sieben Jahre Gefäng­nis. Bei der Beru­fungs­ver­hand­lung im Sep­tem­ber kürzte die Rich­te­rin das Straf­maß – um einen Monat.

Mitt­ler­weile sind drei der sieben oppo­si­tio­nel­len Stadt­teil-Ver­tre­ter des Bezirks Kras­no­le­skij ent­we­der ver­haf­tet oder emi­griert. Ilja Jaschin wurde im Dezem­ber zu acht Jahren und sechs Monaten Gefäng­nis ver­ur­teilt, weil er auf YouTube über das Mas­sa­ker von Butscha infor­miert hatte – die Kriegs­ver­bre­chen in dem Kyjiwer Vorort werden in rus­si­schen Staats­me­dien als „anti­rus­si­sche Insze­nie­rung“ bezeich­net. Jelena Kote­not­sch­kina, eine weitere Abge­ord­nete im Bezirks­rat, hatte noch im Früh­jahr Russ­land ver­las­sen, aus Angst eben­falls Ziel­scheibe der Ermitt­ler zu werden.

Zumin­dest Gorinows gesund­heit­li­chen Pro­bleme schei­nen sich zuletzt gebes­sert haben. „Alexej fühlt sich besser und wird mitt­ler­weile in einem anderen Gefäng­nis­kran­ken­haus behan­delt”, teilten seine Anwälte Ende Januar mit. Dennoch wird der Lokal­po­li­ti­ker schon bald ins berüch­tigte Pokrow-Gefäng­nis zurück­keh­ren. Gleich­zei­tig ver­sucht er sich trotz seiner miss­li­chen Lage aus dem Gefäng­nis heraus weiter Gehör zu ver­schaf­fen. Anfang Januar schrieb Gorinow einen offenen Brief an das Ober­haupt der Rus­sisch-Ortho­do­xen Kirche Patri­arch Kyrill, obwohl dieser mehr­fach offen den Kriegs­kurs des Kremls ver­tei­digte. Am Ende des zwei­sei­ti­gen Briefes war es nur eine Bitte, die Gorinow hatte: Kyrill solle nicht schwei­gen. So wie er selbst einst nicht geschwie­gen hat. „Viel­leicht sind Sie der­je­nige, der unserer Heimat helfen kann, sich vor der Kata­stro­phe zu retten”. Eine Reak­tion der Kirche darauf gab es nicht.

Textende

Hat Ihnen unser Beitrag gefal­len? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stüt­zen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nüt­zig aner­kannt, ent­spre­chend sind Spenden steu­er­lich absetz­bar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­da­ten bitte an finanzen@libmod.de

 

Ver­wandte Themen

News­let­ter


Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.