Der Kli­ma­wan­del und die fossile Groß­macht Russland

Magni­to­gorsk, Shut­ter­stock Nr 1843492429 Serkant Hekimci

Die Indus­trie­stadt Magni­to­gorsk im süd­li­chen Ural, Shut­ter­stock Nr 1843492429 /​​ Serkant Hekimci

Russ­land ist heute ein fos­si­les Ener­gie­im­pe­rium. Öl, Gas und Kohle bilden das Fun­da­ment der rus­si­schen Öko­no­mie und machen den Löwen­an­teil der Exporte aus. Macht­ap­pa­rat und Ener­gie­wirt­schaft sind eng ver­floch­ten. Zugleich ist die Ener­gie­po­li­tik ein Instru­ment rus­si­scher Groß­macht­po­li­tik; sie wird gezielt ein­ge­setzt, um Ein­fluss zu gewin­nen. Dazu zählt die Vergabe lukra­ti­ver Posten an euro­päi­sche Ex-Poli­ti­ker, der Aufbau öko­no­mi­scher Netz­werke, die Finan­zie­rung kreml­freund­li­cher Insti­tute im Westen und die klas­si­sche Energie-Geo­po­li­tik wie im Fall von Nord Stream 2.

Das CO2-inten­sive Geschäfts­mo­dell gerät zuneh­mend in Kon­flikt mit dem Pariser Kli­ma­schutz­ab­kom­men und den neuen, ambi­tio­nier­ten Kli­ma­zie­len der EU. Zugleich blo­ckiert es die über­fäl­lige Moder­ni­sie­rung und Diver­si­fi­zie­rung der rus­si­schen Wirt­schaft. Schon die letzten 10 Jahre waren im Hin­blick auf Refor­men und Wachs­tum ein ver­lo­re­nes Jahr­zehnt. Mit einer Fort­schrei­bung der fos­si­len Ren­ten­öko­no­mie droht Russ­land den Anschluss an die post­fos­sile Öko­no­mie des 21. Jahr­hun­derts zu verlieren. 

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Zen­trums Libe­rale Moderne.

Umge­kehrt könnte eine schritt­weise Redu­zie­rung der Abhän­gig­keit von fos­si­len Ener­gie­trä­gern einen Moder­ni­sie­rungs­schub aus­lö­sen. Das wäre aller­dings mehr als ein bloßer Wechsel von fos­si­len zu erneu­er­ba­ren Ener­gien. Ein kli­ma­po­li­ti­scher Kurs­wech­sel Russ­lands erfor­dert tief­grei­fende struk­tu­relle Refor­men in Staat und Wirt­schaft: Rechts­si­cher­heit für Inves­ti­tio­nen und Unter­neh­men, mehr Selbst­ver­ant­wor­tung für Kom­mu­nen und Regio­nen, das Auf­bre­chen mono­po­lis­ti­scher Struk­tu­ren, unab­hän­gige Medien und eine starke Zivil­ge­sell­schaft als Gegen­ge­wicht zur Kohlenstoff-Fraktion.

Ein solcher Wechsel wird ver­mut­lich erst dann ein­tre­ten, wenn es zu neuen Alli­an­zen zwi­schen Refor­mern inner­halb des Systems und der demo­kra­ti­schen Oppo­si­tion kommt. Eine öko­lo­gi­sche Moder­ni­sie­rung Russ­lands könnte ein gemein­sa­mer Nenner für eine solche Allianz werden.

Russ­land als Kohlenstoff-Imperium

Der Anteil der Ener­gie­wirt­schaft an der Wirt­schafts­leis­tung Russ­lands liegt aktuell bei rund 20 Prozent.[1] Im Jahr 2014 waren es noch 29 Prozent. Die Dif­fe­renz geht auf sin­kende Welt­markt­preise für Öl und Gas zurück. Inves­ti­tio­nen im fos­si­len Brenn­stoff­sek­tor machen mehr als ein Viertel der inlän­di­schen Gesamt­in­ves­ti­tio­nen aus.  Bei den Expor­ten ist der Anteil fos­si­ler Ener­gie­trä­ger deut­lich höher. Er beträgt rund zwei Drittel der gesam­ten Export­erlöse. Nimmt man Kohle, Öl und Erdgas zusam­men, ist Russ­land mit Abstand der größte Expor­teur fos­si­ler Ener­gie­trä­ger. Es heizt damit buch­stäb­lich den glo­ba­len Kli­ma­wan­del an.

Dabei liegen die Erlöse aus dem Ölge­schäft etwa vier Mal höher als die Gas­ex­porte. 2019 expor­tierte Russ­land für 181 Mrd. Dollar Erdöl und Mine­ral­öl­pro­dukte, die Ein­nah­men aus dem Export von Erdgas (inklu­sive LNG) belie­fen sich auf 41,6 Mil­li­ar­den Dollar. Der Beitrag des Ener­gie­sek­tors zum rus­si­schen Staats­haus­halt (Steuern, Abgaben) beträgt rund ein Drittel. Er schwankt mit dem Ölpreis.

Bei der Strom­erzeu­gung domi­niert Erdgas mit rund 50 Prozent, gefolgt von Kern­ener­gie (18,6 Prozent), Was­ser­kraft (16,8 Prozent) und Kohle (14 Prozent). Öl spielt im Strom­sek­tor nur eine mar­gi­nale Rolle, deckt aber etwa 22 Prozent des Pri­mär­ener­gie­be­darfs (Zahlen für 2017) und ist von über­ra­gen­der Bedeu­tung für den rus­si­schen Export.

Erdöl

Mit einer För­der­menge von 563 Mil­lio­nen Tonnen Öl lag Russ­land im Jahr 2018 auf Platz drei in der glo­ba­len Rang­liste – deut­lich hinter den USA und knapp hinter Saudi-Arabien. Beim Ex­port lag das Land im Jahr 2017 mit 256 Mil­lio­nen Tonnen auf Rang 2 hinter Saudi-Arabien. Da die bis­he­ri­gen Haupt-För­­der­­ge­­biete für Öl und Gas in West­si­bi­rien den Höhe­punkt ihrer Kapa­zi­tät über­schrit­ten haben, werden neue Vor­kom­men in kli­ma­tisch und geo­lo­gisch pro­ble­ma­ti­schen Regio­nen erschlos­sen (Halb­in­sel Yamal, Ost­si­bi­rien, Barents-See, Sachalin).

Erdgas

Bei der För­de­rung von Erdgas lag Russ­land im Jahr 2017 mit 635 Mil­li­ar­den Kubik­me­tern hinter den USA auf Platz zwei; bei den Gas­ex­por­ten ist Russ­land die unan­ge­foch­tene Nr. eins mit rund 20 Prozent am Welt­markt. Europa ist mit rund 200 Mil­li­ar­den Kubik­me­tern mit Abstand der wich­tigste Export­markt. Der rus­si­sche Anteil an den Gas­im­por­ten der EU lag im 1. Halb­jahr 2018 bei 40,6 Prozent (Nor­we­gen 38,8 Prozent). Mit China wurden jähr­li­che Lie­fe­run­gen von 38 Mil­li­ar­den Kubik­me­tern ver­ein­bart, eine neue Pipe­line ging 2019 in Betrieb.

Inzwi­schen ist Russ­land auch in das Flüs­­si­g­­gas-Geschäft (LNG) ein­ge­stie­gen. Die größte Anlage befin­det sich auf der Jamal-Hal­b­in­­sel in Nord­si­bi­rien. Sie ist v.a. für den Export nach Asien vor­ge­se­hen, belie­fert aber auch den euro­päi­schen Markt. Auch die Erdgas-Lie­fe­run­gen für Nord Stream 2 sollen aus den öko­lo­gisch beson­ders sen­si­blen neuen För­der­ge­bie­ten im ark­ti­schen Norden kommen. Schon deshalb ist es frivol, von „umwelt­freund­li­chem Erdgas“ zu spre­chen. Dazu kommt die Frei­set­zung von Methan bei der För­de­rung und dem Trans­port von Erdgas auf dem langen Weg nach Europa. Auf einen Zeit­raum von 20 Jahren berech­net weist Methan die 86-fache Kli­ma­wir­kung von Koh­len­di­oxid auf.

Kohle

Russ­land gehört mit einer För­de­rung von rd. 440 Mil­lio­nen Tonnen (Braun­kohle und Stein­kohle) zu den welt­größ­ten Koh­le­pro­du­zen­ten. Davon geht etwa die Hälfte in den Export (vor­nehm­lich Asien und Europa). Bei den Kohle-Expor­t­län­­dern liegt Russ­land auf Rang drei. Deutsch­land ist bisher der wich­tigste Absatz­markt in Europa. Die Inves­ti­tio­nen in den Koh­le­sek­tor stiegen in den letzten 10 Jahren um 150 Prozent. Die offi­zi­el­len Pläne der Regie­rung sehen eine noch­ma­lige Stei­ge­rung der För­de­rung auf 670 Mil­li­onen Tonnen (!) bis zum Jahr 2035 vor, Kli­ma­wan­del hin oder her. Der Anteil am Kohle-Wel­t­­markt soll von heute neun auf zwanzig Prozent steigen.

Der größte Teil der rus­si­schen Kohle wird mitt­ler­weile im Tagebau unter unzu­rei­chen­den Vor­keh­run­gen für den Umwelt- und Gesund­heits­schutz geför­dert. Zum Teil beträgt der Abstand zu Wohn­sied­lun­gen weniger als 1000 Meter. Es kommt zu groß­flä­chi­gen Ver­we­hun­gen von Koh­le­staub. Erkran­kun­gen der Atem­wege und des Immun­sys­tems sind weit verbreitet.

Erneu­er­bare Energien

Der Anteil erneu­er­ba­rer Ener­gien (ohne große Was­ser­kraft­werke) am rus­si­schen Strom­mix liegt bei rund einem Prozent – trotz der großen Poten­tiale für Solar­ener­gie in den süd­li­chen Regio­nen, Wind­ener­gie an den Küsten und für den Einsatz von Bio­masse aus nach­hal­ti­ger Land- und Forst­wirt­schaft.[2] In der EU tragen erneu­er­bare Ener­gien inzwi­schen zu 40 Prozent zur Strom­erzeu­gung bei. Der Kon­trast könnte größer kaum sein.

Man­gelnde Energieeffizienz

Die Ener­gie­in­ten­si­tät des BIP (= die Ener­gie­menge, die zur Erzeu­gung einer bestimm­ten Wert­größe benö­tigt wird) ist in Russ­land etwa dreimal so hoch wie im Durch­schnitt der EU. Dem­entspre­chend bestehen noch enorme Reser­ven bei der Ver­bes­se­rung der Ener­gie­ef­fi­zi­enz, ins­be­son­dere im Gebäu­de­be­stand, aber auch in Ener­gie­wirt­schaft und Indus­trie. Kurz­fris­tig liegt hier das größte Poten­tial zur Redu­zie­rung von CO2-Emis­­sio­­nen zu den güns­tigs­ten Kosten.

Das setzt aller­dings voraus, dass die Inlands­preise für fossile Ener­gien, ins­be­son­dere für Gas und Kohle, nicht weiter sub­ven­tio­niert werden. Es fehlt sonst jeder wirt­schaft­li­che Anreiz, in mehr Ener­gie­ef­fi­zi­enz zu inves­tie­ren. Von höheren Ener­gie­steu­ern oder der Besteue­rung von CO2-Emis­­sio­­nen scheint Russ­land noch weit entfernt.

Beherr­schende Rolle des Staates

Unter der Regie Putins wurde die Rück­ver­staat­li­chung des Ener­gie­sek­tors vor­an­ge­trie­ben. Eine Schlüs­sel­rolle spielte dabei die Zer­schla­gung des pri­va­ten Yukos-Kon­­­zerns, dem bis dahin füh­ren­den rus­si­schen Ölun­ter­neh­men, in den Jahren 2003–2006. Inzwi­schen domi­nie­ren die Staats­kon­zerne Gazprom und Rosneft das Gas- und Ölge­schäft. Es bestehen enge per­so­nelle und finan­zi­elle Ver­flech­tun­gen zwi­schen Macht­ap­pa­rat und Ener­gie­wirt­schaft. Etwa zwei Drittel der umsatz­stärks­ten Öl- und Gas­un­ter­neh­men sind in Staats­hand. Ener­gie­po­li­tik ist Instru­ment rus­si­scher Groß­macht­po­li­tik; sie wird gezielt ein­ge­setzt, um Ein­fluss zu gewin­nen, inter­na­tio­nale Netz­werke aus­zu­bauen und unbot­mä­ßige Staaten unter Druck zu setzen. Auch die Gas­pipe­line Nord Stream 2 ist primär ein geo­po­li­ti­sches Projekt: Sie zielt vor allem darauf, die Ukraine aus dem euro­päi­schen Gas­tran­sit aus­zu­schal­ten. Damit würden dem Land nicht nur Tran­sit­ge­büh­ren in Mil­li­ar­den­höhe ent­zo­gen; die Ukraine würde zugleich ver­wund­ba­rer für poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Druck des Kremls. Putin könnte den uner­klär­ten Krieg gegen den abtrün­ni­gen „Bru­der­staat“ eska­lie­ren, ohne damit die Ein­nah­men aus dem Gas­ge­schäft mit West­eu­ropa zu gefährden.

Der Kli­ma­wan­del ist in Russ­land angekommen

Bis in die jüngste Zeit wurde der Kli­ma­wan­del von rus­si­schen Offi­zi­el­len und den Staats­me­dien eher her­un­ter­ge­spielt und als wis­sen­schaft­lich umstrit­ten dar­ge­stellt.  Regie­rungs­nahe Exper­ten warnten vor „Kli­ma­hys­te­rie“ und schür­ten die trü­ge­ri­sche Hoff­nung, dass Russ­land vom Kli­ma­wan­del sogar pro­fi­tie­ren könne, etwa durch den Roh­stoff­ab­bau in den ark­ti­schen Regio­nen oder die ganz­jäh­rige Befahr­bar­keit des nörd­li­chen Seewegs zwi­schen Europa und Asien im Polarmeer.

Inzwi­schen hat sich die Tonlage geän­dert. Dazu haben die sint­flut­ar­ti­gen Über­schwem­mun­gen des Jahres 2019 in der Region Irkutsk ebenso bei­getra­gen wie die ver­hee­ren­den sibi­ri­schen Wald­brände des letzten Jahres und die zuneh­men­den Anzei­chen eines Auf­tau­ens der Per­ma­f­rost­bö­den.[3] Nahezu zwei Drittel der Land­masse Russ­lands sind gefro­ren. Werden die darin gespei­cher­ten Mengen an CO2 und Methan nach und nach frei­ge­setzt, wäre das der Super-Gau für das Erd­klima. Gleich­zei­tig würde ein Groß­teil der Infra­struk­tur der nörd­li­chen Regio­nen Russ­lands im Schlamm ver­sin­ken. Auch die großen Städte Sibi­ri­ens, die auf Per­ma­f­rost­bo­den errich­tet wurden, wären gefähr­det.[4] In den süd­li­chen Regio­nen Russ­lands muss mit Dür­re­pe­ri­oden und sin­ken­den land­wirt­schaft­li­chen Erträ­gen gerech­net werden. Stei­gende Tem­pe­ra­tu­ren und Tro­cken­heit ver­grö­ßern die Waldbrandgefahr.

Tat­säch­lich steigen die Tem­pe­ra­tu­ren in Russ­land mehr als doppelt so schnell wie im glo­ba­len Durch­schnitt, beson­ders stark in den ark­ti­schen Regio­nen. Der Kli­ma­wan­del ist buch­stäb­lich in Russ­land ange­kom­men, auch wenn er bisher weder im Bewusst­sein der breiten Mehr­heit der Bevöl­ke­rung noch in der Politik des Kremls eine große Rolle spielt.[5]

Weiter so?

Rhe­to­risch hat Prä­si­dent Putin nach Jahren der demons­tra­ti­ven Igno­ranz inzwi­schen eine Wendung voll­zo­gen. Wenn es oppor­tun erscheint, warnt er vor den Folgen eines unge­brems­ten Kli­ma­wan­dels. Nach Jahren des Zögerns ist die Regie­rung im Sep­tem­ber 2019 dem Pariser Kli­ma­ab­kom­men bei­getre­ten.[6] Der Kreml setzte sich damit demons­tra­tiv vom Obstruk­ti­ons­kurs der Trump-Admi­­nis­­tra­­tion ab. Bislang ver­folgt die rus­si­sche Führung aller­dings keine ambi­tio­nier­ten kli­ma­po­li­ti­schen Ziele. Die im April 2020 ver­ab­schie­dete „Ener­gie­stra­te­gie 2035“ geht davon aus, dass fossile Ener­gie­trä­ger nach wie vor einen Anteil von 92 Prozent an der Pri­mär­ener­gie-Erzeu­gung haben werden.[7] Die Regie­rungs­pläne sehen sogar noch eine Stei­ge­rung des Exports von Öl, Gas und Kohle vor. Falls die euro­päi­sche Nach­frage als Folge kli­ma­po­li­ti­scher Maß­nah­men sinkt, sollen v.a. die Exporte nach Asien aus­ge­wei­tet werden. Man spe­ku­liert darauf, einen ten­den­zi­ell schrump­fen­den Markt für fossile Ener­gie­trä­ger durch die Ver­grö­ße­rung des rus­si­schen Markt­an­teils zu kompensieren.

Folgt man den selbst gesetz­ten Zielen, besteht kein poli­ti­scher Hand­lungs­druck. Die CO2-Emis­­sio­­nen Russ­lands liegen heute etwa 26 Prozent unter dem Stand von 1990 und damit bereits in dem Ziel­kor­ri­dor von minus 30 Prozent, zu dem sich die Regie­rung für das Jahr 2030 ver­pflich­tet hat. Zudem wird immer wieder auf die Bindung von CO2 durch die großen Wald­flä­chen ver­wie­sen. Dabei fallen die enormen Mengen an CO2 unter den Tisch, die durch die regel­mä­ßi­gen Wald­brände frei­ge­setzt werden.[8]

Kli­ma­schutz kol­li­diert mit dem System Putin

Eine dras­ti­sche Redu­zie­rung der rus­si­schen Trei­b­haus­­gas-Emis­­sio­­nen erfor­dert eine Abkehr von Öl, Gas und Kohle als Rück­grat der rus­si­schen Öko­no­mie. Sie steht damit im Kon­flikt mit dem fos­si­len Geschäfts­mo­dell, das die Basis des „System Putin“ bildet. Ernst­ge­mein­ter Kli­ma­schutz läuft auf einen wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen Sys­tem­wan­del hinaus. Es wäre naiv zu glauben, dass die herr­schende Macht­elite frei­wil­lig das Fun­da­ment ihrer Herr­schaft und ihres Reich­tums demon­tiert, zumal Öl und Gas neben dem Militär auch inter­na­tio­nal das wich­tigste Macht­in­stru­ment des Regimes bildet.

Fol­ge­rich­tig wird eine ambi­tio­nier­te Kli­ma­po­li­tik der EU von den Macht­eli­ten als Angriff auf das rus­si­sche Geschäfts­mo­dell betrach­tet. Vor allem die ange­kün­digte Ein­füh­rung von CO2-Grenz­ab­ga­ben durch die EU erregt die Gemüter. Sie werden von rus­si­schen Offi­zi­el­len als Attacke gegen die rus­si­sche Export­wirt­schaft gewer­tet.[9]

Für Russ­land wie für die EU stellt sich die Frage, was an die Stelle der bis­he­ri­gen fos­si­len Ener­gie­ex­porte treten kann, um die rus­si­schen Importe zu finan­zie­ren. Gazprom spe­ku­liert auf den Export von Was­ser­stoff auf Erd­gas­ba­sis, bei dem das frei­wer­dende CO2 auf­ge­fan­gen und unter­ir­disch gela­gert wird. Ent­spre­chende Koope­ra­ti­ons­pro­jekte mit euro­päi­schen Part­nern werden bereits vor­be­rei­tet. Ein anspruchs­vol­le­res Ver­fah­ren ist die Methan-Pyro­­­lyse, bei der Koh­len­stoff in fester Form ent­steht, der wei­ter­ver­ar­bei­tet werden kann. Ohne strikte Nach­hal­­ti­g­keits-Kri­­te­rien und ein ent­spre­chen­des Moni­to­ring (ins­be­son­dere mit Blick auf Methan­emis­sio­nen und den Schutz öko­lo­gisch sen­si­bler Regio­nen) wäre „kli­ma­freund­li­cher Was­ser­stoff“ aus Erdgas nur ein Etikettenschwindel.

Es bleibt frag­lich, wieweit die gegen­wär­tige rus­si­sche Führung bereit und in der Lage ist, einen öko­lo­gi­schen Kurs­wech­sel ein­zu­lei­ten, der das bis­he­rige System infrage stellt. Dagegen sehen reform­ori­en­tierte Kräfte Russ­lands in Kli­ma­po­li­tik und öko­lo­gi­scher Moder­ni­sie­rung eines der wenigen Felder, auf denen eine kon­struk­tive Zusam­men­ar­beit trotz fort­be­stehen­der poli­ti­scher Span­nun­gen möglich scheint. Eine öko­lo­gi­sche Trans­for­ma­tion Russ­lands könnte der Motor für über­fäl­lige öko­no­mi­sche und poli­ti­sche Refor­men werden.

Rolle der Zivilgesellschaft

Eine öko­lo­gi­sche Moder­ni­sie­rung Russ­lands wird nicht allein „top down“ erfol­gen. Sie erfor­dert eine kri­ti­sche Öffent­lich­keit, poli­ti­sche Par­ti­zi­pa­tion und unab­hän­gige Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen, die Druck auf Regie­rung und Kon­zerne ent­fal­ten können. Aller­dings werden der rus­si­schen Zivil­ge­sell­schaft durch die repres­sive Gesetz­ge­bung und die Ein­engung legaler Spiel­räume für NGO’s enge Schran­ken gesetzt. Auch dies ist ein Thema, das im Rahmen eines EU-Rus­s­­land-Kli­­ma­­dia­­logs auf­ge­grif­fen werden muss.

Umwelt­pro­teste in Russ­land sind bislang kom­mu­nal oder regio­nal, sie zielen auf kon­krete Pro­bleme wie Müll­de­po­nien und Luft­ver­schmut­zung. Eine offene Aus­ein­an­der­set­zung mit der Politik des Kremls wird ver­mie­den. Zugleich tragen die lokalen Initia­ti­ven zur Auf­klä­rung der Gesell­schaft bei und stärken das zivile Selbst­be­wusst­sein. Neben moder­nen rus­si­schen Unter­neh­men ist die Zivil­ge­sell­schaft ein poten­zi­el­ler Treiber einer öko­lo­gi­schen Trans­for­ma­tion des Landes. Sie gilt es zu unterstützen.

 

Dieser Artikel ist zuerst erschie­nen in der Zeit­schrift „Inter­na­tio­nale Politik“, Ausgabe 2/​2021.

 

[1] Zur wirt­schaft­li­chen Bedeu­tung des fos­si­len Ener­gie­sek­tors für Russ­land siehe die gleich­na­mige Studie von „Berlin Eco­no­mics“ im Auftrag des Zen­trums Libe­rale Moderne.

[2] https://www.laenderdaten.info/Europa/Russland/energiehaushalt.php

[3] https://www.swr3.de/aktuell/nachrichten/permafrost-sibirien-taut-100.html

[4] https://www.deutschlandfunk.de/die-moeglichen-folgen-einer-klimaerwaermung-am-beispiel-von.697.de.html?dram:article_id=72458

[5] Siehe https://www.dw.com/de/kommentar-leiden-und-leugnen-die-russen-und-der-klimawandel/a‑49490152

[6] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/putin-und-greta-warum-russland-den-klimawandel-nun-als-risiko-erkennt-16416969.html

[7] https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/308763/analyse-russlands-energiestrategie-bis-zum-jahr-2035-business-as-usual

[8] Zu den ver­hee­ren­den Wald­brän­den im Sommer 2020 siehe https://www.dekoder.org/de/article/sibirien-waldbraende-behoerden-katastrophe

[9] https://www.euractiv.com/section/economy-jobs/news/moscow-cries-foul-over-eus-planned-carbon-border-tax/

Textende


Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nüt­zig aner­kannt, ent­spre­chend sind Spenden steu­er­lich absetz­bar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­da­ten bitte an finanzen@libmod.de

Ver­wandte Themen

News­let­ter

Tragen Sie sich in unseren Russ­land-News­let­ter ein und bleiben Sie auf dem Lau­fen­den. Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.