Warum der Kreml Europas Ultrarechte umgarnt
Geschichtsklitterung als Grundlage für Propaganda: Russland geriert sich gerne als Vorreiter im Kampf gegen den Faschismus. Wieso unterhält der Kreml dann beste Kontakte zur europäischen Ultrarechten?
Russland hat feierliche Feuerwerke angekündigt, mit denen der 75. Jahrestag der „Befreiung“ von mehreren osteuropäischen Hauptstädten 1944/45 begangen werden soll. Auch auf dem diplomatischen Parkett wird lebhaft Pyrotechnik eingesetzt: Die Außenministerien der baltischen Staaten haben allesamt aus Protest die Botschafter Russlands einbestellt. Das Ende der Nazi-Herrschaft im Baltikum war der Anfang einer weiteren Besatzung, die zehn Mal länger währte und in mancherlei Hinsicht größeren Schaden anrichtete. Andere Länder haben ähnliche Erfahrungen gemacht.
Während die Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges verblassen, ist Russland damit beschäftigt, Geschichte umzuschreiben. Die Ursprünge des Zweiten Weltkrieges sowie die unmittelbare Nachkriegszeit werden dabei ignoriert. Am 23. August, dem 80. Jahrestag des Hitler-Stalin-Pakts, ist kein festliches Feuerwerk zu erwarten. Dieser Vertrag war zwar offiziell ein Nichtangriffspakt zwischen Nazi-Deutschland und der Sowjetunion, umfasste aber auch ein geheimes Zusatzprotokoll, mit dem die beiden totalitären Regime Osteuropa unter sich aufteilten. Das Protokoll hatte – neben anderen blutigen Konsequenzen – zur Folge, dass ein großer Teil der osteuropäischen Juden den Nazi-Schlächtern ausgeliefert wurde. Auch werden in Russland oft die Fehler Stalins und der furchtbare Preis vergessen, den nicht-russische Menschen und Orte in der Sowjetunion dafür zu zahlen hatten.
Stattdessen besteht der simple Faden dieses Narrativs aus Heldentum gegenüber den bestialischen Nazis, beispielhaft verkörpert in den anrührenden Prozessionen des „Unsterblichen Regiments“, die in Russland und darüber hinaus abgehalten werden und bei denen Russen mit Bildern ihrer Veteranen und Vorfahren marschieren. Wer dies in Frage stellt oder damit nicht einverstanden ist, muss ein verkappter Nazi sein. Das ist Unsinn, allerdings ein effektiver Unsinn.
Geschichtsklitterung ist die Grundlage für Propaganda
Die Vergangenheit zu verzerren ist Grundlage für Propaganda in der Gegenwart. Das Außenministerium Russlands erstellt zu sechzig Ländern einen detaillierten jährlichen Bericht, in dem festgestellt wird, ob diese Länder „den Nazismus verherrlichen“. Dieser wird sehr breit definiert: So wird zum Beispiel Polen dafür kritisiert, dass es an den Warschauer Aufstand von 1944 erinnert.
Diese Politik hat einen eigenen Dreh: Während das Putin-Regime unentwegt den – meist imaginierten – Faschismus in Ländern wie der Ukraine anprangert, unterhält es selbst enge Verbindungen zu den Ultrarechten in Deutschland, Griechenland, Frankreich, Italien und anderswo.
Vergangene Woche sind mit einem Exklusivbericht der US-Nachrichtenseite „Buzzfeed“, der wie eine Bombe einschlug, neue Belege hierzu aufgetaucht. Der Mitschnitt eines Treffens in Moskau zeigt Vertreter der italienischen ultrarechten Partei Lega– ihres Zeichens Teil der Regierungskoalition –, die einen Öl-Deal über 65 Millionen Dollar verhandeln, der auch ihrer Partei Geld einbringen sollte.
Der Kreml findet in der europäischen Ultrarechten nützliche Verbündete
Im Frühjahr 2019 war ein Video öffentlich geworden, das den Chef der ultrarechten österreichischen Partei FPÖ, Heinz-Christian Strache, in einer Villa auf Ibiza zeigt. In dem Video bietet Strache einer angeblichen russischen Oligarchennichte Staatsaufträge an – im Gegenzug für finanzielle Unterstützung.
Die Details liegen noch im Dunkeln. Wer machte diese Aufnahmen, und wer gab sie an die Presse weiter? Politik zu betreiben, indem Gegner abgehört und heimlich gefilmt werden, ist eine ungesunde Angewohnheit. Besser ist es, Extremisten und ausländische Marionetten mit Hilfe von Fakten und Argumenten zu schlagen.
Das allgemeine Bild jedoch ist klar: Die Ultrarechte findet an vielem in Russland Gefallen, insbesondere an dem fremdenfeindlichen, grob vereinfachenden, nationalistischen und mit Groll geladenen Politikansatz. Und der Kreml, der multilaterale Organisationen wie die EU oder NATO spalten und sprengen möchte, findet in der von Nationalismus besessenen Ultrarechten nützliche Verbündete. Eine auf internationale Regeln gestützte, auf Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit beruhende Zusammenarbeit ist ein Albtraum für den Kreml. Ein attraktives und erfolgreiches westliches Modell würde auf gefährliche Weise die Stagnation und die Rechtlosigkeit in Russland verdeutlichen. Zugegebenermaßen sind derzeit – in Zeiten der Handelskriege, der diplomatischen Zänkereien, der finanziellen Ungewissheit und der allgemeinen Uneinigkeit – wenig Anzeichen dafür zu erkennen. Es könnte ja aber sein, dass wir wieder auf die Beine kommen.
Russland sucht allerdings auch Verbindungen zu den Ultralinken, sowohl mit den alten Kommunisten in Ländern wie der Tschechischen Republik als auch mit moderner denkenden Sozialisten andernorts. Diese Linken applaudieren dem rhetorischen Bekenntnis zum „Antifaschismus“. Bevor sie jedoch Tickets für die Moskauer Feuerwerke kaufen, sollten sie sich eine Frage stellen: Wenn der Kreml so sehr über den Faschismus besorgt ist, warum sind dann seine politischen Verbindungen zur Ultrarechten derart innig?
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