„Wir dürfen Russland nicht erlauben zu siegen“

Im vierten Jahr nach der russischen Großinvasion in die Ukraine tun sich Deutschland und Europa immer noch schwer, aus der Bedrohung durch Moskau die richtigen Schlüsse zu ziehen. Bei der diesjährigen Podiumsdiskussion „Russland und der Westen“ wurden die Probleme und Herausforderungen diskutiert sowie dringende Handlungsempfehlungen ausgesprochen.
Das Putin-Regime wird auf absehbare Zeit die größte Bedrohung nicht nur für die europäische Sicherheit, sondern auch für die europäische Demokratie bleiben, sagte LibMod-Gründer Ralf Fücks zur Eröffnung. Im russischen Krieg gegen die Ukraine gehe es nicht nur um Territorium, der Krieg sei auch Ausdruck eines Systemkonflikts zwischen Autokratie und Demokratie. Dabei werde Russland von autoritären Staaten wie Belarus, Iran, Nordkorea und China unterstützt. Dagegen sei eine globale Allianz der Demokratien nötig.
Wie kann Europa verhindern, dass es diesen Konflikt verliert? Die fünf Panelistinnen und Panelisten präsentierten dazu knapp zwei Stunden lang eine Reihe von Vorschlägen, nannten aber auch die Grenzen des Machbaren.
„Die Bedrohung ist langfristig“
Die lettische Botschafterin Alda Vanaga betonte, dass die Bedrohung aus Russland langfristig ist. Das müssten die Menschen im Westen Europas verstehen. Weder sei ein Ende des Krieges absehbar, noch sei ein Wandel in Russland wahrscheinlich, sollte der Krieg doch zu Ende gehen. Deshalb müsse Europa Geschlossenheit gegenüber Moskau zeigen und massiv in seine Verteidigung investieren. Lettland sei auf gutem Weg, das NATO-Ziel von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung im kommenden Jahr zu erreichen.
Vanaga betonte, dass ihr Land „stark und wehrfähig“ und bereit sei, die NATO zu verteidigen. Sie räumte aber ein: „Was uns fehlt, ist glaubhafte Abschreckung, daran müssen wir noch arbeiten.“
Voraussetzung für eine glaubhafte Abschreckung ist, dass die eigene Armee imstande ist, einen Krieg zu führen. Darauf ging die französische Abgeordnete Natalie Pouzyreff ein, indem sie eindringlich für eine Reform der europäischen Rüstungsindustrie warb. Es gebe zu viele nationale Egoismen, die verhinderten, dass solche Betriebe konsolidiert werden könnten. Ziel müsse sein, die europäischen Armeen und Rüstungsbetriebe zu vereinheitlichen. Nur so könne Europa in die Lage gebracht werden, einen Krieg zu führen.
Pouzyreff, die im Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung sitzt, argumentierte, dass die Rüstungsindustrie Arbeitsplätze sichere und Technologie fördere. Der Bevölkerung müsse klar kommuniziert werden, dass der vermeintlich ferne Krieg in der Ukraine „unser Krieg“ sei, in dem europäische Werte wie Meinungsfreiheit und Menschenrechte verteidigt würden. „Wir dürfen Russland nicht erlauben zu siegen,“ forderte sie.
Europa schlecht vorbereitet
Der polnische Experte Marcin Zaborowski erklärte, dass er selbst überrascht war, wie schlecht Europa auf den Krieg vorbereitet gewesen sei: Nicht nur werde auf dem Kontinent viel zu wenig Munition produziert, selbst im vermeintlichen Musterland Polen, das bereits das NATO-5-Prozent-Ziel erreicht habe, gebe es große Fragezeichnen etwa bei Schutzräumen und der Zahl von Krankenhäusern.
Dirk Schübel, der im Europäischen Auswärtigen Dienst in Brüssel das Russland-Referat leitet, gab unumwunden zu, dass Europa in der Vergangenheit zu wenig getan habe. Russland sei „in den letzten Monaten hyperaktiv“ und lasse Drohnen nicht nur über Polen fliegen, sondern mutmaßlich auch über kritische Infrastruktur und Flughäfen in verschiedenen Städten, die daraufhin geschlossen werden mussten. Europa müsse im Gegenzug seine kritischen Ressourcen, etwa in der Cybersicherheit und Luftverteidigung, stärken, forderte er.
Der russische Oppositionspolitiker Michail Chodorkowski, den Moderatorin Marieluise Beck als „Überraschungsgast“ ankündigte, weil er nicht im Programm stand, räumte ein, dass der Schaden, den die Kremlpropaganda in seinem Land angerichtet hat, erheblich sei. Er habe nicht erwartet, dass die staatliche Propaganda so erfolgreich sein könne („in der Sowjetunion haben wir darüber nur gelacht“).
Chodorkowski warnt vor neuem eisernen Vorhang
Angesichts der Tatsache, dass es in Russland wohl keine „Deputinisierung von oben“ (wie die Denazifizierung im Nachkriegsdeutschland) geben werde, könne der Westen nur zwei Strategien verfolgen: Entweder die russische Gesellschaft hinter einem eisernen Vorhang isolieren, oder, und das sei der bessere Weg, Kontakte zu ihr aufrechthalten, „auch wenn die Gesellschaft zutiefst krank ist“.
Chodorkowski warb für mehr und bessere Kommunikation des Westens über den Sinn der Sanktionen. Das Thema sei zu stark der Kreml-Propaganda überlassen worden. Zudem machte er sich für Austauschprogramme für russische Studierende stark. Schübel merkte hier an, dass russische Studenten im Rahmen des Erasmus-Programms weiterhin in die EU kommen könnten – nur für europäische Studierenden gebe es keine Möglichkeit mehr, nach Russland zu gehen, „damit sie nicht indoktriniert werden“.
Für Botschafterin Vanaga bietet der Erfolg der Kreml-Propaganda sogar einen kleinen Hoffnungsschimmer für Russland: „Wenn die Propaganda so gut funktioniert,“ sagte sie, könne sie nach einem Machtwechsel ja auch in eine andere (demokratische) Richtung wirken, mutmaßte sie.
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