Deutschland muss in Belarus und Russland handeln
In ihrer letzten Kanzlerschaft kann Angela Merkel die Politik Deutschlands und Europas gegenüber Belarus und Russland noch entscheidend prägen.
Die deutschen Sicherheitskräfte überlassen nichts dem Zufall. Ihre Mitarbeiter sind außerhalb und innerhalb der Charite stationiert, wo Russlands prominentester Oppositionsführer Alexei Nawalny behandelt wird.
Nawalny war auf Merkels persönliche Intervention nach Berlin geflogen worden, nachdem er auf einem Flug von Sibirien nach Moskau ins Koma gefallen war. Zunächst war er in der sibirischen Stadt Omsk behandelt worden, wo seiner Frau verboten wurde, ihn zu besuchen und die Ärzte Ausflüchte um seinen Gesundheitszustand machten.
Nawalnys Unterstützer haben von Anfang gesagt, dass er vergiftet wurde, möglicherweise als er am Flughafen Tee trank. Die Ärzte an der Berliner Charite, die bereits früher Opfer russischer Gift-Attacken behandelt haben, bestätigten dies am 24. August. Am 2. September erklärte dann Merkel persönlich, dass Nawalny mit einem Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde.
Merkel und Außenminister Heiko Maas haben Moskau umgehend aufgefordert, eine umfassende und transparente Untersuchung einzuleiten und gefordert, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Maas hat am 6. September nachgelegt und Nawalnys Vergiftung einen „schweren Verstoß gegen internationales Recht“ genannt.
Zu oft schon sind Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin Ziele von Attentaten geworden. Nawalny, der unermüdlich die Korruption aufgedeckt hat, die typisch für Putins Umfeld ist, ist nur das jüngste Opfer der Bemühungen des Kremls, jegliche Opposition auszulöschen.
Gleichzeitig passieren im benachbarten Belarus außergewöhnliche Dinge. Hunderttausende Bürger gehen seit Wochen auf die Straße, um gegen die Art und Weise zu protestieren, wie sich Präsident Aljaxandr Lukaschenka am 9. August wiederwählen ließ.
Die Führer der Protestbewegung haben genug Belege, um nachzuweisen, dass das Wahlergebnis gefälscht war. Und trotz Festnahmen, Schlägen, Folter, verschwundener und getöteter Aktivisten, trotz Einschüchterungen und Polizeigewalt lassen sich die Menschen nicht davon abbringen, dem Regime die Stirn zu bieten.
Es ist schwer vorherzusagen, wie sich die Lage in Belarus entwickeln wird. Bislang hat Lukaschenka keine Bereitschaft erkennen lassen, mit dem Koordinationsrat der Opposition zu verhandeln. Stattdessen wurden Angehörige des Rates festgenommen und von der Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren gegen das Gremium eröffnet. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert an der Macht kommen Kompromisse oder Verhandlungen für Lukaschenka wohl nicht in Frage. So wie für Putin.
Aber Gewalt gegen friedliche Demonstranten oder Versuche, sie zu Gewalt zu provozieren können den bisherigen Status quo in Belarus nicht retten. Sowohl Belarus als auch Russland sind – in unterschiedlichem Ausmaß – bereits im Wandel begriffen.
Weil das so ist und weil Europa somit Instabilität an seiner Haustür hat, sollte Deutschland seinen Einfluss geltend machen.
Was Russland angeht, könnte Berlin eine Reihe von Dingen tun. Nawalny in Berlin behandeln zu lassen, war eine richtige humanitäre Geste. Aber das wird Putin kaum umstimmen. Wenn Berlin oder Paris Nawalny Asyl gewähren, dann wäre damit nur ein weiterer russischer Dissident aus der Schusslinie des Kremls.
Stattdessen sollte die Bundesregierung ihre Hilfe für die russische Zivilgesellschaft verstärken. Dazu könnte sie unabhängige Medien unterstützen, jungen Menschen Stipendien gewähren und Umweltschützer fördern. An vorderster Stelle könnte Merkel den Bau der Gaspipeline Nord Stream2 stoppen, die russisches Gas durch die Ostsee direkt nach Deutschland liefern soll.
Ganz abgesehen von den Sanktionsdrohungen der Regierung von US-Präsident Donald Trump gibt es für Deutschland keine politischen oder wirtschaftlichen Gründe, seine Abhängigkeit von russischen Energieträgern zu steigern. Durch das Festhalten an Nord Stream 2 bezahlt Deutschland Kompensationen für die anhaltenden niedrigen Energiepreise an Russland.
Eine Abkehr von Nord Stream 2 würde in der deutschen Öffentlichkeit als Einknicken vor amerikanischen Druck wahrgenommen. Aber durch ihre Beibehaltung werden alle deutschen und europäischen Bemühungen für eine Diversifizierung der Energiequellen zunichte gemacht. Außerdem hat Putins Führungsstil über die Jahre bewiesen, dass allen Hoffnungen zum Trotz wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland das Land nicht näher an Europa rückt. Nord Stream 2 bringt den Kreml nicht vom Kurs ab.
Das gleiche kann man von Lukaschenka sagen.
Die belarusische Wirtschaft ist eng mit der russischen verbunden. Das gibt Moskau eine Menge Einfluss in Minsk. Aber Deutschland und die EU sehen auch, wie das alte Regime um sein Überleben kämpft. Lukaschenka kann seine Herrschaft mit noch mehr Gewalt sichern, aber der Preis dafür wäre hoch.
Deutschland und die EU müssen die belarusische Zivilgesellschaft unterstützen – so wie es Litauen seit Jahren tut. Aber das reicht nicht. Man wird sich auch mit Lukaschenka auseinandersetzen müssen. Das ist nicht die Einflussnahme, von der die Staatspropaganda spricht, wenn sie die NATO und ausländische Mächte für die Demonstrationen verantwortlich macht. Die Demonstranten fordern keine Mitgliedschaft in der EU oder NATO. Sie stehen für eine friedlichen und gewaltfreien Übergang von einem autoritären Regime zur Demokratie.
Das ist die größte Bedrohung für das Regime in Minsk – und für das in Moskau.
Dieser Text ist zuerst am 25. August bei Carnegie Europe erschienen. Übersetzung ins Deutsche von Nikolaus von Twickel
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