Macrons Annä­he­rung an Russ­land – eine Initia­tive ohne Biss

Macron auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz 2020, MSC /​ Kuhl­mann

Auf der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz im Februar plä­dierte der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Emma­nuel Macron für eine Wie­der­an­nä­he­rung an Russ­land. Sechs Monate später fragt Edward Lucas, was eigent­lich aus dem Vorstoß gewor­den ist.

Die Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz fand vor gerade sechs Monaten statt. Aber ihre mit über­eif­ri­gen Netz­wer­kern über­füll­ten Hallen sind gefühlt eine Ewig­keit her. Das gleiche gilt für Emma­nuel Macrons Vorstoß, das Ver­hält­nis zu Russ­land zu erneu­ern. Ich saß wütend im Saal, als der fran­zö­si­sche Prä­si­dent ein Feu­er­werk aus Kli­schees, Bin­sen­weis­hei­ten und Wunsch­den­ken von sich gab. Russ­land ist wichtig – ja. Europa sollte stark und vereint sein – ja. Wir sollten mit Russ­land reden – ja. Frank­reich sollte die Führung über­neh­men – viel­leicht – aber wo und wie? Und wohin? 

Portrait von Edward Lucas

Edward Lucas ist Jour­na­list, Sicher­heits­experte und Poli­ti­ker der bri­ti­schen Liberaldemokraten.

Die größte Schwä­che an der Initia­tive des fran­zö­si­schen Staats­chefs war und ist die Annahme, dass das Kern­pro­blem der euro­pä­isch-rus­si­schen Bezie­hun­gen ein feh­len­der Dialog sei. Unser Problem sei ledig­lich das Ergeb­nis von Miss­ver­ständ­nis­sen, heißt es. Wenn wir nur reden, dann finden wir eine Lösung die beiden passt. Macron ist nicht der einzige füh­rende west­li­che Poli­ti­ker, der so denkt. Hinter dem Ruf nach Dialog steckt ein unter­schwel­li­ges Signal: die bis­he­ri­gen Poli­ti­ker haben versagt, aber meine per­sön­li­chen Fähig­kei­ten werden es richten.

Aber in Wahr­heit sind Per­sön­lich­kei­ten kaum rele­vant und an Dialog mangelt es über­haupt nicht. Was uns fehlt sind Ideen und Wil­lens­stärke. Russ­land und die EU haben unter­schied­li­che Inter­es­sen. Während Russ­land weiß, was es will, ist die EU gespal­ten. Wollen wir unsere wirt­schaft­li­chen Inter­es­sen nach vorne rücken? Und billige Energie bekom­men? Wollen wir das mili­tä­ri­sche Risiko mini­mie­ren? Oder Demo­kra­tie fördern? Wollen wir die Sicher­heit von EU-Mit­glie­dern (und unserer öst­li­chen Nach­barn) stärken, die im wahrs­ten Wort­sinn in der Schuss­li­nie rus­si­scher Aggres­sion stehen? Wenn Sie in euro­päi­schen Haupt­städ­ten nach­fra­gen, werden Sie unter­schied­li­che Ant­wor­ten erhalten.

Weder damals noch heute hat Herr Macron die Vor­be­din­gun­gen für seinen Vorstoß genannt. Was sollte Russ­land tun oder nicht (mehr) tun? Was sollte der Westen (die EU, NATO oder Frank­reich) im Gegen­zug tun oder nicht tun?

Der Mord­ver­such an Alexei Nawalny und die Unter­stüt­zung des Kremls für die Lukaschenka-Dik­ta­tur in Belarus werfen ein Schlag­licht auf die Leere des fran­zö­si­schen Ansat­zes. Diese Gräuel sind nicht die Folge eines Mangels an Dialog mit der EU. Sie sind die Folge einer impe­ria­lis­ti­schen Klep­to­kra­tie, die alles was sie als exis­ten­ti­elle Bedro­hung wahr­nimmt, ver­sucht zu vernichten.

Das heißt nicht, dass Ver­hand­lun­gen mit Russ­land unmög­lich sind. Das Leben ist voller Kom­pro­misse. Man kann immer etwas opfern, das einem weniger wert ist, um dafür etwas wich­ti­ge­res zu gewin­nen. Auch der Kreml hat Prio­ri­tä­ten. Ich könnte mir vor­stel­len, dass wir mit einer kon­se­quen­ten Ver­hand­lungs­stra­te­gie Abkom­men zu Atom­waf­fen, Welt­raum­waf­fen, zum zivilen Kata­stro­phen­schutz, zu Umwelt­schutz und zur Redu­zie­rung von ver­se­hent­li­chen Mili­tär­schlä­gen errei­chen können. Wir könnten über Syrien, Libyen und sogar über China sprechen.

Aber Grund­satz dafür muss sein, dass dabei die Inter­es­sen der klei­ne­ren Staaten nicht unter die Räder kommen. Deutsch­land hat mit seinem Fest­hal­ten an der Nord Stream 2 Gas­pipe­line viel Ver­trauen in Ost­eu­ropa und der Ukraine ver­spielt. Dabei haben kurz­sich­tige Eigen­in­ter­es­sen stra­te­gi­sche Über­le­gun­gen über­la­gert. Der damit ein­her­ge­hende Ein­fluss­ver­lust wäre eine gute Gele­gen­heit für Frank­reich, um sein eigenes Image zu ver­bes­sern. Aber Macron hat diese Chance vertan, als er ähnlich eng­stir­nig den Beginn von EU-Bei­tritts­ver­hand­lun­gen für Alba­nien und Nord-Maze­do­nien mit einem Veto ver­hin­derte. Diese Ver­hand­lun­gen begin­nen jetzt im Herbst unter dem deut­schen EU-Ratsvorsitz.

Wenig gehört hat man von Macrons anderem Lieb­lings­thema, der stra­te­gi­schen Auto­no­mie für die EU. Statt­des­sen haben wir einen stra­te­gi­schen Kompass, bezie­hungs­weise den Versuch, diese mythi­sche Ori­en­tie­rungs­hilfe zu finden. Machen Sie sich keine Hoffnungen.

Die Corona-Krise hat die ambi­tio­nier­ten EU-Ver­tei­di­gungs­pläne gelähmt. Das geplante 7‑Jahres Budget stellt nur 7 Mil­li­ar­den (statt wie gehofft 11,5 Mil­li­ar­den) Euro für den Euro­päi­schen Ver­tei­di­gungs­fonds in Aus­sicht und 1,5 Mil­li­ar­den Euro für mili­tä­ri­sche Mobi­li­tät, wenig mehr als ein Viertel der für eine Ver­bes­se­rung von Infra­struk­tur und Ver­wal­tung benö­tig­ten 5,8 Milliarden.

Die Pan­de­mie hat auch die Aus­sich­ten auf eine Macron-zen­tri­sche (ver­zei­hung, fran­zö­sisch geführte) EU-Außen­po­li­tik zer­stört. Der ruhige, wis­sen­schafts­ba­sierte Kurs von Angela Merkel und die Stärke des deut­schen Gesund­heits­sys­tems haben die Kanz­le­rin und Deutsch­land zu Europas Top-Per­for­mern gemacht.

Für die EU ist Belarus jetzt das drin­gendste Problem: ein Blut­ver­gie­ßen muss ver­hin­dert werden und die Demo­kra­tie geför­dert werden. Aber selbst das scheint außer­halb der euro­päi­schen Reich­weite. Die trau­rige Wahr­heit ist, dass die EU-Außen­po­li­tik bis zur US-Wahl im Novem­ber auf Eis liegt. Ein Sieg für Joe Biden ver­spricht mehr oder weniger eine Rück­kehr zum Busi­ness as usual. Aber auch ein Sieg Trumps bedeu­tet so wei­ter­ma­chen wie bisher – mit den glei­chen unge­lös­ten Pro­ble­men. Wie immer die Wahl ausgeht, die Suche nach Ant­wor­ten wird mühsam. Sie in Paris zu finden, scheint unmöglich.

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