Macrons Annäherung an Russland – eine Initiative ohne Biss
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar plädierte der französische Präsident Emmanuel Macron für eine Wiederannäherung an Russland. Sechs Monate später fragt Edward Lucas, was eigentlich aus dem Vorstoß geworden ist.
Die Münchner Sicherheitskonferenz fand vor gerade sechs Monaten statt. Aber ihre mit übereifrigen Netzwerkern überfüllten Hallen sind gefühlt eine Ewigkeit her. Das gleiche gilt für Emmanuel Macrons Vorstoß, das Verhältnis zu Russland zu erneuern. Ich saß wütend im Saal, als der französische Präsident ein Feuerwerk aus Klischees, Binsenweisheiten und Wunschdenken von sich gab. Russland ist wichtig – ja. Europa sollte stark und vereint sein – ja. Wir sollten mit Russland reden – ja. Frankreich sollte die Führung übernehmen – vielleicht – aber wo und wie? Und wohin?
Die größte Schwäche an der Initiative des französischen Staatschefs war und ist die Annahme, dass das Kernproblem der europäisch-russischen Beziehungen ein fehlender Dialog sei. Unser Problem sei lediglich das Ergebnis von Missverständnissen, heißt es. Wenn wir nur reden, dann finden wir eine Lösung die beiden passt. Macron ist nicht der einzige führende westliche Politiker, der so denkt. Hinter dem Ruf nach Dialog steckt ein unterschwelliges Signal: die bisherigen Politiker haben versagt, aber meine persönlichen Fähigkeiten werden es richten.
Aber in Wahrheit sind Persönlichkeiten kaum relevant und an Dialog mangelt es überhaupt nicht. Was uns fehlt sind Ideen und Willensstärke. Russland und die EU haben unterschiedliche Interessen. Während Russland weiß, was es will, ist die EU gespalten. Wollen wir unsere wirtschaftlichen Interessen nach vorne rücken? Und billige Energie bekommen? Wollen wir das militärische Risiko minimieren? Oder Demokratie fördern? Wollen wir die Sicherheit von EU-Mitgliedern (und unserer östlichen Nachbarn) stärken, die im wahrsten Wortsinn in der Schusslinie russischer Aggression stehen? Wenn Sie in europäischen Hauptstädten nachfragen, werden Sie unterschiedliche Antworten erhalten.
Weder damals noch heute hat Herr Macron die Vorbedingungen für seinen Vorstoß genannt. Was sollte Russland tun oder nicht (mehr) tun? Was sollte der Westen (die EU, NATO oder Frankreich) im Gegenzug tun oder nicht tun?
Der Mordversuch an Alexei Nawalny und die Unterstützung des Kremls für die Lukaschenka-Diktatur in Belarus werfen ein Schlaglicht auf die Leere des französischen Ansatzes. Diese Gräuel sind nicht die Folge eines Mangels an Dialog mit der EU. Sie sind die Folge einer imperialistischen Kleptokratie, die alles was sie als existentielle Bedrohung wahrnimmt, versucht zu vernichten.
Das heißt nicht, dass Verhandlungen mit Russland unmöglich sind. Das Leben ist voller Kompromisse. Man kann immer etwas opfern, das einem weniger wert ist, um dafür etwas wichtigeres zu gewinnen. Auch der Kreml hat Prioritäten. Ich könnte mir vorstellen, dass wir mit einer konsequenten Verhandlungsstrategie Abkommen zu Atomwaffen, Weltraumwaffen, zum zivilen Katastrophenschutz, zu Umweltschutz und zur Reduzierung von versehentlichen Militärschlägen erreichen können. Wir könnten über Syrien, Libyen und sogar über China sprechen.
Aber Grundsatz dafür muss sein, dass dabei die Interessen der kleineren Staaten nicht unter die Räder kommen. Deutschland hat mit seinem Festhalten an der Nord Stream 2 Gaspipeline viel Vertrauen in Osteuropa und der Ukraine verspielt. Dabei haben kurzsichtige Eigeninteressen strategische Überlegungen überlagert. Der damit einhergehende Einflussverlust wäre eine gute Gelegenheit für Frankreich, um sein eigenes Image zu verbessern. Aber Macron hat diese Chance vertan, als er ähnlich engstirnig den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen für Albanien und Nord-Mazedonien mit einem Veto verhinderte. Diese Verhandlungen beginnen jetzt im Herbst unter dem deutschen EU-Ratsvorsitz.
Wenig gehört hat man von Macrons anderem Lieblingsthema, der strategischen Autonomie für die EU. Stattdessen haben wir einen strategischen Kompass, beziehungsweise den Versuch, diese mythische Orientierungshilfe zu finden. Machen Sie sich keine Hoffnungen.
Die Corona-Krise hat die ambitionierten EU-Verteidigungspläne gelähmt. Das geplante 7‑Jahres Budget stellt nur 7 Milliarden (statt wie gehofft 11,5 Milliarden) Euro für den Europäischen Verteidigungsfonds in Aussicht und 1,5 Milliarden Euro für militärische Mobilität, wenig mehr als ein Viertel der für eine Verbesserung von Infrastruktur und Verwaltung benötigten 5,8 Milliarden.
Die Pandemie hat auch die Aussichten auf eine Macron-zentrische (verzeihung, französisch geführte) EU-Außenpolitik zerstört. Der ruhige, wissenschaftsbasierte Kurs von Angela Merkel und die Stärke des deutschen Gesundheitssystems haben die Kanzlerin und Deutschland zu Europas Top-Performern gemacht.
Für die EU ist Belarus jetzt das dringendste Problem: ein Blutvergießen muss verhindert werden und die Demokratie gefördert werden. Aber selbst das scheint außerhalb der europäischen Reichweite. Die traurige Wahrheit ist, dass die EU-Außenpolitik bis zur US-Wahl im November auf Eis liegt. Ein Sieg für Joe Biden verspricht mehr oder weniger eine Rückkehr zum Business as usual. Aber auch ein Sieg Trumps bedeutet so weitermachen wie bisher – mit den gleichen ungelösten Problemen. Wie immer die Wahl ausgeht, die Suche nach Antworten wird mühsam. Sie in Paris zu finden, scheint unmöglich.
Verwandte Themen
Newsletter
Tragen Sie sich in unseren Russland-Newsletter ein und bleiben Sie auf dem Laufenden. Mit unseren Datenschutzbestimmungen erklären Sie sich einverstanden.