„Die beste Russ­land­po­li­tik ist, einen Sieg der Ukraine zu unterstützen“

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Kon­fe­renz­be­richt

RUSSLAND UND DER WESTEN
Lessons Learned?
Die Russ­land­po­li­tik des Westens

Mehr als 120 Exper­tin­nen und Exper­ten aus gut einem Dutzend Länder haben an der fünften Auflage unserer Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“ am 20. April in Berlin teil­ge­nom­men. Die Fach­ta­gung fand bereits zum zweiten Mal unter dem Schat­ten des rus­si­schen Angriffs­krie­ges gegen die Ukraine statt – und erst­mals im Rahmen des inter­na­tio­na­len Expert Network Russia.

Aus Fehlern lernen, ist manch­mal eine schwere Übung. So auch im Fall der Russ­land­po­li­tik des Westens. Das gilt auch für die Schluss­fol­ge­run­gen, die wir mit Blick auf die Ukraine ziehen.  Dies könnte das Fazit der dies­jäh­ri­gen Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“ sein, nun schon der zweiten, die unter dem Schat­ten des rus­si­schen Angriffs­krie­ges stattfand.

Zu Beginn widmete LibMod-Direk­tor Ralf Fücks die Kon­fe­renz dem rus­si­schen Oppo­si­tio­nel­len Wla­di­mir Kara-Mursa, der 2022 noch mit am Tisch saß und kurz drauf in Moskau fest­ge­nom­men wurde. Am 17. April – drei Tage vor der Kon­fe­renz – wurde er zu 25 Jahren Lager­haft wegen seiner Kritik am Krieg verurteilt.

„Ent­hemmte Gewalt nach außen und Dik­ta­tur sind zwei Seiten einer Medaille, kon­sta­tierte Fücks. Und: „Nur eine Nie­der­lage des Putin-Regimes (in der Ukraine) eröff­net die Chance auf ein anderes Russ­land, das seinen impe­ria­len Fluch abschüt­telt und endlich den Weg aus auto­ri­tä­rer Herr­schaft zur Demo­kra­tie findet.“

Der Westen muss seine Hilfen für die Ukraine vervielfachen

Wer also über die Zukunft Russ­lands reden will, muss über den Krieg in der Ukraine reden. Deshalb ging es im ersten Panel darum, was getan werden muss, damit die Ukraine gewinnt. Die kurze Antwort: Viel mehr als bisher.

Russ­land ist zwar von seinen mili­tä­ri­schen Zielen noch weit ent­fernt, es wartet aber darauf, dass der Westen müde wird und stellt sich auf einen langen Krieg ein, war die ein­hel­lige Meinung: „Putin hofft, dass dem Westen weniger an der Ukraine liegt als ihm“, betonte eine Dis­kus­si­ons­teil­neh­me­rin (wir nennen hier keine Namen, da die Kon­fe­renz unter Chatham-House-Regeln stattfand).

Das Bei­spiel der ost­ukrai­ni­schen Stadt Bachmut, wo Russ­land seit Monaten nur mini­male Gelän­de­ge­winne bei mas­si­ven Ver­lus­ten erzielt, zeige, dass für den Kreml „ein schlech­ter Krieg allemal besser als ein schlech­ter Frieden ist, bei dem Fehler ein­ge­stan­den werden müssten.“

Deshalb sei es so wichtig, dass die Ukraine lang­fris­tige und sys­te­ma­ti­sche mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung bekomme. Ein starkes Zeichen dafür könne die Aus­bil­dung ukrai­ni­scher Piloten auf west­li­chen Kampf­flug­zeu­gen sein.

Der Westen habe aber auch stra­te­gi­schen Nach­hol­be­darf: Trotz der immer wieder vor­ge­tra­ge­nen Unter­stüt­zung für Kyjiw gebe es keine gemein­same Vision für die Kriegs­ziele der Ukraine: Zu viele hätten Angst vor einer rus­si­schen Nie­der­lage, wurde kri­ti­siert. Dabei sei doch klar, dass jede Zwei­deu­tig­keit des Westens vom Kreml aus­ge­nützt wird.

Eher werden die Eliten brüchig als die Wirtschaft

Wie fest sitzt Putin nach 14 Monaten Krieg noch im Sattel? Was sind die „Soll­bruch­stel­len“ seines Regimes? Darüber ging es im dar­auf­fol­gen­den Panel 2.

Zunächst: Wirt­schaft­lich steht Russ­land besser da als von vielen vor einem Jahr pro­gnos­ti­ziert: Das Land lebt nicht nur vom Verkauf von Öl und Gas, sondern auch von einer ganzen Reihe anderer Roh­stoffe wie Pal­la­dium, Nickel und für die Dün­ger­pro­duk­tion benö­tigte Kali­salze. Die rus­si­sche Wirt­schaft ist auch deshalb relativ immun gegen Sank­tio­nen, weil sie im inter­na­tio­na­len Ver­gleich recht pri­mi­tiv ist: Außer Waffen und Nukle­ar­tech­no­lo­gie stellt das Land keine nen­nens­wer­ten Export­gü­ter her.

Dennoch wirken die Sank­tio­nen, aber eben langsam. Ihre Wirkung lassen sich mit einem altern­den Auto ver­glei­chen: Jedes Jahr wird der Wagen schlechter.

Sollen wir also die Soll­bruch­stel­len eher bei den Eliten suchen? Hier könnte es schnel­ler gehen. Putins Ruf ist seit den Nie­der­la­gen von Charkiw und Cherson zumin­dest beschä­digt, und im Falle einer wei­te­ren ernst­haf­ten Nie­der­lage könnte sich das Blatt wenden: „Viele in der rus­si­schen Elite glauben, dass das Land die der­zei­tige Situa­tion nicht lange durch­al­ten kann,“ sagt eine Ken­ne­rin der Materie. Aber mit der Mobil­ma­chung und dem Einsatz von Gefan­ge­nen als „Wagner“-Söldner habe Putin sich auf einen Abnut­zungs­krieg fest­ge­legt und setze darauf, dass Russ­land den län­ge­ren Atem hat. Aus ver­trau­li­chen Gesprä­chen gehe hervor, dass die Stim­mung unter rus­si­schen Eliten außer­halb des engeren Macht­zir­kels so düster wie selten zuvor ist. Die Sorge gehe um, dass Putin das Land gegen die Wand fährt. Ob, wann und wie daraus eine Oppo­si­tion gegen die Politik des Kremls wird, hänge ent­schei­dend vom Ausgang des Ukraine-Aben­teu­ers ab.

Fazit: Es liegt also auch hier in der Hand des Westens und seiner Bereit­schaft, die Ukraine genug zu unterstützen.

Russ­land-Sze­na­rien zwi­schen Tau­wet­ter und Bürgerkrieg

Aber was sind die Aus­sich­ten für ein Russ­land nach Putin? Was kann der Westen hier über­haupt tun, um die Lage zu beein­flus­sen? Die Sze­na­rien eines Wandels reichen von vor­sich­tig opti­mis­tisch (eine neue Regie­rung macht Zuge­ständ­nisse in Rich­tung Plu­ra­lis­mus und Wie­der­an­nä­he­rung an den Westen) bis pes­si­mis­tisch, etwa, weil der Krieg Waffen und trau­ma­ti­sierte Männer in die Gesell­schaft spült und der Staat auch nach einem Ver­schwin­den Putins kri­mi­na­li­siert bleibt.

Ein Sze­na­rio lautete, dass demo­kra­ti­sche Wahlen frü­hes­tens zwei Jahre nach einem Regime-Ende statt­fin­den können. Bis dahin müssten die neuen Regie­ren­den sich aber mit den harten Natio­na­lis­ten arran­gie­ren, die über Waffen ver­fü­gen und gegen eine Frie­dens­lö­sung im Sinne der Ukraine seien. Schlimms­ten­falls drohe ein Bürgerkrieg.

Die Opti­mis­ten dagegen zeigen nach Sibi­rien, wo vor drei Jahren die Men­schen in der Region Cha­ba­rowsk mas­sen­haft gegen die von Moskau ange­ord­nete Abset­zung ihres Gou­ver­neurs pro­tes­tier­ten. Weil es „Dut­zende Cha­ba­rowsks” gebe, sei die Fixie­rung auf die Eliten und eine Palast­re­vo­lu­tion nicht richtig. Trei­bende Kraft eines Wandels seien nicht unbe­dingt die libe­ra­len Milieus in Moskau und St. Peters­burg, sondern die nach Selbst­ver­wal­tung stre­ben­den Kräfte in der rus­si­schen Provinz.

Wie ein Abtritt Putins aus­se­hen soll, blieb offen. Ein großes Risiko ist sicher­lich, dass der rus­si­sche Staat extrem auf Putin zuge­schnit­ten wurde und keine sta­bi­len Insti­tu­tio­nen besitzt. Es gibt kei­ner­lei eta­blierte Ver­fah­ren für einen Macht­wech­sel.  „Seine Person ist das Problem – wenn wir diesen Bolzen raus­neh­men, kann uns alles um die Ohren fliegen,“ sagte ein Teil­neh­mer. Gleich­zei­tig wurde die Mög­lich­keit eines Aus­ein­an­der­bre­chens Russ­lands als eher gering ein­ge­schätzt. Die große Mehr­zahl der rus­si­schen Regio­nen strebe nicht nach Sezes­sion (Eigen­staat­lich­keit), sondern nach mehr Eigen­stän­dig­keit gegen­über Moskau.

Aber noch hat der Staat die Lage mit Pro­pa­ganda, Repres­sio­nen und Geld­ge­schen­ken im Griff. Wirt­schaft­li­che Unzu­frie­den­heit stellt mit­tel­fris­tig offen­bar keine Bedro­hung für den Kreml dar: „Wir haben es auf unab­seh­bare Zeit mit Putin zu tun“. Das wie­derum nährt For­de­run­gen nach einer Reform der Sank­tio­nen. Denn ihr jet­zi­ger Zuschnitt, so das Argu­ment, treibe die Eliten in Putins Arme. Zuletzt damit, dass sich pro­mi­nente Freunde des Prä­si­den­ten west­li­che Firmen billig unter den Nagel reißen konnten. Den Teilen der wirt­schaft­li­chen und gesell­schaft­li­chen Eliten, die bereit sind, sich von Putin abzu­wen­den, müsse eine „Exit-Option“ geboten werden.

Auch die Mei­nun­gen über die Ein­fluss­mög­lich­kei­ten des Westens gehen aus­ein­an­der. Während die einen betonen, dass Jahr­zehnte geschei­ter­ter Demo­kra­tie­för­de­rung in Russ­land gezeigt hätten, dass der Westen seinen Ein­fluss massiv über­schätzt habe, finden andere, dass der Westen sein Poten­tial unter­schätzt habe: Die schwa­che Reak­tion nach dem Ein­marsch in Geor­gien 2008 und in der Ukraine 2014, auf den Syrien-Krieg und die inneren Repres­sio­nen hätten dem Kreml signa­li­siert, dass er weit­ge­hend unge­straft handeln könne.

Einig­keit bestand darin, dass gegen­wär­tig die beste Russ­land­po­li­tik ist, einen mili­tä­ri­schen Sieg der Ukraine zu unter­stüt­zen – Putin würde eine kra­chende Nie­der­lage ver­mut­lich nicht lange über­le­ben. Erst sein Abgang eröff­net die Chance auf eine Wende zum Bes­se­ren im Land und auf einen nach­hal­ti­gen Frieden in Europa. Russ­land müsse, so mehrere Stimmen auf der Kon­fe­renz, „ver­lie­ren lernen, um seine kolo­nia­len Ambi­tio­nen und sein hege­mo­nia­les Denken auf­zu­ge­ben“. Aufgabe des Westens solle sein, die rus­si­sche Oppo­si­tion nach Kräften zu unter­stüt­zen und den demo­kra­ti­schen Wandel in Russ­land zu befördern.


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