Die besten IT-Kon­zerne, die Europa nie hatte

© Shut­ter­stock

Russ­land hat beein­dru­ckende IT-Unter­neh­men her­vor­ge­bracht, die den ame­ri­ka­ni­schen Tech-Riesen die Stirn bieten könnten. Das Problem: Die IT-Szene ist kom­plett vom Kreml kom­pro­mit­tiert. Sucht Moskau sogar bald den Tech­no­lo­gie­trans­fer mit Peking?

Wäre Russ­land ein anderes (oder besser gesagt ein anders regier­tes) Land, dann sähe die euro­päi­sche IT-Land­schaft ganz anders aus. Russ­land ist nämlich das einzige Land in Europa, das eigene IT-Kon­zerne hat, die nicht nur sehr erfolg­reich mit den ame­ri­ka­ni­schen Inter­net-Riesen kon­kur­rie­ren, sondern ihnen sogar voraus sind. Die rus­si­schen Dienste Yandex, Mail.ru und VK hätten auch inter­na­tio­nal eine Her­aus­for­de­rung für Google, Face­book und Co. werden können. Dass das nicht pas­siert ist, liegt nicht zuletzt an der Politik des rus­si­schen Staates, der schon länger und immer stärker ver­sucht, die IT-Branche auf Linie zu bringen und sie in die Struk­tu­ren seines Sicher­heits­ap­pa­rats zu zwängen, um mit ihrer Hilfe die Inter­net­nut­zer (und eigent­lich die gesamte Gesell­schaft) in Schach zu halten. 

Portrait von Klimeniouk

Nikolai Kli­me­niouk lebt seit 2014 als freier Autor in Berlin und schreibt für die Frank­fur­ter All­ge­meine Sonn­tags­zei­tung, die Neue Zürcher Zeitung und andere deut­sche und euro­päi­sche Medien.

Diese Situa­tion war kürz­lich Thema der Podi­ums­dis­kus­sion „Shrin­king Spaces: Wie der Kreml das Inter­net in den Griff nimmt“, die gleich­zei­tig Auf­takt­ver­an­stal­tung des jüngs­ten Pro­jekts zum Thema Mei­nungs­frei­heit in Russ­land des Zen­trums Libe­rale Moderne und des Mos­kauer Sacha­row-Zen­trums war. Haupt­red­ner war Andrei Sol­d­a­tow, ein inves­ti­ga­ti­ver Jour­na­list und Co-Autor (mit Irina Borogan) meh­re­rer Stan­dard­werke über die rus­si­schen Geheim­dienste und ihre Tätig­keit im Internet.

Laut Sol­d­a­tow gehen die her­aus­ra­gen­den Leis­tun­gen der rus­si­schen Inter­net-Branche auf den Kalten Krieg zurück. Die vielen hoch­qua­li­fi­zier­ten Inge­nieure, die in der Sowjet­union für die Rüs­tungs­in­dus­trie und das Militär aus­ge­bil­det wurden, ver­lo­ren nach dem Zerfall der UdSSR ihre Arbeit und wech­sel­ten in die IT-Branche. Lange Zeit gingen Fach­leute davon aus, dass die Allianz von Inge­nieu­ren und dem Militär in Russ­land Geschichte sei. Schließ­lich gehör­ten die IT-Spe­zia­lis­ten einer hoch glo­ba­li­sier­ten und kos­mo­po­li­ti­schen Zunft an; sie spra­chen gut Eng­lisch, hatten schein­bar libe­rale poli­ti­sche Ansich­ten und waren meis­tens nicht im Staats­sek­tor beschäf­tigt. Diese opti­mis­ti­sche Ein­schät­zung hat sich nicht bestä­tigt. Die Ent­wick­lun­gen der letzten Jahre zeigen, dass die Allianz von Inge­nieu­ren und dem Militär wei­ter­hin besteht.

Wird Russ­land auch eine Great Fire­wall hochziehen?

Sol­d­a­tow ver­mu­tet, dass das so ist, weil das Bil­dungs­sys­tem weit­ge­hend unre­for­miert geblie­ben ist. Es pro­du­ziert nach wie vor viele Tech­ni­ker, ohne ihnen Grund­la­gen der Ethik zu ver­mit­teln, statt­des­sen nur Staats­pa­trio­tis­mus. Ein Inge­nieur, der nur sein Fach gelernt hat, argu­men­tiert Sol­d­a­tow, liebt Ordnung und ver­ab­scheut Chaos, dabei steht ein starker Staat für Ordnung und die Demo­kra­tie wird tra­di­tio­nell mit Chaos ver­bun­den. Diese laten­ten Ein­stel­lun­gen kommen seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukraine und der Anne­xion der Krim plötz­lich wieder an die Ober­flä­che, zumal nun viel staat­li­ches Geld in die IT-Branche fließt.

Die relativ hohe Bereit­schaft der IT-Spe­zia­lis­ten, mit staat­li­chen Stellen zusam­men­zu­ar­bei­ten, erklärt laut Sol­d­a­tow die rela­tive Leich­tig­keit, mit der der rus­si­sche Staat seine Kon­trolle über das Inter­net ausbaut.

Die große Frage in Bezug auf Russ­land lautet, ob es dem chi­ne­si­schen Bei­spiel folgt und eine eigene Vari­ante der Great Fire­wall ausbaut. Dazu, betont Sol­d­a­tow, fehlt dem rus­si­schen Staat das Know-how, man möchte aber auch keine zu enge Zusam­men­ar­beit mit China; sie wäre ein zu großes Sicher­heits­ri­siko. Moskau gehe es im Moment nicht so sehr darum, jeden Schritt der Bürger zu kon­trol­lie­ren und alle Inhalte zu filtern, sondern vor allem darum, Pro­teste zu ver­hin­dern. Und falls es doch zu Pro­tes­ten komme, dann gehe es darum, die Koor­di­na­tion und Aus­brei­tung der Pro­teste unmög­lich zu machen. Dazu möchte der Staat die Mög­lich­keit haben, bestimmte Dienste wie Kurz­nach­rich­ten-Apps, soziale Netz­werke oder Video-Strea­ming-Dienste in ein­zel­nen Regio­nen oder im ganzen Land schnell aus­schal­ten zu können.

So gesche­hen bei den jüngs­ten Pro­tes­ten in der Teil­re­pu­blik Ingu­sche­tien, wo Bürger wochen­lang gegen eine Grenz­ver­schie­bung zu Tsche­tsche­nien demons­trier­ten. Eben­falls abge­schal­tet wurde das mobile Inter­net während der jüngs­ten Pro­teste in Moskau gegen die Nicht­zu­las­sung unab­hän­gi­ger Kan­di­da­ten zur Regio­nal­wahl im Sep­tem­ber.

Noch werden die Sperren aller­dings mittels Druck auf die jewei­li­gen Dienst­an­bie­ter ver­hängt. In Zukunft will der Staat aber die Mög­lich­keit haben, eine zen­trale Abschal­tung per Knopf­druck zu erreichen.

Die Gesetz­ge­bung wird ständig verschärft

Die Über­nahme der tech­ni­schen Kon­trolle über die Inter­net­un­ter­neh­men ist aber nur ein Teil der repres­si­ven Netz­po­li­tik des rus­si­schen Staates. Das Inter­net soll auch kein Ort der freien Mei­nungs­äu­ße­rung sein – dazu werden die Nutzer zwar inkon­se­quen­ten, dafür aber immer här­te­ren Repres­sa­lien aus­ge­setzt. Jeka­te­rina Boro­wi­kowa vom Medien- und Men­schen­rechts­pro­jekt OVD-Info berich­tete über ver­schie­dene Fälle, in denen Nutzer ver­folgt wurden, sei es für tat­säch­li­che Aufrufe zu Pro­tes­ten oder auch nur fürs Liken, Teilen oder Kom­men­tie­ren solcher Posts. Die Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den zeigten sich recht kreativ darin, Ver­stöße gegen das inzwi­schen sehr repres­sive Ver­samm­lungs­recht zu erfin­den und daraus Ver­fah­ren zu schnei­dern, die mit hohen Geld­stra­fen oder gar mit Haft geahn­det würden. Die Gesetz­ge­bung werde auch ständig verschärft.

Am 3. Sep­tem­ber wurde ein Teil­neh­mer der Mos­kauer Pro­teste zu fünf Jahren Haft für einen Tweet ver­ur­teilt. Sinn­ge­mäß hatte er geschrie­ben, dass den Kindern von gewalt­tä­ti­gen Poli­zis­ten etwas zusto­ßen könnte, sollten diese iden­ti­fi­ziert werden. Das Gericht sah darin eine extre­mis­ti­sche Äuße­rung und „Anstif­tung zur Gewalt.“

Ulrike Gruska von „Repor­ter ohne Grenzen“ wies darauf hin, dass das rus­si­sche Par­la­ment das 2017 in Deutsch­land ver­ab­schie­dete Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz (NetzDG) zum Vorbild genom­men habe.  Das NetzDG ver­pflich­tet die Betrei­ber von sozia­len Netz­wer­ken zum prä­ven­ti­ven Löschen von Hate Speech oder Falsch­mel­dun­gen. In der rus­si­schen Vari­ante, die in die Duma ein­ge­bracht wurde, fehle aller­dings die Ver­pflich­tung, Lösch­ver­fah­ren und die zugrun­de­lie­gen­den Prin­zi­pien trans­pa­rent zu machen. Das Gesetz wurde bislang noch nicht ver­ab­schie­det. Die Tat­sa­che, dass der rus­si­sche Gesetz­ent­wurf eine deut­sche Vorlage hat, macht es laut Gruska schwie­ri­ger,  ihn inter­na­tio­nal zu kritisieren.

Doch viel gefähr­li­cher als das umstrit­tene deut­sche Gesetz sind für die Netz­frei­heit in Russ­land chi­ne­si­sche Tech­no­lo­gien. Der rus­si­sche Staat scheint eine Lösung gefun­den zu haben, wie Tech­no­lo­gie­trans­fer mit China betrie­ben werden kann, ohne zu viel von der eigenen Sicher­heit preis­zu­ge­ben. Nach langen Ver­hand­lun­gen wurde im Juni die Grün­dung eines Joint Venture zwi­schen dem zweit­größ­ten rus­si­schen IT-Konzern Mail.ru und dem chi­ne­si­schen Riesen Alibaba ange­kün­digt. Mit im Boot sind der staat­li­che Invest­ment­fonds Russian Direct sowie  der Mobil­funk­kon­zern Megafon.

Gleich­zei­tig ver­stärkt der rus­si­sche Staat seinen Druck auf inter­na­tio­nale Kon­zerne. Google setzt inzwi­schen die Sperr­lis­ten der rus­si­schen Medi­en­auf­sichts­be­hörde Ros­kom­n­ad­sor bis zu 70 Prozent um, Face­book und Twitter werden eben­falls mit immer här­te­ren Zen­sur­for­de­run­gen kon­fron­tiert. Zusätz­lich wird von aus­län­di­schen Firmen ver­langt, dass sie die Daten rus­si­scher Nutzen nur auf Servern spei­chern, die sich in Russ­land befin­den. Das ist sehr pro­ble­ma­tisch, nicht nur aus wirt­schaft­li­cher, sondern vor allem aus daten­schutz­recht­li­cher Sicht. Wenn sich die Inter­net-Riesen diesen For­de­run­gen nicht beugen, werden sie womög­lich aus Russ­land ver­trie­ben. Für die Netz­frei­heit in Russ­land sind das keine guten Aussichten.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Pro­jekts „Deutsch-Rus­si­schen Gesprä­che zur digi­ta­len Zivil­ge­sell­schaft“ erschienen.
Unter­stützt vom Aus­wär­ti­gen Amt.

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