Die besten IT-Konzerne, die Europa nie hatte
Russland hat beeindruckende IT-Unternehmen hervorgebracht, die den amerikanischen Tech-Riesen die Stirn bieten könnten. Das Problem: Die IT-Szene ist komplett vom Kreml kompromittiert. Sucht Moskau sogar bald den Technologietransfer mit Peking?
Wäre Russland ein anderes (oder besser gesagt ein anders regiertes) Land, dann sähe die europäische IT-Landschaft ganz anders aus. Russland ist nämlich das einzige Land in Europa, das eigene IT-Konzerne hat, die nicht nur sehr erfolgreich mit den amerikanischen Internet-Riesen konkurrieren, sondern ihnen sogar voraus sind. Die russischen Dienste Yandex, Mail.ru und VK hätten auch international eine Herausforderung für Google, Facebook und Co. werden können. Dass das nicht passiert ist, liegt nicht zuletzt an der Politik des russischen Staates, der schon länger und immer stärker versucht, die IT-Branche auf Linie zu bringen und sie in die Strukturen seines Sicherheitsapparats zu zwängen, um mit ihrer Hilfe die Internetnutzer (und eigentlich die gesamte Gesellschaft) in Schach zu halten.
Diese Situation war kürzlich Thema der Podiumsdiskussion „Shrinking Spaces: Wie der Kreml das Internet in den Griff nimmt“, die gleichzeitig Auftaktveranstaltung des jüngsten Projekts zum Thema Meinungsfreiheit in Russland des Zentrums Liberale Moderne und des Moskauer Sacharow-Zentrums war. Hauptredner war Andrei Soldatow, ein investigativer Journalist und Co-Autor (mit Irina Borogan) mehrerer Standardwerke über die russischen Geheimdienste und ihre Tätigkeit im Internet.
Laut Soldatow gehen die herausragenden Leistungen der russischen Internet-Branche auf den Kalten Krieg zurück. Die vielen hochqualifizierten Ingenieure, die in der Sowjetunion für die Rüstungsindustrie und das Militär ausgebildet wurden, verloren nach dem Zerfall der UdSSR ihre Arbeit und wechselten in die IT-Branche. Lange Zeit gingen Fachleute davon aus, dass die Allianz von Ingenieuren und dem Militär in Russland Geschichte sei. Schließlich gehörten die IT-Spezialisten einer hoch globalisierten und kosmopolitischen Zunft an; sie sprachen gut Englisch, hatten scheinbar liberale politische Ansichten und waren meistens nicht im Staatssektor beschäftigt. Diese optimistische Einschätzung hat sich nicht bestätigt. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass die Allianz von Ingenieuren und dem Militär weiterhin besteht.
Wird Russland auch eine Great Firewall hochziehen?
Soldatow vermutet, dass das so ist, weil das Bildungssystem weitgehend unreformiert geblieben ist. Es produziert nach wie vor viele Techniker, ohne ihnen Grundlagen der Ethik zu vermitteln, stattdessen nur Staatspatriotismus. Ein Ingenieur, der nur sein Fach gelernt hat, argumentiert Soldatow, liebt Ordnung und verabscheut Chaos, dabei steht ein starker Staat für Ordnung und die Demokratie wird traditionell mit Chaos verbunden. Diese latenten Einstellungen kommen seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und der Annexion der Krim plötzlich wieder an die Oberfläche, zumal nun viel staatliches Geld in die IT-Branche fließt.
Die relativ hohe Bereitschaft der IT-Spezialisten, mit staatlichen Stellen zusammenzuarbeiten, erklärt laut Soldatow die relative Leichtigkeit, mit der der russische Staat seine Kontrolle über das Internet ausbaut.
Die große Frage in Bezug auf Russland lautet, ob es dem chinesischen Beispiel folgt und eine eigene Variante der Great Firewall ausbaut. Dazu, betont Soldatow, fehlt dem russischen Staat das Know-how, man möchte aber auch keine zu enge Zusammenarbeit mit China; sie wäre ein zu großes Sicherheitsrisiko. Moskau gehe es im Moment nicht so sehr darum, jeden Schritt der Bürger zu kontrollieren und alle Inhalte zu filtern, sondern vor allem darum, Proteste zu verhindern. Und falls es doch zu Protesten komme, dann gehe es darum, die Koordination und Ausbreitung der Proteste unmöglich zu machen. Dazu möchte der Staat die Möglichkeit haben, bestimmte Dienste wie Kurznachrichten-Apps, soziale Netzwerke oder Video-Streaming-Dienste in einzelnen Regionen oder im ganzen Land schnell ausschalten zu können.
So geschehen bei den jüngsten Protesten in der Teilrepublik Inguschetien, wo Bürger wochenlang gegen eine Grenzverschiebung zu Tschetschenien demonstrierten. Ebenfalls abgeschaltet wurde das mobile Internet während der jüngsten Proteste in Moskau gegen die Nichtzulassung unabhängiger Kandidaten zur Regionalwahl im September.
Noch werden die Sperren allerdings mittels Druck auf die jeweiligen Dienstanbieter verhängt. In Zukunft will der Staat aber die Möglichkeit haben, eine zentrale Abschaltung per Knopfdruck zu erreichen.
Die Gesetzgebung wird ständig verschärft
Die Übernahme der technischen Kontrolle über die Internetunternehmen ist aber nur ein Teil der repressiven Netzpolitik des russischen Staates. Das Internet soll auch kein Ort der freien Meinungsäußerung sein – dazu werden die Nutzer zwar inkonsequenten, dafür aber immer härteren Repressalien ausgesetzt. Jekaterina Borowikowa vom Medien- und Menschenrechtsprojekt OVD-Info berichtete über verschiedene Fälle, in denen Nutzer verfolgt wurden, sei es für tatsächliche Aufrufe zu Protesten oder auch nur fürs Liken, Teilen oder Kommentieren solcher Posts. Die Strafverfolgungsbehörden zeigten sich recht kreativ darin, Verstöße gegen das inzwischen sehr repressive Versammlungsrecht zu erfinden und daraus Verfahren zu schneidern, die mit hohen Geldstrafen oder gar mit Haft geahndet würden. Die Gesetzgebung werde auch ständig verschärft.
Am 3. September wurde ein Teilnehmer der Moskauer Proteste zu fünf Jahren Haft für einen Tweet verurteilt. Sinngemäß hatte er geschrieben, dass den Kindern von gewalttätigen Polizisten etwas zustoßen könnte, sollten diese identifiziert werden. Das Gericht sah darin eine extremistische Äußerung und „Anstiftung zur Gewalt.“
Ulrike Gruska von „Reporter ohne Grenzen“ wies darauf hin, dass das russische Parlament das 2017 in Deutschland verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) zum Vorbild genommen habe. Das NetzDG verpflichtet die Betreiber von sozialen Netzwerken zum präventiven Löschen von Hate Speech oder Falschmeldungen. In der russischen Variante, die in die Duma eingebracht wurde, fehle allerdings die Verpflichtung, Löschverfahren und die zugrundeliegenden Prinzipien transparent zu machen. Das Gesetz wurde bislang noch nicht verabschiedet. Die Tatsache, dass der russische Gesetzentwurf eine deutsche Vorlage hat, macht es laut Gruska schwieriger, ihn international zu kritisieren.
Doch viel gefährlicher als das umstrittene deutsche Gesetz sind für die Netzfreiheit in Russland chinesische Technologien. Der russische Staat scheint eine Lösung gefunden zu haben, wie Technologietransfer mit China betrieben werden kann, ohne zu viel von der eigenen Sicherheit preiszugeben. Nach langen Verhandlungen wurde im Juni die Gründung eines Joint Venture zwischen dem zweitgrößten russischen IT-Konzern Mail.ru und dem chinesischen Riesen Alibaba angekündigt. Mit im Boot sind der staatliche Investmentfonds Russian Direct sowie der Mobilfunkkonzern Megafon.
Gleichzeitig verstärkt der russische Staat seinen Druck auf internationale Konzerne. Google setzt inzwischen die Sperrlisten der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor bis zu 70 Prozent um, Facebook und Twitter werden ebenfalls mit immer härteren Zensurforderungen konfrontiert. Zusätzlich wird von ausländischen Firmen verlangt, dass sie die Daten russischer Nutzen nur auf Servern speichern, die sich in Russland befinden. Das ist sehr problematisch, nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern vor allem aus datenschutzrechtlicher Sicht. Wenn sich die Internet-Riesen diesen Forderungen nicht beugen, werden sie womöglich aus Russland vertrieben. Für die Netzfreiheit in Russland sind das keine guten Aussichten.
Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts „Deutsch-Russischen Gespräche zur digitalen Zivilgesellschaft“ erschienen.
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