Russland – Chronik der Repressionen
Seit Januar 2021 überzieht der Kreml Russland mit einer beispiellose Welle von Repressionen gegen die Opposition, unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. „Russland verstehen“ dokumentiert die wichtigsten Ereignisse. Unsere Chronik wird laufend aktualisiert.
Das stärkste Druckmittel ist das Gesetz für unerwünschte ausländische Organisationen. Das 2015 erlassene drakonische Regelwerk verbietet betroffenen Organisationen faktisch jegliche Tätigkeit in Russland. Russischen Staatsbürgern, die dennoch mit ihnen zusammenarbeiten, drohen im Wiederholungsfall bis zu sechs Jahre Haft. Damit eine ausländische Organisation für „unerwünscht“ erklärt wird, muss die Generalstaatsanwaltschaft lediglich feststellen, dass sie die „verfassungsmäßige Ordnung und die Sicherheit Russlands“ bedroht. Warum das so ist, muss die Behörde nicht erklären. Allein seit Juni 2021 ist die Liste der „unerwünschten Organisationen“ um 15 auf 49 angewachsen.
Wer vom Gesetz für „ausländische Agenten“ erfasst wird, darf weiterarbeiten, muss aber seinen Agentenstatus bei jeder einzelnen Veröffentlichung, auch in sozialen Medien, kenntlich machen. Ursprünglich galt das Gesetz für Organisationen, die Geld aus dem Ausland für „politische Zwecke“ erhalten. Mittlerweile werden aber Einzelpersonen gebrandmarkt, wenn sie bloß Inhalte eines „Agenten“ weiterverbreitet haben. Derzeit stehen 75 NGOs in der Liste des Justizministeriums. Eine zweite Liste für Medien und Einzelpersonen ist bis Jahresende 2021 auf 111 angewachsen. Für kleinere Medien kann das ein Todesstoß sein, weil Werbekunden abspringen. Eine dritte Liste für nicht registrierte Bürgerinitiativen hat bislang sechs Einträge – die Walbeobachtungsinitiative „Golos“, das Portal „OWD Info“, sowie die Lesben- und Schwulenbewegungen „LGBT Set“, „Majak“, „Revers“ und „Wychod“.
Zu den Ende 2020 in Kraft getretenen Gesetzesverschärfungen lesen Sie eine aktuelle Analyse von Fabian Burkhardt bei „Russland verstehen“.
CHRONIK
30. Dezember 2021 - Das Justizministerium erklärt weitere acht Personen zu „ausländischen Agenten“: Darunter der bekannte Satiriker Viktor Schenderowitsch und die „Pussy-Riot“-Mitglieder Nadia Tolokonnikowa und Nika Nikulshina
29. Dezember - Das Moskauer Stadtgericht erklärt das Memorial-Menschenrechtszentrum für aufgelöst.
28. Dezember - Das Oberste Gericht Russlands erklärt die Auflösung von Memorial International. Das Urteil löst innerhalb und außerhalb Russlands Empörung und Besorgnis aus.
- Die Stadt Moskau fordert die Menschenrechtsorganisation „Bürgerhilfe“, auf, binnen eines Monats ihre Büros zu räumen. Die von der prominenten Memorial-Aktivistin Swetlana Gannuschkina geleitete Organisation hilft vor allem Migranten und Geflüchteten. 2015 wurde sie zum „ausländischen Agenten“ erklärt.
- In den Städten Tomsk, Irkutsk, Archangelsk, Barnaul und Saratow werden in einer offenbar konzertierten Aktion frühere Vertreter Nawalnys festgenommen. Ihnen drohen wegen der Organisation einer „extremistischen Gemeinschaft“ sieben bis zwölf Jahre Haft.
27. Dezember – Der Journalist Andrei Sacharow, der als Ko-Autor die Existenz der Putin-Geliebten Swetlana Kriwonogich enthüllte, erklärt, dass er Russland verlassen hat, weil er sich „beispielloser Überwachung“ ausgesetzt sah.
- Ein Gericht in Petrosawodsk verurteilt den Historiker und örtlichen Memorial-Koordinator Juri Dmitrijew zu 15 Jahren Haft wegen Kinderprornografie. Dmitrijew, der die Anschuldigungen zurückweist, war bereits 2020 zu 13 Jahren wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden. Das aktuelle Urteil verlängert das Strafmaß um zwei Jahre.
25. Dezember – Die Website von OWD-Info wird in Russland blockiert und die Zensurbehörde Roskomnadsor verlangt von den Sozialen Netzwerken, die Accounts der Organisation, die über Festnahmen bei Protesten berichtet, zu sperren.
24. Dezember - Das Justizministerium erklärt zwei weitere LGBT-Initiativen zu „ausländischen Agenten“: Die Gruppe „Revers“ aus dem südrussischen Krasnodar sowie „Wychod“ aus St. Petersburg.
- Ein Moskauer Gericht verurteilt Google und den Facebook-Mutterkonzern Meta zu insgesamt 125 Millionen US-Dollar Geldstrafen wegen nicht gelöschter Inhalte, die in Russland als illegal gelten. Es ist das erste Mal, dass ein russisches Gericht Strafen gegen US-Internetkonzerne auf Grundlage des Firmenumsatzes verhängt.
23. Dezember – Auf seiner jährlichen Pressekonferenz verteidigt Putin das Gesetz über „Ausländische Agenten“ mit der Behauptung, Russlands Gegner würden seit Jahrhunderten sagen, dass das Land nicht besiegt sondern nur von innen zerstört werden könne.
17. Dezember – Die Lesben- und Schwulenbewegung „Majak“ wird zum „ausländischen Agenten“ erklärt. Die Bewegung hilft unter anderem Gewaltopfern und Aidskranken im russischen fernen Osten. Auch gelistet wird die Organisation „Lilit“, die von Majak-Gründerin Regina Dsugkojewa geleitet wird.
14. Dezember – Die Duma verabschiedet ein Gesetz, das den ohnehin schwachen russischen Föderalismus weiter abbaut. Künftig können Gouverneure noch leichter vom Präsidenten abgesetzt werden, regionale Minister müssen von Moskau bestätigt werden. Vor dem Obersten Gericht Russlands wird unterdessen die Anhörung über die Auflösung von „Memorial“ fortgesetzt – und auf den 28. Dezember vertagt.
9. Dezember – Bei der Sitzung des Kreml-Menschenrechtsrates verteidigt Putin das Agentengesetz gegen Kritik.
3. Dezember – Das Justizministerium erklärt vier Journalistinnen und Journalisten des zum US-Sender Radio Liberty gehörenden Multimedia-Portals „Idelreal.org“ zu „ausländischen Agenten“. Das Portal steht bereits seit 2017 auf der Liste der Medien und natürlichen Personen mit Agentenstatus, die nun die 100er-Marke überschreitet. Zudem wird die NGO „Bürger.Armee.Recht“ gebrandmarkt, die sich für die Rechte von Wehrdienstleistenden einsetzt.
1. Dezember – Russland beginnt, das Anonymisierungsnetzwerk Tor zu blockieren. Das Netzwerk reagiert mit Tipps, wie die Sperren zu umgehen sind.
25. November – Das Oberste Gericht Russlands verhandelt über die Auflösung von „Memorial International“. Die Anhörung wird nach wenigen Stunden auf den 14. Dezember vertagt.
12. November- Der LGBT-Aktivist und Begründer des Netzwerkes LGBT-Set Igor Kotschetkow wird zum „Agenten“ erklärt.
11. November – Der Oberste Gerichtshof informiert „Memorial“ darüber, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Auflösung der Organisation beantragt hat. Zur Begründung heißt es, dass Memorial mit dem Weglassen der obligatorischen Kenzeichnungen „systematisch“ gegen die „Agenten“-Gesetzgebung“ verstoßen habe. Die NGO sieht darin eine politische Entscheidung, Memorial zu vernichten – eine Organisation, die sich mit der Geschichte politischer Verfolgungen und dem Schutz der Menschenrechte befasst.
10. November – Ein Gericht in Ufa verhängt zwei Monate Untersuchungshaft gegen Lilja Tschanyschewa, Alexei Nawalnys ehemalige Stabschefin in Baschkortostan. Es ist das erste Mal, dass eine Nawalny-Mitarbeiterin wegen des Extremisten-Paragrafen inhaftiert wird. Tschanyschewas Anwältin erklärt, dass ihr Hinweis, dass ihre Mandantin schwanger ist, vom Gericht ignoriert wurde.
8. November – Das Justizministerium erklärt die Homosexuellenbewegung LGBT Set zum „ausländischen Agenten“. Außerdem werden der Nawalny-Anwalt Iwan Pawlow sowie vier seiner Kolleginnen und Kollegen zu „Agenten“ gebrandmarkt. Pawlow war im September nach Georgien geflohen, wenige Wochen nachdem seine Organisation „Team 29“ ihre Auflösung erklärte.
3. November – Der Korrespondent des niederländischen „Volkskrant“, Tom Vennink, wird wegen zwei kleiner Ordnungswidrigkeiten ausgewiesen. Bereits im August hatte die BBC-Korrespondentin Sarah Rainsford Russland verlassen müssen, im Mai wurde der polnische TV-Korrespondent Tomasz Jędruchów ausgewiesen.
29. Oktober – Der einflussreiche KP-Politiker Walerij Raschkin wird wegen „Wilderei“ festgenommen. Beobachter vermuten eine Maßregelung gegen einen der schärfsten Kremlkritiker innerhalb der Kommunistischen Partei, die seit den Wahlen im September immer wieder zu Protesten aufgerufen hatte.
15. Oktober – Das Justizministerium erklärt die Portale „Republic“ und „Rosbalt“ zu „ausländischen Agenten“. Pikant ist, dass „Rosbalt“ der Ehefrau des Putin-Vertrauten und langjährigen Chefs der Anti-Drogenbehörde Viktor Tscherkessow gehört. Von Twitter wird das Portal deshalb als „russisches Staatsmedium“ markiert.
14. Oktober – Die Menschenrechtsorganisation „Memorial“ wird während einer Vorführung des Holodomor-Films „Mr. Jones“ von einer Gruppe Protestierender üerfallen. Die herbeigerufene Polizei behandelt „Memorial“ wie einen Schuldigen.
12. Oktober – Sergei Sujew, der Rektor der liberalen Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, wird wegen angeblicher Verwicklung in einen Veruntreuungsfall festgenommen. Bereits am 29. September war der an der Hochschule lehrende Soziologe Boris Kargalitzky festgenommen worden, weil er zu einem Protest der Kommunistischen Partei aufgerufen hatte.
8. Oktober – Der Chefredakteur der „Nowaja Gaseta“, Dmitri Muratow, erhält zusammen mit der philippinischen Journalistin Maria Ressa den Friedensnobelpreis. Das russische Justizministerium zeigt sich unbeeindruckt und erklärt weitere neun Journalistinnen und Journalisten zu „ausländischen Agenten“. Unter ihnen ist Andrei Sacharow, der als Ko-Autor die Existenz der Putin-Geliebten Swetlana Kriwonogich enthüllte. Ebenfalls zu „Agenten“ erklärt werden das Recherchekollektiv Bellingcat sowie die Portale Kavkaz-uzel („Kaukasischer Knoten“) und M.News.
1. Oktober – Russische Medien veröffentlichen eine Direktive des Inlandsgeheimdienstes FSB, wonach das Sammeln und Verbreiten von Informationen über Korruption, Moral oder Waffenstärke der Streitkräfte und anderer Sicherheitskräfte mit dem Status eines „ausländischem Agenten“ geahndet wird. Es handlet sich um die Umsetzung eines Befehls vom 20. Juli.
30. September – Die Behörden durchsuchen die Moskauer Wohnung der Eltern von „Insider“-Chefredakteur Roman Dobrochotow, der selber im Ausland ist. Seine Frau und seine Eltern werden zum Verhör abgeführt. Wie sich herausstellt, wurde der Journalist wegen „unerlaubten Grenzübertritts“ zur Fahndung ausgeschrieben. Bereits im Juli hatten die Behörden „The Insider“ zum „Agenten“ erklärt und Dobrochotows Wohnung durchsucht.
29. September - Das Justizministerium erklärt mit einem Schlag 22 Personen und vier Organisationen zu „ausländischen Agenten“. Prominenteste Opfer sind der Pussy-Riot-Produzent Pjotr Wersilow sowie sein Online-Portal Mediazona, das sich auf Berichterstattung über Justiz und Strafvollzug spezialisiert. Mediazona-Chefredakteur Sergei Smirnow wird ebenfalls zum „Agenten“ erklärt. Unter den anderen Einzelpersonen sind mindestens 16 Mitarbeiter der Wahlbeobachtungs-Bewegung „Golos“. Ebenfalls zu „Agenten“ erklärt wird das Portal OWD-Info, das Gewalt und Festnahmen bei Demonstrationen dokumentiert und Hilfe für Festgenommene anbietet, sowie das vom Goethe-Institut kuratierte Zentrum für deutsche und europäische Kultur in Nischni Nowgorod.
28. September – Das Ermittlungskomitee eröffnet ein neues Strafverfahren gegen Alexei Nawalny. Dem inhaftigerten Oppositionsführer drohen damit bis zu zehn Jahren Haft wegen „Gründung einer extremistischen Vereinigung“.
27. September – Die Generalstaatsanwaltschaft lässt das europäische Wahlbeobachternetzwerk ENEMO zur „unerwünschten Organisation“ erklären. Vermutlich ein Schritt um das russische Netzwerk „GOLOS“ zu treffen, welches Mitglied bei ENEMO ist.
24. September – Die Generalstaatsanwaltschaft lässt die Scientology-Bewegung zur unerwünschten Organisation erklären.
20. September – Die Putin-Partei „Einiges Russland“ reklamiert den Wahlsieg mit einer Zweidrittelmehrheit in der Staatsduma. Unabhängige Wahlbeobachter kritisieren die dreitägige Abstimmung als stark manipuliert und legen eine lange Liste von Verstößen vor.
19. September - Dritter und letzter Tag der Dumawahlen: Auf Druck der Zensurbehörde sperrt Google zwei YouTube Videos zu Nawalnys „smart voting“-Kampagne sowie zwei Dokumente mit Kandidatenlisten auf seinem Cloudserver Google Docs. Es ist das erste Mal, dass der US-Internetkonzern auf politischen Druck Videos in ganz Russland sperrt. Nachmittags wird die Site der unabhängigen Zeitung „Nowaja Gaseta“ von einem massiven DDoS-Angriff bis zum nächsten Tag lahmgelegt.
17. September – Erster Tag der Duma-Wahlen: Google und Apple löschen auf Druck des Kremls Alexej Nawalnys „smart voting“ App aus ihrem Programmen.
7. September – Der Strafverteidiger Iwan Pawlow erklärt, dass er Russland verlassen hat, weil ihm seine Arbeit unmöglich gemacht wurde. Seine Organisation „Team 29“ hatte am 18. Juli ihre Auflösung erklärt.
20. August – Am ersten Jahrestag der Vergiftung Alexei Nawalnys und kurz nach Ende des Abschiedsbesuches von Angela Merkel im Kreml wird Doschd TV, der letzte unabhängige Fernsehsender des Landes, zum ausländischen Agenten erklärt. Ebenfalls auf die Liste kommen das Portal istories.media sowie sieben Journalistinnen und Journalisten.
18. August – Die Wahlbeobachtungs-Initiative „Golos“ wird als erste nichtregistrierte Bürgerbewegung zum „ausländischen Agenten“ erklärt. Als Organisation war Golos bereits 2013 zum „Agenten“ erklärt worden. Die unabhängigen Wahlbeobachter hatten daraufhin ihre Auflösung erklärt und ohne Registrierung weitergearbeitet.
13. August – Die BBC bestätigt, dass ihre Korrespondentin Sarah Rainsford Russland verlassen muss. Zur Rechtfertigung erklärt das Außenministerium in Moskau, London habe russischen Journalisten Visen verweigert. Es ist das erste Mal seit zehn Jahren, dass Moskau einen westlicher Korrepondent aus politischen Gründen rausschmeißt.
- Die Generalstaatsanwaltschaft kündigt an, die Menschenrechtsorganisation „International Partnership for Human Rights“ zur „unerwünschten Organisation zu erklären. Die belgische Organisation, die vor allem in Zentralasien aktiv ist, wird die 42. auf der Liste des Justizministeriums.
5. August – Die Online-Portale Openmedia.io und „MBKh Media“ erklären ihre Schließung, um ihre Mitarbeiter zu schützen. Am Vortag waren ihre Sites von der Zensurbehörde ohne Angaben von Gründen gesperrt worden. Beide Portale sind Projekte von Michael Chodorkowski. Ebenfalls gesperrt wurden die Site von Chodorkowskis Menschenrechtsorganisation „Otkrytka“ sowie des von ihm initiierten Journalistenpreises „Professia: Journalist“. Die russischen Behörden hatten seine – mittlerweile aufgelöste – britische Organisation „Open Russia“ bereits 2017 für „unerwünscht“ erklärt.
4. August – Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) teilt mit, dass sie keine Beobachter zu den bevorstehenden Duma-Wahlen senden wird, weil Russland statt den benötigten 500 nur eine Mission mit 50 Mitgliedern zulassen wollte. Die für Mitte September geplante Parlamentswahl wird somit weitgehend ohne demokratische Beobachtung stattfinden.
3. August – Ein Moskauer Gericht verurteil die Nawalny-Vertraute Ljubow Sobol wegen „Verstoßes gegen Corona-Auflagen“ zu 1,5 Jahren Freiheitsbeschränkung – sie darf Nachts ihr Haus nicht verlassen und nicht außerhalb des Gebiets Moskau reisen. Das Urteil erging sogenannten Hygieneverfahren, das seit 23. Januar läuft. Sobol hatte bereits am 14. Juni auf eine Kandidatur bei der Dumawahl verzichtet.
29. Juli – Der Chefredakteur von „Proekt.Media“, Roman Badanin, erklärt, dass er Russland verlassen hat und seine Investigativ-Website aus dem Ausland weiter betreiben wird. „Proekt“ war am 15. Juli für „unerwünscht“ erklärt worden.
28. Juli – Polizisten durchsuchen die Moskauer Wohnung von „Insider“-Chefredakteur Roman Dobrochotow und konfiszieren Computer sowie seinen Reisepass. Dobrochotow kann vorerst das Land nicht verlassen. Seine Investigativ-Site „The Insider“ war am 23. Juli zum „ausländischen Agenten“ erklärt worden.
26. Juli – Die Zensurbehörde Roskomdadzor sperrt die Website von Alexei Nawalny, sowie dutzende mit ihm verbundene Sites. Navalny.com hatte in der Vergangenheit aufsehenerregende Investigationen über korrupte Politiker veröffentlicht. Am gleichen Tag wird bekannt, dass die Seiten des Zentrums Liberale Moderne und des Deutsch-Russischen Austauschs in Russland gesperrt wurden.
23. Juli – Das Justizministerium erklärt das Investigativ-Portal „The Insider“ sowie fünf Journalistinnen und Journalisten zu „ausländischen Agenten“.
20. Juli – Der Inlandsgeheimdienst FSB veröffentlicht eine Liste der Themen, für deren „Sammeln“ Einzelpersonen zu „Ausländischen Agenten“ erklärt werden können. Es handelt sich um eine Ergänzung des Gesetzes vom 30 Dezember 2020, das den Agentenstatus von Organisationen auf Einzelpersonen ausweitet.
18. Juli – Die Menschenrechtsorganisation „Team 29“ erklärt ihre Auflösung. Zwei Tage vorher war die Site der Organisation mit Sitz in St. Petersburg gesperrt worden, weil sie angeblich Inhalte der am 29. Juni als „unerwünscht“ erklärten tschechischen NGO Spolecnost Svobody Informace enthielt. Team 29 hatte Rechtsbeistand für Aktivistinnen und Oppositionellen organisiert. Der Leiter der Organisation, Iwan Pawlow, arbeitete als Anwalt für Alexei Nawalny. Pawlow steht derzeit unter Hausarrest.
15. Juli – Mit dem investigativen Online-Portal „Proekt Media“ wird erstmals ein russisches Presseorgan Opfer des „unerwünscht“-Gesetzes. Die Generalstaatsanwaltschaft erklärt die US-Organisation Project Media, Inc., die als Herausgeber fungiert, zur unerwünschten Organisation. Gleichzeitig werden fünf „Proekt“-Journalistinnen und Journalisten auf zu ausländischen Agenten erklärt, darunter Chefredakteur Roman Badanin. „Proekt“ hatte unter anderem im November enthüllt, dass Wladimir Putin eine uneheliche Tochter hat.
- Das Moskauer Institut für Recht und Staatstätigkeit wird zum „Ausländischen Agenten“ erklärt. Das Institut gibt unter anderem angesehene wissenschaftliche Zeitschriften heraus.
2. Juli – Der Rektor der Wirtschaftshochschule Moskau (HSE), Jaroslaw Kusminow, tritt nach knapp 30 Jahren zurück. Unter Kusminow hatte sich die HSE zu einer führenden liberalen Institution Russlands entwickelt. Medienberichten zufolge war er es leid, ständig Kompromisse mit der Regierung auszuhandeln. Sein Nachfolger Nikita Anisimow gilt als unbeschriebenes Blatt. An der HSE sudiert auch ein Großteil der Redaktion des Studentenmagazins „Doxa“, von denen vier Angehörige seit 14. April unter Hausarrest stehen.
1. Juli – Präsident Putin unterzeichnet ein Gesetz, wonach Internetfirmen ab Januar 2022 einen Sitz in Russland haben müssen. Der Kreml erhofft sich davon offenbar eine stärkere Handhabe gegen US-Netzwerken, die sich bislang weigern, „illegale“ Inhalte wie Demonstrationsaufrufe zu löschen.
30. Juni – Vier weitere NGOs werden für unerwünscht erklärt – drei in Großbritannien sowie eine in Frankreich. Die drei britischen, darunter die Khodorkovsky Foundation und der Oxford Russia Fund, wurden von dem in London lebenden Geschäftsmann Michail Chodorkowski gegründet.
29. Juni – Die tschechische Organisation „Spolecnost Svobody Informace“ wird zur unerwünschten Organisation erklärt. Hintergrund ist offenbar, dass dies der Generalstaatsanwaltschaft ermöglicht, gegen die St. Petersburger Menschenrechtsorganisation Team 29 vorzugehen (s. 18. Juli).
25. Juni – Der prominente Oppositionspolitiker Ilja Jaschin wird von der Wahl zur Moskauer Stadtduma ausgeschlossen, weil er Nawalny unterstützt hatte. Die Wahl in Moskau findet parallel zur den Parlamentswahlen am 19. September statt.
21. Juni – Die Generalstaatsanwaltschaft erklärt das amerikanische Bard College zur „unerwünschten Organisation“. Die Hochschule im US-Staat New York ist die erste Bildungseinrichtung, die von diesem Bann betroffen ist. In Russland hatte Bard mit der Universität St Petersburg kooperiert.
16. Juni – Die „Pussy Riot“ Aktivistin Veronika Nikulschina wird festgenommen und wegen „Nichtbefolgens polizeilicher Weisungen“ zu 15 Tagen Arrest verurteilt. Nachdem sie einen zweiten gleich langen Arrest abgesessen hat, verlässt Nikulschina am 18. Juli das Land. Andere Aktivistinnen, darunter Maria Aljochina, werden ebenfalls festgenommen, angeblich weil sie Proteste planten.
14. Juni – Ljubow Sobol, Nawalnys prominenteste Mitarbeiterin, erklärt ihren Verzicht auf eine Duma-Kandidatur.
9. Juni – Das Moskauer Stadtgericht erklärt Alexei Nawalnys Anti-Korruptionsstiftung, seine Bürgerrechtsstiftung sowie seine Wahlkampfbüros zu „extremistischen Organisationen“, eine der schwersten Sanktionen, die das russische Recht kennt. Jegliche Arbeit muss sofort eingestellt werden, bei Zuwiderhandlung droht sofort Haftstrafe. Dank des Gesetzes vom 4. Juni verlieren somit nicht nur alle Nawalny-Mitarbeiter sondern auch zehntausende Russen, die in der Vergangenheit Geld für ihn gespendet haben, ihr passives Wahlrecht – sie dürfen nur noch wählen, aber nicht mehr kandidieren.
6. Juni – Der Oppositionspolitiker Dmitry Gudkow teilt mit, dass er das Land verlassen hat. Am 1. Juni war er wegen eines Strafverfahrens wegen ausstehender Mietzahlungen vorübergehend festgenommen worden. Gudkow bezeichnet das Verfahren als politisch motiviert.
4. Juni – An Nawalnys 45. Geburtstag unterzeichnet Präsident Putin ein Gesetz, wonach Kandidatinnen und Kandidaten mit jeglichen Verbindungen zu „extremistischen Organisationen“ die Teilnahme an Wahlen verboten ist. Das Gesetz zielt klar auf Nawalnys Organisationen, gegen die ein Extremismus-Verfahren läuft.
3. Juni – Das online-Portal VTimes erklärt seine Schließung, weil nach der Listung als „ausländischer Agent“ die Werbeinnahmen weggebrochen seien.
27. Mai – Die von Michail Chodorkowski ins Leben gerufene Bewegung „Offenes Russland“ erklärt ihre Auflösung, um ihre Mitarbeiter vor Strafverfolgung zu schützen. Vier Tage später, am 31. Mai, wird Ihr ehemaliger Vorsitzender Andrei Piwowarow am Flughafen von St. Petersburg festgenommen – kurz bevor sein Flugzeug abheben sollte. Die Behörden gehen seit Jahren gegen Offenes Russland vor und erklärten 2017 die britische Organisation gleichen Namens für „unerwünscht“.
26. Mai – Die Generalstaatsanwaltschaft erklärt das Zentrum Liberale Moderne, den Deutsch-Russischen Austausch sowie das „Forum russischsprachiger Europäer“ zu „unerwünschten Organisationen“. Am 2. Juni landen alle drei auf der Liste des Justizministeriums. Am 13. April hatten sich Duma-Abgeordnete beschwert, dass deutsche NGOs sich in innere Angelegenheiten Russlands einmischten. LibMod verurteilt die Listung als „Akt politischer Willkür“, der darauf zielt, die Zusammenarbeit mit russischen Partnern zu kappen. Als Konsequenz setzt der „Petersburger Dialog“ seine Arbeit bis auf Weiteres aus.
17. Mai – Die Zensurbehörde Roskomnadsor erklärt, Twitter vorerst nicht zu blockieren, da der US-Dienst mehr als 90 Prozent der „illegalen Inhalte“ gelöscht habe. Die seit 10. März bestehende Drosselung für Mobilnutzer bleibt aber bestehen.
14. Mai – Das Justizministerium erklärt das Online-Portal „VTimes“ zum „ausländischen Agenten“. Das Portal war erst im Sommer 2020 als Reaktion auf die Gleichschaltung der angesehenen Finanzzeitung Vedomosti gegründet worden. Knapp drei Wochen später (3. Juni) gibt Vtimes seine Schließung bekannt.
30. April – Der Sicherheitsapparat jetzt auch gegen die Anwälte vor. Nawalnys Verteidiger Iwan Pawlow wird in Moskau festgenommen. Pawlow wird vorgeworfen, Einzelheiten des Verfahrens gegen den wegen Landesverrats inhaftierten früheren Journalisten Iwan Safronow öffentlich gemacht zu haben. Seine St. Petersburger Menschenrechtsorganisation Team 29 wird am 18. Juli Opfer des Gesetzes zu „unerwünschten Organisationen“.
26. April – Die Moskauer Staatsanwaltschaft verbietet die Tätigkeit von Nawalnys Wahlkampfstäben in ganz Russland. Einen Tag später wird die Arbeit seiner Antikorruptionsorganisation (FBK) eingeschränkt.
23. April – Das Justizministerium erklärt das Online-Portal „Meduza“ zum „ausländischen Agenten“. Das Portal mit Sitz in Lettland war 2014 von Journalisten der Nachrichtenwebsite lenta.ru nach deren Gleichschaltung gegründet worden.
16. April – Der Oppositionspolitiker Wladimir Milow, der Nawalny unterstützt, erklärt dass er Russland aus Sicherheitsgründen verlassen musste und sich in Litauen niedergelassen hat.
14. April – Die Redaktion des Moskauer Studentenmagazins „Doxa“ wird von der Polizei durchsucht. Vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden unter Hausarrest gestellt, weil sie Minderjährige zur Teilnahme an Protesten aufgerufen hätten. Zudem wird ihnen jegliche journalistische Tätigkeit untersagt.
13. April – Der Duma-Ausschuss zur „Untersuchung ausländischer Einmischungen in innere Angelegenheiten“ beschwert sich beim deutschen Botschafter Geza von Geyr über die „destruktive Arbeit“ mehrerer deutscher NGOs, darunter das Zentrum Liberale Moderne. Drei von ihnen werden am 26. Mai für „unerwünscht“ erklärt.
9. April – Polizisten durchsuchen die Redaktion der investigativ-Website iStories.media sowie die Wohnung von iStories-Chefredakteur Roman Anin. Hintergrund ist offenbar ein Artikel über die Frau des mächtigen Rosneft-Chefs Igor Setschin, den Anin 2016 für die „Nowaja Gaseta“ geschrieben hatte.
31. März – Nawalny kündigt einen Hungerstreik an. Zuvor hatten seine Anwälte Sorge um seinen Gesundheitszustand verbreiteten. Nach 24 Tagen bricht der Oppositionsführer den Hungerstreik „auf Rat seiner Ärzte“ ab, sagt aber, dass er viel erreicht habe. Am 7. Juni wird bekannt, dass Nawalny aus einem Gefängniskrankenhaus wieder in ein Straflager verlegt wurde.
15. März – Es wird bekannt, das Nawalny in ein Straflager im Gebiet Wladimir, rund 100 Kilometer östlich von Moskau, verlegt worden ist. Das Lager mit der Bezeichnung IK‑2 sei ein regelrechtes Konzentrationslager, schreibt er.
13. März – In Moskau wird ein Treffen von Kommunalpolitikern mit knapp 200 Teilnehmern gewaltsam von der Polizei aufgelöst. Die Polizisten erklären zuerst, dass die Veranstaltung von einer unerwünschten Organisation organisiert sei, später heißt es dann, dass Hygieneauflagen missachtet worden seien.
10. März – Russland drosselt Twitter und setzt dem US-Netzwerk eine Frist bis 15. Mai, um „illegale“ Inhalte zu löschen. Es ist das erste Mal dass die Behörden landesweit gegen einen großen US-Onlinedienst vorgehen. Offiziell moniert die Zensurbehörde Kinderpronografie und selbstmordgefährdende Inhalte, Regierungsbehörden haben aber auch kritisiert, dass Twitter und andere Netzwerke zur Koordinierung von Protesten genutzt werden.
24. Februar – Amnesty International entzieht Nawalny den Status eine „gewaltlosen politischen Gefangenen“ (prisoner of conscience), nachdem die Menschenrechtsorganisation alte Aussagen des Kremlkritikers neu bewertet hat. Die Entscheidung, die als Propagandasieg des Kremls gilt, wird am 7. Mai zurückgenommen.
5. Februar – Der Antrittsbesuch des neuen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Moskau endet mit einem Eklat, als Außenminister Lawrow der EU Unzuverlässigkeit vorwirft. Russland kündigt im Anschluss die Ausweisung europäischer Diplomaten an, weil sie die Proteste zur Unterstützung Nawalnys beobachtet hatten.
2. Februar – Nawalny wird in Moskau zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt – weil er gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll, als er wegen seiner Vergiftung in Deutschland behandelt wurde. Das Strafmaß wird am 20. Februar auf zweieinhalb Jahre reduziert. An den landesweiten Protesten gegen seine Festnahme haben in den Tagen zuvor insgesamt 90,000 Menschen teilgenommen, knapp 10,000 wurden festgenommen. Die Proteste werden offenbar von dem am 19. Januar veröffentlichten „Palast“-Video entscheidend befeuert.
23. Januar – Bei einer pro-Nawalny-Demonstration in Moskau werden einige seiner führenden Mitarbeiter wegen „Missachtung der Hygieneregeln“ festgenommen. Später werden 10 Aktivistinnen und Aktivisten in einem so genannten Hygieneverfahren angeklagt.
19. Januar – Nawalnys Team veröffentlicht sein großes Enthüllungsvideo über „Putins Palast“. Auf YouTube erzielt der knapp zweistündige Beitrag binnen weniger Wochen noch nie dagewesene 100 Millionen Aufrufe. Ende Juli sind es knapp 118 Millionen. In den folgenden Tagen kommt es zu spontanen Großdemonstrationen im ganzen Land.
17. Januar – Oppositionsführer Alexej Nawalny kehrt nach Russland zurück, nachdem er sich knapp fünf Monate lang in Deutschland von einer lebensbedrohlichen Vergiftung erholt hatte, die ihm russische Geheimdienstoffiziere mit dem Nervengift Nowitschok zugefügt hatten. Er wird noch am Moskauer Flughafen festgenommen. Offizieller Grund: Nawalny soll gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben.
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