Im Zweifel ist das Ausland schuld

Wahlprotest 2021
Eine Demons­tran­tin in Moskau hält ein Plakat mit der Auf­schrift „Wahlen 2021 – Fäl­schung“ hoch. Quelle: Shut­ter­stock, Stock­foto-Nummer: 2047408979

Mit viel Druck und Mani­pu­la­tion hat die Kreml­par­tei „Einiges Russ­land“ bei der Duma-Wahl wieder die Zwei­drit­tel­mehr­heit geholt. Der Blick vieler Rus­sin­nen und Russen in die Zukunft ist düster. Auch aus­län­di­sche Orga­ni­sa­tio­nen dürften die Mos­kauer Politik der Ein­ige­lung stärker zu spüren bekommen.

Als es in der Zen­tra­len Wahl­kom­mis­sion mitten in Moskau Abend wurde, als die Stimmen der Duma-Wahl quer durchs Land langsam aus­ge­zählt wurden und farbige Strei­fen auf dem Monitor im Kon­fe­renz­raum der Kom­mis­sion erschie­nen, da bekam auch Wassili Pis­kar­jow ein paar Sen­de­mi­nu­ten auf dem besag­ten Monitor. „Es gab mas­sen­haft Ein­mi­schung aus dem Ausland bei diesen Wahlen“, sagte er mit ruhiger Stimme, niemand wider­sprach ihm, niemand fragte nach. Die Wahl – der Duma, einiger Regio­nal- und Stadt­par­la­mente – war da noch nicht vorbei.

Portrait von Inna Hartwich

Inna Hart­wich ist freie Jour­na­lis­tin und lebt in Moskau.

Pis­kar­jow ist bekannt für seine schar­fen Aus­sa­gen. Der 55-Jährige gibt sich als Beschüt­zer Russ­lands und ver­tritt, wie so viele im System Putin, treu­her­zig die Posi­tion, alles Böse komme vom Westen. Für alles, was nicht gut läuft in Russ­land, wird das Ausland – allen voran die USA, in jüngs­ter Zeit auch ver­mehrt Deutsch­land, Frank­reich, Tsche­chien – ver­ant­wort­lich gemacht. Auf Dis­kus­sio­nen über ver­passte Refor­men in der Wirt­schaft, über das starre poli­ti­sche System, das jede Kritik an den Macht­eli­ten mit Schlag­stö­cken und will­fäh­ri­ger Justiz zu ersti­cken ver­sucht, lässt sich Pis­kar­jow nicht ein.

Die Unzu­frie­den­heit vieler Men­schen im Land sieht er durch den Westen geschürt. Aus­län­di­sche Orga­ni­sa­tio­nen bil­de­ten Pro­vo­ka­teure aus, sagt er, die dafür sorgten, die Wahlen in Russ­land zu stören, sie finan­zier­ten Orga­ni­sa­tio­nen im Inland, die den Men­schen „falsche“ Werte auf­dräng­ten, sie bräch­ten Medien im eigenen Land dazu, Russ­land in der Welt zu dis­kre­di­tie­ren und riefen auch im Inter­net dazu auf, Russ­land feind­lich anzu­ge­hen. Noch in der Wahl­nacht stellte er „scharfe Reak­tio­nen als Antwort“ in Aussicht.

Solche Ant­wor­ten sind nach der Wahl durch­aus nicht aus­ge­schlos­sen. Pis­kar­jow ist Mit­glied bei „Einiges Russ­land“, der Macht­ba­sis des rus­si­schen Prä­si­den­ten Wla­di­mir Putin, die mit fast 50 Prozent der Stimmen wieder die Zwei­drit­tel­mehr­heit in der Duma geholt hat. In der nun zu Ende gehen­den Legis­la­tur­pe­ri­ode war er Chef des Duma-Son­der­aus­schus­ses „Zur Ver­tei­di­gung der staat­li­chen Sou­ve­rä­ni­tät und Abwehr aus­län­di­scher Einmischung“.

Als seine Haupt­auf­gabe sieht der Aus­schuss das Ein­rei­chen von Emp­feh­lun­gen an die Jus­tiz­be­hör­den, aus­län­di­schen Orga­ni­sa­tio­nen, vor allem aber ihren zivil­ge­sell­schaft­li­chen Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen vor Ort, die Arbeit schwer bis unmög­lich zu machen. Auch das Zentrum Libe­rale Moderne war im Mai dieses Jahres vom rus­si­schen Jus­tiz­mi­nis­te­rium zu einer „uner­wünsch­ten Orga­ni­sa­tion“ erklärt worden. Rus­si­sche Staats­bür­ger, die mit solchen Orga­ni­sa­tio­nen in welcher Form auch immer zusam­men­ar­bei­ten, machen sich straf­bar. Das führt dazu, dass Koope­ra­tio­nen und auch Pro­jekte, die auf Dialog setzen, ausbleiben.

Da die Popu­la­ri­tät der Regie­rungs­par­tei immer weiter abnimmt, dürfte sich der Staat weiter aufs Ausland ein­schie­ßen. Öffent­li­che Auf­tritte von Maria Sacha­rowa, der Spre­che­rin des rus­si­schen Außen­mi­nis­te­ri­ums, und Berichte von Nach­rich­ten­agen­tu­ren, die im Auftrag des Staates Mani­pu­la­tio­nen im Inter­net betrei­ben, lassen darauf schlie­ßen. Sacha­rowa beschul­digte gleich mehr­fach west­li­che Bot­schaf­ten im Land, rus­si­sche Staats­bür­ger zur Arbeit in diesen Bot­schaf­ten zu ködern, um so Ein­fluss auf Wahlen zu nehmen. Gar­niert wurde diese Kon­struk­tion mit der Ver­öf­fent­li­chung von Namen und Geburts­da­ten solcher Orts­kräfte der Bot­schaf­ten in einem obsku­ren Online-Medium ohne Impressum.

Dass die Men­schen im Land auch selbst denken und ent­schei­den können, auch wenn es ent­ge­gen­ge­setzte Mei­nun­gen sind als offi­zi­elle Ver­laut­ba­run­gen, zieht der Staat offen­bar nicht in Betracht. Er hält die Men­schen für unmün­dig und tut sehr viel dafür, dass sie hilflos bleiben oder sich zumin­dest hilflos fühlen. Strebt jemand nach poli­ti­scher Mün­dig­keit und setzt sich für seine Rechte ein, werden ihm so viele Steine in den Weg gelegt, bis er zer­mürbt aufgibt. Die, die sich nicht so einfach zer­mür­ben lassen, werden nach abstru­sen Pro­zes­sen in die Straf­ko­lo­nie gebracht – oder ins Ausland gedrängt. Setzen sich zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen für die Men­schen ein, werden sie dis­kre­di­tiert und gebrandmarkt.

Im Online-Portal RIAFAN tauch­ten bereits vor der Wahl Bei­träge auf, in denen dazu auf­ge­ru­fen wurde, die Grünen-nahe Hein­rich-Böll-Stif­tung, die FDP-nahe Naumann-Stif­tung und die SPD-nahe Fried­rich-Ebert-Stif­tung zu „uner­wünsch­ten Orga­ni­sa­tio­nen“ zu erklä­ren. RIAFAN gehört zur Medi­en­gruppe des Geschäfts­man­nes Jewgeni Pri­go­schin, der als Betrei­ber der Peters­bur­ger „Troll­fa­brik“ und Sponsor der Söld­ner­truppe Wagner bekannt wurde. Pri­go­schin, der wegen seiner ursprüng­li­chen Tätig­keit im Gas­tro­no­mie­sek­tor gerne als „Putins Koch“ bezeich­net wird, steht seit 2016 auf der US-Sank­ti­ons­liste. Sein Auf­stieg vom armen Jungen aus Sankt Peters­burg zum Olig­ar­chen und engen Ver­trau­ten Putins zeigt, wie ver­wo­ben Russ­lands Wirt­schaft und Politik sind.

Wen der Zorn der rus­si­schen Hard­li­ner als nächs­tes trifft, ist schwer vor­aus­zu­sa­gen. Im Früh­jahr scheint die Böll-Stif­tung noch einmal davon­ge­kom­men zu sein. Denn als Duma-Kom­mis­si­ons­chef Pis­kar­jow im Mai den deut­schen Bot­schaf­ter Geza von Geyr für die „Ver­feh­lun­gen“ deut­scher NGOs tadelte, nannte er die Grünen-nahe Stif­tung in einem Atemzug mit dem Deutsch-Rus­si­schen Aus­tausch, dem Zentrum Libe­rale Moderne und dem Forum Rus­sisch­spra­chi­ger Euro­päer. Sechs Wochen später werden aber nur die drei letz­te­ren zu uner­wünsch­ten Orga­ni­sa­tio­nen erklärt, was zu Spe­ku­la­tio­nen führte, dass Moskau erst das Ergeb­nis der Bun­des­tags­wahl abwar­ten wollte.

Pri­gosch­ins RIAFAN hat sich schon mal auf die Böll-Stif­tung ein­ge­schos­sen. Im August schrieb das Portal, dass die Stif­tung „destruk­tive Arbeit“ in Russ­land betreibe und dass ihre Pro­jekte oft „pro­vo­ka­ti­ven Cha­rak­ters“ seien. Der Duma-Son­der­aus­schuss habe die Böll-Stif­tung im Blick, weil diese ter­ro­ris­ti­sche Akti­vi­tä­ten zu recht­fer­ti­gen ver­su­che, weil sie rus­si­schen Ener­gie­pro­jek­ten ent­ge­gen­wirke, natio­na­lis­ti­sche und sepa­ra­tis­ti­sche Stim­mun­gen pflege, Homo­se­xua­li­tät unter jungen Men­schen in Russ­land popu­la­ri­siere und die Geschichte des Landes, vor allem im Zweiten Welt­krieg, verzerre.

In einem zweiten Artikel im Sep­tem­ber „ent­hüllt“ RIAFAN dass eine rus­si­sche Part­nern­or­ga­ni­sa­tion womög­lich heim­lich wei­ter­hin Böll-Gelder bekomme, obwohl sie sich von der deut­schen Stuf­tung los­ge­sagt habe.

Mitt­ler­weile hat Pis­kar­jows Kom­mis­sion ein Ersu­chen an die rus­si­sche Gene­ral­staats­an­walt­schaft geschickt, in dem sie darum bittet, mehr als 20 aus­län­di­sche NGOs als uner­wünscht zu erklä­ren. Um wen es sich handelt, teilte die Kom­mis­sion zunächst nicht mit.

„Viele hoffen einfach nur, dass es so schlecht bleibt, wie es ist“

Solche Aus­sa­gen führen zwar nicht auto­ma­tisch zu einem Ein­grei­fen der rus­si­schen Justiz, doch sie schüren Angst und streuen Unsi­cher­heit – vor allem unter rus­si­schen Orga­ni­sa­tio­nen. Schon werden Ver­an­stal­tun­gen abge­sagt, finden Trai­nings nicht statt. Die Orga­ni­sa­to­ren vor Ort reagie­ren vor­sich­tig, weil Russ­lands Rechts­staat­lich­keit eine sehr wacke­lige ist. Niemand weiß, worauf er sich bei oft ver­schwom­men for­mu­lier­ten Geset­zen ver­las­sen kann. Letzt­lich lebt jeder im Land mit der Furcht im Hin­ter­kopf, mit einem Bein im Gefäng­nis zu stehen. Die Serie von Repres­sio­nen in den ver­gan­ge­nen Monaten führt dazu, dass die Men­schen sich weiter zurück­zie­hen, weil sie nicht ris­kie­ren wollen, dass ihnen das, was sie haben, auch noch genom­men wird. Viele hoffen einfach nur, dass es so schlecht bleibt, wie es ist.

Wahlen in Russ­land gelten seit Län­ge­rem ohnehin nicht mehr den Wählern, sondern dem Kreml, mag sich dieser vor dem Willen des Wählers auch fürch­ten. Die vor­aus­ge­füll­ten und in die Wahl­ur­nen gestopf­ten Wahl­zet­tel, die Mög­lich­keit zum Ändern der online abge­ge­be­nen Stimme und die Absperr­git­ter in den zen­tra­len Straßen Moskaus nach der Wahl sind ein Zeugnis dieser Angst. Die drei­tä­gige Abstim­mung war nicht dafür gedacht, Volks­ver­tre­ter aus­zu­wäh­len, sondern die Loya­li­tät zu Putin aus­zu­drü­cken. Mit allen Mitteln ver­suchte die Macht­elite, die Zustim­mung für das bestehende System hin­zu­be­kom­men. Nicht mit Ange­bo­ten an die Wähler, sondern mit einem Vor­gau­keln von poli­ti­scher Kon­kur­renz und der Unter­drü­ckung von unlieb­sa­men Kan­di­da­ten. Ihr Ziel hat sie erreicht.

Die orches­trierte Pro­ze­dur hat nichts mit freien und fairen Wahlen zu tun. Das wissen auch die Russen. Zumin­dest ahnen sie es und nehmen es hin. „So ist unser Land halt“, ist die Erklä­rung oft. Sie wissen, dass sie die vom Chef vor­ge­ge­be­nen Bedin­gun­gen erfül­len und dafür sorgen müssen, dass in ihrer Schule, ihrem Laden, ihrem Unter­neh­men die Zustim­mungs­zah­len für die Regie­rungs­par­tei stimmen müssen. Sie wissen, dass Auf­müp­fig­keit nicht gut endet. Sie fügen sich dem Prinzip „Da oben sind die Starken, hier unten bin ich, der Schwa­che“. Manche tun es aus Über­zeu­gung, manche aus Gleich­gül­tig­keit, andere aus Unter­wür­fig­keit. Viele Russen betonen gera­dezu, dass Politik nichts mit ihnen zu tun habe und sie nichts mit ihr zu tun haben wollten. Dass die Duma-Wahl über­haupt statt­fand, war für viele eine Über­ra­schung. Diese Haltung spielt dem Kreml in die Hände. Bis zur Prä­si­dent­schafts­wahl 2024 wird er an Mitteln arbei­ten, diese Haltung zu verstärken.

Textende


Spenden mit Bankeinzug

Spenden mit PayPal


Wir sind als gemein­nüt­zig aner­kannt, ent­spre­chend sind Spenden steu­er­lich absetz­bar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­da­ten bitte an finanzen@libmod.de

Ver­wandte Themen

News­let­ter

Tragen Sie sich in unseren Russ­land-News­let­ter ein und bleiben Sie auf dem Lau­fen­den. Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.