Im Zweifel ist das Ausland schuld
Mit viel Druck und Manipulation hat die Kremlpartei „Einiges Russland“ bei der Duma-Wahl wieder die Zweidrittelmehrheit geholt. Der Blick vieler Russinnen und Russen in die Zukunft ist düster. Auch ausländische Organisationen dürften die Moskauer Politik der Einigelung stärker zu spüren bekommen.
Als es in der Zentralen Wahlkommission mitten in Moskau Abend wurde, als die Stimmen der Duma-Wahl quer durchs Land langsam ausgezählt wurden und farbige Streifen auf dem Monitor im Konferenzraum der Kommission erschienen, da bekam auch Wassili Piskarjow ein paar Sendeminuten auf dem besagten Monitor. „Es gab massenhaft Einmischung aus dem Ausland bei diesen Wahlen“, sagte er mit ruhiger Stimme, niemand widersprach ihm, niemand fragte nach. Die Wahl – der Duma, einiger Regional- und Stadtparlamente – war da noch nicht vorbei.
Piskarjow ist bekannt für seine scharfen Aussagen. Der 55-Jährige gibt sich als Beschützer Russlands und vertritt, wie so viele im System Putin, treuherzig die Position, alles Böse komme vom Westen. Für alles, was nicht gut läuft in Russland, wird das Ausland – allen voran die USA, in jüngster Zeit auch vermehrt Deutschland, Frankreich, Tschechien – verantwortlich gemacht. Auf Diskussionen über verpasste Reformen in der Wirtschaft, über das starre politische System, das jede Kritik an den Machteliten mit Schlagstöcken und willfähriger Justiz zu ersticken versucht, lässt sich Piskarjow nicht ein.Die Unzufriedenheit vieler Menschen im Land sieht er durch den Westen geschürt. Ausländische Organisationen bildeten Provokateure aus, sagt er, die dafür sorgten, die Wahlen in Russland zu stören, sie finanzierten Organisationen im Inland, die den Menschen „falsche“ Werte aufdrängten, sie brächten Medien im eigenen Land dazu, Russland in der Welt zu diskreditieren und riefen auch im Internet dazu auf, Russland feindlich anzugehen. Noch in der Wahlnacht stellte er „scharfe Reaktionen als Antwort“ in Aussicht.
Solche Antworten sind nach der Wahl durchaus nicht ausgeschlossen. Piskarjow ist Mitglied bei „Einiges Russland“, der Machtbasis des russischen Präsidenten Wladimir Putin, die mit fast 50 Prozent der Stimmen wieder die Zweidrittelmehrheit in der Duma geholt hat. In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode war er Chef des Duma-Sonderausschusses „Zur Verteidigung der staatlichen Souveränität und Abwehr ausländischer Einmischung“.
Als seine Hauptaufgabe sieht der Ausschuss das Einreichen von Empfehlungen an die Justizbehörden, ausländischen Organisationen, vor allem aber ihren zivilgesellschaftlichen Partnerorganisationen vor Ort, die Arbeit schwer bis unmöglich zu machen. Auch das Zentrum Liberale Moderne war im Mai dieses Jahres vom russischen Justizministerium zu einer „unerwünschten Organisation“ erklärt worden. Russische Staatsbürger, die mit solchen Organisationen in welcher Form auch immer zusammenarbeiten, machen sich strafbar. Das führt dazu, dass Kooperationen und auch Projekte, die auf Dialog setzen, ausbleiben.
Da die Popularität der Regierungspartei immer weiter abnimmt, dürfte sich der Staat weiter aufs Ausland einschießen. Öffentliche Auftritte von Maria Sacharowa, der Sprecherin des russischen Außenministeriums, und Berichte von Nachrichtenagenturen, die im Auftrag des Staates Manipulationen im Internet betreiben, lassen darauf schließen. Sacharowa beschuldigte gleich mehrfach westliche Botschaften im Land, russische Staatsbürger zur Arbeit in diesen Botschaften zu ködern, um so Einfluss auf Wahlen zu nehmen. Garniert wurde diese Konstruktion mit der Veröffentlichung von Namen und Geburtsdaten solcher Ortskräfte der Botschaften in einem obskuren Online-Medium ohne Impressum.
Dass die Menschen im Land auch selbst denken und entscheiden können, auch wenn es entgegengesetzte Meinungen sind als offizielle Verlautbarungen, zieht der Staat offenbar nicht in Betracht. Er hält die Menschen für unmündig und tut sehr viel dafür, dass sie hilflos bleiben oder sich zumindest hilflos fühlen. Strebt jemand nach politischer Mündigkeit und setzt sich für seine Rechte ein, werden ihm so viele Steine in den Weg gelegt, bis er zermürbt aufgibt. Die, die sich nicht so einfach zermürben lassen, werden nach abstrusen Prozessen in die Strafkolonie gebracht – oder ins Ausland gedrängt. Setzen sich zivilgesellschaftliche Organisationen für die Menschen ein, werden sie diskreditiert und gebrandmarkt.
Im Online-Portal RIAFAN tauchten bereits vor der Wahl Beiträge auf, in denen dazu aufgerufen wurde, die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung, die FDP-nahe Naumann-Stiftung und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung zu „unerwünschten Organisationen“ zu erklären. RIAFAN gehört zur Mediengruppe des Geschäftsmannes Jewgeni Prigoschin, der als Betreiber der Petersburger „Trollfabrik“ und Sponsor der Söldnertruppe Wagner bekannt wurde. Prigoschin, der wegen seiner ursprünglichen Tätigkeit im Gastronomiesektor gerne als „Putins Koch“ bezeichnet wird, steht seit 2016 auf der US-Sanktionsliste. Sein Aufstieg vom armen Jungen aus Sankt Petersburg zum Oligarchen und engen Vertrauten Putins zeigt, wie verwoben Russlands Wirtschaft und Politik sind.
Wen der Zorn der russischen Hardliner als nächstes trifft, ist schwer vorauszusagen. Im Frühjahr scheint die Böll-Stiftung noch einmal davongekommen zu sein. Denn als Duma-Kommissionschef Piskarjow im Mai den deutschen Botschafter Geza von Geyr für die „Verfehlungen“ deutscher NGOs tadelte, nannte er die Grünen-nahe Stiftung in einem Atemzug mit dem Deutsch-Russischen Austausch, dem Zentrum Liberale Moderne und dem Forum Russischsprachiger Europäer. Sechs Wochen später werden aber nur die drei letzteren zu unerwünschten Organisationen erklärt, was zu Spekulationen führte, dass Moskau erst das Ergebnis der Bundestagswahl abwarten wollte.
Prigoschins RIAFAN hat sich schon mal auf die Böll-Stiftung eingeschossen. Im August schrieb das Portal, dass die Stiftung „destruktive Arbeit“ in Russland betreibe und dass ihre Projekte oft „provokativen Charakters“ seien. Der Duma-Sonderausschuss habe die Böll-Stiftung im Blick, weil diese terroristische Aktivitäten zu rechtfertigen versuche, weil sie russischen Energieprojekten entgegenwirke, nationalistische und separatistische Stimmungen pflege, Homosexualität unter jungen Menschen in Russland popularisiere und die Geschichte des Landes, vor allem im Zweiten Weltkrieg, verzerre.
In einem zweiten Artikel im September „enthüllt“ RIAFAN dass eine russische Partnernorganisation womöglich heimlich weiterhin Böll-Gelder bekomme, obwohl sie sich von der deutschen Stuftung losgesagt habe.
Mittlerweile hat Piskarjows Kommission ein Ersuchen an die russische Generalstaatsanwaltschaft geschickt, in dem sie darum bittet, mehr als 20 ausländische NGOs als unerwünscht zu erklären. Um wen es sich handelt, teilte die Kommission zunächst nicht mit.
„Viele hoffen einfach nur, dass es so schlecht bleibt, wie es ist“
Solche Aussagen führen zwar nicht automatisch zu einem Eingreifen der russischen Justiz, doch sie schüren Angst und streuen Unsicherheit – vor allem unter russischen Organisationen. Schon werden Veranstaltungen abgesagt, finden Trainings nicht statt. Die Organisatoren vor Ort reagieren vorsichtig, weil Russlands Rechtsstaatlichkeit eine sehr wackelige ist. Niemand weiß, worauf er sich bei oft verschwommen formulierten Gesetzen verlassen kann. Letztlich lebt jeder im Land mit der Furcht im Hinterkopf, mit einem Bein im Gefängnis zu stehen. Die Serie von Repressionen in den vergangenen Monaten führt dazu, dass die Menschen sich weiter zurückziehen, weil sie nicht riskieren wollen, dass ihnen das, was sie haben, auch noch genommen wird. Viele hoffen einfach nur, dass es so schlecht bleibt, wie es ist.
Wahlen in Russland gelten seit Längerem ohnehin nicht mehr den Wählern, sondern dem Kreml, mag sich dieser vor dem Willen des Wählers auch fürchten. Die vorausgefüllten und in die Wahlurnen gestopften Wahlzettel, die Möglichkeit zum Ändern der online abgegebenen Stimme und die Absperrgitter in den zentralen Straßen Moskaus nach der Wahl sind ein Zeugnis dieser Angst. Die dreitägige Abstimmung war nicht dafür gedacht, Volksvertreter auszuwählen, sondern die Loyalität zu Putin auszudrücken. Mit allen Mitteln versuchte die Machtelite, die Zustimmung für das bestehende System hinzubekommen. Nicht mit Angeboten an die Wähler, sondern mit einem Vorgaukeln von politischer Konkurrenz und der Unterdrückung von unliebsamen Kandidaten. Ihr Ziel hat sie erreicht.
Die orchestrierte Prozedur hat nichts mit freien und fairen Wahlen zu tun. Das wissen auch die Russen. Zumindest ahnen sie es und nehmen es hin. „So ist unser Land halt“, ist die Erklärung oft. Sie wissen, dass sie die vom Chef vorgegebenen Bedingungen erfüllen und dafür sorgen müssen, dass in ihrer Schule, ihrem Laden, ihrem Unternehmen die Zustimmungszahlen für die Regierungspartei stimmen müssen. Sie wissen, dass Aufmüpfigkeit nicht gut endet. Sie fügen sich dem Prinzip „Da oben sind die Starken, hier unten bin ich, der Schwache“. Manche tun es aus Überzeugung, manche aus Gleichgültigkeit, andere aus Unterwürfigkeit. Viele Russen betonen geradezu, dass Politik nichts mit ihnen zu tun habe und sie nichts mit ihr zu tun haben wollten. Dass die Duma-Wahl überhaupt stattfand, war für viele eine Überraschung. Diese Haltung spielt dem Kreml in die Hände. Bis zur Präsidentschaftswahl 2024 wird er an Mitteln arbeiten, diese Haltung zu verstärken.
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