Was kommt nach Putin?
Der Potsdamer Historiker Jan Claas Behrends hat sich Gedanken gemacht, wie ein Russland nach Putin aussehen könnte. Als Grundvoraussetzung für normale Beziehungen zu Moskau stellt er sechs Forderungen auf.
Der deutsche Kinderglaube, dass Krieg keine Lösung bringe, wird derzeit in der Ukraine zerbombt, die ukrainische Frage in diesen Stunden auf dem Schlachtfeld entschieden. Dies war offenbar in den Prognosen des Merkelschen Kanzleramts nicht vorgesehen oder wurde ausgeblendet – trotz russischer Kriege in Moldau und Tschetschenien, gegen Georgien, der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbas seit 2014. Doch nun gilt es, ungeschminkte Prognosen zu wagen und uns besser auf die Unwägbarkeiten der Zukunft vorzubereiten. Momentan lässt sich nicht absehen, wie der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ausgehen wird. Doch wir können in die russische Geschichte zurückblicken und uns fragen, was sich ändern müsste, um die Lage in Osteuropa nachhaltig zu stabilisieren.
Auch während des Krieges lohnt es sich, über Nachkriegszeiten nachzudenken. Wenn Russland Kriege verlor – wie den Krimkrieg 1856, den desaströsen Krieg gegen Japan von 1905, im Ersten Weltkrieg nach der Revolution von 1917 oder auch den Afghanistankrieg (1979–1989) – dann bedeutete dies stets innenpolitische Zäsuren. Auf Niederlagen folgten kurze Schübe der Liberalisierung und Verrechtlichung. Natürlich wissen wir nicht, was nach Putin kommt, wir dürfen aber annehmen, dass eine Abkehr vom außenpolitisch aggressiven und innenpolitisch repressiven System eine plausible Möglichkeit darstellt.
Der rapide Zusammenbruch der UdSSR im Herbst 1991 überraschte den Westen. Anschließend schlugen sich die Amerikaner und Europäer schnell auf die Seite des Siegers und unterstützte Boris Jelzin, der sich als Demokrat bezeichnete. Dabei übersahen die westlichen Regierungen geflissentlich, dass das sowjetische Herrschaftssystem in weiten Teilen fortbestand. Insbesondere der Inlandsgeheimdienst FSB – in der Tradition des sowjetischen KGB stehend – gewann bereits während der 1990er Jahre wieder Macht und Einfluss in Russland. Wladimir Putin wurde aufgrund seines KGB-Hintergrundes zum Nachfolger Jelzins auserkoren. Er hatte dann freie Hand, die Macht der Geheimdienste noch weiter auszubauen. Heute dominieren sie den russischen Staat und haben sich die Gesellschaft unterworfen.
Momentan ist Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine und infolge der westlichen Sanktionen zum internationalen Paria geworden. So lange Putin und seine Entourage das Land regieren und in Europa Krieg führen, gibt es keinen Weg aus der Isolation. Doch es könnte der Tag kommen, an dem ein anderer russischer Machthaber erneut die Nähe des Westens suchen wird. Historisch betrachtet hat sich das moderne Russland immer wieder vom Westen entfernt, nur um sich ihm später wieder anzunähern. Es ist anzunehmen, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. Wir wissen nur nicht, wann der nächste Moment der Wiederannäherung eintreffen wird. Solange die Waffen nicht schweigen und Putin herrscht, wird es dazu nicht kommen.
Falls es einen neuen Ansprechpartner in Russland geben sollte – so wie es Jelzin zu Beginn der neunziger Jahre war – sollte der Westen ihm klare Bedingungen stellen, bevor die Beziehungen normalisiert werden. Der westliche Einfluss auf Russland ist schwach – er ist aber dann am stärksten, wenn Russland in einer Krise steckt und westliche Hilfe benötigt.
Folgende sechs Punkte sollte der Westen als Grundvoraussetzung für eine normale Beziehung zu Russland stellen:
Erstens: Der Rückzug der Russischen Föderation aus allen besetzten Gebieten, auch von der Krim, und die Anerkennung der Grenzen von 1991.
Zweitens: Umfassende Reparationen an die Ukraine und andere Staaten wie Georgien, die unter der russischen Aggression gelitten haben.
Drittens: Umfassende Abrüstung der russischen Armee und Nuklearstreitkräfte im Austausch gegen westliche Sicherheitsgarantien.
Viertens: Die Auslieferung von Kriegsverbrechern an den internationalen Strafgerichtshof.
Fünftens: Freie Wahlen in Russland und die Wiederherstellung der politischen Rechte der Bürgerinnen und Bürger der Russischen Föderation.
Sechstens: Zerschlagung der kriminellen russischen Geheimdienste, die in den letzten Jahren die Basis des russischen Regimes bildeten.
Realistisch betrachtet wird der Westen alle sechs Punkte kaum vollständig durchsetzen können. Doch wir sollten sie im Auge behalten. Wenn unser Ziel ist, die immense Gefahr in Zukunft zu mindern, die vom russischen Staat für Europa ausgeht, dann lohnt es sich, diese sechs Punkte zu verfolgen – ansonsten werden auch unsere Kinder in Angst vor Russland leben müssen.
Hat Ihnen unser Beitrag gefallen? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spendentool. Sie unterstützen damit die publizistische Arbeit von LibMod.
Wir sind als gemeinnützig anerkannt, entsprechend sind Spenden steuerlich absetzbar. Für eine Spendenbescheinigung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adressdaten bitte an finanzen@libmod.de