Was kommt nach Putin?

Putin bei einem Besuch in Jerewan, Arme­nien 2019 Foto: Shutterstock

Der Pots­da­mer His­to­ri­ker Jan Claas Beh­rends hat sich Gedan­ken gemacht, wie ein Russ­land nach Putin aus­se­hen könnte. Als Grund­vor­aus­set­zung für normale Bezie­hun­gen zu Moskau stellt er sechs For­de­run­gen auf.

Der deut­sche Kin­der­glaube, dass Krieg keine Lösung bringe, wird derzeit in der Ukraine zer­bombt, die ukrai­ni­sche Frage in diesen Stunden auf dem Schlacht­feld ent­schie­den. Dies war offen­bar in den Pro­gno­sen des Mer­kel­schen Kanz­ler­amts nicht vor­ge­se­hen oder wurde aus­ge­blen­det – trotz rus­si­scher Kriege in Moldau und Tsche­tsche­nien, gegen Geor­gien, der Anne­xion der Krim und dem Krieg im Donbas seit 2014. Doch nun gilt es, unge­schminkte Pro­gno­sen zu wagen und uns besser auf die Unwäg­bar­kei­ten der Zukunft vor­zu­be­rei­ten. Momen­tan lässt sich nicht absehen, wie der Angriffs­krieg Russ­lands gegen die Ukraine aus­ge­hen wird. Doch wir können in die rus­si­sche Geschichte zurück­bli­cken und uns fragen, was sich ändern müsste, um die Lage in Ost­eu­ropa nach­hal­tig zu stabilisieren.

Portrait von Jan Claas Behrends

Jan Claas Beh­rends arbei­tet als His­to­ri­ker am Zentrum für Zeit­his­to­ri­sche For­schung in Potsdam

Auch während des Krieges lohnt es sich, über Nach­kriegs­zei­ten nach­zu­den­ken. Wenn Russ­land Kriege verlor – wie den Krim­krieg 1856, den desas­trö­sen Krieg gegen Japan von 1905, im Ersten Welt­krieg nach der Revo­lu­tion von 1917 oder auch den Afgha­ni­stan­krieg (1979–1989) – dann bedeu­tete dies stets innen­po­li­ti­sche Zäsuren. Auf Nie­der­la­gen folgten kurze Schübe der Libe­ra­li­sie­rung und Ver­recht­li­chung. Natür­lich wissen wir nicht, was nach Putin kommt, wir dürfen aber anneh­men, dass eine Abkehr vom außen­po­li­tisch aggres­si­ven und innen­po­li­tisch repres­si­ven System eine plau­si­ble Mög­lich­keit darstellt.

Der rapide Zusam­men­bruch der UdSSR im Herbst 1991 über­raschte den Westen. Anschlie­ßend schlu­gen sich die Ame­ri­ka­ner und Euro­päer schnell auf die Seite des Siegers und unter­stützte Boris Jelzin, der sich als Demo­krat bezeich­nete. Dabei über­sa­hen die west­li­chen Regie­run­gen geflis­sent­lich, dass das sowje­ti­sche Herr­schafts­sys­tem in weiten Teilen fort­be­stand. Ins­be­son­dere der Inlands­ge­heim­dienst FSB – in der Tra­di­tion des sowje­ti­schen KGB stehend – gewann bereits während der 1990er Jahre wieder Macht und Ein­fluss in Russ­land. Wla­di­mir Putin wurde auf­grund seines KGB-Hin­ter­grun­des zum Nach­fol­ger Jelzins aus­er­ko­ren. Er hatte dann freie Hand, die Macht der Geheim­dienste noch weiter aus­zu­bauen. Heute domi­nie­ren sie den rus­si­schen Staat und haben sich die Gesell­schaft unterworfen.

Momen­tan ist Russ­land wegen des Angriffs auf die Ukraine und infolge der west­li­chen Sank­tio­nen zum inter­na­tio­na­len Paria gewor­den. So lange Putin und seine Entou­rage das Land regie­ren und in Europa Krieg führen, gibt es keinen Weg aus der Iso­la­tion. Doch es könnte der Tag kommen, an dem ein anderer rus­si­scher Macht­ha­ber erneut die Nähe des Westens suchen wird. His­to­risch betrach­tet hat sich das moderne Russ­land immer wieder vom Westen ent­fernt, nur um sich ihm später wieder anzu­nä­hern. Es ist anzu­neh­men, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. Wir wissen nur nicht, wann der nächste Moment der Wie­der­an­nä­he­rung ein­tref­fen wird. Solange die Waffen nicht schwei­gen und Putin herrscht, wird es dazu nicht kommen.

Falls es einen neuen Ansprech­part­ner in Russ­land geben sollte – so wie es Jelzin zu Beginn der neun­zi­ger Jahre war – sollte der Westen ihm klare Bedin­gun­gen stellen, bevor die Bezie­hun­gen nor­ma­li­siert werden. Der west­li­che Ein­fluss auf Russ­land ist schwach – er ist aber dann am stärks­ten, wenn Russ­land in einer Krise steckt und west­li­che Hilfe benötigt.

Fol­gende sechs Punkte sollte der Westen als Grund­vor­aus­set­zung für eine normale Bezie­hung zu Russ­land stellen:

Erstens: Der Rückzug der Rus­si­schen Föde­ra­tion aus allen besetz­ten Gebie­ten, auch von der Krim, und die Aner­ken­nung der Grenzen von 1991.

Zwei­tens: Umfas­sende Repa­ra­tio­nen an die Ukraine und andere Staaten wie Geor­gien, die unter der rus­si­schen Aggres­sion gelit­ten haben.

Drit­tens: Umfas­sende Abrüs­tung der rus­si­schen Armee und Nukle­ar­streit­kräfte im Aus­tausch gegen west­li­che Sicherheitsgarantien.

Vier­tens: Die Aus­lie­fe­rung von Kriegs­ver­bre­chern an den inter­na­tio­na­len Strafgerichtshof.

Fünf­tens: Freie Wahlen in Russ­land und die Wie­der­her­stel­lung der poli­ti­schen Rechte der Bür­ge­rin­nen und Bürger der Rus­si­schen Föderation.

Sechs­tens: Zer­schla­gung der kri­mi­nel­len rus­si­schen Geheim­dienste, die in den letzten Jahren die Basis des rus­si­schen Regimes bildeten.

Rea­lis­tisch betrach­tet wird der Westen alle sechs Punkte kaum voll­stän­dig durch­set­zen können. Doch wir sollten sie im Auge behal­ten. Wenn unser Ziel ist, die immense Gefahr in Zukunft zu mindern, die vom rus­si­schen Staat für Europa ausgeht, dann lohnt es sich, diese sechs Punkte zu ver­fol­gen – ansons­ten werden auch unsere Kinder in Angst vor Russ­land leben müssen.

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