Rus­si­sche NGOs: Über­le­bens­kampf in Zeiten des Krieges

Soli­da­ri­täts-Anste­cker für die NGO „Memo­rial“ in Moskau, die im Dezem­ber 2021 gericht­lich auf­ge­löst wurde. Foto: IMAGO

Russ­lands Angriffs­krieg gegen die Ukraine und die damit ein­her­ge­hen­den mas­si­ven Repres­sio­nen haben die rus­si­sche Zivil­ge­sell­schaft gespal­ten und rus­si­sche Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen schwer beein­träch­tigt: Viele NGOs haben das Land ver­las­sen, andere sind gezwun­gen, sich an immer stren­gere Vor­schrif­ten im Inland anzu­pas­sen. Ein Über­blick von Ange­lina Davy­dova und Boris Grozovski.

Dieser Text unter­sucht die wich­tigs­ten Ent­wick­lun­gen im rus­si­schen NGO-Sektor seit Februar 2022. Er stützt sich auf öffent­li­che Daten, Medi­en­ver­öf­fent­li­chun­gen und soziale Medien. Darüber hinaus wurden zwi­schen 2022 und 2023 mehr als 40 Exper­tin­nen und Exper­ten inter­viewt sowie Gesprä­che und Grup­pen­dis­kus­sio­nen mit Ver­tre­te­rin­nen rus­si­scher zivil­ge­sell­schaft­li­cher Initia­ti­ven in Russ­land und im Exil geführt.

Nach der Spal­tung der Zivil­ge­sell­schaft in die­je­ni­gen, die wegen des Krieges das Land ver­las­sen haben, und den­je­ni­gen, die bleiben, haben die im sozia­len Bereich tätigen NGOs ihre Arbeit trotz zuneh­men­der Repres­sio­nen fort­ge­setzt. Dies betrifft vor allem Orga­ni­sa­tio­nen, die medi­zi­ni­sche, soziale und psy­cho­lo­gi­sche Hilfe, Reha­bi­li­ta­tion, soziale Inte­gra­tion sowie Pal­lia­tiv­pflege anbieten.

Ange­sichts des poli­ti­schen Drucks herr­schen bei den meisten dieser NGOs strenge Selbst­zen­sur (statt von Krieg spre­chen sie von „nega­ti­ven Ver­än­de­run­gen im äußeren Umfeld“) und Ein­schrän­kun­gen bei der Wahl von Part­nern. Der Krieg hat fol­gen­schwere Aus­wir­kun­gen auf sie:

  • Regel­mä­ßige Spenden sind stark zurückgegangen;
  • Zuschüsse aus dem Ausland sind stark zurückgegangen;
  • Zah­lun­gen aus­län­di­scher Unter­neh­men in Russ­land sind stark zurück­ge­gan­gen, weil viele dieser Firmen das Land ver­las­sen haben;
  • Die Zen­sur­maß­nah­men gegen soziale Netz­werke wie Insta­gram und Face­book haben eta­blierte Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­näle mit Spen­dern abgebrochen;
  • Die Schlie­ßung und Flucht unab­hän­gi­ger Medien sowie deren Blo­ckie­rung im Inter­net haben die Sicht­bar­keit sozia­ler NGOs stark beein­träch­tigt, während Staats­me­dien wenig über sie berichten;
  • Sank­tio­nen und der Abbruch von Han­dels­be­zie­hun­gen haben zu Mangel an impor­tier­ten medi­zi­ni­schen Pro­duk­ten geführt;
  • Wach­sen­der staat­li­cher Druck zwingt die Orga­ni­sa­tio­nen, die Regie­rungs­po­li­tik zu unter­stüt­zen und inter­na­tio­nale Zusam­men­ar­beit abzulehnen.

Das Aus­blei­ben von Spen­den­gel­dern hat viele rus­si­sche NGOs in eine schwie­rige Lage gebracht. Staat­li­che Hilfen werden zuneh­mend an Loya­li­tät zum Staat und an Betei­li­gung an staat­li­cher Pro­pa­ganda geknüpft. Die Orga­ni­sa­tio­nen stehen vor einem Dilemma: Ent­we­der sie schwei­gen zum Krieg, um an staat­li­che Zuschüsse zu kommen, oder sie üben Kritik und ris­kie­ren ihre Einnahmen.

Die in Russ­land ver­blie­be­nen Stif­tun­gen, die weiter mit aus­län­di­schen Geld­ge­bern zusam­men­ar­bei­ten, haben es schwer, diese Ver­bin­dun­gen auf­recht­zu­hal­ten. Die Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sa­tion Pravmir etwa, bot seinen Zuwen­dern zunächst an, Spenden an eine Pri­vat­per­son zu über­wei­sen, und eröff­nete dann ein Konto bei einer kleinen rus­si­schen Bank, die nicht von SWIFT[1] abge­kop­pelt war. Es gab jedoch wei­ter­hin Schwie­rig­kei­ten mit Zah­lun­gen aus Europa.

Die Stif­tung Need Help verlor 20 Prozent ihrer Zuwen­dun­gen und grün­dete eine Part­ner­or­ga­ni­sa­tion für das Fund­rai­sing mit einer juris­ti­schen Person im Ausland – die jedoch keine Spenden für rus­si­sche Partner anneh­men darf. Die zweite Mög­lich­keit besteht darin, statt Part­ner­or­ga­ni­sa­tio­nen Zweig­stel­len ein­zel­ner rus­si­scher NGOs im Ausland zu eröff­nen. In diesem Fall gehen Gelder auf ein nicht rus­si­sches Konto der rus­si­schen Orga­ni­sa­tion, die als aus­län­di­scher Ver­tre­ter aner­kannt wird.

Gleich­zei­tig haben Spenden für die Streit­kräfte (huma­ni­täre Hilfe, Kauf von Waffen, Aus­rüs­tung usw.) in Russ­land stark zuge­nom­men.[2] Einige dieser „Spenden“ sind erzwun­ge­ner Natur (Mobi­li­sie­rung von Ange­hö­ri­gen, Zwangs­ab­ga­ben an Unter­neh­men), andere sind frei­wil­lig. In den süd­li­chen Lan­des­tei­len, die am stärks­ten vom Krieg betrof­fen sind, ist die Nach­frage nach psy­cho­lo­gi­scher Hilfe erheb­lich gestie­gen. Gewalt­de­likte ahben hier zuge­nom­men, vor allem durch von der Front zurück­ge­kehrte Gefan­gene. Gemein­nüt­zige Orga­ni­sa­tio­nen, die Geflüch­te­ten und gewalt­sam Ver­trie­be­nen aus der Ukraine helfen, stehen unter erhöh­tem Druck[3] – in diesem Bereich sind zivile Initia­ti­ven ent­stan­den, die Hilfe bei der Aus­reise in die EU anbieten.

Emi­gra­tion und Relokation

Für viele Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen ist die Arbeit in Russ­land wegen des Krieges und der Ver­schär­fung des poli­ti­schen Regimes unmög­lich gewor­den. Um dem Risiko straf­recht­li­cher Ver­fol­gung zu ent­ge­hen, haben viele NGOs ihre Mitarbeiter:innen ins Ausland ver­bracht. Dies war haupt­säch­lich für die­je­ni­gen möglich, die über zuver­läs­sige aus­län­di­sche Partner, einen guten Ruf und Erfah­rung im Fund­rai­sing ver­füg­ten (etwa Trans­pa­rency Inter­na­tio­nal Russ­land und das Mos­kauer Sacha­row-Zentrum). Für soziale NGOs ist das oft keine Option, weil ihre Ziel­grup­pen in Russ­land sind.

Einige Men­schen­rechts-NGOs wie OVD-Info oder Public Verdict setzen ihre Tätig­keit in Russ­land fort, obwohl die Risiken und Schwie­rig­kei­ten für sie erheb­lich zuge­nom­men haben. Civil Assis­tance leistet umfang­rei­che Hilfe für Geflüch­tete aus der Ukraine. Ein Teil des Memo­rial-Teams ist in ver­schie­dene Länder umge­zo­gen (die Orga­ni­sa­tion hat Depen­dan­cen u.a. in Frank­reich und Tsche­chien), und das Memo­rial-Men­schen­rechts­zen­trum ver­sucht, ohne eine juris­ti­sche Person zu bilden, in Russ­land und anderen Ländern zu arbei­ten.[4]

Viele dieser Initia­ti­ven sowie femi­nis­ti­sche Gruppen bieten Hilfe für unmit­tel­bar vom Krieg Betrof­fene an – etwa durch die Bera­tung und Ver­tei­di­gung von Kriegs­dienst­ver­wei­ge­rern. Im Falle von Agora hat das dazu geführt, dass die in Kasan behei­ma­tete inter­na­tio­nal arbei­tende Orga­ni­sa­tion für „uner­wünscht“ erklärt wurde.

Neue Pro­jekte

Per­sön­lich­kei­ten aus dem NGO-Bereich haben seit Ver­la­ge­rung ihrer Akti­vi­tä­ten ins Ausland viele neue Pro­jekte ins Leben gerufen. So orga­ni­sier­ten rus­si­sche Akti­vis­tin­nen in Geor­gien im Früh­jahr 2022 Pro­jekte wie Helping to Leave (Hilfe für Ukrai­ner, das Kriegs­ge­biet zu ver­las­sen), Emi­gra­tion for Action (Samm­lung von Medi­ka­men­ten und Lebens­mit­teln für Ukrai­ner in Geor­gien) und die Mots­kha­leba Charity Foun­da­tion unter­stützt Geflüch­tete aus der Ukraine bei der Woh­nungs­su­che in Geor­gien.[5] Es sind Frei­wil­li­gen­in­itia­ti­ven ent­stan­den, die Relo­kan­ten aus der Ukraine, Russ­land und Belarus psy­cho­lo­gi­sche Betreu­ung und Sprach­kurse anbie­ten.[6] Die Jour­na­lis­tin Ana­sta­sia Tschu­kows­kaja hat eine umfas­sende Unter­stüt­zung für ukrai­ni­sche Geflüch­tete in Ungarn auf­ge­baut.[7]

Das von dem Öko­no­men Sergei Gurijew, dem Schrift­stel­ler Boris Akunin und dem Bal­lett­tän­zer Michail Bary­sch­ni­kow gegrün­dete Projekt True Russia sammelt Infor­ma­tio­nen über Initia­ti­ven rus­si­scher Emi­gran­ten und hat bereits über 1 Million Pfund Ster­ling für Geflüch­tete aus der Ukraine gesam­melt.[8] Der Medi­en­ma­ga­ner Ilja Kra­silscht­schik und der Jour­na­list Alex­an­der Poli­wa­now haben das Projekt Support Service ins Leben gerufen, das Relo­kan­tin­nen und von Mobi­li­sie­rung bedroh­ten Männern hilft.[9] Grigori Swerd­lin, Gründer der rus­si­schen Obdach­lo­sen­hilfe Not­sch­leschka, hat nach seiner Emi­gra­tion das Hilfs­pro­jekt Go to the forest! ins Leben gerufen, das von der Mobi­li­sie­rung Betrof­fe­nen hilft.[10]

Das Projekt Reforum, das Refor­men für Russ­land nach Putin ent­wi­ckelt, hat vier neue Filia­len in Berlin, Vilnius, Tallinn und Tiflis ein­ge­rich­tet. Die Orga­ni­sa­tion Kovcheg (Bogen) bietet Flücht­lin­gen aus Russ­land in ver­schie­de­nen Ländern der Welt tem­po­räre Unter­kunft, wo Bera­tung und Sprach­kurse ange­bo­ten werden. Das Projekt Guide to the Free World[11] ver­mit­telt Infor­ma­tio­nen, wie man Arbeit und Wohnung findet, usw. Die Pro­jekte Dear Col­le­agues und Per­se­cu­ted Sci­en­tists unter­stüt­zen aus­ge­wan­derte Wissenschaftler:innen mit Sti­pen­dien, Prak­tika, Zuschüs­sen und aka­de­mi­schen Stellen.[12] Das Projekt First Flight bringt Aktivist:innen und Expert:innen zusam­men, die über Refor­men nach Putin nach­den­ken.[13]

Femi­nis­ti­scher Widerstand

Die FAS ist das leben­digste und wirk­samste Projekt, das während des Krieges als Wider­stand gegen Patri­ar­chat, Auto­ri­ta­ris­mus und Mili­ta­ris­mus ent­stan­den ist.[14] Sie bietet recht­li­che und psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung, Hilfe für ukrai­ni­sche Geflüch­tete, Hilfe bei der Eva­ku­ie­rung aus Russ­land sowie eine Anti­kriegs­presse und ‑gemein­schaft. Die deko­lo­niale Agenda ist für die FAS sehr wichtig – die Bewe­gung wendet sich gegen Dis­kri­mi­nie­rung, erzwun­gene Rus­si­fi­zie­rung, Ver­nach­läs­si­gung lokaler Geschichte, von Sprache und Kontext.[15]

Die von Julia Gal­ja­mina und anderen Poli­ti­ke­rin­nen gegrün­dete Bewe­gung Soft Power teilt die Werte der FAS, strebt aber kon­ven­tio­nel­lere Arbeits­me­tho­den an.

Anti­ko­lo­niale Projekte

Der Krieg hat vielen Men­schen den kolo­nia­len Cha­rak­ter der rus­si­schen Politik im eigenen Land und in den Nach­bar­re­gio­nen vor Augen geführt. Natio­nale Min­der­hei­ten wie Basch­ki­ren, Bur­ja­tien, und Jakuten erkann­ten[17], dass „dies nicht unser Krieg ist“ und „dass es keine gute Idee ist, Blut für die geo­po­li­ti­schen Inter­es­sen anderer zu ver­gie­ßen“. Der Krieg eröffne eine Chance für natio­nale Befrei­ungs­be­we­gun­gen, sagt die For­sche­rin Madina Tlost­a­nova.[18]

Die ärmsten Teile des Landes, in denen nur wenige Men­schen leben, stell­ten einen pro­por­tio­nal höheren Anteil an Sol­da­ten für die rus­si­sche Armee. Auf sie entfiel bisher auch der größte Anteil an Todes­op­fern. In Russ­land und in der Dia­spora der in Russ­land leben­den Völker ent­wi­ckelt sich nun rasch ein deko­lo­nia­ler Diskurs, der mit einem Anti­kriegs­dis­kurs kom­bi­niert wird.

Die anti­ko­lo­nia­len Bewe­gun­gen haben die poli­ti­sche Platt­form die Liga der freien Völker gegrün­det und das Forum der freien Völker Russ­lands ins Leben gerufen, das auf eine gewalt­freie Deko­lo­ni­sie­rung des Landes abzielt.

Stu­den­ti­sche Bewegungen

In den 2010er Jahren wurden Gruppen Stu­die­ren­der zur wich­tigs­ten Trieb­kraft für Pro­test­be­we­gun­gen. Gleich­zei­tig wurden in den letzten Jahren zahl­rei­che Professor:innen, die sich gegen Krieg und Dik­ta­tur posi­tio­nie­ren, aus füh­ren­den Uni­ver­si­tä­ten des Landes ver­trie­ben; viele von ihnen haben Russ­land verlassen.

Bis Herbst 2023 haben die Repres­sio­nen zu einem Rück­gang der Pro­teste an Uni­ver­si­tä­ten geführt.[19] Dazu bei­getra­gen haben Ermü­dung und Erschöp­fung, das Aus­blei­ben sicht­ba­rer Ergeb­nisse, die Fort­set­zung des Krieges und die Inten­si­vie­rung der Propaganda.

All dies hat zur Ent­ste­hung neuer Bil­dungs- und Ver­mitt­lungs­in­itia­ti­ven geführt. Mehr als 140 Lehr­kräfte unter­rich­ten nun an der Free Uni­ver­sity. Ehe­ma­lige Lehr­kräfte der Smolny-Fakul­tät für freie Künste und Wis­sen­schaf­ten der Uni­ver­si­tät St. Peters­burg bieten öffent­li­che Kurse und offene Vor­le­sun­gen an. Die New Europe Uni­ver­sity führt Men­to­ring-Pro­gramme durch, die For­schende aus der Ukraine, Belarus und Russ­land mit euro­päi­schen For­schungs­pro­jek­ten ver­bin­den. Zudem wurde eine Daten­bank mit freien Stellen und Stu­di­en­pro­gram­men ein­ge­rich­tet. Die Boris-Nemtsov-Stif­tung eröff­nete einen Mas­ter­stu­di­en­gang an der Karls-Uni­ver­si­tät in Prag.[20] InLi­berty betreibt Online-Schulen für Stu­die­rende und eine Schule für NGO-Mit­ar­bei­tende.[21] Leh­rende der Mos­kauer Hoch­schule Shan­inka eröff­ne­ten eine Fakul­tät für freie Künste und Wis­sen­schaf­ten in Mon­te­ne­gro. Mit­ar­bei­tende des mitt­ler­weile auf­ge­lös­ten Sacha­row-Zen­trums star­te­ten das Projekt Radio Sacha­row und mehrere Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin­nen grün­de­ten 2024 das Insti­tut für Globale Neu­ord­nung in Berlin. Poli­tik­wis­sen­schaft­ler, Phi­lo­so­phen und Kul­tur­his­to­ri­ke­rin­nen das Online-Projekt New School of Poli­ti­cal Science.[22]

Her­aus­for­de­run­gen für Menschenrechts-NGOs

Anwälte und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten werden zuneh­mend daran gehin­dert, die Inter­es­sen von Ange­klag­ten zu ver­tre­ten. Immer öfter werden öffent­li­che Gerichts­ver­fah­ren durch Feil­schen mit Ermitt­lern und Rich­tern hinter ver­schlos­se­nen Türen ersetzt. Die Opfer müssen müssen Schwei­gen und Schuld­be­kennt­nis akzep­tie­ren, um freizukommen.

Ange­klagte, die einen Ver­tei­di­ger haben, werden sel­te­ner gefol­tert. Aber immer stärker werden Anwälte und Men­schen­recht­ler selbst zu Ziel­schei­ben. Agora, Russ­lands größte Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tion, wurde zur „uner­wünsch­ten“ Orga­ni­sa­tion erklärt. Im Herbst 2023 wurden Straf­ver­fah­ren gegen Alexej Nawal­nys Anwälte ein­ge­lei­tet. In den Ermitt­lun­gen werden die Tätig­kei­ten von Anwäl­ten und den­je­ni­gen, die sie ver­tei­di­gen, prak­tisch gleich­ge­setzt, wobei Anwälte in poli­ti­schen Fällen als Feinde ange­se­hen werden.

Viele Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten und Anwälte werden durch das zuneh­mend unge­hemmte Agieren der Sicher­heits­dienste entmutigt.

Schluss­fol­ge­run­gen

Die rus­si­sche Zivil­ge­sell­schaft ist seit Beginn der Groß­in­va­sion 2022 unter nie dage­we­se­nem poli­ti­schen Druck, sieht sich mit neuen finan­zi­el­len Schwie­rig­kei­ten kon­fron­tiert und hat zahl­rei­che Unter­stüt­zer ver­lo­ren. Viele NGOs waren gezwun­gen, ihre Mitarbeiter:innen und teil­weise die gesamte Orga­ni­sa­tion ins Ausland zu ver­la­gern. Gleich­zei­tig hat der Krieg zum Ent­ste­hen neuer zivil­ge­sell­schaft­li­cher Initia­ti­ven geführt.

Soziale NGOs, die weiter in Russ­land arbei­ten, stehen unter wach­sen­dem staat­li­chen Druck und sollen sich immer stärker an der Politik betei­li­gen. All dies geschieht vor dem Hin­ter­grund sin­ken­der finan­zi­el­ler Zuwen­dun­gen aus dem In-  und Ausland.

Es ist wichtig, zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen inner­halb und außer­halb Russ­lands zu unter­stüt­zen. Sie brau­chen finan­zi­elle Mittel, inter­na­tio­nale Kon­takte, Ent­wick­lungs­in­stru­mente und psy­cho­lo­gi­sche Unter­stüt­zung. Früher oder später wird sich das poli­ti­sche Regime in Russ­land ändern, und Orga­ni­sa­tio­nen, die sich für ein gesun­des und nicht aggres­si­ves Russ­land ein­set­zen, können dann einen wich­ti­gen Beitrag zu dessen Aufbau leisten.

Daher sehen wir fol­gende Prio­ri­tä­ten für die Unter­stüt­zung rus­si­scher zivil­ge­sell­schaft­li­cher Organisationen:

  1. Beob­ach­tung der aktu­el­len Situa­tion, Analyse der Geschehnisse;
  2. Auf­recht­erhal­tung von Kon­tak­ten zwi­schen Orga­ni­sa­tio­nen, Aktivist:innen und Expert:innen, die Russ­land ver­las­sen haben, und den im Land geblie­be­nen, sowie von Kon­tak­ten und Dialog mit der inter­na­tio­na­len Gemeinschaft;
  3. Unter­stüt­zung für Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen und Anwälte, ein­schließ­lich der­je­ni­gen, die wei­ter­hin (offi­zi­ell oder inof­fi­zi­ell) in Russ­land tätig sind;
  4. Unter­stüt­zung für neue und bestehende Bildungs‑, Forschungs‑, Wis­sen­schafts- und Erzie­hungs­pro­jekte, ein­schließ­lich solcher, die außer­halb Russ­lands tätig sind. Ange­sichts der zuneh­men­den staat­li­chen Kon­trolle über Bildung und Wis­sen­schaft werden alter­na­tive Zentren eine immer wich­ti­gere Rolle spielen, auch für junge Men­schen in Russland;
  5. Unter­stüt­zung unab­hän­gi­ger zivil­ge­sell­schaft­li­cher Initia­ti­ven, die in Russ­land bestehen oder ent­ste­hen (unter Berück­sich­ti­gung von Sicherheitsfragen);
  6. Unter­stüt­zung für Relokant:innen und Ermög­li­chung von Ver­net­zung unter­ein­an­der sowie der Ent­wick­lung von Sze­na­rien für die poli­ti­sche und sozio­öko­no­mi­sche Ent­wick­lung des Landes;
  7. Bericht­erstat­tung bzw. Wei­ter­ver­brei­tung von Infor­ma­tio­nen über die Arbeit rus­si­scher zivil­ge­sell­schaft­li­cher Ein­rich­tun­gen, Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen und sozia­ler NGOs in anderen Ländern – in rus­si­scher Sprache, über unab­hän­gige Medien und andere Kanäle.

 

Boris Gro­zov­ski ist freier Jour­na­list und orga­ni­siert öffent­li­che Vor­träge und Dis­kus­sio­nen für das Medi­en­pro­jekt Über Land und Welt (О стране и мире). Außer­dem ist er Autor des Tele­gram-Kanals @EventsAndTexts sowie Kennan-Kor­re­spon­dent für rus­si­sche Medien und Gesellschaft.

Die freie Jour­na­lis­tin Ange­lina Davy­dova ist Fellow am Insti­tute for Global Recon­sti­tu­tion, Her­aus­ge­be­rin der Zeit­schrift Ecology and Law, Co-Mode­ra­to­rin des Pod­casts The Eura­sian Climate Brief, Koor­di­na­to­rin von Kli­ma­pro­jek­ten im Dia­lo­gue for Under­stan­ding e.V. (Berlin), sowie Mit­glied der Arbeits­gruppe Ukraine War Envi­ron­men­tal Con­se­quen­ces Work und des World Future Council.

 

[1]  https://te-st.ru/2022/08/01/foreign-donations-2022/.

[2] https://www.sibreal.org/a/pochemu-rossiyskim-soldatam-sobirayut-gumanitarnuyu-pomosch/31860236.html.

[3] ASI-Direk­to­rin Elena Topo­leva über die Unter­stüt­zung des gemein­nüt­zi­gen Sektors (auf Rus­sisch): https://www.asi.org.ru/2022/05/23/novyj-konkurs-fonda-potanina-pokazyvaet-chto-problema-est-i-ee-nado-reshat/.

[4] „Ich dachte, ich bräuchte einen The­ra­peu­ten. Jetzt würde ich sagen, einen Psych­ia­ter.“ Inter­view mit Ana­sta­sia Garina, Direk­to­rin des Memo­rial Human Rights Defence Centre. Teplica social’nyh teh­no­lo­gij, 12.07.2022: https://te-st.ru/2022/07/12/anastasia-garina/.

[5] Helping to Leave: https://helpingtoleave.org/en; Emi­gra­tion for Action: https://emigrationforaction.taplink.ws/  Mots­kha­leba: https://www.facebook.com/profile.php?id=100080194131936.

[6] Weitere Infor­ma­tio­nen zu einigen dieser Pro­jekte sind unter https://truerussia.org/en/tags/psychological/ und https://truerussia.org/en/tags/education/ zu finden.

[7] https://holod.media/2022/06/24/chukovskaya/.

[8] https://truerussia.org/en/projects/truerussia-dec/.

[9] Home­page des Support Service: https://helpdesk.media/; Inter­view mit den Autoren des Pro­jekts: https://te-st.ru/2022/06/03/helpdesk/.

[10] A. Bobrova: „Wir haben den leb­lo­sen Raum mit Energie ver­sorgt, und dann kamen die Arsch­lö­cher und began­nen den Krieg“. Grigory Sver­dlin, ehe­ma­li­ger Direk­tor von Noch­lezhka, über das Leben nach dem Aus­schei­den aus der Stif­tung und ein neues Anti­kriegs­pro­jekt. Teplica social’nyh teh­no­lo­gij, 14.10.2022: https://te-st.ru/2022/10/14/sverdlin/.

[11] https://reforum.io/; https://kovcheg.live/; https://relocation.guide/.

[12] https://t.me/dorogiekollegi; https://t.me/academiindanger.

[13] https://firstflight.today

[14] https://t.me/femagainstwar; FAS-Mani­fest: https://doxajournal.ru/femagainstwar; der Wider­stand der FAS ist derzeit die wich­tigste Pro­test­be­we­gung in Russ­land: https://www.the-village.ru/city/opyt/fem-soprotivlenie.

[15] Wie femi­nis­ti­scher Anti­kriegs-Wider­stand orga­ni­siert wird: https://te-st.ru/2022/11/03/feminist-antiwar-resistance/; „Frauen in Wut können alles tun“: Wie femi­nis­ti­scher Anti­kriegs-Protest orga­ni­siert wird: https://www.opendemocracy.net/ru/feministskoe-antivoennoe-soprotivlenie-serafimov/;  E. Rossman: Wie sich rus­si­sche Femi­nis­tin­nen gegen den Krieg in der Ukraine wehren: https://www.opendemocracy.net/en/5050/how-russian-feminists-are-opposing-the-war-on-ukraine/

[17] https://syg.ma/@media-resistance-group/zaiavlieniia-priedstavitiel-nits-narodov-rossiiskoi-fiedieratsii-protiv-voiny; https://t.me/freeburyatiafoundation/554.

[18] Dox­a­Jour­nal, 16.09.2022 (https://doxajournal.ru/neolibmetropolerussia).

[19] Stu­die­rende gegen den Krieg. Erster Teil: https://posle.media/studenty-protiv-vojny-praktiki-samoo/; Zweiter Teil: https://posle.media/studenty-protiv-vojny-chast-vtoraya/.

[20] Siehe: https://freemoscow.university/; https://www.smolny.org/; https://neweurope.university/; https://nemtsovfund.org/category/news/.

[21] https://truerussia.org/projects/inliberty/

[22] https://learnpolitics.online/

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