Warten auf den Mau­er­fall: Wie Deutsch­lands Stra­te­gie­lo­sig­keit Russ­lands Krieg verlängert

Trotz Zei­ten­wende domi­niert seit dem rus­si­schen Über­fall auf die Ukraine Zöger­lich­keit das Handeln Deutsch­lands. Die Bun­des­re­gie­rung handelt oft erst dann, wenn die Lage auf dem Schlacht­feld dra­ma­tisch ist, oder wartet auf Ent­schei­dun­gen aus Washing­ton. Ihre dosierte Ukraine-Hilfe scheint von der Hoff­nung auf einen irgend­wann ein­tre­ten­den Waf­fen­still­stand gelei­tet. Dann droht ein „ewiges Pro­vi­so­rium“, ähnlich der Teilung Deutsch­lands im Kalten Krieg, schreibt Nico Lange.

Dieses Paper ist im Rahmen des vom Aus­wär­ti­gen Amt geför­der­ten Pro­jekts „Russ­land und der Westen“: Euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung und die Zukunft der Bezie­hun­gen zu Russ­land“ erschie­nen. Sein Inhalt gibt die per­sön­li­che Meinung des Autors wieder.

Portrait von Nico Lange

Nico Lange ist Senior Fellow bei der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz und Senior Fellow for Trans­at­lan­tic Secu­rity and Defense beim Center for Euro­pean Policy Ana­ly­sis (CEPA).

„Ich musste auch 28 Jahre lang warten!“ – diese Anspie­lung an die Dauer der Ber­li­ner Mauer soll Bun­des­kanz­le­rin Angela Merkel sicht­lich genervt aus­ge­ru­fen haben, als Anfang 2015 der dama­lige ukrai­ni­sche Prä­si­dent Petro Poro­schenko bei einem gemein­sa­men Pres­se­ter­min unab­ge­spro­chen rus­si­sche Pässe prä­sen­tierte, die Russ­land auf der Krim sowie in den ost­ukrai­ni­schen Gebie­ten Donezk und Luhansk aus­ge­ge­ben hatte. Russ­land hatte 2014 nach der Flucht des dama­li­gen ukrai­ni­schen Prä­si­den­ten Viktor Janu­ko­wytsch vor den Euro­mai­dan-Pro­tes­ten mili­tä­risch Fakten auf der Krim geschaf­fen, ohne dass der Westen etwas dagegen unter­nom­men hätte und anschlie­ßend auch im Donbas mili­tä­risch inter­ve­niert. Aus Merkels Sicht waren eine harte Kon­fron­ta­tion oder gar ein Zurück­schla­gen Russ­lands undenk­bar, vor allem weil die USA unter Prä­si­dent Barack Obama zu kei­ner­lei mili­tä­ri­schem Ein­grei­fen, zu keiner Abschre­ckung und nicht einmal zu einer mili­tä­ri­schen Macht­de­mons­tra­tion bereit waren. Es blieb also nur die Mög­lich­keit, sich mit dem Verlust der Krim und der Städte Donezk und Luhansk abzu­fin­den, den Kon­flikt so gut es ging ein­zu­frie­ren und darauf zu hoffen, dass nach Jahren oder Jahr­zehn­ten innere Ver­än­de­run­gen in Russ­land ein­tre­ten könnten, die ein neues Her­an­ge­hen an diese Fragen ermög­li­chen würden. Bis dahin müsse man sich eben arran­gie­ren, zumal man Russ­land zur Lösung einer ganzen Reihe wirt­schaft­li­cher und poli­ti­scher Fragen brau­chen würde. Bis heute prägen diese Grund­hal­tun­gen die deut­sche Politik gegen­über der Ukraine.

Natür­lich ist seit besag­ter Pres­se­kon­fe­renz 2015 viel gesche­hen. Deutsch­land erlebte nach dem rus­si­schen Groß­an­griff im Februar 2022 eine „Zei­ten­wende“. Und doch bleibt bis heute unklar, welche stra­te­gi­schen Über­le­gun­gen die Bun­des­re­gie­rung in Bezug auf die Unter­stüt­zung der Ukraine und für eine künf­tige Sicher­heits­ord­nung in Europa leiten. Oft ent­steht der Ein­druck, Deutsch­land mache ledig­lich zöger­lich und wider­wil­lig mit, was andere vor­schla­gen. Manche Partner und Beob­ach­ter hegen trotz mitt­ler­weile sehr umfang­rei­cher mili­tä­ri­scher Unter­stüt­zung Deutsch­lands für die Ukraine noch immer den Ver­dacht, Berlin träume heim­lich von einer Rück­kehr zum status quo ante.  Vor allem aber ist es ein bemer­kens­wer­ter Gleich­klang, dass während für den rus­si­schen Macht­ha­ber Wla­di­mir Putin eine Mischung aus rus­si­schem Neo­im­pe­ria­lis­mus und Zurück­rol­len der „größten geo­po­li­ti­schen Kata­stro­phe“, des Zer­falls der Sowjet­union, hand­lungs­lei­tend ist, die Bun­des­re­gie­rung seit 2014 die Ent­wick­lun­gen in der Ukraine auf­fasst, als würden sie zwangs­läu­fig auf eine neue Form der euro­päi­schen Teilung hin­aus­lau­fen. Eine Teilung, die dann, ganz wie selbst erlebt, durch einen neuen Mau­er­fall in weiter Ferne beendet werden könne.

Keine Frage: Die deut­sche Politik gegen­über der Ukraine und Russ­land ist seit dem rus­si­schen Groß­an­griff im Februar 2022 erheb­lich ver­än­dert worden. Dennoch scheint das stra­te­gi­sche Denken an der Spitze der Bun­des­re­gie­rung noch immer mehr von Kon­ti­nui­tät geprägt als von einem fun­da­men­ta­len Umden­ken, dass die Reak­tion eine echte „Zei­ten­wende“ braucht. Obwohl Deutsch­land zudem Bünd­nis­treue und enge Abstim­mung mit den Part­nern öffent­lich beinahe über­be­tont, begibt sich die Bun­des­re­gie­rung in der Dis­kus­sion um die Unter­stüt­zung der Ukraine in Wirk­lich­keit immer wieder auf Son­der­wege. Hat die deut­sche Regie­rung in Bezug auf die Ukraine und die künf­tige Sicher­heit Europas über­haupt eine Stra­te­gie? Das End­spiel des rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieges scheint aus deut­scher Per­spek­tive jeden­falls einzig von der vagen Ziel­vor­stel­lung gelei­tet, dass sich der Krieg „irgend­wie fest­fährt“. Statt kon­kre­ter Ideen für ein Nach­kriegs­eu­ropa scheint die deut­sche Politik bisher offen­bar noch immer die Rück­kehr zu einem modi­fi­zier­ten Vor­kriegs­eu­ropa zu erwar­ten – oder zu erhof­fen.  Doch der Druck der mili­tä­ri­schen Ereig­nisse, die Posi­tion der USA, sowohl die Partner in Skan­di­na­vien und Mit­tel­ost­eu­ropa als auch der Deut­sche Bun­des­tag und die Öffent­lich­keit könnten die deut­sche Regie­rungs­po­li­tik verändern.

Die deut­sche Politik seit Russ­lands Großangriff

Deutsch­land hatte einen ent­schei­den­den Anteil am größten Ver­säum­nis west­li­cher Politik ab 2014. Nach der Anne­xion der Krim taten die west­li­chen Staaten nicht annä­hernd genug, um Putin von der Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung der mili­tä­ri­schen Groß­in­va­sion in die Ukraine abzu­schre­cken. Statt­des­sen ver­legte man sich auf Wunsch­den­ken, vor allem getrie­ben von der großen deut­schen Sehn­sucht nach Nicht­ver­än­de­rung und außen­po­li­ti­scher Kon­ti­nui­tät. Dadurch erzielte man billige Ener­gie­preise für die deut­sche Wirt­schaft und hegte gegen alle Evidenz die Hoff­nung, dass man mit Putins Russ­land koope­ra­tive Lösun­gen für wich­tige Fragen der inter­na­tio­na­len Politik finden könne. Möglich wurde das durch eine abso­lute Ver­wei­ge­rung der Rea­li­tä­ten in Bezug auf Putins Absich­ten und durch das bewusste Igno­rie­ren der innen­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen in Russ­land. Nur deshalb konnte Deutsch­land schließ­lich bei Beginn der Groß­in­va­sion im Februar 2022 über­haupt eine „Zei­ten­wende“ wahr­neh­men, die Wirk­lich­keit keine über­ra­schend ein­tre­tende Ver­än­de­rung der Welt­lage war, sondern eine harte und unaus­weich­li­che Kon­fron­ta­tion Deutsch­lands mit der sicher­heits­po­li­ti­schen Wirklichkeit.

Bis zuletzt redete Deutsch­land sich 2021 und Anfang 2022 noch ein, die rus­si­schen Trup­pen­auf­mär­sche seien Übungen und die war­nen­den Ame­ri­ka­ner und Briten würden über­trei­ben. Direkt nach dem Groß­an­griff reagierte Deutsch­land zunächst hilflos. Der all­ge­meine Tenor am 24. und 25. Februar 2022 in Berlin war, die Ukraine sei ver­lo­ren, da könne man nichts machen, Waf­fen­lie­fe­run­gen kämen jetzt auch nicht mehr an. Jetzt könne man nur noch die Ost­flanke zu einem neuen eiser­nen Vorhang aus­bauen, schade, aber nicht zu ändern.

Dar­auf­hin geriet Deutsch­land euro­pä­isch und inter­na­tio­nal unter bei­spiel­lo­sen Druck bis hin zur dro­hen­den Iso­la­tion. Durch die Abkehr von Nord Stream 2, den Ein­stieg in Waf­fen­lie­fe­run­gen an die Ukraine und die kraft­volle, his­to­ri­sche „Zeitenwende“-Rede des Bun­des­kanz­lers fand Deutsch­land am 27. Februar 2022 zu Bünd­nis­treue und eigener Hand­lungs­fä­hig­keit zurück. Seither kann man sich jedoch des Ein­drucks nicht erweh­ren, dass Deutsch­land die Ukraine zwar einer­seits mili­tä­risch immer umfang­rei­cher unter­stützt, ande­rer­seits aber immer nur wider­wil­lig, zu langsam und zu spät zu Ent­schei­dun­gen kommt. Die deut­sche mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung der Ukraine folgt damit der Genese der Zei­ten­wende-Rede. Deutsch­land setzt keine eigene Stra­te­gie um oder geht stra­te­gisch ziel­ge­rich­tet vor, sondern schwimmt in der von den USA geführ­ten Koali­tion der Ukraine-Unter­stüt­zer mit. Allein durch die deut­sche Größe und die erheb­li­che Wirt­schafts- und Finanz­kraft kommen dabei für die Ukraine sehr signi­fi­kante Ergeb­nisse heraus.

„Die Bun­des­re­gie­rung kann sich bis heute nicht von der Grund­an­nahme einer mili­tä­ri­schen Unter­le­gen­heit der Ukraine lösen“ 

Auf dem Schlacht­feld hatte sich bereits früh her­aus­ge­stellt, dass Russ­land in der Ukraine mili­tä­risch schlag­bar ist. Auch zen­trale Hypo­the­sen über mög­li­che Eska­la­ti­ons­ge­fah­ren wurden in mitt­ler­weile mehr als zwei Kriegs­jah­ren wider­legt. Weder wurde durch den Schüt­zen­pan­zer Marder der dritte Welt­krieg aus­ge­löst noch reagierte Russ­land auf Angriffe gegen die Krim und die Schwarz­meer­flotte mit Atom­waf­fen. Doch trotz dieser Erkennt­nisse kann die Bun­des­re­gie­rung sich bis heute nicht von der Grund­an­nahme einer hoff­nungs­lo­sen mili­tä­ri­schen Unter­le­gen­heit der Ukraine und der Ver­mu­tung gra­vie­ren­der Eska­la­ti­ons­ris­ken lösen.

Kon­ti­nui­tät trotz Zeitenwende

Seit der bahn­bre­chen­den Rede des Bun­des­kanz­lers am 27. Februar 2022 ist „Zei­ten­wende“ das zen­trale Leit­mo­tiv für alle Debat­ten zur deut­schen Außen- und Sicher­heits­po­li­tik. Eine „Zei­ten­wende“ oder, wie Außen­mi­nis­te­rin Anna­lena Baer­bock es nannte, das „Auf­wa­chen in einer anderen Welt“ hieße: Nichts wird wieder, wie es früher war. Die deut­sche Reak­tion auf die „Zei­ten­wende“ ist jedoch bisher keine schnelle, tief­grei­fende und unum­kehr­bare Ver­än­de­rung, sondern durch Lang­sam­keit und viel Kon­ti­nui­tät geprägt.

„Die deut­sche Reak­tion auf die „Zei­ten­wende“ fällt bisher deut­lich mehr trans­at­lan­tisch als euro­pä­isch aus“ 

Die enorme Hilfe Deutsch­lands mit Waffen, Muni­tion und mili­tä­ri­scher Aus­rüs­tung für die Ukraine stellen dabei die zen­trale und para­dig­ma­ti­sche Ver­än­de­rung deut­scher Politik dar. Deut­sche Waffen ver­schaf­fen den Streit­kräf­ten der Ukraine auf dem Schlacht­feld Vor­teile. Auch durch deut­sche Waf­fen­hilfe über­lebt die Ukraine und ver­wei­gert Putin das Errei­chen seiner mili­tä­ri­schen Ziele. Dennoch scheint die Bun­des­re­gie­rung ins­ge­samt wei­ter­hin davon aus­zu­ge­hen, dass Deutsch­land selbst kein bestim­men­der Akteur zur Ent­schei­dung des Krieges und zur Wie­der­her­stel­lung des Frie­dens sein kann. Die Bun­des­re­gie­rung ori­en­tiert sich rigoros am Vor­ge­hen des Weißen Hauses. Die deut­sche Reak­tion auf die „Zei­ten­wende“ fällt damit bisher deut­lich trans­at­lan­ti­scher als euro­pä­isch aus.

Die Politik der Bun­des­re­gie­rung scheint wei­ter­hin auf der Annahme zu beruhen, dass Russ­land mili­tä­risch nicht bezwing­bar ist. In Fort­set­zung der US-Stra­te­gie setzt Berlin auf ein lang­sa­mes Abnut­zen rus­si­scher mili­tä­ri­scher Fähig­kei­ten in der Ukraine. Die stra­te­gi­sche Annahme scheint zu sein, dass eine dosierte Hilfe für die Ukraine zu einer Frus­tra­tion Russ­lands und zu einer relativ schwa­chen Posi­tion der Ukraine gleich­zei­tig führen würde, so dass beide Seiten in einer mili­tä­ri­schen Pause, einem Fest­fah­ren des Krieges und letzt­lich einem Waf­fen­still­stand entlang einer neuen „Kon­takt­li­nie“, die weiter west­lich als die von 2014 liegt, einen vor­läu­fi­gen Ausweg sehen würden. Wirk­li­che stra­te­gi­sche Ver­än­de­run­gen sind aus diesem Blick­win­kel nur erreich­bar, wenn die USA ihre Stra­te­gie wech­seln oder wenn sich inner­halb Russ­lands signi­fi­kante Ver­än­de­run­gen ein­stel­len. Letz­te­res könnte noch Jahr­zehnte auf sich warten lassen.

„In alt­her­ge­brach­ter Manier will die deut­sche Außen­po­li­tik nicht zu wenig tun, aber auf keinen Fall zu viel“ 

Trotz der „Zei­ten­wende“ setzt Deutsch­land damit abge­se­hen von den Waf­fen­lie­fe­run­gen seine tra­di­tio­nelle Außen- und Sicher­heits­po­li­tik fort. Die Bun­des­re­gie­rung sieht sich nicht in einer Füh­rungs­rolle zur Abwehr der rus­si­schen Aggres­sion gegen die Ukraine und zur Wie­der­her­stel­lung der Ukraine in den völ­ker­recht­lich aner­kann­ten Grenzen von 1991, sondern bleibt reaktiv und macht sich klein. Deutsch­land ver­steht sich als ein Partner unter vielen, am besten in einer aus­glei­chen­den Mit­tel­lage. In alt­her­ge­brach­ter Manier will die deut­sche Außen­po­li­tik nicht zu wenig tun, aber auf keinen Fall zu viel. Und lieber möchte sich die Bun­des­re­gie­rung zu Vor­schlä­gen anderer posi­tio­nie­ren als selbst womög­lich angreif­bare Vor­schläge zu machen.

Die sich abzeich­nende Bedro­hung Deutsch­lands und Europas zu erken­nen, sich der eigenen Stärke und Pflicht bewusst zu werden, die deut­sche Politik den Mög­lich­kei­ten der eigenen Größe und Leis­tungs­fä­hig­keit anzu­pas­sen und vom Zögerer und Bremser zum Treiber und Gestal­ter zu werden – das fällt der Bun­des­re­pu­blik noch immer schwer. Dabei könnte und sollte Deutsch­land für gemein­sa­mes euro­päi­sches Handeln zur Unter­stüt­zung der Ukraine Ideen­ge­ber und Treiber sein. Die Intui­tion der deut­schen Außen­po­li­tik in Bezug auf die Ukraine scheint auch nach der „Zei­ten­wende“ ins­ge­samt zu bleiben: „Wir beob­ach­ten das genau, wir prüfen das sorg­fäl­tig, da müssen wir erstmal abwarten.“

Impli­zit zieht die deut­sche Ukraine-Politik nach der „Zei­ten­wende“ wie schon 2014 auch nach der rus­si­schen Groß­in­va­sion von 2022 die Par­al­lele zur deut­schen Teilung. Aus dieser Per­spek­tive müssen sich ledig­lich ein Fest­fah­ren und ein vor­läu­fi­ger Waf­fen­still­stand errei­chen lassen, den man dann in ein ewiges Pro­vi­so­rium umwan­delt, damit sich der Grund­kon­flikt dann mög­li­cher­weise nach Jahr­zehn­ten auf­lö­sen kann.

Bünd­nis­treue und Sonderweg

Nachdem es durch den Moment der „Zeitenwende“-Rede endlich wieder Anschluss­fä­hig­keit der Posi­tio­nen der deut­schen Ukraine- und Russ­land­po­li­tik an den dama­li­gen Konsens der Ame­ri­ka­ner, Briten, Mit­tel­ost­eu­ro­päer und Skan­di­na­vier gab, führte die kon­se­quente Ver­mei­dung einer expli­zi­ten Eini­gung auf stra­te­gi­sche Ziel­set­zun­gen für die Ukraine-Unter­stüt­zung in den letzten Jahren erneut zu einer Ent­fer­nung der Posi­tio­nen. Während für Skan­di­na­vier, Mit­tel­ost­eu­ro­päer und Briten klar ist, dass die Unter­stüt­zung der Ukraine der Wie­der­her­stel­lung der vollen Sou­ve­rä­ni­tät des Landes in den Grenzen von 1991 dienen muss und dass dafür Russ­land mili­tä­risch auf dem Boden der Ukraine geschla­gen werden muss, schei­nen für die USA und für Deutsch­land ein Manage­ment des Krieges mit der Hoff­nung auf ein Fest­fah­ren der stra­te­gi­sche Ansatz zu sein. Deutsch­land scheint dabei erneut rus­si­schen Sicht­wei­sen, Putins Aus­sa­gen und befürch­tete rus­si­sche Reak­tio­nen auf deut­sches Ver­hal­ten höher zu prio­ri­sie­ren als die Posi­tio­nen der Ukraine, der Mit­tel­ost­eu­ro­päer und der skan­di­na­vi­schen Partner. Deutsch­lands kom­plex­hafte und längst wider­legte Angst vor der Eska­la­tion mit Russ­land führt das Land in die Selb­st­ab­schre­ckung, statt es zu einem Leis­tungs­trä­ger der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung zu machen. Letzt­lich besteht noch immer die Gefahr, dass Deutsch­land sich damit zumin­dest impli­zit auf die rus­si­schen Ange­bote einer Groß­macht­po­li­tik in Europa ein­lässt, die sich in die Politik eines deut­schen Son­der­wegs übersetzt.

Seit Beginn der rus­si­schen Groß­in­va­sion und dem deut­schen Kurs­wech­sel durch die Zei­ten­wende-Rede legt die Bun­des­re­gie­rung im inner­deut­schen Diskurs aller­größ­ten Wert auf den Ein­druck, jeg­li­ches deut­sches Vor­ge­hen sei immer eng mit allen Part­nern abge­stimmt. Das ent­spricht grund­sätz­lich zwar dem klas­si­schen und auch his­to­risch rich­ti­gen bun­des­deut­schen Außen­po­li­tik­an­satz. In den ent­schei­den­den stra­te­gi­schen Fragen scheint die deut­sche Abstim­mung aber nur für die USA zu gelten und sogar den Grund­satz zu ent­hal­ten, dass Deutsch­land immer nur dann etwas macht, wenn die Ame­ri­ka­ner Ver­gleich­ba­res bereits getan haben. Die Ent­schei­dung zur Lie­fe­rung von Leopard‑2 Kampf­pan­zern in Abhän­gig­keit von der Lie­fe­rung von M1-Abrams-Kampf­pan­zern durch die USA war das ein­drück­lichste Beispiel.

„Deutsch­land muss den Anschluss wie­der­fin­den, um gemein­sam mit den euro­päi­schen Part­nern zu agieren.“ 

Die Bun­des­re­gie­rung emp­fin­det öffent­li­che und inter­na­tio­nale Kritik an der deut­schen Ukraine-Hilfe zurecht als unge­recht. Warum wird Deutsch­land immer wieder kri­ti­siert und andere große Staaten wie Frank­reich, Spanien und Italien, die viel weniger für die Ukraine leisten, bleiben weit­ge­hend unbe­hel­ligt? Deutsch­land steht offen­bar auf­grund seiner bis 2022 gepfleg­ten Son­der­be­zie­hung mit Moskau wei­ter­hin bei vielen im Ver­dacht, zum status quo mit Russ­land zurück­keh­ren zu wollen. Des­we­gen wird jeder Schritt beson­ders wahr­ge­nom­men und jede Aussage beson­ders kri­tisch beur­teilt. Vor allem aber wird im Ausland kri­tisch gesehen, dass Deutsch­land bei keinem der Schritte für die Ukraine von sich aus Führung über­nimmt. Berlin steht zudem einer NATO-Mit­glied­schaft der Ukraine ent­ge­gen und wirkt auch bei der Her­an­füh­rung der Ukraine an die EU bisher nicht gänz­lich über­zeugt. Deutsch­land braucht mit seiner Ukraine-Politik deshalb jetzt wieder stra­te­gi­sche Über­ein­stim­mung mit den Skan­di­na­vi­ern und Mit­tel­ost­eu­ro­pä­ern. Zuletzt vollzog der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Emma­nuel Macron hier ab 2023 eine Wende in diese Rich­tung. Auch Deutsch­land muss den Anschluss wie­der­fin­den, um gemein­sam mit den euro­päi­schen Part­nern zu agieren.

Hat Deutsch­land eine Strategie?

Die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hat nie eine Stra­te­gie für die Ukraine for­mu­liert. Seit der Oran­ge­nen Revo­lu­tion von 2004 lässt sich der deut­sche Ansatz so zusam­men­fas­sen: Eine euro­päi­sche recht­staat­li­che Ukraine liegt in unserem Inter­esse und wir hoffen, dass diese Ent­wick­lung von allein ein­tritt. Nach dem NATO-Gipfel von Buka­rest 2008 war die deut­sche Haltung: Eine EU-Annä­he­rung der Ukraine ist möglich, eine NATO-Annä­he­rung wegen der rus­si­schen Gegen­po­si­tion aber nicht, auch wenn sie als grund­sätz­li­che Per­spek­tive von der NATO beschlos­sen wurde. Eine lang­same EU-Inte­gra­tion der Ukraine mög­lichst ohne Kon­flikt mit Russ­land schien die deut­sche stra­te­gi­sche Hoff­nung zu sein. Nach dem Putin gegen das EU-Asso­zi­ie­rungs­ab­kom­men inter­ve­nierte und der ukrai­ni­sche Prä­si­dent Janu­ko­wytsch dar­auf­hin einen bru­ta­len Rück­zie­her machte, gab sich Deutsch­land während der Pro­teste des Euro­mai­dan als glü­hen­der Unter­stüt­zer der euro­päi­schen Per­spek­tive der Ukraine. Sobald Putin durch Janu­ko­wytschs Flucht seinen poli­ti­schen Ein­fluss in Kyjiw verlor und sofort auf der Krim zur Anwen­dung mili­tä­ri­scher Gewalt griff, schloss Deutsch­land mili­tä­ri­sche Gewalt und mili­tä­ri­sche Macht­de­mons­tra­tio­nen kate­go­risch aus und ließ die Ukraine damit im Stich. Ab 2014 galt dann der Drei­klang: Ein­frie­ren des Krieges, Inves­ti­tio­nen und Enga­ge­ment in der Ukraine bei gleich­zei­ti­ger Fort­füh­rung enger Energie- und Wirt­schafts­be­zie­hun­gen mit Russ­land. Das Ergeb­nis ist bekannt. Die Qua­dra­tur des Kreises konnte nicht gelingen.

„Ohne Stra­te­gie ist ein Erfolg der deut­schen Ukraine-Politik unwahrscheinlich.“ 

Seit der Groß­in­va­sion und der Zei­ten­wende-Rede ent­wi­ckelte Deutsch­land sich von anfäng­li­cher Zöger­lich­keit zu einem der umfang­reichs­ten mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zer der Ukraine und leistet erheb­li­che finan­zi­elle und huma­ni­täre Hilfe. Die Impulse dafür kamen aber immer von anderen: Pan­zer­ab­wehr­waf­fen, „schwere Waffen“, Ram­stein-Format, Kampf­pan­zer, Flug­ab­wehr, Muni­ti­ons­in­itia­tive – Deutsch­land liefert letzt­lich viel, nachdem andere es öffent­lich vor­ge­schla­gen und die Bun­des­re­gie­rung zunächst gezö­gert und gebremst hatte. Mit welchem Ziel Deutsch­land diese mili­tä­ri­sche Hilfe für die Ukraine leistet, bleibt wei­ter­hin unge­klärt und wird mit den Formeln „die Ukraine darf nicht ver­lie­ren“ und „wir leisten Unter­stüt­zung so lange wie not­wen­dig“ ver­brämt. Es ist nach zwei Jahren Krieg über­fäl­lig, dass Deutsch­land eigene Gestal­tungs­vor­stel­lun­gen ent­wi­ckelt und sich stra­te­gi­sche Ziele setzt. Mög­li­cher­weise fehlt es daran, weil es inner­halb der Koali­ti­ons­part­ner keine Einig­keit gibt. Doch: Ohne Stra­te­gie ist ein Erfolg der deut­schen Ukraine-Politik unwahrscheinlich.

Das End­spiel aus Sicht der deut­schen Politik

Im dritten Kriegs­jahr scheint das deut­sche Regie­rungs­han­deln noch immer von einer unge­nauen Vor­stel­lung gelei­tet, dass die Kampf­hand­lun­gen am Ende von allein zum Stehen kommen. Seit Beginn der Groß­in­va­sion konnte sich Deutsch­land aus diesem Gedan­ken­ge­rüst nicht befreien. Nahm man im Februar 2022 an, der Krieg wäre nach wenigen Wochen mit einem rus­si­schen Sieg beendet, stellte man sich nach Russ­lands Rückzug vor Kyjiw vor, dass im Sommer 2022 zu einem Still­stand käme. Nach den ukrai­ni­schen Gegen­of­fen­si­ven im Spät­som­mer 2022 glaubte man an ein Fest­fah­ren inner­halb von Monaten auf­grund des Winters. Später ver­mu­tete man, dass nach dem Ver­san­den der groß­an­ge­leg­ten ukrai­ni­schen Gegen­of­fen­sive von 2023 der Moment des Still­stands käme. Nie sind diese Erwar­tun­gen eingetreten.

Derzeit schei­nen die USA und in der Folge Deutsch­land auf ein Fest­fah­ren des Krieges zum Jah­res­ende 2024 zu setzen, wobei wie in allen vor­he­ri­gen Fällen unklar bleibt, auf welcher ana­ly­ti­schen Grund­lage dieses Denken beruht. In kleinen Schrit­ten will man mit mög­lichst gerin­gem Aufwand und mög­lichst gerin­gen Kosten die Ukraine schritt­weise unter­stüt­zen und hegt dabei im Hin­ter­grund die Hoff­nung, dass die Ukrai­ner irgend­wann „schwie­rige“ Ent­schei­dun­gen treffen, während Putin gleich­zei­tig „ein­ge­se­hen“ hat, dass er nicht weiterkommt.

Wenn solches Hoffen rea­lis­tisch sein sollte, dann wird es ver­mut­lich sehr lange dauern, bis diese Vor­stel­lun­gen von einem End­spiel ein­tre­ten. Eine dosierte mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung der Ukraine bei gleich­zei­ti­ger Unter­las­sung des schnel­len Aufbaus höherer Indus­trie­ka­pa­zi­tä­ten in Deutsch­land und Europa für Waffen und Muni­tion eröff­nen für Putin zudem immer wieder neue Siegchancen.

Nach­kriegs­eu­ropa oder Vorkriegseuropa?

Putin ent­schied sich nach eigener Aussage für den Über­fall auf die Ukraine, um die Ordnung in Europa fun­da­men­tal zu ver­än­dern. Im Gegen­satz dazu unter­stützt Deutsch­land die Ukraine im Ver­tei­di­gungs­krieg, ohne eine stra­te­gi­sche Vor­stel­lung von einem Nach­kriegs­eu­ropa ent­wi­ckelt zu haben. Der deut­sche Ansatz scheint bisher eher vom Wunsch in eine Rück­kehr ins Vor­kriegs­eu­ropa getrie­ben zu sein: Waf­fen­still­stand in der Ukraine, auch wenn die Kon­takt­li­nie weiter west­lich liegt, keine NATO-Mit­glied­schaft der Ukraine, die EU-Mit­glied­schaft am besten in weiter Ferne. Das jetzige EU- und NATO-Europa schot­tet sich nach dieser Vor­stel­lung ab und sichert damit ver­meint­lich seinen Wohl­stand und seine Sicher­heit, während die Ukraine, die Repu­blik Moldau und Geor­gien in einer Grau­zone bleiben müssen. Viel­leicht ließen sich mit der Zeit in dieser Kon­stel­la­tion sogar die Bezie­hun­gen zu Russ­land schritt­weise nor­ma­li­sie­ren. Ledig­lich an der Ost­flanke der NATO und damit auch der Ost­grenze der EU ver­stärkt man das deut­sche Enga­ge­ment durch die per­ma­nente Sta­tio­nie­rung einer deut­schen Brigade und den Aufbau eines „Euro­pean Sky Shield“. Auf diese Weise kehrt man nach diesem Konzept in ein leicht ver­än­der­tes Vor­kriegs­eu­ropa zurück. Dabei bleibt unbe­ant­wor­tet, wie genau das Ende des rus­sisch-ukrai­ni­schen Krieges her­bei­ge­führt und wie ein jah­re­lan­ger Krieg ver­mie­den werden soll. Und offen bleibt nach bis­he­ri­ger deut­scher Vor­stel­lung auch die Frage, wie Russ­land künftig von wei­te­ren mili­tä­ri­schen Aben­teu­ern und Aggres­sio­nen abge­hal­ten werden soll. Auch Sta­bi­li­tät und Sicher­heit in der genann­ten Grau­zone werden nicht bedacht.

Deutsch­land hat zwar bereits ein mehr­jäh­ri­ges bila­te­ra­les Sicher­heits­ab­kom­men mit der Ukraine ver­ein­bart, legte darin aber keine stra­te­gi­schen Ziel­set­zun­gen fest. Dass Deutsch­land dem EU-Kan­di­da­ten­sta­tus der Ukraine zuge­stimmt hat, sich einer NATO-Mit­glied­schaft Kyjiws jedoch gleich­zei­tig ent­ge­gen­stellt, gleicht einem gedank­li­chen Rück­fall in die Zeit nach 2008, als man dachte, eine EU-Annä­he­rung von Staaten in der Grau­zone sei ohne die Sicher­heits­ga­ran­tien der NATO möglich. Diese Hypo­these ist empi­risch widerlegt.

„Für eine euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung fehlt es an kon­kre­ten kon­zep­tio­nel­len Vorstellungen“ 

Die deut­sche Stra­te­gie für die mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung der Ukraine bleibt auch im dritten Kriegs­jahr bes­ten­falls impli­zit. Für eine euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung fehlt es an kon­kre­ten kon­zep­tio­nel­len Vor­stel­lun­gen. Frieden für die Ukraine wird sich jedoch nur errei­chen lassen, wenn man intel­lek­tu­ell aus dem inkre­men­tel­len Vor­ge­hen aus­bricht, eine Theorie des Sieges der Ukraine im Ver­tei­di­gungs­krieg gegen Russ­land ent­wirft, die mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung daran aus­rich­tet und gleich­zei­tig eine Gestal­tungs­vor­stel­lung für eine euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung ent­wi­ckelt. Dafür schei­nen Deutsch­land bisher die kon­zep­tio­nelle Kraft und der poli­ti­sche Wille zu fehlen.

Wie lässt sich Deutsch­lands Posi­tion verändern?

Die mehr als zwei Jahre des Kriegs­ver­laufs zeigten jedoch auch, dass die Posi­tion der Bun­des­re­gie­rung sich immer wieder ver­än­dern lässt. Die realen mili­tä­ri­schen Ent­wick­lun­gen auf dem Schlacht­feld formen poli­ti­sches Denken und Regie­rungs­han­deln stets neu. Denn das Schlacht­feld bestimmt die Politik, nicht die Politik das Schlacht­feld. Die erfolg­rei­che ukrai­ni­sche Abwehr der rus­si­schen Streit­kräfte vor Kyjiw öffnete die Tür für die Lie­fe­rung von Flak­pan­zern und Artil­le­rie, die ukrai­ni­sche Offen­sive vom Spät­som­mer 2022 legte die Grund­lage für die Ent­schei­dung zur Lie­fe­rung von Schüt­zen- und Kampf­pan­zern. Auf­grund der rus­si­schen Angriffe auf Charkiw ent­stand der Zug­zwang zur Auf­he­bung der Beschrän­kun­gen zum Einsatz deut­scher Waffen und Muni­tion auf ukrai­ni­sches Staatsgebiet.

Gleich­zei­tig scheint der wich­tigste Schlüs­sel zur Ver­än­de­rung der deut­schen Ukraine­po­li­tik noch immer in Washing­ton zu liegen. Deutsch­land voll­zieht Ver­än­de­run­gen der ame­ri­ka­ni­schen Ansätze nach und bewegt sich immer dann weiter, wenn sich auch die Ame­ri­ka­ner wei­ter­be­we­gen. Womög­lich leiten die deut­schen Ent­schei­dungs­trä­ger diese Vor­ge­hens­weise daraus ab, dass Deutsch­land keine Nukle­ar­macht ist und auf den Schutz durch die USA ange­wie­sen bleibt. In Bezug auf die innen­po­li­ti­schen Ent­wick­lun­gen in den USA wird diese enge Kopp­lung schon bald Fragen auf­wer­fen. Ein Stra­te­gie­wech­sel hin von der dosier­ten inkre­men­tel­len Mili­tär­hilfe zu einer schnel­le­ren Ent­schei­dung ist in den USA sowohl für eine zweite Amts­zeit Bidens als auch Trumps denkbar.

Auch Frank­reich kann die deut­sche Debatte beein­flus­sen, aller­dings nur, wenn Paris konkret handelt und nicht nur weit­rei­chende rhe­to­ri­sche Bekennt­nisse ablie­fert. Die Bünd­nis­staa­ten in Mit­tel­ost­eu­ropa und Skan­di­na­vien gehören gemein­sam mit Frank­reich zu den wich­tigs­ten Befür­wor­tern einer schnel­le­ren ukrai­ni­schen NATO-Mit­glied­schaft. Ihr großes Enga­ge­ment und enger Aus­tausch mit Deutsch­land, Antrei­ben der Bun­des­re­gie­rung, ihre stän­dige öffent­li­che und nicht­öf­fent­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit den deut­schen Posi­tio­nen kann dabei helfen, Berlin wei­ter­zu­be­we­gen und der Bun­des­re­gie­rung beim stra­te­gi­schen Auf­ho­len zu helfen. Wie bei der geschlos­se­nen Reak­tion auf den Beginn der rus­si­schen Groß­in­va­sion wird ein erfolg­rei­ches Handeln Europas nur möglich sein, wenn die stra­te­gi­schen Posi­tio­nen der Skan­di­na­vier, Mit­tel­ost­eu­ro­päer, Fran­zo­sen, Briten und Deut­schen wieder enger zuein­an­der finden.

Wie Deutsch­land eine immer stär­kere Linie für die Unter­stüt­zung der Ukraine gefun­den hat, das ist auch eine Geschichte des Par­la­men­ta­ris­mus und der Öffent­lich­keit. Der Druck aus dem Par­la­ment, öffent­li­che Debat­ten und ver­öf­fent­lichte Meinung haben einen ent­schei­den­den Anteil daran, dass die Bun­des­re­gie­rung sich immer wieder wei­ter­be­wegt hat. Viele der wich­ti­gen Unter­stüt­zungs­leis­tun­gen für die Ukraine, für die die Bun­des­re­gie­rung sich jetzt zurecht lobt, wären ohne den par­la­men­ta­ri­schen und öffent­li­chen Nach­druck nicht möglich gewesen. Es wird not­wen­dig sein, diese Debat­ten weiter auf­recht zu erhal­ten und gleich­zei­tig immer wieder neue Ideen ein­zu­brin­gen, auch um die struk­tu­relle Enge der deut­schen Regie­rungs­bü­ro­kra­tie in der Außen- und Sicher­heits­po­li­tik immer wieder zu erweitern.

Muss es wirk­lich 28 Jahre dauern, bis die Ukrai­ne­rin­nen und Ukrai­ner eine Chance auf ein Leben in Frei­heit und Einheit bekommt? Wird Deutsch­land dazu bei­tra­gen, dass es anders und schnel­ler geht? Müssen wir tat­säch­lich auf einen neuen Mau­er­fall warten oder können wir selbst stärker darauf hin­wir­ken, ein Ende des Krieges durch die mili­tä­ri­sche Durch­set­zungs­fä­hig­keit der Ukraine zu erzwin­gen? Findet Deutsch­land die Kraft, aus dem status quo aus­zu­bre­chen und ein Bild für ein Nach­kriegs­eu­ropa zu ent­wer­fen, dass Grau­zo­nen besei­tigt und die Zone des Frie­dens, der Sicher­heit und des Wohl­stands ausbaut? Diese Fragen lassen sich nur schritt­weise beant­wor­ten. Es wäre dafür hilf­reich, wenn Deutsch­land in einem ersten Schritt endlich klärt, auf welches Ziel die mili­tä­ri­sche Unter­stüt­zung der Ukraine aus­ge­rich­tet ist und welche Res­sour­cen in welcher Zeit zum Errei­chen dieses Ziels not­wen­dig sind.


 

Nico Lange ist Senior Fellow bei der Münch­ner Sicher­heits­kon­fe­renz und Senior Fellow for Trans­at­lan­tic Secu­rity and Defense beim Center for Euro­pean Policy Ana­ly­sis (CEPA). Er war von 2019–2022 Leiter des Lei­tungs­sta­bes des Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­ums. Lange lebte und arbeite lange in den USA, in der Ukraine und in Russ­land. Er spricht flie­ßend Ukrai­nisch und Russisch.

Textende

Dieses Paper ist im Rahmen des vom Aus­wär­ti­gen Amt geför­der­ten Pro­jekts „Russ­land und der Westen“: Euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung und die Zukunft der Bezie­hun­gen zu Russ­land“ erschie­nen. Sein Inhalt gibt die per­sön­li­che Meinung des Autors wider.

Hat Ihnen unser Beitrag gefal­len? Dann spenden Sie doch einfach und bequem über unser Spen­den­tool. Sie unter­stüt­zen damit die publi­zis­ti­sche Arbeit von LibMod.

Wir sind als gemein­nüt­zig aner­kannt, ent­spre­chend sind Spenden steu­er­lich absetz­bar. Für eine Spen­den­be­schei­ni­gung (nötig bei einem Betrag über 200 EUR), senden Sie Ihre Adress­da­ten bitte an finanzen@libmod.de

 

Ver­wandte Themen

News­let­ter


Mit unseren Daten­schutz­be­stim­mun­gen erklä­ren Sie sich einverstanden.