Russland nach Putin: Fazit der Brüsseler Konferenz „The Day After“
Ein anderes Russland ist möglich: Am 5/6. Juni diskutierten Vertreter/innen der russischen Opposition und der EU über Perspektiven eines post-imperialen und demokratischen Russlands. Vier Schlussfolgerungen, zusammengefasst von Ralf Fücks.
1. Keine Angst vor einem Regime Change
Die Konferenz schickte eine klare Botschaft an das russische Volk: Eine militärische Niederlage in der Ukraine und der Sturz des Putin-Systems werden nicht zum Untergang Russlands führen – es ist genau andersherum: Putin ruiniert das Land, und eine bessere Zukunft wird nur mit einem demokratischen Wandel in Russland beginnen.
Zugleich ist das eine wichtige Botschaft an die politischen Führer im Westen: Habt keine Angst vor einem Regimewechsel in Russland. Der Sturz von Putin muss nicht zu Chaos und einem noch revanchistischeren und gefährlicheren Russland führen. Ein anderes, post-imperiales Russland ist möglich, das keine Bedrohung mehr für seine Nachbarn und seine Bürger darstellt. Der deutlichste Hinweis auf das demokratische Potential ín Russland ist der Aufwand, den das Putin-Regime betreibt, um jeden Protest im Keim zu ersticken, unabhängige Medien auszuschalten und die Formierung einer demokratischen Opposition zu verhindern.
Wir können nicht vorhersehen, wie das System Putin letztlich enden wird. Aber Geschichte und Politikwissenschaft lehren uns, dass totalitäre Regime recht stabil wirken – bis zu dem Tag, an dem sie zusammenbrechen. Politische Veränderungen in Russland kommen in der Regel unerwartet, dann aber mit hoher Geschwindigkeit. Deshalb brauchen wir eine überzeugende Vision für Russlands Zukunft und für die künftigen europäisch-russischen Beziehungen.
2. Die Ukraine als Lackmustest für russische Demokraten
Wie wird man das Putin-Regime los? Die einzige überzeugende Antwort lautet vorerst: Durch eine krachende Niederlage der russischen Invasion in der Ukraine. Seit Jahrhunderten betrachten die russischen Eliten die Ukraine als einen Wurmfortsatz des Reiches. Doch nun zeigt sich, dass die Hoffnung auf einen demokratischen Wandel in Russland vom Kampfgeist des ukrainischen Volkes abhängt. Dies ist auch der Lackmustest für russische Demokraten: Es reicht nicht aus, gegen Putin zu sein – es geht darum, die Ukraine zu unterstützen, diesen Krieg zu gewinnen.
Natürlich ist eine militärische Niederlage in der Ukraine nur eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen demokratischen Wandel in Russland. Dazu bedarf es der Bemühungen der demokratischen Opposition und der Zivilgesellschaft in Russland, unabhängiger Medien sowie der Unterstützung des Westens, der jeden Schritt in Richtung Rechtsstaatlichkeit und demokratische Freiheit in Russland begrüßen sollte.
Der Westen sollte den demokratischen Wandel in Russland auch wirtschaftlich unterstützen: mit einer konditionierten Lockerung der Sanktionen, der Aussicht auf Zugang zum europäischen Binnenmarkt und einem „Russian Green Deal“, der den Übergang zu einer postfossilen Wirtschaft flankiert.
3. Wir brauchen einen „Collective Churchill“
Aber was ist mit dem Westen? Garri Kasparow forderte einen „kollektiven Churchill“ im Westen, eine feste Entschlossenheit, Putins imperialem Wahn Einhalt zu gebieten und der Ukraine zu ermöglichen, diesen Krieg zu gewinnen. Gut gesagt! Allerdings müssen wir noch viel Arbeit leisten, um unsere Regierungen davon zu überzeugen, dass es keinen Raum mehr für Kompromisse mit Putin gibt.
Bislang waren die Waffenlieferungen der USA und in gewissem Umfang auch Deutschlands und anderer Länder recht beeindruckend. Aber um die russischen Truppen hinter die Grenzen zurückzudrängen, muss der Westen seine Anstrengungen verstärken, einschließlich einer hinreichenden Anzahl von Panzern, Langstreckenraketen und Flugzeugen. Je entschiedener die Unterstützung des Westens, desto kürzer der Krieg und desto weniger Menschen müssen noch sterben.
4. Klare Bedingungen für Friedensvereinbarungen
Wir sollten uns über den Ausgang dieses Krieges sehr klar sein. Jede Friedensvereinbarung muss auf der vollen territorialen Integrität und politischen Souveränität der Ukraine, der strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen für russische Kriegsverbrechen und der finanziellen Entschädigung für die der Ukraine zugefügten Schäden basieren. Dies sollte das nicht verhandelbare Dreieck sein, ein Maßstab auch für die schrittweise Aufhebung der Wirtschaftssanktionen.
Wir können Russland eine Niederlage in diesem Krieg und den Abschied von seinem imperialen Fluch nicht ersparen. Aber in diesem Krieg geht es nicht darum, Russland zu demütigen oder in die Knie zu zwingen – es geht darum, die Existenz der Ukraine als freie und unabhängige Nation, die europäische Friedensordnung und die Grundprinzipien der Menschlichkeit zu verteidigen: Töte nicht, vergewaltige nicht, nimm nicht weg, was dir nicht gehört.
Wir sollten alle russischen Bürgerinnen und Bürger auffordern, in den Spiegel zu schauen: Wer wollt ihr sein, in welchem Land wollt ihr leben? Sie und Ihre Kinder haben eine bessere Zukunft verdient, und die Türen Europas werden für ein friedliches und demokratisches Russland offen stehen.
So erschreckend die Realität heute auch sein mag: Ein besseres Russland ist kein Hirngespinst. Es ist eine realistische Option, und wir sollten alles tun, um diese Chance zu nutzen, indem wir die Ukraine und auch die russische demokratische Opposition mit aller Kraft unterstützen.
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