„Der Kreml schwenkt von Sonderbeziehung auf Konfrontation“
Das russische Justizministerium hat Anfang Juni drei deutsche NGOs zu „unerwünschten Organisationen“ erklärt, darunter das Zentrum Liberale Moderne (LibMod). „Das zielt auch gegen die Bundesregierung, denn sie hat unsere bisherigen Kooperationsprojekte mit russischen Partnern finanziert“, betont LibMod-Geschäftsführer Ralf Fücks. Mit der Deutschen Welle sprach Fücks über Moskaus Motive und die Folgen dieses faktischen Verbots für das bilaterale Projekt „Klimawandel und ökonomische Modernisierung Russlands“.
Deutsche Welle: Herr Fücks, warum hat der Kreml gerade das Zentrum Liberale Moderne verbieten lassen? War es Rache für die Ablehnung der russischen Gaspipeline Nord Stream 2? Wurde LibMod für wissenschaftliche Studien bestraft, die belegen sollen, dass Russlands gegenwärtiges Geschäftsmodell keine Zukunft hat, da es auf fossilen Energieträgern beruht?
Ralf Fücks: Die genannten Gründe haben sicherlich eine Rolle gespielt. Aber es gab auch andere Faktoren. Das Zentrum Liberale Moderne ist eine sehr vernehmbare kritische Stimme in der deutschen Russland-Debatte, bei der es darum geht, ob die Zusammenarbeit mir dem Kreml um jeden Preis fortgesetzt werden soll oder ob wir Prinzipien und Werte verteidigen müssen, wenn sie von der russischen Politik verletzt werden. Zudem ist diese Entscheidung Teil einer generellen Verhärtung im deutsch-russischen Verhältnis. Sie hat spätestens dann eingesetzt, als Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Giftanschlag auf Nawalny demonstrativ Partei für ihn ergriff und das russische Narrativ nicht übernommen hat, der (russische Geheimdienst) FSB habe damit nichts zu tun. Man spürt seitdem, dass die Tonlage sich verändert hat, dass möglicherweise der Kreml nicht länger auf eine deutsch-russische Sonderbeziehung setzt, sondern stärker auf Konfrontation geht.
Allerdings hat sich wohl kein anderes deutsches NGO so intensiv mit der russischen Wirtschaft und konkret mit dem russischen fossilen Energiesektor beschäftigt, wie LibMod. Im letzten halben Jahr wurden auf Ihrer Internetseite fünf Studien zu diesem Thema veröffentlicht. Warum ist eine in Berlin ansässige NGO dermaßen an der russischen Energiewirtschaft interessiert?
Für unser Institut und für mich persönlich spielen ökologische Fragen eine zentrale Rolle. Ich bin seit mehr als 30 Jahren umweltpolitisch engagiert. Der Klimawandel ist heute wohl die zentrale globale Herausforderung, und Russland ist der weltgrößte Exporteur fossiler Brennstoffe, wenn man Öl, Erdgas und Kohle zusammennimmt. Dadurch heizt Russland den Klimawandel weiter an. Zudem erzeugt es hohe Treibhausgas-Emissionen im eigenen Land – es ist für etwa 5 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Auch in meiner früheren Eigenschaft als Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung arbeitete ich viele Jahre lang mit Umweltinitiativen und ökologischen Instituten in Russland zusammen. Insofern war es für uns nur folgerichtig, sich intensiv mit diesem Thema zu befassen. Wir hatten dabei von vornherein einen konstruktiven Ansatz. Es ging uns nicht darum, Russland auf die Anklagebank zu setzen, sondern darum, Alternativen zum jetzigen fossilen Wirtschaftsmodell aufzuzeigen und Szenarien zu entwerfen, wie eine ökologische Modernisierung der russischen Wirtschaft gelingen könnte.
Aber in Russland steht selbst die intellektuelle Elite einer Dekarbonisierung der Wirtschaft betont skeptisch gegenüber, was sehr anschaulich eine im Mai veröffentlichte Studie des russischen Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum im Auftrag von LibMod belegt.
Es gibt offenkundig eine deutliche Diskrepanz, eine Ungleichzeitigkeit zwischen der internationalen und der russischen klimapolitischen Diskussion. Es gibt in Russland immer noch deutlich mehr skeptische Stimmen, darunter auch solche, die wissenschaftliche Erkenntnisse schlichtweg leugnen oder sie als eine bösartige Intrige gegen die Wirtschaftsinteressen Russlands herunterspielen. Doch ich bin mir sicher, dass auch Russland sich nicht auf Dauer den klimapolitischen Einsichten und Konsequenzen wird verweigern können, auch weil es selbst massiv vom Klimawandel betroffen sein wird. Man denke nur an das Auftauen der Permafrostböden, zunehmende Dürreperioden in den südlichen Regionen Russlands oder die gigantischen Waldbrände.
Gerade jetzt, im Juni, hatte LibMod vor, mit russischen Experten eine Serie aus mindestens sechs Studien zu starten, die sich mit verschiedenen Aspekten der ökonomischen und ökologischen Modernisierung Russlands beschäftigen sollten. Was wird nun aus diesem Projekt?
Wir können dieses Projekt nicht weiterführen, weil jede Zusammenarbeit mit LibMod für russische Bürgerinnen und Bürger eine Straftat wäre. Wenn Moskau uns zur unerwünschten ausländischen Organisation erklärt und uns faktisch die Zusammenarbeit mit langjährigen Freunden und Partnern in Russland unmöglich macht, dann zielt das auch gegen die deutsche Bundesregierung, denn sie hat diese Kooperationsprojekte finanziert.
Wird sich LibMod nun aus der Russlandthematik zurückziehen und sich möglicherweise auf andere postsowjetische Länder fokussieren, beispielsweise auf die Ukraine?
Wir sind ohnehin in der Ukraine sehr engagiert, weil wir dieses Land als ein Testfeld für die demokratische Transformation postsowjetischer Gesellschaften sehen. Aber wir werden Russland sicher nicht den Rücken zukehren, sondern uns stärker auf Russland-Analysen und auf die Debatte um eine angemessene Russlandpolitik des Westens konzentrieren. Aus den internationalen Expertennetzwerken verabschieden wir uns nicht.
Die offizielle Liste der „unerwünschten Organisationen“ auf der Homepage des russischen Justizministeriums wurde am 2. Juni um drei Einträge erweitert – neben LibMod sind das der Deutsch-Russische Ausstausch (DRA e.V.) sowie das „Forum Russischsprachiger Europäer“
Das Interview ist zuerst bei der Deutschen Welle erschienen, und zwar auf Russisch und Deutsch.
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