Russland in Syrien: ein sinnloser Einsatz?
Mit Diplomatie, Gewalt und Skrupellosigkeit wurde Moskau zur Ordnungsmacht im Nahen Osten. Doch die militärische Stärke Russlands ist eine Täuschung, schreibt Inna Hartwich. Wegen der stagnierenden Wirtschaft und sinkender Einkommen sieht die Bevölkerung das Engagement in Syrien zunehmend mit Skepsis.
„Die Welt ist in eine Epoche eingetreten, in der es keine Weltordnung mehr geben kann.“ So konstatierte Russlands Präsident Wladimir Putin Anfang Oktober auf dem Waldai-Forum in Sotschi, wo sich jährlich Staatschefs, Unternehmer und Journalisten treffen. Es ist die russische Sicht auf die Welt, in der Moskau geostrategisch zu einem unverrückbaren Machtfaktor zu gelangen versucht. Es macht es mit Mitteln, die sich in den vergangenen Jahren immer mehr etabliert haben. Mitteln, die Putin auf dem Waldai-Forum mit folgendem Überbau beschrieb. „Im Weltkonzert der Länder“, sagte er, sei ein System nötig, in dem verschiedene Werte, Ideen und Traditionen nebeneinander existierten und man nicht auf Universelles setze. Der Pragmatismus zähle, Russland habe genug Erfahrung damit gesammelt.
Was aber macht der Kreml mit dem Machtgewinn an der Levante? Und kann er ihn längerfristig nutzen? Dafür bräuchte es eine Strategie. Etwas, in dem Putin, der Taktiker, äußerst schwach ist.
Es ist dieser Pragmatismus, mit dem der Kreml fünf Jahre nach der internationalen Isolation infolge der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim nun zum Dreh- und Angelpunkt im Syrien-Konflikt wurde. Der russische Staat pflegt seinen Pragmatismus ohne jedwede Ideologie – und auch ohne Strategie. Diese aber, so erklärt es der russische Außenpolitik-Experte Fjodor Lukjanow in einer seiner Kolumnen, sei auch nicht nötig. Russland setze auf Reaktion, nicht auf Planung und mache sich frei von festen Allianzen, das gebe jeder Entscheidung eine gewisse Flexibilität. Deshalb konnte Putin mit den Kurden genauso verhandeln wie auch mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der in dem Memorandum von Sotschi die Herrschaft des syrischen Machthabers Baschar al-Assad de facto anerkannt und sich der territorialen Integrität Syriens verpflichtet hat. Deshalb pocht er auf Kooperation zwischen Ankara und Damaskus, auch wenn der Weg dorthin noch ein weiter ist. Deshalb will er nun auch weiter im Süden mehr mitmischen und hat beim Afrika-Gipfel, auch dieser fand in diesen Tagen in Sotschi statt, schon einmal vorgespurt.
Russland versucht, ein wenig auf die chinesische Art zu verfahren. Eine Einteilung in Gut und Böse gibt es nicht. Es wird dort ein Bündnis eingegangen, wo es gerade am Passendsten erscheint. Die Zusammenarbeit wird nicht an bestimmte Werte geknüpft. Es zählt der Machtgewinn. Für Russland zahlt sich diese kühle Machtpolitik geostrategisch aus. Moskau ist zu einem entscheidenden Akteur im Nahen Osten geworden und sieht sein Verständnis von der Weltordnung auf dem Vormarsch. Das Engagement in Syrien, von dem sich Moskau auch finanziell einiges erhofft, wirft allerdings keine wirtschaftlichen Dividenden ab.
Die Fehler des Westens nutzen
Neu ist das Verhalten von Aktion und Reaktion nicht. Putins Stärke war seit jeher das kurzfristige Taktieren, nicht die langfristige Strategie. „Fehler der anderen erkennen und sie für sich nutzen“, nennt Lukjanow die Vorgehensweise in Syrien. Die sich öffnenden Nischen seien keine „hybriden Schläge“, schreibt der Außenpolitik-Experte. Die Welt werde unstrukturierter, die Zahl der Akteure nehme zu, an neue Spielregeln, bei denen entweder alle verlören oder jeder für sich etwas gewinne, müssten sich auch die USA und die Europäer gewöhnen. In Syrien hat vor allem der Abzug der Amerikaner den Russen die Funktion eines Puffers im Norden des Landes überlassen. Damit ist Moskau seinem Ziel, ganz Syrien wieder unter die Kontrolle Assads zu bringen, ein Stück näher gekommen.
Die Mittel dafür: Diplomatie, militärische Gewalt und Skrupellosigkeit. Russland, so sagt es auch Lukjanow, sei überzeugt davon, dass nach wie vor die militärische Kraft entscheidender sei als andere Einflussmöglichkeiten. Zudem sei das Land bereit, diese Kraft auch einzusetzen. Moskau nahm Kriegsverbrechen wie den Einsatz chemischer Waffen durch Assads Truppen hin. Es ließ Wohngebiete und Krankenhäuser bombardieren und lobte das Engagement stets als wertvolle Gelegenheit für die russische Armee, sich in einem realen Krieg zu bewähren. Dass dabei auch paramilitärische Organisationen wie die „Gruppe Wagner“ in den Einsatz verwickelt sind, kommt dem Kreml zugute. Bereits in der Ukraine zeigte sich, dass der russische Staat die in einer Grauzone operierenden Söldnertruppen für seine Zwecke nutzen kann, auch wenn private Militäreinsätze im Ausland laut russischer Verfassung verboten sind. Vor allem in der Provinz, wo oft Perspektivlosigkeit herrscht, lassen sich Kämpfer rekrutieren. Deren Einsatz und auch die Verluste werden vom Staat weder anerkannt noch kompensiert.
Die Euphorie lässt nach
Obwohl das Militärische tief in der russischen Gesellschaft verankert ist (selbst in einem als liberal geltenden Magazin heißt es: „Verbringen Sie als Vater mehr Zeit mit Ihrem Kind! Bauen Sie zusammen einen Panzer!“), war der Krieg in Syrien in der Bevölkerung nie besonders populär. Zu weit erschien der Einsatz, obwohl die abendliche Nachrichtensendung im Fernsehen auch die Wetterprognose für Syrien mitlieferte. Groß ist die Sorge, Syrien werde zum neuen Afghanistan; das Debakel, das den Zusammenbruch der Sowjetunion beschleunigte, haben viele noch vor Augen. Laut Umfragen des Moskauer Lewada-Zentrums finden 55 Prozent der Befragten, Russland müsse die Operation in Syrien beenden. Fast jeder Zweite hatte angegeben, überhaupt nichts über die jüngsten Ereignisse in Syrien zu wissen. Das Gefühl, die eigene Regierung interessiere sich mehr für ferne Territorien als für die Belange der eigenen Bürger, hat in den vergangenen Jahren noch weiter zugenommen. Zivilgesellschaftliche Gruppen haben derweil mit sich selbst und dem Druck vonseiten des Staates zu kämpfen. Syrien und der russische Einsatz spielen auch deshalb kaum eine Rolle, da keine Wehrpflichtligen eingesetzt werden. Dadurch entsteht bei den Soldatenfamilien kein Gefühl, es müsse jemand unfreiwillig in den Krieg ziehen – wie es in Afghanistan und in den beiden Tschetschenien-Kriegen war. Und selbst die Euphorie der Menschen, Russland werde international respektiert, weil man vor ihm Angst habe, hat angesichts stagnierender Wirtschaft, sinkender Einkommen und des steigenden Renteneintrittsalters längst nachgelassen. Den meisten Russen ist Syrien egal.
Was aber macht der Kreml mit dem Machtgewinn an der Levante? Und kann er ihn längerfristig nutzen? Dafür bräuchte es eine Strategie. Etwas, in dem Putin, der Taktiker, äußerst schwach ist.
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