Das fossile Imperium: Wie Russland den Klimawandel befeuert
Eine russische Version dieses Artikels ist bei „European Dialogue“ erschienen:
In Russland sind Machtapparat und Energiewirtschaft eng verflochten. Die Energiepolitik ist ein Instrument russischer Großmachtpolitik; sie wird gezielt eingesetzt, um Einfluss zu gewinnen und Staaten unter Druck zu setzen. Öl, Gas und Kohle bilden das ökonomische Rückgrat des Systems Putin – es gerät zunehmend in Konflikt mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens.
1 Russland als Kohlenstoff-Imperium
Der Anteil der Energiewirtschaft an der Wirtschaftsleistung Russlands liegt zwischen 20 und 25 Prozent. Bei den Exporten ist der Anteil fossiler Energieträger noch deutlich höher. Er beträgt rund zwei Drittel der gesamten Exporterlöse.
Dabei liegen die Erlöse aus dem Ölgeschäft (je nach Schwankungen des Ölpreises) drei bis vier Mal höher als die Gasexporte. 2017 exportierte Russland für 151 Mrd. Dollar Öl und Mineralölprodukte, die Einnahmen aus dem Export von Erdgas (inklusive LNG) beliefen sich auf 41 Milliarden Dollar.
Der Beitrag des Energiesektors zum russischen Staatshaushalt (Steuern, Abgaben) beträgt rund 50 Prozent.
In der Kombination von Öl, Gas und Kohle ist Russland der weitaus größte Exporteur fossiler Energieträger.
Bei der Stromerzeugung dominiert Erdgas mit rund 50 Prozent, gefolgt von Kernenergie (18,6 Prozent), Wasserkraft (16,8 Prozent) und Kohle (14 Prozent). Öl spielt im Stromsektor nur eine marginale Rolle, deckt aber etwa 22 Prozent des Primärenergiebedarfs (Zahlen für 2017).
1.1 Erdöl
Mit einer Fördermenge von 563 Millionen Tonnen lag Russland im Jahr 2018 auf Platz drei in der globalen Rangliste – deutlich hinter den USA und knapp hinter Saudi-Arabien.
Beim Ölexport lag das Land im Jahr 2017 mit 256 Millionen Tonnen auf Rang 2 hinter Saudi-Arabien.
Da die bisherigen Haupt-Fördergebiete für Öl und Gas in Westsibirien den Höhepunkt ihrer Kapazität überschritten haben, werden neue Vorkommen in klimatisch und geologisch problematischen Regionen erschlossen (Halbinsel Yamal, Ostsibirien, Barents-See, Sachalin).
1.2 Erdgas
Bei der Förderung von Erdgas lag Russland im Jahr 2017 mit 635 Milliarden Kubikmetern hinter den USA (734 Milliarden) auf Platz zwei; bei den Gasexporten ist Russland die unangefochtene Nr. eins mit rund 20 Prozent am Weltmarkt. Europa ist mit rund 200 Milliarden Kubikmetern mit Abstand der wichtigste Exportmarkt. Der russische Anteil an den Gasimporten der EU lag im 1. Halbjahr 2018 bei 40,6 Prozent (Norwegen 38,8 Prozent). Mit China wurden jährliche Lieferungen von 38 Milliarden Kubikmetern vereinbart, eine neu gebaute Pipeline sollte 2019 in Betrieb gehen.
Inzwischen ist Russland auch in das Flüssiggas-Geschäft (LNG) eingestiegen. Die größte Anlage befindet sich auf der Jamal-Halbinsel in Nordsibirien. Sie ist v.a. für den Export nach Asien vorgesehen, beliefert aber auch den europäischen Markt.
1.3 Kohle
Russland gehört mit einer Förderung von rd. 440 Millionen Tonnen (Braunkohle und Steinkohle) zu den weltgrößten Kohleproduzenten. Davon geht etwa die Hälfte in den Export (vornehmlich Asien und Europa). Bei den Kohle-Exportländern liegt Russland auf Rang drei. Deutschland ist bisher der wichtigste Absatzmarkt in Europa. Die Investitionen in den Kohlesektor stiegen in den letzten 10 Jahren um 150 Prozent. Die offiziellen Pläne der Regierung sehen eine nochmalige Steigerung der Förderung auf 670 Millinen Tonnen (!) bis zum Jahr 2035 vor, Klimawandel hin oder her. Der Anteil am Kohle-Weltmarkt soll von heute neun auf zwanzig Prozent steigen.
Der größte Teil der russischen Kohle wird mittlerweile im Tagebau unter unzureichenden Vorkehrungen für den Umwelt- und Gesundheitsschutz gefördert. Zum Teil beträgt der Abstand zu Wohnsiedlungen weniger als 1000 Meter. Es kommt zu großflächigen Verwehungen von Kohlestaub. Erkrankungen der Atemwege und des Immunsystems sind weit verbreitet.
1.4 Erneuerbare Energien
Im Jahr 2015 lag der Anteil erneuerbarer Energien (ohne große Wasserkraftwerke) am russischen Strommix bei einem Prozent – trotz der großen Potentiale für Solarenergie in den südlichen Regionen, Windenergie an den Küsten und für den Einsatz von Biomasse aus nachhaltiger Land- und Forstwirtschaft. Gemäß einer Verordnung der Regierung der russischen Föderation sollte der Anteil bis 2020 auf 4,5 Prozent steigen – immer noch ein äußerst bescheidenes Ziel.
1.5 Mangelnde Energieeffizienz
Die Energieintensität des BIP (= die Energiemenge, die zur Erzeugung einer bestimmten Wertgröße benötigt wird) ist in Russland etwa dreimal so hoch wie im Durchschnitt der EU. Dementsprechend bestehen noch enorme Reserven bei der Verbesserung der Energieeffizienz, insbesondere im Gebäudebestand, aber auch in Energiewirtschaft und Industrie. Kurzfristig liegt hier das größte Potential zur Reduzierung von CO2-Emissionen zu den günstigsten Kosten.
Das setzt allerdings voraus, dass die Inlandspreise für fossile Energien, insbesondere für Gas und Kohle, nicht weiter subventioniert werden. Es fehlt sonst jeder wirtschaftliche Anreiz, in mehr Energieeffizienz zu investieren. Von höheren Energiesteuern oder der Besteuerung von CO2-Emissionen scheint Russland noch weit entfernt.
1.6 Primat der Politik
Unter der Regie Putins wurde die Rückverstaatlichung des Energiesektors vorangetrieben. Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Zerschlagung des privaten Yukos-Konzerns, dem bis dahin führenden russischen Ölunternehmen, in den Jahren 2003–2006. Inzwischen dominieren die Staatskonzerne Gazprom und Rosneft das Gas- und Ölgeschäft. Es bestehen enge personelle und finanzielle Verflechtungen zwischen Machtapparat und Energiewirtschaft. Energiepolitik ist Instrument russischer Großmachtpolitik; sie wird gezielt eingesetzt, um Einfluss zu gewinnen, internationale Netzwerke auszubauen und unbotmäßige Staaten unter Druck zu setzen, siehe NordStream 2.
2. Folgen des Klimawandels für Russland
Der Temperaturanstieg läuft in Russland etwa doppelt so schnell ab wie im globalen Durchschnitt. Im Zuge der Erwärmung ist mit dem Auftauen der Permafrost-Böden zu rechnen, die fast 2/3 der Landfläche ausmachen. Das hat dramatische Folgen für die Infrastruktur (Straßen, Schienen, Pipelines), für Industrieanlagen sowie für Städte und Siedlungen. Der Boden verwandelt sich in Morast und sackt ab.
Wetterextreme (Dürreperioden im Wechsel mit heftigen Regenfällen und Überschwemmungen) werden zunehmen. Insbesondere in den südlichen Regionen Russlands muss mit sinkenden landwirtschaftlichen Erträgen gerechnet werden.
Steigende Temperaturen und Trockenheit vergrößern die Waldbrandgefahr. Ohnehin brennen jedes Jahr riesige Waldflächen und setzen enorme Mengen an CO2 frei.
3. Klimapolitik der russischen Regierung
Rhetorisch hat Präsident Putin nach Jahren der demonstrativen Ignoranz inzwischen eine Wendung vollzogen. Er spricht jetzt davon, dass Russland die Pariser Klimaziele ernst nimmt.
Die Regierung (nicht die Duma) hat das Abkommen ratifiziert. Das ist weniger klimapolitisch als außenpolitisch und exportwirtschaftlich motiviert: der Kreml setzt sich damit vom Obstruktionskurs der Trump-Administration ab und hängt seinen fossilen Energieexporten ein klimafreundliches Mäntelchen um.
Kurzfristig besteht kein Handlungsdruck: Die CO2-Emissionen Russlands liegen heute etwa 26 Prozent unter dem Stand von 1990 und damit bereits in dem Zielkorridor, zu dem sich die Regierung für das Jahr 2030 verpflichtet hat.
Wieweit die russischen Treibhausgas-Emissionen tatsächlich erfasst werden, kann allerdings bezweifelt werden. Das gilt etwa für die Methan-Leckagen bei Förderung und Transport von Erdgas wie für die enormen Mengen an CO2, die bei der Abfackelung von Erdgas und bei den jährlichen Waldbränden freigesetzt werden.
Eine drastische Reduzierung der russischen Treibhausgas-Emissionen erfordert eine Abkehr von Öl, Gas und Kohle als Rückgrat der russischen Ökonomie. Sie steht im Konflikt mit dem fossilen Geschäftsmodell, das die Basis des „System Putin“ bildet.
Ernstgemeinter Klimaschutz läuft auf einen wirtschaftlichen und politischen Systemwandel hinaus. Es wäre naiv zu glauben, dass die herrschende Machtelite freiwillig das Fundament ihrer Herrschaft und ihres Reichtums demontiert, zumal Öl und Gas neben dem Militär auch international das wichtigste Machtinstrument des Regimes bildet.
Tatsächlich ist die offizielle russische Politik weiterhin auf eine Steigerung von Produktion und Export fossiler Energieträger ausgerichtet, das gilt für Öl ebenso wie für Erdgas und Kohle. Sollte die Nachfrage nach fossiler Energie in Europa als Folge klimapolitischer Maßnahmen sinken, sollen v.a. die Exporte nach Asien ausgeweitet werden.
4. Welche Rolle spielt der Klimawandel in der russischen Öffentlichkeit?
In der Bevölkerung ist das Wissen über den Klimawandel, seine Ursachen und Auswirkungen eher gering. In den Medien wird er zumeist heruntergespielt, als wissenschaftlich umstritten dargestellt und vor „Klimahysterie“ gewarnt.
5. Ausblick
Die russische Führung setzt weiterhin auf Öl, Gas und Kohle als Rückgrat des spezifischen Herrschaftssystems, das sich seit der Machtübernahme Putins herausgebildet hat. Dieses Modell gerät zunehmend in Konflikt mit den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens.
Zugleich blockiert es die überfällige Modernisierung und Diversifizierung der russischen Wirtschaft. Schon die letzten 10 Jahre waren im Hinblick auf Reformen und Wachstum ein verlorenes Jahrzehnt. Mit einer Fortschreibung der fossilen Rentenökonomie droht Russland den Anschluss an die digitale und postfossile Ökonomie des 21. Jahrhunderts zu verlieren.
Umgekehrt könnte eine schrittweise Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern einen Modernisierungsschub auslösen. Das wäre allerdings mehr als ein bloßer Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energien. Ein klimapolitischer Kurswechsel Russlands erfordert tiefgreifende strukturelle Reformen in Staat und Wirtschaft: Rechtssicherheit für kleine und mittlere Unternehmen, mehr Selbstverantwortung für Kommunen und Regionen, das Aufbrechen monopolistischer Strukturen sowie unabhängige Medien und eine starke Zivilgesellschaft als Gegengewicht zur Kohlenstoff-Fraktion.
Ein solcher Wechsel wird vermutlich erst dann eintreten, wenn es zu neuen Allianzen zwischen Reformern innerhalb des Systems und der demokratischen Opposition kommt. Eine moderne Klima- und Umweltpolitik könnte ein gemeinsamer Nenner für eine solche Allianz werden.
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