Deutsch-pol­ni­sche Plä­doy­ers für eine neue Russlandpolitik

Jan Tom­biń­ski und Irene Hahn-Fuhr (Foto: Tobias Kunz, LibMod)

Russ­land macht in seinem Krieg gegen die Ukraine Gelän­de­ge­winne, die US-Unter­stüt­zung der Ukraine könnte bald weg­bre­chen. An diesem kri­ti­schen Punkt braucht Europa Ent­schlos­sen­heit und poli­ti­sche Führung. Eine enge Koope­ra­tion zwi­schen Deutsch­land und Polen wäre ein starkes Signal. Anstoß dafür gibt das LibMod-Stra­te­gie­pa­pier „The Russian Chall­enge“, das von Exper­ten aus beiden Ländern ver­fasst wurde. Bei dessen Prä­sen­ta­tion in Berlin stell­ten sie ihre Kern­the­sen vor.

Das Paper können Sie hier als PDF her­un­ter­la­den oder auf der Home­page unseres Inter­na­tio­nal Expert Network Russia lesen. Deut­sche und pol­ni­sche Über­set­zun­gen sind in Vorbereitung.

Zur Ein­füh­rung sagte LibMod-Gründer Ralf Fücks, dass Russ­land über Jahr­hun­derte ein defi­nie­ren­der Faktor für die deutsch-pol­ni­schen Bezie­hun­gen gewesen sei. Die Achse Berlin-Moskau, der alte Traum der deut­schen Anti­li­be­ra­len von rechts wie von links, sei für War­schau ein Alb­traum. Dafür müsse man nicht auf die pol­ni­schen Tei­lun­gen und den Hitler-Stalin-Pakt zurück­ge­hen. Viel zu lange habe die bun­des­deut­sche Politik auf Polen und die anderen Staaten Mittel- und Ost­eu­ro­pas her­ab­ge­schaut, während sich der Blick nach Russ­land richtete.

Aus all diesen Gründen sei es höchste Zeit, ein neues Kapitel der deutsch-pol­ni­schen Zusam­men­ar­beit auf­zu­schla­gen:“ Die Politik gegen­über Russ­land – und aktuell gegen­über der Ukraine – ist dafür der Lack­mus­test,“ betonte Fücks zu Beginn der von LibMod-Geschäfts­füh­re­rin Irene Hahn-Fuhr mode­rier­ten Präsentation.

Der pol­ni­sche Geschäfts­trä­ger in Berlin, Jan Tom­biń­ski, lobte das Papier als „rea­lis­tisch“, weil es ange­sichts Russ­lands Ziele die rich­ti­gen Schlüsse ziehe. Er erin­nerte an den ehe­ma­li­gen Putin-Berater Gleb Paw­low­ski, der einmal gesagt hatte, Russ­land wolle nicht wie der Westen werden, sondern der Westen solle wie Russ­land werden. Schon deshalb müsse ein Sieg Russ­lands weitaus mehr Angst aus­lö­sen als eine Nie­der­lage, erklärte Tombiński.

Witold Rod­kie­wicz vom War­schauer Zentrum für Ost­stu­dien (OSW), der gemein­sam mit Fücks die Ein­lei­tung geschrie­ben hatte, zählte weitere Argu­mente auf: Ein mili­tä­ri­scher Sieg werde Moskau ver­an­las­sen, die NATO mit noch här­te­ren For­de­run­gen als Ende 2021 zu kon­fron­tie­ren. Dies werde die Kriegs­ge­fahr in Europa massiv ver­grö­ßern. Außer­dem müsse mit einer rie­si­gen Flucht­welle aus der Ukraine nach Westen gerech­net werden.

Ernest Wyciszkie­wicz vom Miero­szew­ski-Zentrum, der gemein­sam mit dem Sonn­tags-FAZ-Jour­na­lis­ten Konrad Schul­ler das erste Kapitel geschrie­ben hatte, argu­men­tierte, dass man in Deutsch­land zwar inzwi­schen zuge­stehe, dass Polen in seiner Ein­schät­zung Russ­lands richtig gelegen habe, wie der 24. Februar 2022 schmerz­lich zeigte. Aber daraus würden keine Schlüsse für das Heute gezogen. Erneut weiche man in Berlin und War­schau in der Bewer­tung dessen ab, womit man es in Russ­land zu tun habe. Und erneut wolle man in Berlin die pol­ni­sche Sicht­weise nicht ernst nehmen.

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Die Schwä­che des Westens ist Russ­lands Stärke

OSW-Experte Robert Pszczel, der von 2010 bis 2015 NATO-Ver­tre­ter in Moskau war, beschrieb den Unter­schied so: Während Polen massiv in die Landes- und Bünd­nis­ver­tei­di­gung inves­tiere, spreche man in Deutsch­land von „Beson­nen­heit“. In Moskau würden die Defi­zite der deut­schen Ver­tei­di­gungs­fä­hig­keit genau regis­triert und die Debatte über die Ertüch­ti­gung der Bun­des­wehr minu­tiös beob­ach­tet. Kürz­lich habe der Mos­kauer Mili­tär­ex­perte Dmitri Danilow sogar expli­zit gefor­dert, die von Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter Pis­to­rius geplan­ten Refor­men zu verhindern.

Pszczel, Koautor des dritten Kapi­tels, stellte stell­ver­tre­tend für die Autoren Gustav Gressel und Jacek Taro­cin­ski Kapitel zwei (mili­tä­ri­sche Sicher­heit) vor und betonte, dass Deutsch­land alles tun müsse, um die Bun­des­wehr schlag­kräf­ti­ger zu machen. Die Schwä­che des Westens sei Russ­lands Stärke.

Zu Kapitel drei – Russ­lands hybride Kriegs­füh­rung – betonte der deut­sche Koautor Arndt Freytag von Loring­ho­fen, von 2020 bis 2022 deut­scher Bot­schaf­ter in Polen, dass die Zeit vor der Bun­des­tags­wahl im Februar eine Schlüs­sel­phase für rus­si­sche Ein­fluss­nahme in Deutsch­land sei. Deshalb müsse aktiver gegen Russ­land kom­mu­ni­ziert werden, die Medi­en­kom­pe­tenz der Bevöl­ke­rung gestärkt und Fähig­kei­ten für Gegen­spio­nage aus­ge­baut werden, sagte Freytag, der von 2007 bis 2010 BND-Vize­prä­si­dent war. Deutsch­land und Polen seien hier näher anein­an­der gerückt und hätten eine „gute Basis für Zusammenarbeit“.

Der Bun­des­tags­ab­ge­ord­nete Robin Wagener, Bericht­erstat­ter der Grünen-Frak­tion für die Ukraine und Russ­land, lobte das Kapitel als gute Erklä­rung dafür, dass die Bedro­hung aus Russ­land „unmit­tel­bar uns“ gelte und nicht stark genug wahr­ge­nom­men werde, auch weil „in der poli­ti­schen Spitze das obers­tes Ziel gilt, uns raus­zu­hal­ten.“ Nötig sei aber „mehr Selbst­über­zeu­gung, dass die libe­rale Demo­kra­tie es wert ist, ver­tei­digt zu werden.“

Julian Hinz
Foto: LibMod

Julian Hinz vom Kiel Insti­tut für Welt­wirt­schaft (im Foto oben), der gemein­sam mit der OSW-Exper­tin Iwona Wis­niewska Kapitel vier ver­fasst hatte, sagte, dass die Sank­tio­nen bereits erheb­lich wirt­schaft­li­che Problem für Russ­land geschaf­fen hätten. Zwar könnten die Maß­nah­men die rus­si­sche Wirt­schaft nicht zum Zusam­men­bruch führen, doch sei ihrer Wirk­sam­keit noch stei­ge­rungs­fä­hig. So sollte die EU den „Eura­sian Round­about“, also Lie­fe­run­gen nach Russ­land über Dritt­staa­ten, schär­fer bekämp­fen, indem die betei­lig­ten Han­dels­fir­men sank­tio­niert werden.

Frieden mit Russ­land nur ohne Putin

OSW-Exper­tin Maria Domańska, die mit LibMod-Pro­gramm­di­rek­to­rin Maria San­ni­kova-Franck das fünfte Kapitel geschrie­ben hatte, betonte, dass dau­er­haf­ter Frieden mit Russ­land nur nach Putin möglich sei. Ein Regime­wech­sel in Moskau könnten zwar nur die Russen selbst errei­chen, der Westen könne aber helfen, die Vor­aus­set­zun­gen dafür zu schaf­fen. Die  ver­brei­tete Angst vor einem dro­hen­den Chaos in Russ­land sei ver­ständ­lich, wiege aber ange­sichts der direk­ten Bedro­hung durch das bestehende Regime weniger schwer. Die Erfah­rung der 1990er Jahre zeige, dass die Siche­rung der Nukle­ar­waf­fen auch in chao­ti­schen Umbrü­chen funk­tio­niert habe.

Das Zögern des Westens ver­län­gert den Krieg

Fücks fasste die Schluss­fol­ge­run­gen zusam­men: Die Zöger­lich­keit des Westens mache Russ­land stärker und ver­län­gere den Krieg. Europa müsse eigenes mili­tä­ri­sches Poten­tial auf­bauen, auch um künf­ti­ges US-Enga­ge­ment zu sichern. Eine euro­päi­sche „Koali­tion der Wil­li­gen“, die sich derzeit zwi­schen Polen, Balten und nor­di­schen Staaten her­aus­kris­tal­li­siert, könne die Hand­lungs­fä­hig­keit stärken, dürfe aber keine Alter­na­tive zu euro­päi­scher Sicher­heits­po­li­tik und NATO sein. Gerade das Mili­tär­bünd­nis sei für die Ukraine immens wichtig, Kyjiw müsse so bald wie möglich eine Ein­la­dung zum Bei­tritt erhalten.

Textende

Das deutsch-pol­ni­sche Stra­te­gie­pa­pier „The Russian Chall­enge“ wurde im Rahmen der Pro­jekts „Neue Russ­land­po­li­tik und Unter­stüt­zung der rus­si­schen Zivil­ge­sell­schaft“ vom Aus­wär­ti­gen Amt unterstützt.

 

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