Polen im Dreieck zwischen Russland und Deutschland
Polens Verhältnis zu Russland ist stark von Asymmetrien geprägt. Dabei spielen Deutschland und die Ukraine eine zentrale Rolle, schreibt Janusz Reiter.
Man kann die polnisch-russischen Beziehungen kaum verstehen, wenn man zwei andere Staaten nicht ins Blickfeld einbezieht: Deutschland und die Ukraine. Beide haben, jeder auf andere Weise, das Verhältnis zwischen Polen und seinem großen östlichen Nachbarn Russland mitgeprägt. Es sind lauter asymmetrische Verhältnisse. Für Polen sind Deutschland und Russland immer zwei bestimmende Faktoren – über lange Zeit zwei Feinde – gewesen. Für Deutschland ist nur Russland ein „defining partner” gewesen. Polen hatte diesen Rang nicht. Die Ukrainer definieren ihre geopolitische Lage historisch mit Blick nach Russland und nach Polen, wobei sie mehrere Male Deutschland Zuneigung entgegenbrachten, die nie erwidert wurde. Und Russland? Es setzt immer wieder Hoffnungen auf Deutschland, kommt mit Polen nicht zurecht und weigert sich, die Ukraine als Staat und Nation zur Kenntnis zu nehmen.
Polens Russlanderfahrung ist wichtig für die europäische Auseinandersetzung
Die Komplexität der polnisch-russischen Beziehungen ist das Ergebnis von Geographie und Geschichte. In der Wahrnehmung, auch der polnischen, ist das Verhältnis dadurch etwas Einzigartiges und Besonderes. Das ist aber nur bedingt richtig. Die polnische Russlanderfahrung ist ein wichtiger Teil der europäischen Auseinandersetzungen mit, oder beziehungsweise um, Russland. Sie wurde im westlichen Teil Europas, auch oder vor allem in Deutschland, als psychologisches Phänomen beziehungsweise Überempfindlichkeit qualifiziert und dadurch als politisch wertlos abgetan. Im polnisch-deutschen Verhältnis entstand dadurch eine Vertrauenslücke, die erst jetzt allmählich geschlossen werden könnte.
Die polnische Russlanderfahrung hat auch dazu beigetragen, dass das Denken in den Kategorien eines Dreiecks Polen-Russland-Deutschland immer noch überwiegend ein Thema für Historiker ist. Aber in der heutigen polnischen Politik kann man die Tendenz erkennen, das Dreieck als durchaus aktuelles geopolitischen Format darzustellen.
Seit dem späten 18. Jahrhundert war Polen in einer fatalen Zwangslage gefangen und verlor für 123 Jahre seine staatliche Unabhängigkeit. Zwischen Deutschland und Russland gab es immer wieder Interessenkoflikte, aber die Ablehnung Polens als souveräner Staat verband die beiden Grossmächte, auch noch im September 1939. Erst 1989/90 konnte Polen seine geopolitische Lage umdefinieren. Seitdem ist es kein Land zwischen Russland und Deutschland mehr, sondern Mitglied der westlichen Gemeinschaft, auch wenn es im rechten Spektrum der polnischen Politik Bemühungen gibt, Deutschland eher als Bedrohung denn als Partner darzustellen.
Die Selbstbefreiung von der russischen/sowjetischen Herrschaft vollzog sich friedlich, so dass der strategische Interessengegensatz etwas an Dramatik verlor. Beide Länder versuchten, auf die Entscheidung des Westens über die Öffnung der NATO nach Osten Einfluss zu nehmen. Polen setzte sich durch, profitierte dabei selbstverständlich von Russlands politischer Schwäche, ohne aber Russland zu provozieren. Moskau schien sich ja von seiner imperialen Tradition zu distanzieren, zeigte sogar Sympathie für das Konzept der liberalen Demokratie. Teile der neuen polnischen Elite hatten die Hoffnung, dass es zwischen Polen und Russland zur Versöhnung kommen könnte, so wie sie sich zwischen Polen und Deutschland vollzog. Allerdings waren sich selbst die größten Optimisten darin einig, dass nur ein im Westen verankertes Polen einen Ausgleich mit Russland erreichen könnte. Eine neue Zwischenlage Polens würde früher oder später Russland provozieren, seine Dominanz in der Region wiederherzustellen. Auch in Deutschland überwog die Einsicht, dass ein ungebundenes Polen zu einem Spielfeld von Machtrivalitäten werden könnte.
Die russische Präsenz in Polen ging in den 1990er Jahren drastisch zurück. Die traumatischen Erinnerungen an die russische Herrschaft lösten sich nicht auf, verloren aber weitgehend ihre emotionale Wirkung. Selbst Wladimir Putins Machtübernahme Ende der 1990er Jahre war kein sofortiger „game changer” in den Beziehungen. Polen war mit den EU-Beitrittsverhandlungen beschäftigt, für die wiederum Moskau relativ wenig Interesse zeigte. Der 1. Mai 2004, der Tag des polnischen EU-Beitritts, schien das symbolische Ende des Kapitels der polnischen Geschichte zu sein, das seinen Anfang im 18. Jahrhundert hatte. Der Umbau der polnischen Geopolitik konnte für abgeschlossen erklärt werden.
Die Wirklichkeit war viel komplizierter, wie sich allmählich herausstellte. Unter Putin wurde Russland eine offen und immer aggressiver revisionistische Macht. In dieser Einsicht waren sich Warschau und Berlin grundsätzlich einig. In den politischen Konsequenzen nicht immer. Anders als Warschau glaubte Berlin, eine „transformative” Russlandpolitik verfolgen zu können. Und schließlich war da noch die große offene Frage nach der Zukunft der Länder zwischen der NATO/EU und Russland. Auch hier gab es zwischen Polen und Deutschland/Westeuropa Unterschiede, die aber zunächst keinen großen Einfluss auf die operative Politik hatten.
Brzezinskis Ukraine-These
Die neue polnische Elite war antisowjetisch, aber nicht antirussisch. Sie stand allerdings auch in der politischen Tradition, die die Unabhängigkeitsbestrebungen der östlichen Nachbarn – besonders der Ukraine – unterstützte. Die Begründung war sowohl moralisch als auch vor allem strategisch: Die aus der Solidarność-Bewegung hervorgegangenen Kräfte konnten den Nachbarvölkern nicht die Rechte verweigern, die sie für ihr eigenes Land beansprucht hatten. Strategisch war aber auch klar, dass es im polnischen Interesse lag, nicht das östliche Grenzland der westlichen Gemeinschaften zu sein. Eine demokratische Entwicklung dieser Länder wäre ein Beitrag zur Sicherheit Polens. Der einflussreiche US-Experte und ehemalige Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski formulierte die These, die Polen sich zu eigen machte, dass die Unabhängigkeit der Ukraine den entscheidenden Einfluss auf die politische Identität Russlands haben würde. Nur eine unabhängige Ukraine könne verhindern, dass Russland zu seinen imperialen Traditionen zurückkehre.
Wie sehr er recht hatte, kann man heute in aller Deutlichkeit sehen.
Die deutsche Sichtweise war eine andere. Der Mehrheit der deutschen Öffentlichkeit und auch der Eliten fehlte vor allem das Verständnis für das größte Land der Region, die Ukraine. Viele sprachen ihr die nationale Identität und damit auch jegliche Staatsfähigkeit ab. Mit dieser Position stand Deutschland nicht allein, aber die politischen Konsequenzen der deutschen Skepsis waren besonders relevant.
Bereits in den 1990er Jahren engagierte sich Polen, mit wechselndem Erfolg, für die demokratische und marktwirtschaftliche Entwicklung der Ukraine, ohne dass dieser Einsatz die polnische Politik dominierte. Ihre eindeutige Präferenz waren ein NATO- und EU-Beitritt. Dieses Ziel absorbierte fast die gesamte politische Energie.
Moskau wollte Polen als willenlosen Befehlsempfänger Amerikas abstempeln
Moskau konnte den politischen Kurs Polens kaum beeinflussen, verfügte aber über ein indirektes Druckinstrument: Dialogverweigerung. Die russische Diplomatie scheute keine Mühe, Polen in Westeuropa als ein „russophobes” Land zu diskreditieren. Es war eine geschickte Taktik. Allein schon aufgrund seiner Geographie wollte Polen als NATO- und EU-Mitglied an der Gestaltung der Beziehungen des Westens mit den östlichen Nachbarn, d.h. auch mit Russland, teilnehmen. Die russische Gesprächsverweigerung schwächte das außenpolitische Instrumentarium Warschaus in diesem Bereich schmerzhaft. Moskau wollte Polen als willenlosen Befehlsempfänger Amerikas abstempeln und ihm jegliche Fähigkeit zur Mitgestaltung der europäischen Politik in Osteuropa absprechen.
2002 schien es noch Dialogmöglichkeiten zu geben. Wladimir Putin besuchte Polen und sprach von Zuversicht für die Zukunft. Als Zeichen guten Willens kündigten Putin und sein polnischer Gastgeber Aleksander Kwasniewski die Bildung einer „polnisch-russischen Gruppe für schwierige Angelegenheiten” an. Sie sollte vor allem zu einem besseren Verständnis der komplizierten Geschichte der polnisch-russischen Beziehungen beitragen, was ihr zum Teil gelang, ohne aber dass dies die erhofften politischen Folgen hatte.
2004 meldete sich die Ukraine, deren Image bisher von postsowjetischen, korrupten Eliten dominiert war, mit ihren demokratischen und europäischen Ansprüchen zu Wort. Damit wurde, wenn auch noch nicht für alle im Westen, deutlich, dass die 1989 begonnene Transformation Europas ein unvollendetes Werk war. Polens Staatspräsident Kwasniewski nutzte seine Autorität, um einen mäßigenden Einfluss auf die spannungsvolle Lage in der Ukraine zu nehmen. Moskau hat ihm das nie verziehen, obwohl Kwasniewski alles andere als ein antirussischer Eiferer war. Kwasniewski sollte auch in den nächsten Krisensituationen der Ukraine eine wichtige Vermittlerrolle spielen.
Die Hoffnungen der Orangenen Revolution von 2004 wurden von den Regierenden der Ukraine kaum erfüllt. Polen befand sich in einer höchst unbequemen Situation. Während Deutschland von seiner „Wandel durch Handel”-Strategie gegenüber Russland wirtschaftlich und politisch profitierte, blieb Polen mit der damals undankbaren Rolle des Anwalts der Ukraine ziemlich allein. Ohne Gesprächskanäle nach Moskau hatte Warschau einen strategischen Nachteil gegenüber den anderen Ländern. Die Regierung Tusk versuchte, einen sachlichen, pragmatischen Dialog mit Russland einzuleiten. 2009, nach intensiven diplomatischen Bemühungen, kam Putin zu einem Besuch nach Polen. Auf der Danziger Westerplatte, wo am 1. September 1939 der 2. Weltkrieg begann, hielt er eine kurze, aber aussagekräftige Rede. Putin erinnerte bereits damals an den Versailler Frieden und die „Demütigung” Deutschlands, die zum 2. Weltkrieg beigetragen habe. Er lobte auch die russisch-deutschen Beziehungen, „gegründet auf Kooperation und Partnerschaft und nicht auf historischen Abrechnungen”, als Modell für die polnisch-russischen Beziehungen. Seine Rede war Provokation und Lockruf zugleich. Er musste wissen, dass der von ihm verurteilte Versailler Vertrag Polen den Weg zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit eröffnet hatte. Er wusste auch, dass das Modell der Verständigung von oben, wie zwischen Russland und Deutschland, in Polen auf Skepsis stieß. Warschau bevorzugte eine Versöhnung von unten, wie mit Deutschland. Putin lobte das „vernünftige” Deutschland und suggerierte, dass auch Polen diesem Beispiel folgen könnte. Was Polen zu tun hätte, erläuterte er nicht, aber darüber gab es kaum Zweifel: Es ging vor allem um die Ukraine, die er als russische Einflusszone betrachtete und wo er sich kein polnisches Engagement wünschte.
Diese Botschaften waren verschlüsselt, aber verständlich. In Warschau machte sich niemand Illusionen über Putin. Könnte Polen aber nicht trotzdem einen Gesprächskanal mit Moskau eröffnen, wie das alle größeren Staaten in Europa längst praktizierten? Washington hatte gerade einen „reset” in den Beziehungen mit Russland ausgerufen, was in Warschau mit Skepsis aufgenommen wurde, aber eine nicht zu leugnende Realität war. Könnte man die geopolitische Auseinandersetzung um die Zukunft der Ukraine, in der damals keine schnelle Entscheidung zu erwarten war, nicht von einer begrenzten, pragmatischen Zusammenarbeit trennen?
Das Experiment war von kurzer Dauer. Die Trennung zwischen dem geopolitischen Interessenkonflikt um die Ukraine und einer pragmatischen Zusammenarbeit mit Russland erwies sich als unrealistisch. Die innenpolitische Lage in der Ukraine spitzte sich immer mehr zu. Der prorussische Präsident Wiktor Janukowytsch geriet immer mehr unter Druck der prowestlichen Öffentlichkeit, die hoffnungsvoll auf ein Abkommen mit der EU wartete. Als sich Janukowytsch weigerte, das Abkommen zu unterzeichnen, entlud sich der Zorn der Bevölkerung in Massendemonstrationen. Polen musste wieder in seine Vermittlerrolle eintreten, war aber nicht allein. Der polnische Außenminister Radek Sikorski reiste mit seinem damaligen deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier in die Ukraine, der französische Diplomatiechef Laurent Fabius machte nicht ohne Zögern mit. Die Botschaft lautete, dass Warschau kein Einzelgänger mehr war, sondern sich im Mainstream europäischer Politik bewegte.
Aber auch diese Methode hatte ihre Grenzen. Am 1. April 2014 kamen die Außenminister Polens, Deutschlands und Frankreichs in Weimar zusammen und erklärten, dass sie der kurz zuvor stattgefundenen Annexion der Krim machtlos gegenüberstanden. Steinmeier machte deutlich, dass er gegen die Aufnahme der Ukraine in die NATO sei, während Sikorski den Wunsch äußerte, zwei schwere NATO-Brigaden bald in Polen stationiert zu sehen. Das „Weimarer Dreieck”, in dem Polen, Deutschland und Frankreich seit 1991 zusammenzuarbeiten versuchten, stand ziemlich hilflos da.
Polen war vom Normandie-Format enttäuscht
Nur wenige Wochen später beschlossen zwei der Länder des Weimarer Dreiecks, Frankreich und Deutschland, mit Russland und der Ukraine im sogenannten Normandie-Format zu verhandeln. Warschau war überrascht und enttäuscht, aber das Signal war eindeutig: Russland wollte Polen nicht am Verhandlungstisch und die beiden westeuropäischen Partner waren offensichtlich nicht bereit, das neue Format wegen Polen aufs Spiel zu setzen. Dass das Normandie-Format am Ende nicht erfolgreicher war als das Weimarer Dreieck, wurde später erkennbar, hatte aber für Polen keine Bedeutung mehr. Russland konnte auf die alte Methode der Gesprächsverweigerung gegenüber Polen zurückgreifen.
Auch der Umgang mit dem Flugzeugunglück bei Smolensk, bei dem am 10. April 2010 der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski und 95 weitere Personen, darunter Spitzenpolitiker und ‑beamte ums Leben gekommen waren, warf selbstverständlich einen Schatten auf die polnisch-russischen Beziehungen. Russlands Weigerung, das Flugzeugwrack an Polen zurückzugeben, war und ist bis heute eine bewusste Demütigung Polens. Als die PiS-Partei für Recht und Gerechtigkeit 2015 an die Macht kam, wurde die Tragödie von Smolensk für innenpolitische Zwecke instrumentalisiert. Den polnisch-russischen Beziehungen konnte das kaum schaden, weil sie ohnehin fast inhaltsleer geworden waren.
Gleichzeitig begann sich Polen aber von seinen europäischen Partnern zu entfernen. Das galt insbesondere für das westliche Nachbarland Deutschland. Die völlig begründete Kritik an der deutschen Russlandpolitik und insbesondere an Nord Stream 2, schoss aber über das Ziel hinaus. Die regierende Rechte scheint Polen als ein Land zwischen zwei Feinden zu sehen, wobei sie Deutschland mit einer besonders auffallenden Emotionalität kritisiert.
Sanktionen und Loslösung von russischer Energie finden in Polen breite Zustimmung
Der russische Angriff auf die Ukraine hat dieses Bild nur zum Teil verändert. In der Verurteilung Russlands sind sich sich alle politischen Kräfte einig. Das galt auch grundsätzlich für die Einstellung zu den gegen Russland verhängten Sanktionen. Polen setzte sich bereits nach der Krim-Annexion für harte Sanktionen ein. Schmerzlos war diese Politik nicht. Für viele polnische Unternehmen war Russland ein attraktiver Absatzmarkt. Die Agrarwirtschaft war nur eine von ihnen, allerdings die mit der stärksten Lobby. Sie traute sich trotzdem nicht zu, das Sanktionsregime offen in Frage zu stellen. Gleichzeitig verfolgte Polen ziemlich konsequent eine Politik der Loslösung von der Energieabhängigkeit von Russland. Sie wurde, was in Polen eher ungewöhnlich ist, von allen relevanten Parteien unterstützt und half dem Land, den Energieschock nach dem russischen Angriff auf die Ukraine abzumildern. Am schwierigsten gestaltete sich der Verzicht auf russische Kohle, welche die teurere und knappe polnische Kohle ergänzte. Dieses Problem dürfte aber relativ kurzfristig zu bewältigen sein. Kohle ist ein weltweit gehandelter Rohstoff.
Die Wahrnehmung der russischen Bedrohung wurde intensiver denn je seit 1989. Gleichzeitig wurde die Ukraine neu entdeckt. Sie war in Polen schon seit mehreren Jahren durch Hunderttausende oder noch mehr Arbeitskräfte präsent, aber wenig beachtet. Das änderte sich mit der Flüchtlingswelle, die große Anteilnahme und Solidarität auslöste.
Der ukrainische Verteidigungskrieg beeinflusste gleichzeitig das Image der Ukraine. Nicht nur der Mut, sondern auch die Intelligenz und Effizienz der Ukrainer wurden mit Respekt und Bewunderung aufgenommen. In der langen Geschichte der polnisch-ukrainischen Beziehungen ist es zweifellos der Höhepunkt.
Selbstisolierung schwächt Polens Stellung als Verbündeter Kyjiws
Ob das auch den Beginn einer neuen Partnerschaft markiert, wird sich erst nach dem Ende des Krieges herausstellen. Die Erfahrung der Solidarität in der Not wird dabei eine Rolle spielen. Die Ukraine wird aber vor allem eine effektive politische und wirtschaftliche Unterstützung brauchen. Inwiewieit Polen das bieten kann, hängt weitgehend davon ab, ob es dafür Partner in der EU und der NATO gewinnen kann. Die jetzt verfolgte Politik der Selbstisolierung wird Polens Stellung als Verbündeter der Ukraine erheblich schwächen. Je mehr sich das Land vom Westen – vor allem von seinen westeuropäischen Partnern – entfernt, umso weniger Attraktivität wird es für die Ukraine haben.
Kritiker werfen der polnischen Regierung vor, nach Osten zu steuern. Die antiwestliche Kulturkritik der regierenden Rechten kann diesen Eindruck entstehen lassen. Sie setzt sich erfreulicherweise nicht in reale Politik um. Selbst eine opportunistsche Russlandpolitik à la Viktor Orban ist in Polen schwer vorstellbar. Die historischen Erfahrungen schützen Polen davor. Sie verblassten zwar nach 1989, wurden aber durch Russlands Angriff auf die Ukraine neu belebt.
Sollte sich die Ukraine als souveräner, erfolgreicher Staat behaupten, während Russland die Kraft verliert, seine Nachbarn zu bedrohen, könnte das eine historische Wende in der polnischen Geopolitik bedeuten. Dazu müssten aber noch zwei wichtige Bedingungen erfüllt werden: Europa und die transatlantische Gemeinschaft gehen aus dem jetzigen Konflikt gestärkt hervor und Polen trägt dazu bei, weil es seine Zukunft in dieser Gemeinschaft sieht. Polen stand mit seiner Russlandpolitik oft vereinsamt in Europa. Das kann sich jetzt ändern, wenn Polen selbst einen Beitrag dazu leistet.
Janusz Reiter ist ein polnischer Diplomat, Germanist und Publizist. Er war 1990–1995 polnischer Botschafter in Deutschland und 2005–2007 Botschafter in den USA. Er ist Vorstandsvorsitzender des Warschauer Zentrums für Internationale Beziehungen.
Dieses Paper ist im Rahmen des vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts „Russland und der Westen“: Europäische Nachkriegsordnung und die Zukunft der Beziehungen zu Russland“ erschienen. Sein Inhalt gibt die persönliche Meinung des Autors wieder.
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