Amerika hat es versucht, aber Putin hat es zerstört
Seit den 1990er Jahren haben alle US-Regierungen versucht, Russland in die liberale Weltordnung zu integrieren – aber der Demokratieabbau und das Streben nach regionaler Vorherrschaft unter Wladimir Putin haben die Grundlagen für eine solche Zusammenarbeit zerstört, schreibt DAN FRIED.
Von der Regierung George Bush senior bis zu Putins Krieg gegen die Ukraine waren die Vereinigten Staaten bestrebt, die Integration des postsowjetischen Russlands (und sogar der Sowjetunion am Ende von Michail Gorbatschows Amtszeit) in die liberale internationale Ordnung zu fördern, deren Hauptbegründer die USA nach 1945 waren. Das bedeutete, gute bilaterale Beziehungen zu entwickeln und – soweit möglich – die russische Partnerschaft in internationalen Angelegenheiten zu fördern, einschließlich des Anti-Terror-Kampfes nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Die USA verfolgten diese Politik jedoch nur unter zwei Bedingungen: Erstens, dass Moskau keine russische Einflusssphäre über seine Nachbarn und ehemaligen Satelliten in Osteuropa bekommt, zweitens, dass Russland sich weiter in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit entwickelt.
Diese Bedingungen waren für Boris Jelzin im Großen und Ganzen akzeptabel, besonders in seinen ersten Jahren als russischer Präsident, als er noch bei besserer Gesundheit war. Für seinen Nachfolger Wladimir Putin waren sie nicht akzeptabel. Tatsächlich hatte Putin seine eigenen Bedingungen für bessere Beziehungen zu den USA: Dazu gehörten die Duldung der Versuche Russlands, seine Nachbarn zu dominieren, insbesondere die Ukraine und Georgien, die beiden Länder, die sich am meisten für einen Platz in Europa und seinen Institutionen einsetzten, sowie die Akzeptanz der sich ausweitenden autokratischen Herrschaft Putins im eigenen Land, zu deren Taktik auch Attentate gehörten.
Der Aufstieg und Fall der amerikanisch-russischen Beziehungen – von den großen Hoffnungen der frühen 1990er Jahren zu den feindseligen Beziehungen von heute – sind ein Ergebnis der Unvereinbarkeit dieser Ansichten über Russlands Stellung in der Welt.
Ungeachtet der Argumente, dass die USA Russland nach 1991 gedemütigt haben (Argumente, die an die Behauptung erinnern, dass die grobe Behandlung Deutschlands im Versailler Vertrag teilweise oder sogar weitgehend für den Aufstieg Hitlers verantwortlich war), haben die USA nicht versucht, Russland zu isolieren, zu bestrafen oder anderweitig wie einen besiegten Feind zu behandeln. Die USA versuchten nicht, Russland Reparationen aufzuerlegen; sie leisteten Hilfe. Die USA haben die neue Führung Russlands nicht gemieden, sondern ihr die Hand gereicht. Und Boris Jelzin nahm sie an. In seiner Rede vor dem US-Kongress im Juni 1992 sprach Jelzin davon, dass Russland durch seine eigenen Anstrengungen „75 Jahre [kommunistischen] Alptraum“ beendet habe, dankte dem amerikanischen Volk „für seine unschätzbare moralische Unterstützung“, verpflichtete sich zu marktwirtschaftlichen, demokratischen Reformen und versprach, dass Russland sich nie wieder in auswärtige Angelegenheiten einmischen werde.
Westliche Kritiker bezeichnen die Entscheidung der NATO, Polen und andere neu befreite Staaten Mittel- und Osteuropas als Mitglied aufzunehmen, häufig als Erbsünde, die Russland entfremdete, indem sie „eine neue Linie durch Europa zog“ (wie es die Gegner der NATO-Erweiterung oft ausdrücken). Dabei war Washingtons NATO-Politik von der Entschlossenheit geprägt, die stalinistische Teilung Europas zu beenden. Eine Ablehnung des Drangs Polens, der baltischen und anderer osteuropäischer Staaten auf eine NATO-Mitgliedschaft hätte bedeutet, die Linie des Kalten Krieges fortzusetzen, stillschweigend eine russische Herrschaftssphäre in Europa anzuerkennen. Moskau wäre signalisiert worden, dass die USA und Westeuropa die ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten (captive nations) in gewissem Sinne als Eigentum Moskaus betrachten, das es nach Möglichkeit zurückzuerobern gilt. Diejenigen von uns, die sich innerhalb der Clinton-Regierung und später in der Bush-Regierung für die NATO-Erweiterung einsetzten, waren sich dessen bewusst. Rückblickend erscheint angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, seiner Ansprüche gegenüber diesem Land und der offiziellen Forderungen nach einem Rückzug der NATO aus ihren Mitgliedern an der Ostflanke die Entscheidung, weiteren europäischen Staaten den Beitritt zur NATO zu ermöglichen, sogar noch mehr gerechtfertigt.
NATO-Grundakte war „ein Bündnis mit dem Bündnis“
Die NATO-Erweiterung war aber nur ein Aspekt. Die USA versuchten, die Erweiterung des Bündnisses mit einer integrativen Politik gegenüber Russland zu verbinden. Der Beschluss zur NATO-Erweiterung wurde parallel zu den Bemühungen um die Entwicklung einer Beziehung zwischen der NATO und Russland gefasst, eines „Bündnisses mit dem Bündnis“, wie es einige von uns in der Clinton-Regierung zur Zeit der NATO-Russland-Grundakte ausdrückten, die 1997 vor dem Beschluss der NATO, Polen, Tschechien und Ungarn die Mitgliedschaft anzubieten, verabschiedet wurde. Mit der Grundakte wurde nicht nur eine NATO-Russland-Struktur für gemeinsame Aktionen und Entscheidungen geschaffen, sondern es wurden auch Grenzen für die Stationierung von NATO-Streitkräften in Europa gesetzt, indem auf die „zusätzliche dauerhafte Stationierung umfangreicher Kampftruppen“ verzichtet wurde. Diese Verpflichtung – parallel zu einer nicht näher bezeichneten Verpflichtung Russlands, bei seinen Stationierungen eine ähnliche Zurückhaltung zu üben – sollte dem Kreml die Gewissheit geben, dass auf die NATO-Erweiterung kein massiver Truppenaufmarsch folgen würde, der mit der Stationierung amerikanischer, britischer und anderer Streitkräfte in Westdeutschland im Kalten Krieg vergleichbar wäre. Tatsächlich ging die NATO-Erweiterung statt mit einer Aufstockung mit einem stetigen Abzug der US-Streitkräfte aus Europa einher: 2014, am Vorabend von Putins Krieg gegen die Ukraine, waren keine US-Panzer mehr dauerhaft in Europa stationiert.
Die Regierung von George Bush junior bemühte sich um eine Intensivierung der Partnerschaft mit Präsident Putin, beginnend mit dem berühmten Treffen in Slowenien im Juni 2001. Dieses Treffen fand im Anschluss an Bushs Rede in Warschau statt, in der die USA ihre Absicht bekundeten, die NATO-Erweiterung fortzusetzen. Ungeachtet dessen verlief das Treffen zwischen Bush und Putin erfolgreich. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 auf die USA schien Putin zu einer vertieften strategischen Partnerschaft bereit zu sein, wobei Terrorismusbekämpfung und strategische Rüstungskontrolle im Vordergrund standen. Die Bush-Regierung reagierte mit Enthusiasmus, und es folgten mehrere Jahre mit guten Beziehungen, in denen beim Anti-Teror-Kampf und bei der Rüstungskontrolle Erfolge erzielt wurden.
Bushs Entscheidung, die NATO-Erweiterung auch auf die baltischen Staaten auszudehnen (ein Beschluss, der auf dem Prager NATO-Gipfel im November 2002 kurz vor der Entscheidung der USA, den Irak anzugreifen, gefasst wurde), tat dieser amerikanisch-russischen Zusammenarbeit keinen Abbruch. Wie die Clinton-Regierung enthielt auch die Bush-Politik gegenüber Russland ein Element der „Absicherung“. Bereits in den 1990er Jahren hatte die Clinton-Regierung Europa dazu gedrängt, eine Energieabhängigkeit von Russland zu vermeiden, und sich für alternative, nicht-russische Energieprojekte für Europa eingesetzt, etwa die Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan. Die Bush-Regierung setzte diese Politik fort, auch als sie ihre Beziehungen zum frühen Putin-Team aufbaute.
Was die Beziehungen zwischen den USA und Russland belastete, waren Putins Schritte zum Ausbau seiner autoritären Kontrolle im eigenen Land – beginnend mit der Zerstörung unabhängiger Fernsehsender in Russland bis hin zur Reaktion auf das, was Putin als US-Anstiftung zu prowestlichen „Farbenrevolutionen“ in Georgien 2003 und der Ukraine 2004 bezeichnete. Langsam und ungleichmäßig begann die Bush-Regierung zu erkennen, dass Putin, wie Bush in einem Gespräch mit dem britischen Premierminister Tony Blair im Jahr 2003 bemerkte, möglicherweise nicht der reformorientierte Staatschef war, für den man ihn hoffnungsvoll gehalten hatte.
Putin vermutete in wahrhaft stalinistischer Manier, dass die USA hinter den Revolutionen steckten. Er irrte sich – die Rosenrevolution in Georgien und die Orangene Revolution in der Ukraine waren Ausdruck echter einheimischer politischer Kräfte und hatten auch Washington überrascht – aber Putin schien davon überzeugt , dass die USA seine Bedingung der Zustimmung der Herrschaft Russlands über seine ehemaligen sowjetischen Besitzungen gebrochen hatten, und damit fiel die Grundlage für eine Zusammenarbeit weg.
Putins feindselige, antiamerikanische und antiwestliche Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2007 spiegelte seine neue Einschätzung der US-Politik als unvereinbar mit seiner Auffassung von zentralen russischen Interessen wider. Dieser Konflikt – insbesondere das Beharren Moskaus auf der Vorherrschaft in Georgien und der Ukraine und Washingtons Widerstand dagegen – verschärfte sich, als die USA auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 versuchten, einen NATO-Konsens über einen Aktionsplan für die Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens zu erreichen. Diese Bemühungen scheiterten – das Bündnis war in dieser Frage gespalten – aber der erzielte Konsens beinhaltete eine Erklärung der NATO, dass die Ukraine und Georgien letztlich dem Bündnis beitreten würden. Dies wiederum schien Putin zu verärgern, der in einer Rede beim NATO-Russland-Rat in Bukarest, einen Tag nach dem eigentlichen Gipfel, die Grundlage für einen russischen Anspruch auf die ukrainische Halbinsel Krim legte.
Die Bush-Regierung bemühte sich weiterhin um gute Beziehungen zu Russland, und unmittelbar nach dem Bukarester Gipfel flogen Bush und sein Team nach Sotschi zu einem Treffen mit Putin und dem neu eingesetzten Übergangspräsidenten Dmitri Medwedew. Doch Putin schien nicht mehr an einer Zusammenarbeit mit den USA interessiert zu sein. Stattdessen provozierte er im August 2008 einen Krieg mit Georgien, woraufhin die Bush-Regierung das Scheitern ihrer Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit Russland einräumte (siehe die Rede von Außenministerin Condoleeza Rice vom September 2008).
Trotz des russisch-georgischen Kriegs versuchte die Obama-Regierung zu der frühen Politik der Bush-Regierung zurückzukehren, wonach eine gewisse Partnerschaft mit Putins Russland möglich sei. Dazu leitete sie den „Reset“ mit Russland ein, der auf denselben Annahmen des Bush-Teams beruhte: dass es Raum für eine Partnerschaft mit Russland gibt, trotz der US-Bedingungen hinischtlich Menschenrechten und Demokratie sowie zur Souveränität von Russlands Nachbarn. Und wie die Bush-Politik brachte der Obama-Reset einige Ergebnisse, insbesondere bei der strategischen Rüstungskontrolle.
Doch wie die Bush-Politik scheiterte auch der Obama-Reset am zunehmendem Autoritarismus in Putins Russland und an der Aggression gegen seine Nachbarn. Die Manipulation der russischen Parlamentswahlen im Dezember 2011 löste Demonstrationen innerhalb Russlands aus und Kritik von Außenministerin Hillary Clinton. Putin schien darüber erzürnt zu sein. In der Ukraine ging Putin dann zu weit, als er Ende 2013 seinen Günstling Viktor Janukowytsch zwang, die Zusage zu brechen, ein relativ bescheidenes Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen, das in der Ukraine breite Unterstützung fand. Dies führte zu Demonstrationen in Kiew, die Janukowytsch gewaltsam zu unterdrücken versuchte; der neuerliche „Maidan“ eskalierte und endete damit, dass Janukowytsch das Land verließ und eine pro-europäische Regierung an die Macht kam.
Wie bei der Orangenen Revolution von 2004 ging Putin davon aus, dass der „Euromaidan“ von den USA gesteuert war. Er reagierte innerhalb weniger Tage mit der Invasion der Krim; und als dies angesichts der desorientierten neuen ukrainischen Regierung erfolgreich hatte, eskalierte Putin weiter, indem er „separatistische Bewegungen“ im Donbas ins Leben rief. Die erste Phase des russisch-ukrainischen Krieges war eingeläutet.
Wie schon die Bush-Regierung nach dem russisch-georgischen Krieg erkannte auch die Obama-Regierung nach Putins Angriff auf die Ukraine, dass ihre Bemühungen um Putin gescheitert waren. Sie änderte Kurs und entschied sich für Sanktionen gegen Moskau als wichtigstes Instrument gegen die russische Aggression. Die Obama-Regierung lieferte jedoch keine Waffen an die Ukraine, da sie befürchtete, dass dies aussichtslos sei, weil (so das Argument von Obama Sicherheitsberatern) die Russen die „Eskalationsdominanz“ hätten. Die Sanktionen, denen sich die EU anschloss, und der ukrainische Widerstand vor Ort veranlassten Putin, von seinen anfänglichen expansiven Ansprüchen auf weite Teile der Ukraine abzurücken. Putin begann, ließ aber bald seine Ansprüche auf „Noworossija“ fallen – weite Teile der Süd- und Ostukraine, die von Katharina der Großen im späten 18. Jahrhundert erobert worden waren – und akzeptierte sogar das mit Frankreich, Deutschland und der Ukraine ausgehandelte Minsker Abkommen, in dem anerkannt wurde, dass die Teile der ukrainischen Donbass-Region, die faktisch von Russland besetzt waren, in Wirklichkeit ukrainisches Territorium sind.
Doch Putin hatte nicht die Absicht, das Minsker Abkommen einzuhalten, und spätestens Ende 2015 wurde klar, dass Russland den damit verbundenen Verhandlungsprozess nicht ernst nahm. Anstatt zu eskalieren, ließ die Obama-Regierung die Sanktionen unverändert und verzichtete auf eine unmittelbare scharfe Reaktion auf die russische Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen 2016. Die USA hatten ihr Ziel der Annäherung an Russland aufgegeben, es aber nicht vollständig durch eine Politik des Widerstands gegen russische Aggression ersetzt.
Die Russland-Politik unter Präsident Donald Trump war inkonsistent, ja inkohärent. Einerseits hielten fähige Außenpolitikexperten, insbesondere die leitende Direktorin des Nationalen Sicherheitsrats, Fiona Hill, der Europa-Staatssekretär im Außenministerium, Wess Mitchell, und der Finanz-Unterstaatssekretär Sigal Mandelker, den US-Sanktionsdruck auf Moskau aufrecht. Die Trump-Regierung begann sogar, bescheidene Mengen an Waffen an die Ukraine zu liefern (wobei sie deren Platzierung einschränkte). Präsident Trump selbst und viele seiner ideologischen Unterstützer innerhalb und außerhalb der Regierung schienen Putin jedoch als gleichgesinnten starken Mann zu bewundern und betrachteten die Ukraine als politisches Ärgernis, was zu Trumps erstem Amtsenthebungsverfahren führte. Dadurch wurde der Druck der USA auf Putin abgeschwächt.
In der jetzigen Regierung unter Präsident Joe Biden besteht die außenpolitische Führung aus Personen, die in den Debatten der Obama-Regierung nach Putins Einmarsch in der Ukraine auf der härteren Seite gestanden hatten – darunter Außenminister Tony Blinken und Staatssekretärin Victoria Nuland. Dennoch wollte die Biden-Regierung einen Zusammenstoß mit Putins Russland vermeiden und stattdessen „stabile und berechenbare“ Beziehungen anstreben. Das war die Botschaft des Genfer Treffens zwischen Biden und Putin im Juni 2021. Es handelte sich nicht um einen „Reset“ wie bei Obama 2009, sondern um den Versuch, die Beziehungen zwischen den USA und Russland auf einem niedrigen, aber nachhaltigen Niveau zu halten, um sich besser auf die China-Politik konzentrieren zu können. Die Bedingung der USA war bescheiden: Putin sollte von einer Eskalation in der Ukraine absehen.
Wie sich herausstellte, war Putin damit nicht einverstanden. Ohne auch nur einen schwachen Vorwand baute Putin seine Streitkräfte auf, stellte übermäßige (und öffentliche) Forderungen an die USA und die NATO und startete im Februar 2022 eine massive Invasion in der Ukraine. Die Regierung Biden hatte Putin zunächst privat und dann öffentlich davor gewarnt, in die Ukraine einzumarschieren. Als er es dann doch tat, entschied sich das Biden-Team, die Ukraine zu unterstützen, unter anderem durch die Bereitstellung von Waffen (zunächst langsam, vielleicht in der Annahme, dass die Ukraine einem entschlossenen russischen Angriff nicht standhalten könnte). In strategischer Hinsicht beendete die Biden-Regierung die seit Ende der 1980er Jahre verfolgte US-Politik einer Annäherung an Russland. Washington begann, Russland als vollwertigen Gegner zu betrachten.
Der Glaube an eine Kooperationsfähigkeit von Putins Russland war falsch
Es ist leicht, die Unterschiede zwischen der amerikanischen und polnischen Russland-Politik einerseits und dem französischen und deutschen Ansatz andererseits lächerlich zu machen. Während des Kalten Krieges waren die USA im Allgemeinen (aber nicht immer) kantiger gegenüber dem Kreml als Frankreich oder Deutschland, und dieser Unterschied kam in der Haltung gegenüber Russland auch nach Putins Angriff auf die Ukraine 2014 wieder zum Vorschein. Die Franzosen und Deutschen hatten mehr Vertrauen in die Minsker Verhandlungen als gerechtfertigt. Die deutsche Energiepolitik beruhte auf der falschen Überzeugung einer stabilisierenden Wirkung der Abhängigkeit von russischem Gas; die Investition in die Nord-Stream-Gaspipelines statt LNG-Infrastruktur war eine Fehlentscheidung, die von der deutschen Regierung erst spät erkannt wurde.
Nichtsdestotrotz teilten die Regierungen der USA, Frankreichs und Deutschlands jahrelang viele hoffnungsvolle und letztlich falsche Annahmen über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit Putins Russland; alle zögerten, die Schlussfolgerung zu akzeptieren, dass Putin ein gefährlicher und aggressiver Herrscher ist, der in Geist und vielen Taktiken den Diktatoren des 20. Jahrhunderts ähnelt. Wie sich herausstellte, hatten die polnischen Regierungen (ebenso wie die Regierungen der baltischen und anderer osteuropäischer Staaten) mit der vom Kreml ausgehenden Gefahr recht und waren nicht, wie einige westliche Kritiker es herablassend ausdrückten, „russophob“ oder „Gefangene der Geschichte“. Dennoch haben sich Deutschland, Frankreich und die USA dem Widerstand gegen Putins erste Aggression gegen die Ukraine im Jahr 2014 angeschlossen. Keiner akzeptierte Putins Anspruch auf die Ukraine. Die Russlandpolitik der USA, Frankreichs und Deutschlands verlief in etwa parallel und näherte sich der polnischen Einschätzung des Kremls an.
Die deutsche Russlandpolitik ist komplett in Frage gestellt worden, und die Deutschen tun sich schwer mit dem Ausmaß der politischen Neuorientierung, die nötig ist, um angemessen mit Putins Russland umzugehen. Deutschlands Anstrengungen, seine Außenpolitik auf Grund anderer Annahmen über Russland neu auszurichten und eine stärker vorwärts gewandte Rolle in Europa gegen Putins Aggression einzunehmen, sind schmerzhaft und notwendig. Sie sind auch uns Amerikanern vertraut, die wir auch in vergangenen Jahrzehnten mit eigenem politischen Versagen zu kämpfen hatten.
Russland ist ein strategischer Gegner, solange Putin an der Macht ist
Die spekulative Suche einiger in den USA nach einem „Deal“ mit Russland, um es als Partner bei der Bewältigung des Aufstiegs Chinas zu gewinnen, hat zu nichts geführt. Aus gutem Grund. Der Präzedenzfall, der durch Henry Kissingers erfolgreiche Annäherung an Maos China geschaffen wurde, während er gleichzeitig eine Entspannung mit Breschnews Sowjetunion anstrebte, bleibt für einige attraktiv. Ein Interesse an solchen Bemühungen wurde auch Anfangs von vielen in der Trump-Administration (und darüber hinaus) bekundet.
Es wird aber stets problematisch, wenn ein möglicher „Deal“ mit Moskau Gestalt annimmt: Darin ist eigentlich immer eine Anerkennung von Moskaus Vorherrschaft über die Ukraine und Georgien sowie eine Gleichgültigkeit gegenüber Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit innerhalb Russlands enthalten – Bedingungen, die keine US-Regierung, nicht einmal die von Donald Trump, zu akzeptieren bereit war. Ein gewisses stillschweigendes Einvernehmen über die Ukraine wäre vielleicht möglich gewesen, als Janukowytsch in Kiew das Sagen hatte. Die USA hatten seine Wahl akzeptiert, und die ukrainischen NATO-Ambitionen liefen ins Leere.
Und sogar im Vorfeld der aktuellen Phase des russischen Krieges gegen die Ukraine, bot Deutschland an, einen ukrainischen NATO-Beitritt weiterhin zu blockieren, um eine russische Offensive zu verhindern. Das reichte Putin aber nicht, der nicht nur die NATO-Ambitionen, sondern auch die Unabhängigkeit der Ukraine beenden wollte. Unter den derzeitigen Bedingungen ist eine Einigung mit Putin über die Ukraine praktisch unmöglich, wenn man den Krieg und die andauernden Gräueltaten der russischen Streitkräfte bedenkt.
Zudem hat sich Putin auf eine antiamerikanische Strategie festgelegt. Russland und China sehen ein gemeinsames strategisches Ziel darin, die USA und das internationale System, für das sie stehen, zu schwächen. Putin zu einem Kurswechsel zugunsten der USA und auf Kosten Chinas zu bewegen, wäre ein aussichtsloses Unterfangen. Dafür müssten die USA ihre strategische Grundsätze aufgeben und öffentlich Schwäche demonstrieren. Das wäre ein Sieg für Putin, den er weder auf dem ukrainischen Schlachtfeld noch in wirtschaftlicher Hinsicht verdient hat.
Russland ist ein strategischer Gegner und wird von den meisten Regierungen in Europa und den USA, wenn auch mit unterschiedlicher Überzeugung, als solcher gesehen. Daran wird sich nichts ändern, solange Putin an der Macht ist. Die derzeitige US-Regierung hat das deutlich gesagt.
Radikale Linke und Trump-Anhänger hegen Sympathie für Putin
In der US-Politik werden die Ukraine und der Widerstand gegen die russische Aggression von dem, was von der Reagan-Rechten übriggeblieben ist, über die pro-internationalistische Mitte bis hin zu großen Teilen (nicht allen) der Linken unterstützt. In der Linken, wo Widerstand gegen Kreml-Aggression in der Vergangenheit nur zögerlich unterstützt wurde, gibt es jetzt viele, die eine Abneigung gegen Putinismus hegen und die Ukraine unterstützen, ähnlich wie bei vielen Grünen in Deutschland.
Diesem Ansatz widersprechen einige Mitglieder der „harten Linken“, die einen „antiimperialistischen“ Ansatz vertreten, der aus den 1970er Jahren stammt und auf Sympathie für viele (und vielleicht alle) Kräfte hinausläuft, die als zuverlässig antiamerikanisch gelten. Solche Ansichten sind in den USA weder stark noch einflussreich.
Besorgniserregender sind die Ansichten der Trump-Anhänger im rechten Lager, die eindeutig pro-Putin und der Ukraine gegenüber feindlich eingestellt sind. Diese Ansichten, die von Fox-TV-Star Tucker Carlson vertreten werden, erinnern an pro-faschistische Argumente aus den späten 1930er Jahren, die in der amerikanischen Rechten bis zum japanischen Angriff 1941 vorherrschten. Zu diesen einst verbreiteten, heute fast vergessenen, aber von Trump-Kreisen wiederbelebten Ansichten gehört Sympathie für rechtsextreme, nationalistische Machthaber, Feindseligkeit gegenüber dem „kosmopolitischen“ Europa und US-Unterstützung für Europa sowie eine zynische Ablehnung einer wertegeleiteten Außenpolitik, die als Schwächung der eigenen Handlungsfreiheit gesehen wird.
Diese Ansichten überschneiden sich bis zu einem gewissen Grad mit denen eines kleinen, aber einflussreichen Kreises außenpolitischer Denker, von denen einige seriös und wissenschaftlich sind und die für „Realismus und Zurückhaltung“ eintreten, was im Falle Russlands auf die Duldung einer Herrschaftssphäre über die Ukraine und andere Länder hinauszulaufen scheint. Die Schule des „Realismus und der Zurückhaltung“ beruft sich in Verbindung mit der Trumpschen Rechten auf eine Tradition im amerikanischen außenpolitischen Denken, die oft als „Isolationismus“ bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber eine manchmal unilaterale, wertfreie Außenpolitik bedeutet, die auf „transaktionalen“ Beziehungen zu anderen Großmächten beruht.
Mildere Spielarten dieses „realistischen“ Denkens haben die Obama-Regierung beeinflusst, sich aber im Allgemeinen nicht durchgesetzt. Auf die Biden-Regierung hatte diese Schule noch weniger Einfluss, sie gewinnt aber gerade innerhalb der Rechten neue Anhänger. So zeigt der einst Reagan-nahe Think-Tank Heritage Foundation immer mehr Sympathie für Trumps Ansichten und das Quincy Institute propagiert verschiedene Spielarten „realistischen Denkens“ (fairerweise muss man sagen, dass manche realistische außenpolitische Denkweisen beachtliche Erfolge vorweisen können – Brent Scowcroft, der Nationale Sicherheitsberater von Präsident George Bush senior, wandte 1989 bis 1991 viele realistische Tugenden, einschließlich operativer und rhetorischer Zurückhaltung, mit spektakulären Ergebnissen an).
Wenig Gehör für Sanktionsskeptiker in den USA
Die Haltung zu Sanktionen gegen Russland deckt sich oft mit den gerade erörterten Kategorien außenpolitischen Denkens: Die Befürwortung ist allgemein bei denjenigen groß, die die Ukraine unterstützen und Putin ablehnen. Ablehnung überwiegt bei der Trumpschen Rechten, der „realistischen“ Rechten und Mitte sowie bei der harten Linken. Allerdings war die Trump-Regierung begeistert von den Sanktionen gegen Iran, Nordkorea und Venezuela und sogar gegen Russland (allerdings wurde hier ihre Wirkung durch Trumps Sympathie für Putin abgeschwächt).
Die Sanktionsdebatte hat jedoch ihre eigene Dynamik. Einige fürchten, dass übermäßige Sanktionen perverse Anreize für Mächte wie China schaffen, sich vom US-Dollar als internationaler Leitwährung und dem US-dominierten internationalen Finanzsystem zu lösen. Bislang haben diese Argumente jedoch weder in der US-Regierung noch im Kongress großen Anklang gefunden. Der US-Kongress hat sogar auf eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland gedrängt.
Der Widerstand des Westens gegen Putin ist stärker als erwartet
Die USA haben den ukrainischen Widerstand gegen die russische Aggression beharrlich unterstützt. Ob diese Politik Bestand haben wird bei einer russischen Eskalation, bei schweren wirtschaftlicher Verwerfungen etwa im Energiesektor oder im Falle eines Scheiterns der politischen Unterstützung aus Europa, ist eine offene Frage. Allerdings haben sich die USA und Europa seit 2014 hartnäckigen Vorhersagen widersetzt, dass ihre Unterstützung für die Ukraine und ihr Widerstand gegen Putins Russland scheitern würden. Ich würde daher weiter auf den Westen setzen.
Daniel (Dan) Fried is pensionierter US-Diplomat und ein Distinguished Fellow beim Washingtoner Thinktank Atlantic Council. Er hatte in seiner langen Karriere einflussreiche Positionen inne, vor allem im Bezug auf die Russlandpolitik. Zwischen 2005 und 2009 war er Staatssekretär für Europa und Eurasien im US-Außenministerium. Zwischen 2013 und 2017 war er als Chef des US Office of Sanctions Coordination verantwortlich für die Sanktionspolitik der Obama-Regierung gegenüber Russland.
Deutsche Bearbeitung: Nikolaus v. Twickel
Dieses Paper ist im Rahmen des vom Auswärtigen Amt geförderten Projekts „Russland und der Westen“: Europäische Nachkriegsordnung und die Zukunft der Beziehungen zu Russland“ erschienen. Sein Inhalt gibt die persönliche Meinung des Autors wider.
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