Russ­land-Kon­fe­renz in Berlin: „Schwin­dende Freiheiten“

Weil das Regime in Russ­land den Druck auf die Zivil­ge­sell­schaft erhöht, ist diese zu immer mehr Vor­sicht gezwun­gen. Das erschwert gemein­sa­mes Handeln. In Berlin hat sich die Oppo­si­tion auf der vom Zentrum Libe­rale Moderne und Open Russia orga­ni­sier­ten „Juri-Schmidt-Kon­fe­renz“ getrof­fen und zwei Tage lang über neue Stra­te­gien für die Oppo­si­tion diskutiert.

Nicht erst seit der „Wie­der­wahl“ Wla­di­mir Putins zum Prä­si­den­ten im März ist Russ­land zu einem auto­ri­tä­ren Staat gewor­den, in dem Frei­heit und Men­schen­rechte immer mehr unter Druck stehen. Dennoch sind zahl­rei­che Bür­ger­rechts­be­we­gun­gen im Land aktiv, poli­ti­scher Protest for­miert sich schnell und uner­war­tet. Um hand­lungs­fä­hig zu bleiben, müssen sich Akti­vis­ten aber stärker ver­net­zen, auch inter­na­tio­nal. Das ist das Fazit der Kon­fe­renz „Men­schen­rechte, Frei­heit und Gerech­tig­keit“, die das Zentrum Libe­rale Moderne ver­gan­gene Woche mit Michail Cho­dor­kow­skis Bewe­gung „Open Russia“ in Berlin veranstaltete.

Das zwei­tä­gige Treffen mit rund 50 Teil­neh­mern, dar­un­ter etwa 35 Men­schen­rechts-Akti­vis­ten und Anwälte aus Russ­land, fand in Geden­ken des 2013 gestor­be­nen Juri Schmidt statt, einer der pro­mi­nen­tes­ten Anwälte für poli­tisch Ver­folgte, der als Ver­tei­di­ger Cho­dor­kow­skis inter­na­tio­nal bekannt gewor­den ist.

Cho­dor­kow­ski selbst machte ein­gangs deut­lich, wo das Problem liegt: Bei den lan­des­wei­ten Anti-Putin-Pro­tes­ten vom 5. Mai unter dem Motto „Er ist für uns kein Zar“ wurden mehr als 1.600 Men­schen fest­ge­nom­men, gegen Hun­derte Demons­tran­ten wird seitdem pro­zes­siert. Die harte Reak­tion des Staates führt unwei­ger­lich zu einer Radi­ka­li­sie­rung seiner Gegner, warnte der 2013 nach zehn Jahren Haft frei­ge­las­sene Ex-Ölmagnat.

Das Ziel von „Open Russia“, betonte Cho­dor­kow­ski, sei nicht, Putin durch einen „guten Zaren“ zu erset­zen. Viel­mehr brauche Russ­land starke demo­kra­ti­sche Insti­tu­tio­nen. Das Staats­ober­haupt sollte, ähnlich wie in Deutsch­land, ledig­lich reprä­sen­ta­tive Funk­tion haben.

Während der Kon­fe­renz dis­ku­tier­ten Exper­tin­nen und Akti­vis­ten, wie sie trotz immer enger wer­den­der Hand­lungs­spiel­räume in Russ­land noch wir­kungs­voll arbei­ten können.

Zweck­op­ti­mis­mus ange­sichts wach­sen­den Drucks des Staates

Viele Redner übten sich in Zweck­op­ti­mis­mus. Ein Akti­vist, der unter großem Druck durch die Geheim­dienste steht und deshalb nament­lich nicht genannt werden kann, wies auf das Paradox hin, dass Putin in offi­zi­el­len Mei­nungs­um­fra­gen zwar 80 Prozent Zustim­mung errei­che, zugleich aber 80 Prozent der Meinung seien, dass ihr Land einen fun­da­men­ta­len Wandel brauche. Russ­lands Bevöl­ke­rung traue weder denen, die derzeit an der Macht sind, noch den Oppo­si­tio­nel­len, die sie ablösen könnten. Deshalb müssten zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen das Vakuum füllen.

Die Jour­na­lis­tin Maria Eismont plä­dierte dafür, trotz der bedräng­ten Lage zuver­sicht­lich zu bleiben. Die rus­si­sche Zivil­ge­sell­schaft sei gefes­tigt aus den großen Pro­tes­ten von 2011/​2012 her­vor­ge­gan­gen. Ein Bei­spiel dafür sei, dass sich nach den Mas­sen­fest­nah­men vom 5. Mai spontan zahl­rei­che Juris­ten mel­de­ten, um ange­klagte Akti­vis­ten zu verteidigen.

Jew­ge­nija Tschi­ri­kowa, die an der Spitze einer öko­lo­gi­schen Bewe­gung 2010 den Bau eines Auto­bahn­ab­schnitts durch einen Wald bei Moskau ver­hin­derte, verwies auf die gewach­sene Zahl von Bür­ger­initia­ti­ven in Russ­land. Als Beleg nannte sie den im März begon­ne­nen Auf­stand gegen eine Müll­de­po­nie in Wolo­ko­lamsk, west­lich von Moskau.

Weil aber der Druck des Staates vor­aus­sicht­lich weiter wachsen wird, ist es wichtig, dass die zivil­ge­sell­schaft­li­chen Gruppen zusam­men­ar­bei­ten. Denn anders als in der Politik, wo Kon­kur­renz­kampf dazu­ge­höre, sei es kon­tra­pro­duk­tiv, wenn Men­schen­rechts­ak­ti­vis­ten gegen­ein­an­der arbei­ten, resü­mierte Polina Nemi­rows­kaja, die bei „Open Russia“ das Thema Men­schen­rechte koordiniert.

Der Ber­li­ner Richter und Spre­cher der Amnesty-Län­der­gruppe Russ­land, Peter Franck, for­derte eine stär­kere Unter­stüt­zung aus Deutsch­land und ver­bün­de­ten Ländern: Der Westen dürfe nicht zulas­sen, dass rus­si­sche Akti­vis­ten durch ihren Staat zuneh­mend iso­liert werden, und zwar von der eigenen Gesell­schaft sowie von ihren aus­län­di­schen Part­nern. „Es ist wichtig zu zeigen, dass Russ­land mehr ist als nur eine Masse von Putin-Wählern,“ sagte Franck.

Ein inter­na­tio­na­ler Aus­tausch ist auch deshalb wichtig, weil sich auto­ri­täre, anti­de­mo­kra­ti­sche Regie­run­gen derzeit welt­weit aus­brei­ten, im Falle Ungarns, Polens und Ita­li­ens sogar inner­halb der Euro­päi­schen Union, argu­men­tiert „Libe­rale Moderne“-Geschäftsführer Ralf Fücks. Russ­land sei kein Son­der­fall, sondern Speer­spitze einer anti­li­be­ra­len Inter­na­tio­nale. Es brauche deshalb eine grenz­über­schrei­tende Allianz der Demokraten.

Inter­na­tio­nal waren auch die Themen der anderen drei „Runden Tische“ der Kon­fe­renz – Tech­no­lo­gie, Euro­pa­rat und Asylrecht.

Bringt das Inter­net Heil oder Unheil?

Das Inter­net hat sich in den letzten Jahren vom Heils­brin­ger zum Unheils­brin­ger gewan­delt: Russ­land steht im Ver­dacht, auf sozia­len Netz­wer­ken Stim­mung gegen Kri­ti­ker und ein­zelne Poli­ti­ker und Par­teien zu machen, und zwar nicht nur bei sich zu Hause, sondern auch in Europa und den USA.

Der rus­si­sche IT Experte Anton Mer­kurov argu­men­tierte, dass die Online-Tech­no­lo­gie „neutral“ ist, weil sie ebenso von den Staats­or­ga­nen wie von den Bürgern bezie­hungs­weise der Oppo­si­tion genutzt werden könne.

Dagegen meinte der Jour­na­list und Kor­rup­ti­ons­auf­de­cker David Craw­ford, dass für ihn der „Kampf ums Inter­net“ ver­lo­ren ist. Viele seiner Artikel tauch­ten in Such­ergeb­nis­sen nur ganz unten auf, während Kra­wall­ar­ti­kel und gelenkte Infor­ma­tio­nen im Netz domi­nie­ren. Craw­ford, der für das Recher­che­kol­lek­tiv Cor­rec­tiv arbei­tet, sagte aber auch, dass es bei Ent­hül­lun­gen wichtig sei, das auf­zu­de­cken, was nicht im Inter­net steht.

Jörn Pohl, Büro­lei­ter des Grünen-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten Kon­stan­tin von Notz, ver­tei­digte das Inter­net, räumte aber ein, dass das Netz von auto­ri­tä­ren Staaten zur Über­wa­chung von Anders­den­ken­den und für Pro­pa­gan­da­zwe­cke ver­wen­det wird. Den jüngs­ten Angriff auf den Deut­schen Bun­des­tag (für den die Bun­des­re­gie­rung Russ­land ver­ant­wort­lich macht) nannte er „ziem­lich verheerend“.

Pohl for­derte eine Aus­wei­tung von Sicher­heits­maß­nah­men wie Email-Ver­schlüs­se­lung und das Anony­mi­sie­rungs­netz­werk Tor, um zivil­ge­sell­schaft­li­che Gruppen zu schüt­zen. Eine Impres­sums­pflicht für Social-Media-Konten führe zu mehr Trans­pa­renz und Rechts­si­cher­heit. „Die Frage ist, was schüt­zens­wer­ter ist – Men­schen­rechte oder die Frei­heit des Inter­nets“, sagte er.

In Ländern wie Russ­land reicht das wohl nicht. Der Anwalt Wadim Poro­cho­row, der die Familie des ermor­de­ten Oppo­si­ti­ons­füh­rers Boris Nemzow ver­tritt, wies darauf hin, dass es darauf ankommt, wer die Tech­no­lo­gie kon­trol­liert. So seien von den töd­li­chen Schüs­sen auf Nemzow im Februar 2015 vor der Kreml­mauer keine Video­auf­zeich­nung auf­ge­taucht, obwohl an dem Ort alles rund um die Uhr gefilmt wurde.

Das Resümee kam hier von Marie­luise Beck: „Die Technik ist viel­leicht neutral, das Inter­net, ein selbst­be­stimm­tes System in einem sozi­al­po­li­ti­schen Umfeld, ist es aber nicht,“ sagte die „Libe­rale Moderne“-Mitgründerin und lang­jäh­rige Grünen-Bundestagsabgeordnete.

Der Euro­pa­rat und Russ­land: Ein Dilemma?

Kniff­li­ger war dann das nächste Thema: Soll Russ­land im Euro­pa­rat bleiben oder aus­ge­schlos­sen werden? 2014 wurde Moskau wegen der Krim-Anne­xion und des mili­tä­ri­schen Ein­grei­fens in der Ost­ukraine das Stimm­recht in der Par­la­men­ta­ri­schen Ver­samm­lung des Rates (PACE) entzogen.

Was weiter gesche­hen soll ist für Beck ein „klas­si­sches Dilemma“: Juri Schmidt habe stets vor einem Raus­wurf Russ­lands gewarnt, weil dann rus­si­schen Staats­bür­gern der Zugang zum Euro­päi­schen Men­schen­rechts­ge­richts­hof in Straß­burg, der Teil des Euro­pa­rats ist, ver­wehrt wäre.

Auf der anderen Seite dränge Moskau in den laufen Ver­hand­lun­gen über eine Stimm­rechts-Rück­gabe auf eine weitere Senkung der Stan­dards und droht zudem, seine Bei­trags­zah­lun­gen ein­zu­frie­ren. Beck kon­sta­tierte eine bereits länger andau­ernde Erosion des Euro­pa­rats, vor allem der Par­la­men­ta­ri­schen Ver­samm­lung, wo illi­be­rale Staaten wech­selnde Mehr­hei­ten bilden. Ein wei­te­rer Ein­schnitt erfolgte im Dezem­ber 2015, als Putin ein Gesetz unter­zeich­nete, das dem rus­si­schen Ver­fas­sungs­ge­richt das Recht gibt, die Umset­zung ein­zel­ner Urteile der Straß­bur­ger Richter abzulehnen.

Deut­li­che Kritik an Moskau übte Susan Stewart von der Stif­tung Wis­sen­schaft und Politik (SWP). Sie verwies darauf, dass die Urteile des Men­schen­rechts­ge­richts­hofs keine Ände­rung des rus­si­schen Rechts­sys­tems bewirkt hätten: „Sie zahlen, aber die Gründe für die Ver­fah­ren (und Ver­ur­tei­lun­gen) bleiben bestehen,“ sagte Stewart. Die Tat­sa­che, dass sich die Men­schen­rechts­lage seit 2014 sehr stark ver­schlech­tert, vor allem auf der annek­tier­ten Krim, ist für Stewart ein wei­te­rer Beleg dafür, dass Russ­land seinen Mit­glieds­pflich­ten nicht nach­kom­men will.

Ein pas­sio­nier­tes Plä­doyer gegen einen Aus­schluss Russ­lands kam dagegen von Andrei Babusch­kin vom Men­sch­rechts­rat beim rus­si­schen Prä­si­den­ten. Babusch­kin, der Vor­sit­zen­der der NGO Komitee für Bür­ger­rechte ist, warnte, dass damit zahl­rei­che posi­tive Folgen der Euro­pa­rats­mit­glied­schaft Russ­lands in Frage gestellt würden, etwa eine Abnahme der Miss­hand­lungs­fälle in Poli­zei­ge­wahr­sam oder Ver­bes­se­run­gen im Strafvollzug.

Ekke­hard Maaß von der Deutsch-Kau­ka­si­schen Gesell­schaft erin­nerte daran, dass der Euro­pa­rat prak­tisch das einzige Instru­ment ist, um gegen Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen in Tsche­tsche­nien vor­zu­ge­hen. Die Kau­ka­sus­re­pu­blik sei unter Macht­ha­ber Ramsan Kadyrow zu einem rechts­freien Raum inner­halb Russ­lands geworden.

Im Anschluss gab Fücks Babusch­kin recht, wies aber auf die Gefahr der Auf­wei­chung der Euro­pa­rats-Prin­zi­pien hin: „Die Krim und die Ost­ukraine sind eben keine Kava­liers­de­likte, die man über­ge­hen kann, sondern gehen an die Sub­stanz,“ sagte er. Wenn man Russ­land nicht vor die Tür des Euro­pa­rats setzen wolle, um den anti­eu­ro­päi­schen Kräften im Land nicht Auf­trieb zu geben, müsse es andere Formen von Sank­tio­nen geben, mit denen die demo­kra­ti­schen Staaten dem Kreml signa­li­sie­ren: Bis hierher und nicht weiter.

Während der Kon­fe­renz wurde aber nicht nur über Russ­land geredet. Marie­luise Beck betonte mehr­fach, dass auch Deutsch­land Pro­bleme berei­tet. In vie­ler­lei Hin­sicht ähnelte das Ver­hält­nis Berlins zu Moskau dem des „Ko-Alko­ho­li­kers zum Alko­ho­li­ker“, sagte sie. Statt zu fragen, wie man den Pati­en­ten aus seiner Sucht raus­ho­len kann, erreicht der Ko-Alko­ho­li­ker das Gegen­teil, indem er das System (gemeint ist das System Putin) am Leben erhält. „Viele in Deutsch­land wollen nicht sehen, was sie sehen können“.

Ihr Fazit: Es dürfe nicht sein, dass ein auto­ri­tä­res, reak­tio­nä­res und natio­na­lis­ti­sches Russ­land aus Deutsch­land unter­stützt wird.

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