Putin plant einen langen Krieg. Sind wir vorbereitet?

Fotos: Tobias Kunz /​ LibMod

Während sich Wla­di­mir Putin für einen langen Krieg rüstet, prägen Unei­nig­keit und Zögern die west­li­che Politik. Auf unserer dies­jäh­ri­gen Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“ wurde ein­dring­lich für eine neue euro­päi­sche Russ­land-Politik plä­diert. Gefor­dert wurde eine Dop­pel­stra­te­gie, die sowohl einen mili­tä­ri­schen Sieg der Ukraine ermög­licht als auch einen lang­fris­ti­gen Wandel in Russ­land befördert.

Die Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“ ist Teil unseres Expert Network Russia. Weil sie unter Chatham House Regeln abge­hal­ten wurde, sind Zitate nicht zugeordnet.

Lesen Sie den Bericht über die öffent­li­che Abend­ver­an­stal­tung hier.

Lesen Sie die per­sön­li­che Nach­lese von Ralf Fücks hier.

Im dritten Jahr des umfas­sen­den Krieges Russ­lands gegen die Ukraine fällt die Zwi­schen­bi­lanz der „Zei­ten­wende“ gemischt aus:  Der rus­si­sche Macht­ha­ber Wla­di­mir Putin kann keine großen Erfolge vor­wei­sen, während sich die Ukraine – für viele über­ra­schend – mit west­li­cher Hilfe mili­tä­risch behaup­ten konnte. Das Land bezahlt dafür aber einen hohen Preis. Die Unter­stüt­zung des Westens ist gemes­sen an der Rea­li­tät des Krieges und seiner Bedeu­tung für die euro­päi­sche Nach­kriegs­ord­nung immer noch zu wenig und kommt zu spät. Zwi­schen den west­li­chen Regie­run­gen gibt es Dif­fe­ren­zen darüber, wie weit die Unter­stüt­zung der Ukraine gehen soll. Gleich­zei­tig herr­schen Unklar­heit über den stra­te­gi­schen Umgang mit Russ­land und die Kon­tu­ren einer euro­päi­schen Sicher­heits­ord­nung nach dem Krieg.

Portrait von Maria Sannikova-Franck

Maria San­ni­kova-Franck leitet das Russ­land-Pro­gramm am Zentrum Libe­rale Moderne.

In diesem dra­ma­ti­schen Rahmen debat­tier­ten knapp 100 Exper­tin­nen und Exper­ten auf der dies­jäh­ri­gen Kon­fe­renz „Russ­land und der Westen“ unter dem Titel „Was auf dem Spiel steht“ über die Zukunft der deut­schen und west­li­chen Russlandpolitik.

Russ­lands innere Ver­fas­sung: Vor­be­rei­tung für einen langen Krieg

In der Dis­kus­sion über die innere Ver­fas­sung Russ­lands wurde deut­lich: Putin berei­tet sich auf einen langen Krieg vor, indem er dafür die poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Vor­aus­set­zun­gen schafft.

Ein kleiner kri­ti­scher Teil der rus­si­schen Gesell­schaft ist mit der Politik des Kremls und dem Krieg nicht ein­ver­stan­den, und macht seinem Unmut unter großem Risiko von Zeit zu Zeit Luft – etwa bei öffent­li­chen Trau­er­be­kun­dun­gen für Alexej Nawalny oder durch die öffent­li­che Unter­stüt­zung der (letzt­lich nicht zuge­las­se­nen) Prä­si­dent­schafts­be­wer­ber Boris Nad­jesch­din und Jeka­te­rina Dunzowa, die eine begrenzte Anti­kriegs­agenda vertraten.

Die Mehr­heit unter­stützt jedoch wei­ter­hin das Regime und seinen Krieg gegen die Ukraine. Wie aktiv diese Unter­stüt­zung in der stark ato­mi­sier­ten und von Repres­sio­nen ein­ge­schüch­ter­ten Gesell­schaft ist, bleibt offen. Von Begeis­te­rung kann jeden­falls keine Rede sein: Bereits fünf Mal musste die Regie­rung in den letzten zwei Jahren den Sold erhöhen, um genü­gend Sol­da­ten zu finden.

Und um eine Gene­ral­mo­bil­ma­chung zu ver­hin­dern, werden gezielt in ein­kom­mens­schwa­chen und sozial benach­tei­lig­ten Gruppen rekru­tiert. Infol­ge­des­sen hat der Krieg eine Umver­tei­lung des Wohl­stands zuguns­ten dieser Gruppen bewirkt. Und weil immer mehr Men­schen vom Krieg wirt­schaft­lich pro­fi­tie­ren, ist Umfra­gen zufolge erst­mals seit den 1990er Jahren der Anteil derer, die die Ver­tei­lung des Wohl­stands in Russ­land als gerecht emp­fin­den, gestiegen.

Das Regime stützt sich zudem auf ver­brei­tete anti­west­li­che Res­sen­ti­ments und ver­stärkt sie. Nachdem der Groß­an­griff auf die Ukraine zunächst als mili­tä­ri­sche Spe­zi­al­ope­ra­tion an der Peri­phe­rie dar­ge­stellt wurde, wird er zuneh­mend als Neu­auf­lage des Großen Vater­län­di­schen Krieges dar­ge­stellt, in dem Russ­land sich gegen den Westen behaup­ten müsse.

Solche Bot­schaf­ten ver­fan­gen sogar bei denen, die dem Kreml kri­tisch gegen­über stehen: Denn sie liefern ein­fa­che Erklä­run­gen und bieten mora­li­sche Ent­las­tung auch für jene, die das Gefühl haben, ihr Land führe einen ver­bre­che­ri­schen Krieg. Außer­dem glauben viele, die den Krieg eigent­lich nicht gut­hei­ßen, dass sich Russ­land jetzt keine Nie­der­lage erlau­ben kann.

Aber Putin setzt weniger auf Sieg als auf Krieg zur Kon­so­li­die­rung seines Regimes. Im März 2024 ließ er sich für weitere sechs Jahre wählen. Die Zusam­men­set­zung der dar­auf­hin neu gebil­de­ten Regie­rung zeigt, dass sich das Regime auf einen langen Krieg ein­stellt und dass Putin weiß, dass dafür wirt­schaft­li­che Mittel nötig sind.

Die Kon­fe­renz­teil­neh­mer waren sich nicht einig, ob die Ablö­sung des lang­jäh­ri­gen Putin-Ver­trau­ten Sergej Schoigu durch den Wirt­schafts­exper­ten Andrej Belous­sow als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter mitten im Krieg ein Zeichen der Stärke oder der Ver­zweif­lung ist:

Die einen argu­men­tier­ten, Putin glaube, dass er einen langen Abnut­zungs­krieg gewin­nen könne: Mit einem Zivi­lis­ten als Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter stärke er seine Posi­tion als Ober­be­fehls­ha­ber und zeige, dass er die wich­ti­gen mili­tä­ri­schen Ent­schei­dun­gen alleine treffe. Belous­sow müsse ihm nur die nötigen Res­sour­cen zur Ver­fü­gung stellen. Dagegen argu­men­tier­ten andere, die Abset­zung Schoi­gus und die damit ein­her­ge­hen­den Ver­haf­tun­gen hoch­ran­gi­ger Beamter im Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­rium seien ein Schritt der Ver­zweif­lung ange­sichts mas­si­ver Probleme.

Einig waren sich aber alle, dass Russ­land, das bereits mehr als acht Prozent seiner Wirt­schafts­leis­tung für mili­tä­ri­sche Zwecke und natio­nale Sicher­heit ausgibt, kurz­fris­tig über genü­gend Res­sour­cen verfügt, um den Krieg fort­zu­set­zen. Die von der erhöh­ten Mili­tär­pro­duk­tion ange­kur­belte rus­si­sche Wirt­schaft könne auch dank hoher Ein­nah­men aus dem Ölge­schäft die Folgen der Sank­tio­nen kurz­fris­tig verkraften.

Mittel- und lang­fris­tig werden sich die Pro­bleme jedoch ver­schär­fen. Schon jetzt machen sich ein ekla­tan­ter Arbeits­kräf­te­man­gel und das Fehlen west­li­cher Tech­no­lo­gien bemerk­bar. Die Hin­wen­dung zu China, das bisher wich­tige Gas-Impor­teure wie Deutsch­land und die EU erset­zen sollte, funk­tio­niert nicht wie geplant. Peking nutzt Moskaus ein­sei­tige Abhän­gig­keit, um die Preise zu drücken.

Erwar­tet wird, dass stei­gende Mili­tär­aus­ga­ben zu Kür­zun­gen bei den Sozi­al­aus­ga­ben führen. Dies wie­derum könne gesell­schaft­li­che Span­nun­gen auf­grund eth­ni­scher, regio­na­ler, sozia­ler oder öko­lo­gi­scher Unge­rech­tig­kei­ten ver­stär­ken. Aber auch die Eliten selbst könnten davon betrof­fen sein.

Die Summe dieser inter­nen Fak­to­ren, ver­stärkt durch die Sank­tio­nen, wird lang­fris­tig die Span­nun­gen im System erhöhen. Jedoch: in abseh­ba­rer Zukunft könnte nur eine Nie­der­lage Russ­lands in der Ukraine den Weg für einen Wandel ebnen.

Sank­tio­nen brau­chen Entschlossenheit

Die Dis­kus­sion um die Sank­ti­ons­po­li­tik des Westens verlief weitaus weniger kon­tro­vers. Prak­tisch alle Kon­fe­renz­teil­neh­mer waren sich einig, dass alle Maß­nah­men gegen die rus­si­sche Kriegs­wirt­schaft ver­schärft bzw. ver­bes­sert werden müssen. Der Westen könne und müsse hier handeln, weil er deut­lich stärker sei: Allein den EU-Staaten wird für 2024 eine Wirt­schafts­leis­tung von 19 Bil­lio­nen US-Dollar pro­gnos­ti­ziert, fast zehnmal so viel wie Russ­lands 2 Bil­lio­nen. „Wirt­schaft­lich sind wir stärker, aber leider sind wir nicht ent­schlos­se­ner“, lautete eine Schluss­fol­ge­rung. Deut­lich wurde, dass große Hoff­nun­gen auf ein Embargo für rus­si­sches Flüs­sig­gas (LNG) und auf Anle­ge­ver­bote für rus­si­sche Öltan­ker in der EU ruhen.

Viele Redner for­der­ten, die in Europa lie­gen­den 200 Mil­li­ar­den Dollar ein­ge­fro­re­nen rus­si­schen Zen­tral­bank­ver­mö­gens endlich der Ukraine zu geben – und zwar nicht bloß die Zins­er­träge. Wenn man das Geld schon ein­ge­fro­ren habe, dürfe man es juris­tisch auch nehmen, lautete das Haupt­ar­gu­ment, das der Rechts­experte Patrick Hei­ne­mann bereits in einem Beitrag für unser Dossier „Sank­tio­nen“ for­mu­liert hatte. Mit Blick auf die­je­ni­gen (die Bun­des­re­gie­rung und die Euro­päi­sche Zen­tral­bank), die das als „zu riskant“ ablehn­ten, stellte ein Dis­kus­si­ons­teil­neh­mer die Frage, warum denn die Lie­fe­rung von Waffen an die Ukraine dann weniger riskant sei.

Ele­mente einer neuen euro­päi­schen Russland-Politik

Derzeit tut sich der Westen aber schwer, die not­wen­di­gen Res­sour­cen für einen ukraini­schen Sieg zu mobi­li­sie­ren. Ein Grund dafür sahen mehrere Teil­neh­mer darin, dass dem Westen derzeit eine Stra­te­gie für den Umgang mit Russ­land fehlt. Sie warnten, dass jede Ver­ein­ba­rung mit dem der­zei­ti­gen Regime zwangs­läu­fig bedeu­tet, dem Kreml auf Kosten der Ukraine Zuge­ständ­nisse zu machen. Statt­des­sen sollte der Westen auf einen Sieg der Ukraine hin­ar­bei­ten und dem Land alles geben, was es dazu braucht. Gleich­zei­tig sollten wir das Aggres­si­ons­po­ten­tial des Kremls durch eine Kom­bi­na­tion aus mili­tä­ri­scher Abschre­ckung und Ein­däm­mung dau­er­haft minimieren.

Die Kon­fe­renz­teil­neh­mer waren sich einig, dass das Putin-Regime das Haupt­hin­der­nis für einen nach­hal­ti­gen Frieden in Europa und für demo­kra­ti­sche Refor­men in Russ­land ist. Der rus­si­sche Macht­ha­ber macht keinen Hehl daraus, dass er den Krieg gegen die Ukraine als Teil einer langen inter­na­tio­na­len Aus­ein­an­der­set­zung sieht. Deren Ziel ist es, den Westen zu schwä­chen und die regel­ba­sierte libe­rale Ordnung, die als Vor­macht des Westens ver­stan­den wird, zu unter­gra­ben. Dabei agiert Russ­land nicht allein, sondern in einer Allianz mit dem Iran und China.

Die libe­ra­len Demo­kra­tien werden in dieser Aus­ein­an­der­set­zung zusam­men mit der Ukraine gewin­nen oder ver­lie­ren. Ein Sieg des Kremls hätte kata­stro­phale Folgen für die Zukunft inter­na­tio­na­len Ordnung.

Des­we­gen braucht der Westen, wenn er bestehen will, sowohl eine Stra­te­gie für einen Sieg und Wie­der­auf­bau der Ukraine als auch eine lang­fris­tige Russ­land-Stra­te­gie, die über eine Schwä­chung des Regimes hinaus eine Trans­for­ma­tion des Landes zum Ziel hat. Auch wenn das derzeit nicht wahr­schein­lich scheint, sollte jede Mög­lich­keit genutzt werden, um einen Wandel Russ­lands hin zu mehr Offen­heit zu erzielen.

Als mög­li­che Ele­mente einer solchen Stra­te­gie wurden genannt:

  • Die inter­na­tio­nale Iso­lie­rung des Kremls vorantreiben.
  • Den Druck der Sank­tio­nen erhöhen.
  • Moskau für seine Kriegs­ver­bre­chen in der Ukraine zur Rechen­schaft ziehen – etwa mittels einer neuen Initia­tive für ein Son­der­tri­bu­nal für das Ver­bre­chen der Aggression.
  • Eine Sta­bi­li­sie­rung der Länder in der gemein­sa­men öst­li­chen Nachbarschaft.
  • Eine Per­spek­tive für ein post­im­pe­ria­les Russ­land eröff­nen. Nur für ein Russ­land, das keine Bedro­hung für seine Nach­barn dar­stellt und das Völ­ker­recht respek­tiert, steht die Tür zur Zusam­men­ar­beit offen. Das bedeu­tet heute vor allem die Unter­stüt­zung der demo­kra­ti­schen Oppo­si­tion, der Zivil­ge­sell­schaft und der freien Medien, die die Hoff­nung auf ein anderes Russ­land verkörpern.

Vor allem aber gilt es, die Ukraine mit allem zu unter­stüt­zen, was sie für einen Sieg braucht. Und: Egal wie die US-Prä­si­den­ten­wahl ausgeht, muss eine gerech­tere Las­ten­ver­tei­lung zwi­schen den trans­at­lan­ti­schen Part­nern geschaf­fen werden.


Mit­ar­beit: Niko­laus von Twickel

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