Kubi­lius: Ziel muss sein, die Bedro­hung durch das Kreml-Regime zu verringern

Der frühere litaui­sche Pre­mier­mi­nis­ter Andrius Kubi­lius ist seit 2019 Mit­glied des Euro­päi­schen Par­la­ments. Als Bericht­erstat­ter für Russ­land ist er für die Koor­di­nie­rung der Sank­tio­nen gegen das Putin-Regime und die Unter­stüt­zung der Oppo­si­tion zustän­dig. Wir haben mit Kubi­lius, der im Juni erneut kan­di­diert, über die Wirk­sam­keit der Sank­tio­nen gegen rus­si­sche Eliten gesprochen.

Dieses Inter­view ist Auftakt zu einem Dossier Sank­tio­nen, mit dem wir bis zu unserer Russ­land-Kon­fe­renz am 15. Mai erör­tern wollen, wie die Sank­tio­nen gegen Russ­land ver­schärft werden können.

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Frage: Herr Kubi­lius, der Euro­päi­sche Gerichts­hof hat kürz­lich die gegen die rus­si­schen Mil­li­ar­däre Michail Fridman und seinen Geschäfts­part­ner Petr Aven ver­häng­ten Sank­tio­nen mit der Begrün­dung auf­ge­ho­ben, die EU habe keine aus­rei­chen­den Beweise dafür vor­ge­legt, dass die beiden die Politik des Kremls gegen die Ukraine unter­stützt hätten. Viele haben dies als einen Schlag gegen die euro­päi­sche Sank­ti­ons­po­li­tik bezeich­net. Wie bewer­ten Sie diesen Fall?

Antwort: Zunächst einmal ist dies ein Beweis dafür, dass die EU eine rechts­staat­li­che Orga­ni­sa­tion ist. Eigent­lich könnte das für Russ­land ein gutes Bei­spiel sein. Das Urteil zeigt aber auch, dass Aus­ar­bei­tung und Umset­zung unserer Sank­ti­ons­po­li­tik ver­bes­sert werden müssen. Wir müssen deut­li­cher nach­wei­sen, dass eine Person, die auf der Liste steht, ein­deu­tig gegen unsere Regeln ver­sto­ßen hat. Außer­dem sollten wir unsere Ent­schei­dun­gen zen­tra­ler treffen. Derzeit hängt vieles von den Mit­glied­staa­ten ab. Deshalb habe ich vor­ge­schla­gen, dass wir in der nächs­ten EU-Kom­mis­sion einen eigenen Kom­mis­sar für Sank­tio­nen haben sollten. Viel­leicht können wir dann solche Fehler vermeiden.

F: Wie steht es mit der Ein­füh­rung von mehr Fle­xi­bi­li­tät in das Sank­ti­ons­sys­tem? Offen­bar gab es bisher keinen Fall, in dem Sank­tio­nen auf­ge­ho­ben wurden, nachdem sich eine Person vom Putin-Regime und dem Krieg distan­ziert hatte.

A: Wir haben tat­säch­lich ver­sucht, eine solche For­mu­lie­rung in unseren par­la­men­ta­ri­schen Bericht über Sank­tio­nen auf­zu­neh­men, aber dieser Bericht wurde nun auf die nächste Legis­la­tur­pe­ri­ode ver­scho­ben. Wir hören solche Vor­schläge auch oft von der rus­si­schen Oppo­si­tion. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unser Ziel sein muss, die Bedro­hung durch das der­zei­tige Kreml-Regime zu ver­rin­gern. Eine Mög­lich­keit, dass dieses Regime zusam­men­bricht, könnten Aktio­nen inner­halb oder in der Nähe des Kremls sein, auch von Olig­ar­chen und anderen Mit­glie­dern der Elite.

F: Wie rea­lis­tisch ist es denn, dass füh­rende Regime-Per­sön­lich­kei­ten sich von Putin lossagen?

A: Eine Schwä­chung des Kremls oder ein Regime change sollte unser stra­te­gi­sches Ziel sein. Natür­lich ist es nicht rea­lis­tisch zu erwar­ten, dass in Russ­land etwas wie der Maidan statt­fin­den wird. Ich rechne nicht damit, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird. Erin­nern Sie sich nur an ver­gan­gene Macht­wech­sel in Moskau – Stalin, Chruscht­schow, Bre­sch­new und Gor­bat­schow. Selbst die Pere­stroika wurde vom Kreml eingeleitet!

Aber wenn jemand im oder Nahe beim Kreml bereit ist, die Seite zu wech­seln und nach Mög­lich­kei­ten zu suchen, das Regime zu schwä­chen oder zu demon­tie­ren – dann müssen wir das unter­stüt­zen. Lasst uns mutig sein! Wir reden ja viel darüber, wie wir uns gegen Putin ver­tei­di­gen können. Aber wir reden viel zu wenig über unsere offen­si­ven Mittel – darüber, wie solche Ver­än­de­run­gen (inner­halb Russ­lands) errei­chen können, die dazu bei­tra­gen würden, diesen Krieg zu beenden. Wenn solche Ver­än­de­run­gen zu einer Art Revo­lu­tion führen, wäre das ein großer Erfolg, weil das die Grund­lage für einen dau­er­haf­ten Frieden sein könnte. Wir dürfen nicht ver­ges­sen, dass das auto­ri­täre Kreml-Regime derzeit die größte Bedro­hung für den Frieden in Europa darstellt!

F: In Europa gab es erheb­li­che Dis­kus­sio­nen über die Visa­po­li­tik gegen­über Russ­land. Wie sind da die Erfah­run­gen Litauens?

A: Wir haben unter anderem ein spe­zi­el­les Pro­gramm, das es Wis­sen­schaft­lern aus Belarus ermög­licht, sich in Litauen nie­der­zu­las­sen. Außer­dem stellen wir huma­ni­täre Visa für Ver­tre­ter der poli­ti­schen Oppo­si­tion und der Zivil­ge­sell­schaft sowohl aus Russ­land als auch aus Belarus aus. Die Zahlen sind ziem­lich beein­dru­ckend. Es liegt in unserem natio­na­len Inter­esse, ein nor­ma­les Russ­land und ein nor­ma­les Belarus neben unserem Ter­ri­to­rium zu haben.

F: Und was halten Sie von einem gene­rel­len Visum­ver­bot für Rus­sin­nen und Russen?

A: Wir in Litauen haben Ein­schrän­kun­gen für Tou­ris­mus- und Arbeits­visa aus Russ­land ein­ge­führt. Aber wir stellen wei­ter­hin Visa aus huma­ni­tä­ren Gründen aus. Und für Staats­bür­ger aus Belarus gibt es sogar weiter Arbeits­visa, auch wenn es Beden­ken gibt, weil deren Zahl recht hoch ist.

F: Was ist für die poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger der EU im Moment wich­ti­ger – die Ver­schär­fung der Sank­tio­nen oder die Auf­sto­ckung der Militärhilfe?

A: Aus meiner Sicht ist es die Mili­tär­hilfe. Im Moment ist unsere Mili­tär­hilfe ja so ange­legt, dass wir es der Ukraine ermög­li­chen, den Krieg nicht zu ver­lie­ren. Die Hilfe ist aber noch weit davon ent­fernt, der Ukraine zu helfen, zu gewinnen.

Ver­gan­ge­nes Jahr hat Russ­land etwa 100 Mil­li­ar­den Euro für den Krieg aus­ge­ge­ben, während die Ukraine 80 Mil­li­ar­den aus­ge­ben konnte, die Hälfte davon waren west­li­che Hilfen. Wenn wir wollen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt, sollte unsere Unter­stüt­zung bei etwa 100 Mil­li­ar­den Euro pro Jahr liegen. Aber in einigen west­li­chen Haupt­städ­ten, auch in Berlin, hat man offen­bar Angst davor, was in Russ­land pas­sie­ren wird, wenn das Putin-Regime zusam­men­bricht. Hier brau­chen wir eine euro­päi­sche Stra­te­gie. Ein Sieg der Ukraine ist das wich­tigste Instru­ment, das uns zur Ver­fü­gung steht, um die Mög­lich­keit einer posi­ti­ven Trans­for­ma­tion in Russ­land zu eröffnen!

Die Fragen stellte Niko­laus von Twickel

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