Kubilius: Ziel muss sein, die Bedrohung durch das Kreml-Regime zu verringern
Der frühere litauische Premierminister Andrius Kubilius ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments. Als Berichterstatter für Russland ist er für die Koordinierung der Sanktionen gegen das Putin-Regime und die Unterstützung der Opposition zuständig. Wir haben mit Kubilius, der im Juni erneut kandidiert, über die Wirksamkeit der Sanktionen gegen russische Eliten gesprochen.
Frage: Herr Kubilius, der Europäische Gerichtshof hat kürzlich die gegen die russischen Milliardäre Michail Fridman und seinen Geschäftspartner Petr Aven verhängten Sanktionen mit der Begründung aufgehoben, die EU habe keine ausreichenden Beweise dafür vorgelegt, dass die beiden die Politik des Kremls gegen die Ukraine unterstützt hätten. Viele haben dies als einen Schlag gegen die europäische Sanktionspolitik bezeichnet. Wie bewerten Sie diesen Fall?
Antwort: Zunächst einmal ist dies ein Beweis dafür, dass die EU eine rechtsstaatliche Organisation ist. Eigentlich könnte das für Russland ein gutes Beispiel sein. Das Urteil zeigt aber auch, dass Ausarbeitung und Umsetzung unserer Sanktionspolitik verbessert werden müssen. Wir müssen deutlicher nachweisen, dass eine Person, die auf der Liste steht, eindeutig gegen unsere Regeln verstoßen hat. Außerdem sollten wir unsere Entscheidungen zentraler treffen. Derzeit hängt vieles von den Mitgliedstaaten ab. Deshalb habe ich vorgeschlagen, dass wir in der nächsten EU-Kommission einen eigenen Kommissar für Sanktionen haben sollten. Vielleicht können wir dann solche Fehler vermeiden.
F: Wie steht es mit der Einführung von mehr Flexibilität in das Sanktionssystem? Offenbar gab es bisher keinen Fall, in dem Sanktionen aufgehoben wurden, nachdem sich eine Person vom Putin-Regime und dem Krieg distanziert hatte.
A: Wir haben tatsächlich versucht, eine solche Formulierung in unseren parlamentarischen Bericht über Sanktionen aufzunehmen, aber dieser Bericht wurde nun auf die nächste Legislaturperiode verschoben. Wir hören solche Vorschläge auch oft von der russischen Opposition. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass unser Ziel sein muss, die Bedrohung durch das derzeitige Kreml-Regime zu verringern. Eine Möglichkeit, dass dieses Regime zusammenbricht, könnten Aktionen innerhalb oder in der Nähe des Kremls sein, auch von Oligarchen und anderen Mitgliedern der Elite.
F: Wie realistisch ist es denn, dass führende Regime-Persönlichkeiten sich von Putin lossagen?
A: Eine Schwächung des Kremls oder ein Regime change sollte unser strategisches Ziel sein. Natürlich ist es nicht realistisch zu erwarten, dass in Russland etwas wie der Maidan stattfinden wird. Ich rechne nicht damit, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird. Erinnern Sie sich nur an vergangene Machtwechsel in Moskau – Stalin, Chruschtschow, Breschnew und Gorbatschow. Selbst die Perestroika wurde vom Kreml eingeleitet!
Aber wenn jemand im oder Nahe beim Kreml bereit ist, die Seite zu wechseln und nach Möglichkeiten zu suchen, das Regime zu schwächen oder zu demontieren – dann müssen wir das unterstützen. Lasst uns mutig sein! Wir reden ja viel darüber, wie wir uns gegen Putin verteidigen können. Aber wir reden viel zu wenig über unsere offensiven Mittel – darüber, wie solche Veränderungen (innerhalb Russlands) erreichen können, die dazu beitragen würden, diesen Krieg zu beenden. Wenn solche Veränderungen zu einer Art Revolution führen, wäre das ein großer Erfolg, weil das die Grundlage für einen dauerhaften Frieden sein könnte. Wir dürfen nicht vergessen, dass das autoritäre Kreml-Regime derzeit die größte Bedrohung für den Frieden in Europa darstellt!
F: In Europa gab es erhebliche Diskussionen über die Visapolitik gegenüber Russland. Wie sind da die Erfahrungen Litauens?
A: Wir haben unter anderem ein spezielles Programm, das es Wissenschaftlern aus Belarus ermöglicht, sich in Litauen niederzulassen. Außerdem stellen wir humanitäre Visa für Vertreter der politischen Opposition und der Zivilgesellschaft sowohl aus Russland als auch aus Belarus aus. Die Zahlen sind ziemlich beeindruckend. Es liegt in unserem nationalen Interesse, ein normales Russland und ein normales Belarus neben unserem Territorium zu haben.
F: Und was halten Sie von einem generellen Visumverbot für Russinnen und Russen?
A: Wir in Litauen haben Einschränkungen für Tourismus- und Arbeitsvisa aus Russland eingeführt. Aber wir stellen weiterhin Visa aus humanitären Gründen aus. Und für Staatsbürger aus Belarus gibt es sogar weiter Arbeitsvisa, auch wenn es Bedenken gibt, weil deren Zahl recht hoch ist.
F: Was ist für die politischen Entscheidungsträger der EU im Moment wichtiger – die Verschärfung der Sanktionen oder die Aufstockung der Militärhilfe?
A: Aus meiner Sicht ist es die Militärhilfe. Im Moment ist unsere Militärhilfe ja so angelegt, dass wir es der Ukraine ermöglichen, den Krieg nicht zu verlieren. Die Hilfe ist aber noch weit davon entfernt, der Ukraine zu helfen, zu gewinnen.
Vergangenes Jahr hat Russland etwa 100 Milliarden Euro für den Krieg ausgegeben, während die Ukraine 80 Milliarden ausgeben konnte, die Hälfte davon waren westliche Hilfen. Wenn wir wollen, dass die Ukraine den Krieg gewinnt, sollte unsere Unterstützung bei etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Aber in einigen westlichen Hauptstädten, auch in Berlin, hat man offenbar Angst davor, was in Russland passieren wird, wenn das Putin-Regime zusammenbricht. Hier brauchen wir eine europäische Strategie. Ein Sieg der Ukraine ist das wichtigste Instrument, das uns zur Verfügung steht, um die Möglichkeit einer positiven Transformation in Russland zu eröffnen!
Die Fragen stellte Nikolaus von Twickel
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