Dialog ja, Appease­ment nein

Sasa Dzambic Pho­to­gra­phy /​ Shut­ter­stock

Der rus­si­sche Trup­pen­auf­marsch nahe der Ukraine ver­lei­tet einige, den Kreml mit Zuge­ständ­nis­sen beschwich­ti­gen zu wollen. Doch es braucht das Gegen­teil: poli­ti­sche Klar­heit und mili­tä­ri­sche Abschre­ckung. Denn Putin geht es nicht um die Wahrung der rus­si­schen Sicher­heits­in­ter­es­sen, meint LibMod-Geschäfts­füh­rer Ralf Fücks.

Eine Gruppe alt­ge­dien­ter Diplo­ma­ten und Mili­tärs aus Deutsch­land hat als Reak­tion auf den neu­er­li­chen rus­si­schen Trup­pen­auf­marsch rund um die Ukraine Zuge­ständ­nisse an Moskau gefor­dert. In einem gemein­sa­men Aufruf schla­gen sie eine zwei­jäh­rige Kon­fe­renz in der Tra­di­tion des KSZE-Pro­zes­ses vor, während der keine Schritte in Rich­tung Nato- und EU-Erwei­te­rung statt­fin­den sollen. Der SPD-Poli­ti­ker Gernot Erler, der von 2014 bis 2018 Russ­land-Koor­di­na­tor der Bun­des­re­gie­rung war, hat das Papier gelobt und gefor­dert, wieder in einen Dialog mit Moskau zu treten.

Portrait von Ralf Fücks

Ralf Fücks ist geschäfts­füh­ren­der Gesell­schaf­ter des Zen­trums Libe­rale Moderne.

Mich macht dieses Mantra ratlos. „Für Dialog mit Russ­land“ – ja, wer wäre dagegen? Angela Merkel hatte eine Stand­lei­tung zu Putin, Biden kon­fe­rierte mit ihm, Macron hofiert den Kreml, Russ­land gehört zu den Big 5 im Sicher­heits­rat, ist Mit­glied im Euro­pa­rat und der Orga­ni­sa­tion für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit (OSZE).

Es gibt Städ­te­part­ner­schaf­ten, Kul­tur­aus­tausch, den Ost­aus­schuss der Deut­schen Wirt­schaft, Nord Stream 2 als Mani­fes­ta­tion der deutsch-rus­si­schen Son­der­be­zie­hun­gen, diverse Dia­log­fo­ren, das Nor­man­die-Format zur Mode­ra­tion des Ukraine-Kon­flikts: Kein Mangel an Dialog, nirgends.

Was die Unter­zeich­ner des Aufrufs nicht wahr­ha­ben wollen, ist die stra­te­gi­sche Ent­schei­dung Putins, auf Kon­fron­ta­ti­ons­kurs zu gehen: von der mili­tä­ri­schen Inter­ven­tion in Geor­gien und der Ukraine, der Sta­tio­nie­rung von Atom­ra­ke­ten in Kali­nin­grad bis zum Infor­ma­ti­ons­krieg auf allen Kanälen. Dazu gehört auch, dass der Kreml dem Dialog mit der rus­si­schen Zivil­ge­sell­schaft den Boden ent­zieht, indem er die demo­kra­ti­sche Oppo­si­tion und die kri­ti­sche Öffent­lich­keit Schritt für Schritt unter die Was­ser­li­nie drückt.

Vom Westen „kon­krete Schritte zur Dees­ka­la­tion“ zu fordern, während Putin gerade eine neue mili­tä­ri­sche Droh­ku­lisse gegen die Ukraine aufbaut, stellt die Dinge auf den Kopf. Diplo­ma­tie gegen­über einer aggres­si­ven Macht funk­tio­niert nur auf der Basis von Fes­tig­keit und Stärke.

Das galt auch für Brandts Ent­span­nungs­po­li­tik, auf die sich die „Mehr Dialog“-Befürworter gern berufen. Sie war fest in die Nato ein­ge­bun­den und ließ keinen Zweifel an der Fähig­keit zur Abschre­ckung – nie war der Anteil des Ver­tei­di­gungs­haus­halts höher. Für Helmut Schmidt galt das sowieso. Brandt machte sich keine Illu­sio­nen, dass die Sowjet­union ein Gegner der demo­kra­ti­schen Welt war. Es wäre gut, wenn dieser Rea­lis­mus auch die Außen­po­li­tik der Ampel-Koali­tion prägen würde. Begrenzte Koope­ra­tion, Ein­däm­mung und Abschre­ckung gehören zusammen.

Nichts gegen die Ein­be­ru­fung einer neuen Kon­fe­renz für Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Europa. Aber auf welcher Grund­lage? Sollen die Hel­sinki-Prin­zi­pien und die Charta von Paris noch gelten: Gleiche Sou­ve­rä­ni­tät, Gewalt­ver­zicht, Demo­kra­tie und Men­schen­rechte als Basis der euro­päi­schen Friedensordnung?

Oder sollen wir diese Grund­werte zur Dis­po­si­tion stellen, um den Kreml zu besänf­ti­gen? Zurück nach Jalta, zum Konzert der Groß­mächte, zur Auf­tei­lung exklu­si­ver Ein­fluss­zo­nen und zur „begrenz­ten Sou­ve­rä­ni­tät“ für die Ukraine, Geor­gien, Belarus? Wer das will, soll es sagen.

Das jüngste For­de­rungs­pa­ket des Kremls, das den USA und der Nato vor die Füße gewor­fen wurde, spricht eine klare Sprache. Moskau will eine grund­le­gende Revi­sion der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung. Die Nato-Ost­erwei­te­rung von 2007 soll fak­tisch rück­gän­gig gemacht, die USA aus Europa her­aus­ge­drängt werden.

Ein ver­gif­te­tes Angebot

Moskau rekla­miert eine Sicher­heits­zone in seiner erwei­ter­ten Nach­bar­schaft, aus der sich der Westen her­aus­zu­hal­ten hat. Für die ehe­ma­li­gen sowje­ti­schen Vasal­len­staa­ten in Mittel-Ost­eu­ropa wird ihre Bünd­nis­frei­heit außer Kraft gesetzt, für sie soll wieder das Prinzip der begrenz­ten Sou­ve­rä­ni­tät gelten.

Dieses ver­gif­tete Angebot ist nicht ver­hand­lungs­fä­hig. Es darf kein Zurück hinter 1989/​90 geben, hinter „Europe united & free“. Wenn Russ­land dazu­ge­hö­ren möchte, herz­lich will­kom­men! Solange der Kreml aber ter­ri­to­riale Revi­sion und poli­ti­sches Roll­back betreibt, braucht es poli­ti­sche Fes­tig­keit und mili­tä­ri­sche Stärke des Westens.

Ginge es Putin allein um Sicher­heit für Russ­land, wäre der Kon­flikt relativ leicht lösbar. Gegen­sei­tige Sicher­heits­ga­ran­tien, kon­krete Abrüs­tungs­schritte, ver­trau­ens­bil­dende Maß­nah­men sind im Inter­esse des Westens. Politik und Rhe­to­rik des Kremls sagen aber etwas anderes: es geht um Revi­sion der post­so­wje­ti­schen euro­päi­schen Ordnung und um die Ver­hin­de­rung demo­kra­ti­scher Ver­än­de­rung in Russ­lands Nachbarschaft.

Das ist der Kern der wach­sen­den Span­nun­gen zwi­schen Moskau und dem Westen. Zur „Dees­ka­la­tion“ auf­zu­ru­fen, ohne klar zu benen­nen, was mit dem Kreml ver­han­delt werden kann und was nicht, ver­wischt die Grenze zwi­schen Dialog und Appeasement.

Geschichte wie­der­holt sich nicht. Aber ein paar his­to­ri­sche Lehren kann man doch ziehen: Wer mit Krieg droht, um seine For­de­run­gen durch­zu­set­zen, darf nicht belohnt werden. Ange­sichts des rus­si­schen Säbel­ras­selns braucht es eine klare Bot­schaft an Putin: Jede neu­er­li­che mili­tä­ri­sche Inter­ven­tion gegen die Ukraine wird gra­vie­rende poli­ti­sche und öko­no­mi­sche Kon­se­quen­zen haben.

Die rus­si­sche Führung kann nicht beides haben: Ener­gie­part­ner­schaft mit Europa, Inves­ti­tio­nen zur Moder­ni­sie­rung der rus­si­schen Öko­no­mie, viel­fäl­tige Bezie­hun­gen mit dem Westen und eine aggres­sive mili­tä­ri­sche Machtpolitik.

Ein durch­sich­ti­ges Manöver

Sicher­heit und Zusam­men­ar­beit in Europa basie­ren auf der glei­chen Sou­ve­rä­ni­tät aller Staaten, Gewalt­ver­zicht und fried­li­cher Kon­flikt­lö­sung. Der Kreml will diese nor­ma­tive Ordnung aus­he­beln. Deshalb muss die Sicher­heit der euro­päi­schen Staa­ten­ge­mein­schaft gegen Russ­land gewähr­leis­tet werden.

Das erfor­dert die Fähig­keit zur mili­tä­ri­schen Abschre­ckung und ein gemein­sa­mes poli­ti­sches Handeln von EU und USA. Wenn der Westen sein poli­ti­sches und öko­no­mi­sches Poten­zial in die Waag­schale wirft, können wir Putin allemal in die Schran­ken verweisen.

Das jüngste „Ver­trags­an­ge­bot“ Moskaus ist ein durch­sich­ti­ges Manöver. Lässt sich der Westen darauf ein, führt das zur Erosion der Nato und zur sicher­heits­po­li­ti­schen Spal­tung Europas. Weisen EU und Nato diese Zumu­tung zurück, wächst die Gefahr eines mili­tä­ri­schen Zugriffs des Kremls auf die Ukraine. Dieses Manöver zu durch­kreu­zen, ist die zen­trale Bewäh­rungs­probe für die EU und die trans­at­lan­ti­sche Allianz. Wenn sich der Westen von Putin aus­ein­an­der­di­vi­die­ren lässt, kommt alles ins Rutschen.

 

Dieser Text ist zuerst in der Tages­zei­tung „Welt“ erschie­nen. Eine eng­li­sche Fassung lesen Sie hier.

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