Wie man die Russland-Sanktionen stärker macht
Im dritten Jahr der russischen Vollinvasion der Ukraine ist die Frage nach der Wirksamkeit der Sanktionen gegen Russland dringender denn je: Was kann noch getan werden, um sie wirkungsvoller zu machen? Die Sanktionsexpertin Maria Schagina argumentiert, dass man sich am besten auf den russischen Energiesektor konzentrieren sollte.
Die Sanktionen konnten Russland zwar nicht davon abhalten, in sein souveränes Nachbarland einzumarschieren, sie können aber die Handlungsfreiheit des Kremls einschränken. Die Sanktionspolitik und Exportkontrollen zielen darauf ab, Russlands wirtschaftliche und militärische Optionen einzuschränken und den Kreml zu einer Verhaltensänderung zu zwingen. Dies ist natürlich viel schwieriger als einfach nur Abschreckung, denn es erfordert eine strikte Durchsetzung in den sanktionierenden Ländern und gute multilaterale Zusammenarbeit, damit das Zielland die Maßnahmen nicht mittels Drittländer umgeht.
Heißt das, dass Sanktionen als Mittel der Politik nutzlos sind? Nein, aber sie funktionieren nur mit intelligenter Struktur, robuster Durchsetzung und verstärkter Zusammenarbeit mit der Wirtschaft.
Es gibt einen Bereich, in dem die Beschneidung von Russlands Handlungsmöglichkeiten von entscheidender Bedeutung ist: der Energiesektor. Denn seine Erlöse sind traditionell eine Goldgrube für den russischen Haushalt. In der Vergangenheit stammten etwa 40 Prozent der Staatseinnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Da die russische Wirtschaft auf dem Rücken der Militärausgaben wächst, fließen alle Exporteinnahmen aus dem Energiesektor in den militärisch-industriellen Komplex des Landes.
Um Russlands lukrative Rohstoffwirtschaft ins Visier zu nehmen, führte die G7 2022 den Ölpreisdeckel ein, eine zweigleisige Politik, die Russland ermutigen sollte, die Märkte weiter mit Öl zu versorgen und gleichzeitig seine Haushaltseinnahmen zu senken. Diese Politik war absichtlich langsam angelegt, um die ohnehin angespannten Ölmärkte nicht zu verunsichern, eine Inflationsspirale zu vermeiden und um eine Übererfüllung seitens der Rohstoffhändler zu verhindern.
Anfangs funktionierte diese Preisobergrenze wie beabsichtigt: Sie drückte die russischen Haushaltseinnahmen im Januar 2023 um 40 Prozent und erhöhte gleichzeitig den Abschlag für die Ölsorte Ural auf 40 US-Dollar pro Barrel. Da es aber bei der Durchsetzung haperte, nahm ihre Wirksamkeit ab. Moskau hat sein Rohöl mit Hilfe einer riesigen „Schattenflotte“ und dubioser Versicherungen erfolgreich nach China, Indien und in die Türkei umgeleitet. In der zweiten Hälfte von 2023 verringerten sich die Preisnachlässe auf 14 Dollar pro Barrel, während die Haushaltseinnahmen von 13 auf fast 18 Milliarden Dollar pro Monat stiegen.
Ölpreisdeckel konsequenter durchsetzen
Welche Maßnahmen im Energiebereich sind notwendig, um den Druck zu erhöhen? Erstens ist eine stärkere Durchsetzung des Ölpreisdeckels unerlässlich. Ein strengeres Bescheinigungsverfahren ist von zentraler Bedeutung. Als die G7-Länder Anfang 2024 die Durchsetzung der Preisgrenze verschärften, wurde diese besser eingehalten, was zu einem größeren Abschlag von 18 Dollar pro Barrel führte. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass sich die Länder des Globalen Südens dem Ölpreisdeckel anschließen, seine konsequente Durchsetzung wäre aber ein Anreiz für sie, von Moskau höhere Preisnachlässe zu verlangen, was im Einklang mit der westlichen Sanktionspolitik steht.
Das Dekret der US-Regierung von Joe Biden, ausländische Finanzinstitute für jegliche Beteiligung am russischen Rüstungssektor mit Sekundärsanktionen zu belegen, hat Moskaus Energieexporte zusätzlich belastet. Banken in China, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten haben begonnen, ihre Korrespondenzkonten bei russischen Kreditinstituten zu kündigen, was den internationalen Zahlungsverkehr erschwert. Indien zögerte, russische Ölexporte anzunehmen – alles wegen der Gefahr von Sekundärsanktionen. Obwohl Bidens Dekret nicht auf den Energiesektor abzielt, ist die abschreckende Wirkung da und wirkt sich in monatelangen Zahlungsverzögerungen aus, die Russlands Umgehungsbemühungen erschweren.
Russlands „Schattenflotte“ ins Visier nehmen
Zweitens würden Maßnahmen gegen die so genannte Schattenflotte Moskaus Umgehungsbemühungen einen Riegel vorschieben. Als die US-Regierung begann, Reedereien und Schiffe mit Sanktionen zu belegen, hatte dies sofort Auswirkungen. Die meisten betroffenen Schiffe konnten nicht mehr anlegen oder neue Käufer finden. Die Kapazität der russischen Flotte ist nicht unbegrenzt, so dass die Einleitung von Ermittlungen und die Verhängung hoher Strafen das Risikokalkül selbst für unseriöse Akteure verändern würde. Infolgedessen würde sich die Sanktionsprämie erhöhen, was zu höheren Schifffahrtskosten und geringeren Einnahmen für Russland führen würde.
Was die EU und die USA konkret tun könnten
Drittens kann der Westen weitere Engpässe ausnutzen – Russlands Abhängigkeit von europäischen Häfen für seine Ölexporte und die Verflechtung der USA mit der Flottenregistrierungsbranche. Da der Großteil des russischen Rohöls durch europäische Gewässer transportiert wird, sollten die EU-Länder ihre Anforderungen für eine angemessene und gut kapitalisierte Versicherung der Tanker erhöhen. Dies würde nicht nur den Kreml zwingen, sich wieder auf G7-Versicherungen zu verlassen, sondern auch das Risiko von Umweltkatastrophen verringern.
Auch bei der Registrierung von Schiffen haben die USA einen überproportionalen Einfluss. Russland nutzt zwar aktiv Billigflaggen wie Liberia, Panama und die Marshallinseln, doch deren Management sitzt häufig in den USA, was den US-Behörden die Möglichkeit gibt, Sanktionen gegen sie zu verhängen. Dies ist eine zentrale Schwachstelle für die russische Ölflotte.
Ölpreis weiter unten deckeln
Schließlich sollte der Westen eine Senkung der Preisobergrenze in Erwägung ziehen und die Maßnahmen ausweiten, um das Verbot für russische Energieträger zu vervollständigen. Angesichts steigender Ölpreise muss dringend über einen niedrigeren Preisdeckel nachgedacht werden. Eine Senkung auf 30 Dollar pro Barrel würde Moskaus Haushaltseinnahmen um 49 Prozent verringern. Mit der jetzigen Preisgrenze werden die Einnahmen des Kremls nicht schnell und nachhaltig genug sinken. Eine wirtschaftliche Herausforderung für Russland würde sich erst bei Ölpreisen unter 40 Dollar pro Barrel abzeichnen.
Eine gute Ergänzung zur Ölpreisgrenze wäre ein EU/G7-Verbot von russischem Pipeline-Gas, russischer Kernenergie und russischem Flüssiggas (LNG). Damit würden dem Land nicht nur zukünftige Exporteinnahmen genommen, eine solche Politik stünde auch in engem Einklang mit der Verpflichtung der EU, sich bis 2027 von Russlands fossilen Brennstoffen abzukoppeln.
Maria Schagina ist Diamond-Brown Senior Fellow für Wirtschaftssanktionen beim International Institute for Strategic Studies in Berlin. Zwischen 2017 und 2022 hat sie beim Finnish Institute of International Affairs in Helsinki sowie an der Universität Zürich geforscht. Sie hat an der Universität Luzern in Politikwissenschaften promoviert.
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