Für Umweltschutzorganisationen in Russland wird die Luft dünn
Seit dem Überfall auf die Ukraine haben die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft in Russland eine neue Dimension erreicht. Das hat bittere Folgen für die Arbeit von NGOs, auch im Bereich Umweltschutz, wie die Journalistin Angelina Davydova erklärt.
Nach Russlands Überfall auf die Ukraine haben die Repressionen im Land neue Dimensionen erreicht. Viele Aktivistinnen und Experten sind geflohen, aber es gibt noch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) die versuchen, unter den neuen politischen und wirtschaftlichen Bedingungen zu überleben.
Das politische Klima für zivilgesellschaftliche Organisationen in Russland war schon vor dem 24. Februar nicht besonders günstig: Der Druck auf NGOs, Aktivisten und Journalistinnen hatte in den letzten Jahren stetig zugenommen. Aber in den letzten knapp drei Monaten hat sich eine Atmosphäre der Angst und Unterdrückung breitgemacht.
Neue Gesetze, die die öffentliche Meinungsäußerung, auch in sozialen Medien, massiv einschränken – etwa das Gesetz über „Fake-News“ oder die „Diskreditierung der russischen Armee“ – haben politische Äußerungen sowohl für Einzelpersonen als auch für Organisationen erheblich erschwert. All dies geschieht in einer Zeit, in der kritische Medien und Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter verboten werden und nur mittels VPN-Technik zugänglich sind, während einige lokale Medien komplett geschlossen wurden.
Schläge, Misshandlungen und Geldstrafen
Bei Protesten gegen den Krieg, die vor allem in den ersten Tagen der Invasion stattfanden, wurden nach Zählung der Menschenrechtsorganisation OWD-Info seit dem 24. Februar landesweit mehr als 15.000 Menschen festgenommen. Viele von ihnen wurden geschlagen, misshandelt und per Verwaltungsgerichtsverfahren zu Geldstrafen verurteilt. Darüber hinaus wurden mehrere Demonstranten wegen strafrechtlicher Verstöße angeklagt und inhaftiert.
In den letzten Wochen waren die meisten Proteste Einzelaktionen, wobei künstlerische Performances und Aktionen der feministischen Antikriegsbewegung die sichtbarsten waren. Menschenrechtsorganisationen wie OWD-Info und Apologia zählen Fälle von Verhaftungen, Misshandlungen und anderer Übergriffe, während sie Betroffene informieren, kostenlose Rechtshilfe sowie Sicherheits-Schulungen durchführen. Lokale Unterstützungsgruppen helfen Inhaftierten mit Lebensmitteln, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Dingen, während per Crowdfunding Geld für die Zahlung von Verwaltungsstrafen gesammelt wird.
Repressionen auch gegen unpolitische Organisationen
Die Beschränkungen haben natürlich direkte Auswirkungen auf die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen im Land. Viele NGO-Mitglieder sind wegen ihrer Antikriegshaltung persönlich ins Visier geraten. Einige von ihnen wurden eingesperrt, während bei anderen Hausdurchsuchungen stattfanden.
So hat Ilja Fominzew, Direktor der in der Krebsprävention tätigen Stiftung „Nenaprasno“ („Nicht umsonst“) Russland verlassen, nachdem er wegen Teilnahme an einem Straßenprotest festgenommen wurde und Beamte versuchten, seine Wohnung zu durchsuchen. Und das ist kein Einzelfall: Tausende Russinnen und Russen, die sich gegen den Krieg engagieren, haben seit Februar das Land verlassen. Wegen Sicherheitsbedenken sind nicht alle von ihnen bereit, öffentlich zu sprechen oder ihren derzeitigen Aufenthaltsort bekannt zu geben.
Natürlich können nicht alle NGOs Russland jetzt verlassen. Viele von ihnen leisten essentielle soziale, medizinische und rechtliche Hilfen für die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen. Für die Organisationen, die noch in Russland sind, sind die Arbeitsbedingungen aber viel schwieriger geworden. Neben direktem politischen Druck stehen viele NGOs vor ernsthaften finanziellen Problemen. Russlands Ausschluss aus SWIFT bedeutet, dass Überweisungen internationaler Geldgeber nicht mehr stattfinden. Darüber hinaus gibt es bei vielen Spenden- und Crowdfunding-Programmen innerhalb Russlands technische Probleme und Spenden von Unternehmen und Privatpersonen gehen zurück.
Berichten zufolge sind die Spendeneinnahmen einiger NGOs seit Kriegsbeginn um fast ein Drittel zurückgegangen. Diejenigen, die im Bereich medizinischer Hilfe arbeiten, haben auch mit steigenden Preisen und/oder Defiziten an außerhalb Russlands hergestellten Arzneimitteln zu kämpfen.
Zusätzlich zu den politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen werden viele in Russland tätige zivilgesellschaftliche Organisationen in naher Zukunft vor zahlreichen ethischen Entscheidungen stehen. Ihre Möglichkeiten, Anti-Kriegs-Positionen zum Ausdruck zu bringen, sind jetzt schon sehr begrenzt; möglich ist aber, dass von ihnen erwartet wird, die Agenda der Regierung zu unterstützen. Dies muss nicht in Form einer direkten Unterstützung des Krieges geschehen, es reicht, die Rhetorik zu unterstützen, dass Russland nun die Beziehungen zu „unfreundlichen“ Ländern abbricht und alle zusammen nun den wirtschaftlichen, sozialen und zivilen Sektor wieder aufbauen müssen.
Aussagen, dass alle Anstrengungen (einschließlich der Zivilgesellschaft) gebündelt gehören, um westlichen wirtschaftlichen Druck standzuhalten und der Bevölkerung soziale Hilfe zukommen zu lassen, waren in den letzten Wochen in der russischen Innenpolitik häufig zu hören – auch auf regionaler und kommunaler Ebene, wo viele im Sozialbereich tätige NGOs mit den Behörden zusammenarbeiten. Einige NGOs haben bereits berichtet, dass sie in ihrer Kommunikation mit lokalen Behörden auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie auf europäische oder US-amerikanische Erfahrungen verweisen. Der Abbruch der Beziehungen Russlands zum Westen und die Unterstützung der isolationistischen Agenda werden auch dazu führen, dass viele zivilgesellschaftliche Errungenschaften zunichte gemacht werden, weil das politische und öffentliche Umfeld immer feindlicher wird.
Der Staat versucht, Umweltstandards aufzuweichen
Viele zivilgesellschaftliche Umwelt- und Klimaschutzorganisationen in Russland haben seit Beginn des Ukraine-Krieges ebenfalls eine schwere Zeit. Seit Ende Februar wurden mehrere von ihnen als „ausländische Agenten“ denunziert; etwa die Umweltorganisation „Friends of the Baltic“, die seit langem in den Bereichen Klima, Nachhaltigkeit, Meeresökologie und Plastikverschmutzung tätig ist. Außerdem fordern staatsnahe russische NGOs, sogenannte GONGOs, von der Regierung, Greenpeace und die russische Sektion des WWF auf die Liste der „ausländischen Agenten“ zu setzen.
Darüber hinaus gab es angesichts zunehmender Sanktionen und einer drohenden Wirtschaftskrise staatliche Versuche, Umweltvorschriften zurückzunehmen oder zu lockern – etwa bei den Normen für Abwassereinleitungen – einschließlich des Baikalsees – oder bei Bau-Projekten in Naturschutzgebieten. Dies wiederum macht neue Lobby- und Medienkampagnen notwendig, was seinerseits neue staatliche Unterdrückung zur Folge haben könnte.
Dennoch finden in vielen russischen Regionen weiter lokale Umweltkampagnen und Proteste statt, bei denen Aktivisten verfolgt und angeklagt werden. Ein Telegram-Kanal, der den Umweltprotesten in Russland gewidmet ist, berichtet über die jüngsten Protestaktionen im ganzen Land. Ein Umweltaktivist aus der Region Moskau, Alexey Dmitriev, der gegen den Bau neuer Hochhäuser kämpft, wurde im März verhaftet und ihm droht nun ein Strafverfahren. Leider finden solche Fälle relativ wenig öffentliche Beachtung, da sich die wenigen verbliebenen kritischen Medien auf Antikriegsaktionen konzentrieren.
Auch unter russischen NGOs sorgt der Krieg für Zerwürfnisse
Angesichts der Lage wird innerhalb der russischen NGO-Gemeinschaft derzeit diskutiert, wie unabhängige Organisationen überhaupt überleben können. Erschwerend kommt hinzu, dass auch innerhalb der Gemeinschaft heftige Debatten über die Gründe für den Krieg und gegensätzliche Haltungen dazu geführt haben, dass manche Netzwerke und Gemeinschaften auseinandergebrochen sind und die Kommunikation untereinander eingestellt haben – so wie es auch in vielen russischen Familien passiert. Ich habe das in einer Reihe von Fällen mit Umwelt-Mailinglisten und speziellen Umwelt-Telegram-Kanälen erlebt. Diese Spaltungen sind für viele Aktivistinnen ein Schock.
Über viele Jahre, in denen der Druck auf die Zivilgesellschaft zunahm, haben einige NGOs bewusst entschieden, im Kleinen zu arbeiten, indem sie versuchen, Veränderungen in ihrem unmittelbaren Einflussbereich zu erreichen, ohne sich groß einzumischen oder größere politische Themen wie das Recht auf politische Meinungsäußerung anzusprechen. Nun scheint aber die große Politik viele der Ergebnisse im Kleinen zunichte gemacht zu haben. Dies führt zu ständigen Diskussionen darüber, was hätte anders gemacht werden können und wie man noch mehr Menschen in Russland in zivilgesellschaftliche Aktivitäten einbezogen haben könnte. Viele dieser Diskussionen drehen sich um die Frage: „Haben wir genug getan?“.
Weitere Auseinandersetzungen über die Zukunft der Zivilgesellschaft in Russland – sowohl für Organisationen und Experten als auch für Aktivisten innerhalb und außerhalb des Landes – haben gerade erst begonnen, und die Vision ist noch nicht da. Dies wird auch maßgeblich vom Verlauf des Krieges und der politischen Situation in Russland beeinflusst. Dies wird jedoch sicherlich für zivilgesellschaftliche Gruppen und Experten notwendig sein, die jetzt ums Überleben kämpfen, ihre Arbeit fortsetzen und versuchen, die politische, soziale und ökologische Situation zu verändern – sowohl innerhalb als auch außerhalb des Landes.
Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch beim Italienischen Institut für internationale politische Studien erschienen. Wir danken der Autorin und dem Institut für die Genehmigung, die deutsche Übersetzung zu veröffentlichen.
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