Für Umwelt­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen in Russ­land wird die Luft dünn

Umwelt­ak­ti­vis­ten bei einer Aktion für mehr Müll­tren­nung 2019 in St. Peters­burg; Foto: Shutterstock

Seit dem Über­fall auf die Ukraine haben die Repres­sio­nen gegen die Zivil­ge­sell­schaft in Russ­land eine neue Dimen­sion erreicht. Das hat bittere Folgen für die Arbeit von NGOs, auch im Bereich Umwelt­schutz, wie die Jour­na­lis­tin Ange­lina Davy­dova erklärt.

Nach Russ­lands Über­fall auf die Ukraine haben die Repres­sio­nen im Land neue Dimen­sio­nen erreicht. Viele Akti­vis­tin­nen und Exper­ten sind geflo­hen, aber es gibt noch Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sa­tio­nen (NGOs) die ver­su­chen, unter den neuen poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Bedin­gun­gen zu überleben.

Das poli­ti­sche Klima für zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen in Russ­land war schon vor dem 24. Februar nicht beson­ders günstig: Der Druck auf NGOs, Akti­vis­ten und Jour­na­lis­tin­nen hatte in den letzten Jahren stetig zuge­nom­men. Aber in den letzten knapp drei Monaten hat sich eine Atmo­sphäre der Angst und Unter­drü­ckung breitgemacht.

Portrait von Angeline Davydova

Ange­lina Davy­dova ist Jour­na­lis­tin und schreibt über rus­si­sche Klima- und Umwelt­po­li­tik für rus­si­sche und inter­na­tio­nale Medien.

Neue Gesetze, die die öffent­li­che Mei­nungs­äu­ße­rung, auch in sozia­len Medien, massiv ein­schrän­ken – etwa das Gesetz über „Fake-News“ oder die „Dis­kre­di­tie­rung der rus­si­schen Armee“ – haben poli­ti­sche Äuße­run­gen sowohl für Ein­zel­per­so­nen als auch für Orga­ni­sa­tio­nen erheb­lich erschwert. All dies geschieht in einer Zeit, in der kri­ti­sche Medien und Platt­for­men wie Face­book, Insta­gram und Twitter ver­bo­ten werden und nur mittels VPN-Technik zugäng­lich sind, während einige lokale Medien kom­plett geschlos­sen wurden.

Schläge, Miss­hand­lun­gen und Geldstrafen

Bei Pro­tes­ten gegen den Krieg, die vor allem in den ersten Tagen der Inva­sion statt­fan­den, wurden nach Zählung der Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tion OWD-Info seit dem 24. Februar lan­des­weit mehr als 15.000 Men­schen fest­ge­nom­men. Viele von ihnen wurden geschla­gen, miss­han­delt und per Ver­wal­tungs­ge­richts­ver­fah­ren zu Geld­stra­fen ver­ur­teilt. Darüber hinaus wurden mehrere Demons­tran­ten wegen straf­recht­li­cher Ver­stöße ange­klagt und inhaftiert.

In den letzten Wochen waren die meisten Pro­teste Ein­zel­ak­tio­nen, wobei künst­le­ri­sche Per­for­man­ces und Aktio­nen der femi­nis­ti­schen Anti­kriegs­be­we­gung die sicht­bars­ten waren. Men­schen­rechts­or­ga­ni­sa­tio­nen wie OWD-Info und Apo­lo­gia zählen Fälle von Ver­haf­tun­gen, Miss­hand­lun­gen und anderer Über­griffe, während sie Betrof­fene infor­mie­ren, kos­ten­lose Rechts­hilfe sowie Sicher­heits-Schu­lun­gen durch­füh­ren. Lokale Unter­stüt­zungs­grup­pen helfen Inhaf­tier­ten mit Lebens­mit­teln, Medi­ka­men­ten und anderen lebens­wich­ti­gen Dingen, während per Crowd­fun­ding Geld für die Zahlung von Ver­wal­tungs­stra­fen gesam­melt wird.

Repres­sio­nen auch gegen unpo­li­ti­sche Organisationen

Die Beschrän­kun­gen haben natür­lich direkte Aus­wir­kun­gen auf die Arbeit zivil­ge­sell­schaft­li­cher Orga­ni­sa­tio­nen im Land. Viele NGO-Mit­glie­der sind wegen ihrer Anti­kriegs­hal­tung per­sön­lich ins Visier geraten. Einige von ihnen wurden ein­ge­sperrt, während bei anderen Haus­durch­su­chun­gen stattfanden.

So hat Ilja Fomin­zew, Direk­tor der in der Krebs­prä­ven­tion tätigen Stif­tung „Nen­aprasno“ („Nicht umsonst“) Russ­land ver­las­sen, nachdem er wegen Teil­nahme an einem Stra­ßen­pro­test fest­ge­nom­men wurde und Beamte ver­such­ten, seine Wohnung zu durch­su­chen. Und das ist kein Ein­zel­fall: Tau­sende Rus­sin­nen und Russen, die sich gegen den Krieg enga­gie­ren, haben seit Februar das Land ver­las­sen. Wegen Sicher­heits­be­den­ken sind nicht alle von ihnen bereit, öffent­lich zu spre­chen oder ihren der­zei­ti­gen Auf­ent­halts­ort bekannt zu geben.

Natür­lich können nicht alle NGOs Russ­land jetzt ver­las­sen. Viele von ihnen leisten essen­ti­elle soziale, medi­zi­ni­sche und recht­li­che Hilfen für die am stärks­ten benach­tei­lig­ten Bevöl­ke­rungs­grup­pen. Für die Orga­ni­sa­tio­nen, die noch in Russ­land sind, sind die Arbeits­be­din­gun­gen aber viel schwie­ri­ger gewor­den. Neben direk­tem poli­ti­schen Druck stehen viele NGOs vor ernst­haf­ten finan­zi­el­len Pro­ble­men. Russ­lands Aus­schluss aus SWIFT bedeu­tet, dass Über­wei­sun­gen inter­na­tio­na­ler Geld­ge­ber nicht mehr statt­fin­den. Darüber hinaus gibt es bei vielen Spenden- und Crowd­fun­ding-Pro­gram­men inner­halb Russ­lands tech­ni­sche Pro­bleme und Spenden von Unter­neh­men und Pri­vat­per­so­nen gehen zurück.

Berich­ten zufolge sind die Spen­den­ein­nah­men einiger NGOs seit Kriegs­be­ginn um fast ein Drittel zurück­ge­gan­gen. Die­je­ni­gen, die im Bereich medi­zi­ni­scher Hilfe arbei­ten, haben auch mit stei­gen­den Preisen und/​oder Defi­zi­ten an außer­halb Russ­lands her­ge­stell­ten Arz­nei­mit­teln zu kämpfen.

Zusätz­lich zu den poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Her­aus­for­de­run­gen werden viele in Russ­land tätige zivil­ge­sell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen in naher Zukunft vor zahl­rei­chen ethi­schen Ent­schei­dun­gen stehen. Ihre Mög­lich­kei­ten, Anti-Kriegs-Posi­tio­nen zum Aus­druck zu bringen, sind jetzt schon sehr begrenzt; möglich ist aber, dass von ihnen erwar­tet wird, die Agenda der Regie­rung zu unter­stüt­zen. Dies muss nicht in Form einer direk­ten Unter­stüt­zung des Krieges gesche­hen, es reicht, die Rhe­to­rik zu unter­stüt­zen, dass Russ­land nun die Bezie­hun­gen zu „unfreund­li­chen“ Ländern abbricht und alle zusam­men nun den wirt­schaft­li­chen, sozia­len und zivilen Sektor wieder auf­bauen müssen.

Aus­sa­gen, dass alle Anstren­gun­gen (ein­schließ­lich der Zivil­ge­sell­schaft) gebün­delt gehören, um west­li­chen wirt­schaft­li­chen Druck stand­zu­hal­ten und der Bevöl­ke­rung soziale Hilfe zukom­men zu lassen, waren in den letzten Wochen in der rus­si­schen Innen­po­li­tik häufig zu hören – auch auf regio­na­ler und kom­mu­na­ler Ebene, wo viele im Sozi­al­be­reich tätige NGOs mit den Behör­den zusam­men­ar­bei­ten. Einige NGOs haben bereits berich­tet, dass sie in ihrer Kom­mu­ni­ka­tion mit lokalen Behör­den auf Schwie­rig­kei­ten stoßen, wenn sie auf euro­päi­sche oder US-ame­ri­ka­ni­sche Erfah­run­gen ver­wei­sen. Der Abbruch der Bezie­hun­gen Russ­lands zum Westen und die Unter­stüt­zung der iso­la­tio­nis­ti­schen Agenda werden auch dazu führen, dass viele zivil­ge­sell­schaft­li­che Errun­gen­schaf­ten zunichte gemacht werden, weil das poli­ti­sche und öffent­li­che Umfeld immer feind­li­cher wird.

Der Staat ver­sucht, Umwelt­stan­dards aufzuweichen

Viele zivil­ge­sell­schaft­li­che Umwelt- und Kli­ma­schutz­or­ga­ni­sa­tio­nen in Russ­land haben seit Beginn des Ukraine-Krieges eben­falls eine schwere Zeit. Seit Ende Februar wurden mehrere von ihnen als „aus­län­di­sche Agenten“ denun­ziert; etwa die Umwelt­or­ga­ni­sa­tion „Friends of the Baltic“, die seit langem in den Berei­chen Klima, Nach­hal­tig­keit, Mee­res­öko­lo­gie und Plas­tik­ver­schmut­zung tätig ist. Außer­dem fordern staats­nahe rus­si­sche NGOs, soge­nannte GONGOs, von der Regie­rung, Green­peace und die rus­si­sche Sektion des WWF auf die Liste der „aus­län­di­schen Agenten“ zu setzen.

Darüber hinaus gab es ange­sichts zuneh­men­der Sank­tio­nen und einer dro­hen­den Wirt­schafts­krise staat­li­che Ver­su­che, Umwelt­vor­schrif­ten zurück­zu­neh­men oder zu lockern – etwa bei den Normen für Abwas­ser­ein­lei­tun­gen – ein­schließ­lich des Bai­kal­sees – oder bei Bau-Pro­jek­ten in Natur­schutz­ge­bie­ten. Dies wie­derum macht neue Lobby- und Medi­en­kam­pa­gnen not­wen­dig, was sei­ner­seits neue staat­li­che Unter­drü­ckung zur Folge haben könnte.

Dennoch finden in vielen rus­si­schen Regio­nen weiter lokale Umwelt­kam­pa­gnen und Pro­teste statt, bei denen Akti­vis­ten ver­folgt und ange­klagt werden. Ein Tele­gram-Kanal, der den Umwelt­pro­tes­ten in Russ­land gewid­met ist, berich­tet über die jüngs­ten Pro­test­ak­tio­nen im ganzen Land. Ein Umwelt­ak­ti­vist aus der Region Moskau, Alexey Dmit­riev, der gegen den Bau neuer Hoch­häu­ser kämpft, wurde im März ver­haf­tet und ihm droht nun ein Straf­ver­fah­ren. Leider finden solche Fälle relativ wenig öffent­li­che Beach­tung, da sich die wenigen ver­blie­be­nen kri­ti­schen Medien auf Anti­kriegs­ak­tio­nen konzentrieren.

Auch unter rus­si­schen NGOs sorgt der Krieg für Zerwürfnisse

Ange­sichts der Lage wird inner­halb der rus­si­schen NGO-Gemein­schaft derzeit dis­ku­tiert, wie unab­hän­gige Orga­ni­sa­tio­nen über­haupt über­le­ben können. Erschwe­rend kommt hinzu, dass auch inner­halb der Gemein­schaft heftige Debat­ten über die Gründe für den Krieg und gegen­sätz­li­che Hal­tun­gen dazu geführt haben, dass manche Netz­werke und Gemein­schaf­ten aus­ein­an­der­ge­bro­chen sind und die Kom­mu­ni­ka­tion unter­ein­an­der ein­ge­stellt haben – so wie es auch in vielen rus­si­schen Fami­lien pas­siert. Ich habe das in einer Reihe von Fällen mit Umwelt-Mai­ling­lis­ten und spe­zi­el­len Umwelt-Tele­gram-Kanälen erlebt. Diese Spal­tun­gen sind für viele Akti­vis­tin­nen ein Schock.

Über viele Jahre, in denen der Druck auf die Zivil­ge­sell­schaft zunahm, haben einige NGOs bewusst ent­schie­den, im Kleinen zu arbei­ten, indem sie ver­su­chen, Ver­än­de­run­gen in ihrem unmit­tel­ba­ren Ein­fluss­be­reich zu errei­chen, ohne sich groß ein­zu­mi­schen oder größere poli­ti­sche Themen wie das Recht auf poli­ti­sche Mei­nungs­äu­ße­rung anzu­spre­chen. Nun scheint aber die große Politik viele der Ergeb­nisse im Kleinen zunichte gemacht zu haben. Dies führt zu stän­di­gen Dis­kus­sio­nen darüber, was hätte anders gemacht werden können und wie man noch mehr Men­schen in Russ­land in zivil­ge­sell­schaft­li­che Akti­vi­tä­ten ein­be­zo­gen haben könnte. Viele dieser Dis­kus­sio­nen drehen sich um die Frage: „Haben wir genug getan?“.

Weitere Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die Zukunft der Zivil­ge­sell­schaft in Russ­land – sowohl für Orga­ni­sa­tio­nen und Exper­ten als auch für Akti­vis­ten inner­halb und außer­halb des Landes – haben gerade erst begon­nen, und die Vision ist noch nicht da. Dies wird auch maß­geb­lich vom Verlauf des Krieges und der poli­ti­schen Situa­tion in Russ­land beein­flusst. Dies wird jedoch sicher­lich für zivil­ge­sell­schaft­li­che Gruppen und Exper­ten not­wen­dig sein, die jetzt ums Über­le­ben kämpfen, ihre Arbeit fort­set­zen und ver­su­chen, die poli­ti­sche, soziale und öko­lo­gi­sche Situa­tion zu ver­än­dern – sowohl inner­halb als auch außer­halb des Landes.

Dieser Artikel ist zuerst auf Eng­lisch beim Ita­lie­ni­schen Insti­tut für inter­na­tio­nale poli­ti­sche Studien erschie­nen. Wir danken der Autorin und dem Insti­tut für die Geneh­mi­gung, die deut­sche Über­set­zung zu veröffentlichen.

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